Donnerstag, 3. Oktober 2024
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Der Wettbewerb und das Bankgeheimnis

Der Präsident der italienischen Region Veneto jammert vehement: 700 Betriebe seien aus seiner Region schon Richtung Österreich abgewandert. Er nannte drei Gründe: die Steuerlast, die Bürokratie und das Bankgeheimnis; überall behandle Österreich seine Unternehmer besser. Gewiss: Politiker sind nicht immer seriöse Quellen der Wahrheit. Aber jedenfalls tut es den Österreichern gut, zumindest bisweilen zu hören, dass in anderen Ländern ihre Heimat noch irgendwo als Vorbild gehandelt wird. Wenn auch nur in Krisenländern wie Italien.

[[image1]]Aber jedenfalls macht diese Bemerkung eines Regionalpolitikers klar: Es geht bei allen Aspekten der Wirtschaftspolitik primär immer um die Standort-Vorteile einer Region, eines Landes gegenüber anderen. Sowohl innerhalb der EU wie auch zwischen EU-Regionen und außerhalb liegenden Wettbewerbern. Das vergessen populistische Politiker freilich allzuleicht. Nur in standortgünstigen („wirtschaftsfreundlichen“) Ländern wird investiert. Und nur bei Investitionen entstehen Arbeitsplätze. Und niemals durch Gewerkschaften oder Ministerien.

Stabilität, Rechtsstaat und Binnenmarkt

Dabei gibt es nicht den einen einzigen entscheidenden Faktor, der über Glück oder Elend eines Landes entscheidet. Vieles spielt dabei mit. An der Spitze der für einen Standort entscheidenden Notwendigkeiten stehen zweifellos die innere Stabilität eines Landes und das Funktionieren des Rechtssystems. Aber auch die Teilnahme am EU-Binnenmarkt hat sich als Wettbewerbsvorteil erwiesen, den jedenfalls kein Land aufgeben will.

Die sonstige Regulierungswut der EU ist hingegen keineswegs ein Konkurrenzvorteil. Auch der Euro hat sich nicht als solcher erwiesen, obwohl viele anfangs – auch der Autor dieser Zeilen – sehr wohl einen solchen Nutzen des Euro erwartet hatten. Im Gegenteil: Im Schnitt stehen die Euro-Länder heute bei allen volkswirtschaftlichen Messgrößen schlechter als die EU-Länder da, die nicht den Euro haben.

Freilich zeigen die Fakten ein differenziertes Bild: Auch etliche Nicht-Euro-Länder der EU wie etwa Malta oder einige Osteuropäer erlitten in den letzten Jahren schwere Krisen. Andererseits stehen einige Nicht-EU-Länder, die also auch nicht vollberechtigt am Binnenmarkt teilnehmen können wie die Schweiz und Norwegen, in jeder Hinsicht sehr gut da.
Eine Reihe anderer Ursachen des wirtschaftlichen Erfolgs eines Landes ist daher außerhalb von Binnenmarkt oder Euro zu suchen, wobei auch die Faktoren Rechtsstaat und Stabilität bei weitem nicht ausreichen.

Teilhabe an der Globalisierung und ethnische Vorteile

Besonders wichtig ist für alle erfolgreichen Länder, dass sie sich extrem weit dem Weltmarkt geöffnet haben und auf Schutzzölle und ähnliche Maßnahmen in hohem Ausmaß verzichten. Und dass ihre Löhne nur soweit höher sind als in anderen Ländern, wie die Arbeitskräfte fleißiger und besser ausgebildet sind. Eher irrelevant scheint hingegen die einst stark betonte Größe eines Landes zu sein; denn Singapur und Hongkong sind ebenso erfolgreich wie Kanada und die USA.

Eine absolut dominante Rolle spielen jedoch Faktoren, die von vielen Ökonomen als politisch inkorrekt und heikel gemieden werden wie das Weihwasser vom Teufel. Das sind die ethnischen Unterschiede. Denn kaum werden diese Aspekte auch nur untersucht, schreien Gesinnungsterroristen bereits „Rassismus!“

Aber es kann kein Zufall sein, dass sich Ostasien seit seiner Öffnung für die globale Marktwirtschaft weit besser entwickelt als Afrika und die arabischen Länder, die sich nach sozialistischen Irrwegen ja ebenfalls der Marktwirtschaft geöffnet haben. Es sind also eindeutig auch ethnische Unterschiede im Spiel – ohne dass man sagen kann, ob und wie weit sie kulturell oder genetisch bedingt ist.

Jedenfalls wird dieser gerne verschwiegene Faktor auch dadurch bewiesen, dass  die Ostasiaten auf amerikanischen Universitäten die weitaus erfolgreichsten Studenten sind. Sie sind deutlich besser als die Nachfahren der aus Europa gekommenen Amerikaner. Diese liegen selbst wieder weit vor den lateinamerikanischen Zuwanderern. Und diese haben wiederum die Afroamerikaner deutlich hinter sich gelassen.

Steuern und Bürokratie

Aber kehren wir noch einmal zu den Standort-Sorgen des Veneto-Präsidenten zurück, der immerhin einer der erfolgreichsten Regionen Italiens vorsteht. Er hat einige ebenfalls wichtige Faktoren genannt. daher kann der Österreicher mit erstaunter Freude registrieren, dass man in Italien die Alpenrepublik auch in Sachen Bürokratie und Steuern als Vorbild sieht.

Das hätte er eigentlich nicht geglaubt. Aber im Vergleich zur italienischen ist die österreichische Bürokratie tatsächlich besser und nur in Teilbereichen wie etwa bei den Baugenehmigungen in großen Städten korrupt. Bei den Steuern hat der gute Mann hingegen die Einkommensteuer ignoriert. Bei den meisten anderen Steuern hat er zwar Recht, lässt aber außer Acht, dass die Steuereintreibung in Italien viel weniger konsequent erfolgt.

Bankgeheimnis zum Schutz des Privatlebens

Als dritten Wettbewerbsfaktor hat der Veneto-Präsident auch das Bankgeheimnis genannt. Mit dem ist es freilich nicht so einfach, weshalb es eine eingehende Betrachtung wert ist. Wahrscheinlich liegt die Hauptbedeutung dieses Geheimnisses in einer bloßen Illusion. Viele Sparer und Anleger glauben nämlich, dass dadurch ihr Geld ein wenig besser vor dem Staat, vor den Staaten geschützt wird; dass deren Gier dadurch Bremsen angelegt werden.

Ein guter Beweis für diese Gier als Antriebskraft bietet die Schuldenkrise. Es ist kein Zufall, dass die Staaten genau in dieser ihren Würgegriff auf Sparer und Banken verstärken. Genau wegen der derzeit explodierenden Schulden der Staaten kommt jetzt aus dem Ausland, aber auch von etlichen Politikern des Inlands das österreichische und Luxemburger Bankgeheimnis verstärkt unter Druck, ebenso jenes der Schweiz und anderer Verteidiger des Steuergeheimnisses. Die Gier und die Neugier vieler Regierungen kennt keine Grenze.

Steuerhinterzieher verdienen keinen Schutz, aber …

Nun werden viele mit Fug und Recht sagen, Steuerhinterzieher verdienen keinen Schutz. Jedoch ist es infam, so zu tun, als ob jeder für das Bankgeheimnis eintretende Europäer ein Steuerhinterzieher wäre. Viele wollen einfach ihr Geld vor der (letztlich gierigen) Neugier des Staates und der lieben Verwandtschaft verbergen. Es ist ja auch nicht jeder ein Terrorist oder Kinderpornokonsument, der es nicht mag, wenn der Staat in seinem Computer herumspioniert. Beim Sparbuch wie beim Computer – wie noch in vielen anderen Bereichen – geht es in Wahrheit um dieletzten Residuen persönlicher Freiheit, geht es um Privatheit. Beides ist den Staaten selbst naturgemäß nichts wert. Deshalb wollen sie den automatischen Datenaustausch in Hinblick auf sämtliche Sparkonten der Europäer.

Das Bankgeheimnis kann in Ländern wie Österreich ohnedies jetzt schon sogar ohne Gerichte durch bloße Anfragen ausländischer Steuerbehörden durchbrochen werden. Außerdem ist die von Österreich und der Schweiz praktizierte Quellensteuer ein gutes Mittel, jedenfalls den Herkunftsstaat an im Ausland verdienten Zinsen seiner Subjekte teilhaben zu lassen. Zugleich kann seit langem niemand mehr in Österreich anonym Geld anlegen. Die Geldwäschebestimmungen sind heute schon sehr streng.

All das spräche eigentlich eher dafür, das Bankgeheimnis zumindest in seinen bescheidenen Resten aufrecht zu erhalten. Dennoch hat Österreich kaum mehr Chancen, es zu verteidigen. Hat doch sogar der eigene Bundeskanzler das Bankgeheimnis zu einem Instrument der Steuerhinterzieher erklärt und will es abschaffen.

Und vor allem: Wenn wirklich ein effizienterer Kampf gegen Steuerhinterziehung im Zeichen der Gerechtigkeit das Motiv wäre, dann gäbe es ein Aufgabenfeld, das viel wichtiger ist als das Bankgeheimnis. Dennoch kommt das österreichische Finanzministerium mit diesem Hinweis in der Öffentlichkeit kaum durch. Es kann jedoch beweisen, dass keineswegs das Bankgeheimnis das Instrument ist, mit dem man wirklich relevante Steuerhinterziehungen durchführt: Das Vehikel für diese sind vielmehr die in einigen Ländern zulässigen anonymen Kapitalgesellschaften.

Anonyme Gesellschaften richten hundert Mal mehr Schaden an

Diese sind zwar unterschiedlich konstruiert. Aber immer ist es unmöglich, den eigentlichen wirtschaftlichen Nutznießer zu identifizieren. Nach Einschätzung des seit einem Vierteljahrhundert im Finanzministerium als Sektionschef amtierenden Wolfgang Nolz und seines Kollegen Harald Waiglein wird damit hundert Mal so viel Schindluder getrieben wie mit dem Bankgeheimnis.

Den österreichischen Finanzexperten ist es mit beharrlichen Hinweisen auf dieses Problem nun zumindest gelungen, es zum Teil des EU-Verhandlungspakets mit den „Steueroasen“ zu machen. Den Banken soll vorgeschrieben werden, bei allen Zahlungen an Drittstaaten den wirtschaftlichen Eigentümer des Kapitals zu eruieren.

Weltweit jede Möglichkeit für Missbrauch

Das Ministerium kann dabei als Beleg auch große Studien des britischen Ökonomieprofessors Jason Sharman vorlegen. Diese zeigen ein dramatisches Bild dessen, was international möglich ist: Sharman hat im Vorjahr 7400 Anfragen in 182 Ländern gestellt, bei denen vorgegeben wurde, anonyme Firmen gründen zu wollen. Ergebnis: in 48 Prozent der Fälle war keine ordentliche Identifikation notwendig, in 22 überhaupt keine. Selbst dann, wenn in der Anfrage von schwerer Kriminalität als Hintergrund die Rede war, waren in etlichen Ländern anonyme Firmengründungen möglich: sogar bei Korruption (9 Prozent) oder bei Terrorismus (5 Prozent).

Auch Weltbank, OECD und die Anti-Geldwäsche-Institution FATF sind auf viele Spuren gesellschaftsrechtlicher Tarnvehikel gestoßen. Während das Bankgeheimnis bei kriminellen Verschiebungen fast keine Rolle spielt.

Bei diesen problematischen Firmen-Konstruktionen geht es vor allem um die in etlichen angelsächsischen Ländern üblichen Trusts; es geht um Stiftungen in Ländern ohne umfassendes Stiftungsregister; es geht um treuhänderische Gesellschafter; es geht um den betrügerischen Erwerb ganzer Firmenmäntel samt Vorgeschichten. Wenn solche Firmen einmal über zwei, drei Grenzen hinweg Gelder verschieben, sind deren Spuren nie mehr auffindbar.

Das Schwarzgeld findet immer neue Schlupflöcher

Auf diese Weise geht den Staaten in der Tat viel Geld verloren, das dann die anderen Steuerzahler ersetzen müssen. Freilich: Auch im Wiener Finanzministerium fürchtet man, dass die wirklichen Oasen des Schwarzgeldes sehr bald neue Konstruktionen finden werden, um solche Regelungen zu umgehen.

Die Möglichkeit solcher Konstruktionen vor allem in den angelsächsischen Ländern bedeutet nämlich einen großen Wettbewerbsvorteil für deren Finanzindustrie. Diese Länder werden daher vehement für diesen Vorteil kämpfen. Der von Österreich initiierte Kampf dagegen ist überdies auch juristisch viel komplizierter als jener gegen das Bankgeheimnis.

Dieses Bankgeheimnis wollen jedenfalls die meisten EU-Länder durch einen automatischen Informationsaustausch beenden. Jedoch weisen erfahrene Finanzleute in Wien auch auf die unglaublich große und unstrukturierte Datenmenge hin, um die es dabei gehen würde. Als Beispiel berichten sie von den Pensionszahlungen: Zwischen Deutschland und Österreich werden da zwar schon seit einigen Jahren große Datenmengen ausgetauscht; es hat aber sechs Jahre nach Beginn dieses Austauschs gedauert, bis Deutschland die ersten Bescheide zur Eintreibung seiner Einkommensteuer geschafft hat. Dabei sind diese Datenmengen noch deutlich geringer als die von Banktransaktionen.

Dennoch wird der an sich kluge Gedanke wohl scheitern, dem automatischen Bankdatenaustausch erst dann zuzustimmen, wenn es effektive Maßnahmen gegen Trusts & Co gibt. Hat doch die auf dieser Strategie fahrende Finanzministerin nicht einmal ihren Parteiobmann oder ihren Regierungschef von dieser Strategie überzeugen können. Vielleicht ist das Thema auch ein wenig zu kompliziert. Und jedenfalls spielen Standortfragen bei populistischer Politik keine Rolle.

 

Bild: Q.pictures / pixelio.de/ © www.pixelio.de

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