Mittwoch, 16. Oktober 2024
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Der hürdenreiche Weg zum Beitritt Kroatiens zur EU (Teil 2)

In Teil 1 dieses Artikels wurde neben den sozio-ökonomischen Basisdaten Kroatiens die Chronologie der Beitrittsbemühungen dieses Westbalkanstaates detailliert dargestellt. Im gegenständlichen Teil 2 sollen nunmehr die beitrittsbedingten Anpassungen untersucht und danach die wirtschaftlichen Beziehungen Österreichs zum nunmehrigen EU-Mitgliedstaat Kroatien dargestellt werden. 

[[image1]]Beitrittsbedingte Anpassungen

Gemäß den Bestimmungen der Artikel 9 bis 14 der Beitrittsakte Kroatiens[1]) löst der Beitritt Kroatiens eine Reihe institutioneller Anpassungen der Verträge aus. Die Artikel 19 bis 26 der Beitrittsakte[2]) wiederum enthalten einige Übergangsmaßnahmen mit begrenzter Geltungsdauer. Die wichtigsten dabei an den Verträgen vorgenommenen Änderungen sind folgende:

Europäisches Parlament: Die Anzahl der Mitglieder des Europäischen Parlaments wird um 12 Mitglieder aus Kroatien erhöht. Diese Regelung gilt bis zum Ende der Wahlperiode 2009-2014 des Europäischen Parlaments. Die – vorgezogenen – Wahlen zum nächsten Europäischen Parlament finden vom 22. bis 25. Mai 2014 statt und werden deswegen nicht zum ursprünglich vorgesehenen Termin vom 5. bis 8. Juni 2014 abgehalten, da dieser zum einen mit dem Pfingstwochenende zusammenfallen würde und zum anderen dem Europäischen Parlament mit der Vorverlegung mehr Zeit gegeben werden soll, sich besser auf die Wahl des Präsidenten der Europäischen Kommission im Juli 2014 einzustellen.

Kommission: Die Kommission wird um einen kroatischen Kommissar auf nunmehr 28 Mitglieder aufgestockt. Der bisher für das Amt des für Außenbeziehungen und die europäische Integration Kroatiens zuständige stellvertretende Premierminister Neven Mimica übernimmt in der Kommission das Portfolio Verbraucherschutz,[3]) das bisher der maltesische Kommissar Tonio Borg innehatte. Er wird diese Funktion bis zum Ende der Amtszeit der gegenwärtigen Kommission, nämlich bis zum 31. Oktober 2014, bekleiden. Die neue Kommission wird aufgrund eines Beschlusses des Europäischen Rates vom 22. Mai 2013 die in Artikel 17 Absatz 5 Unterabsatz 1 EUV vorgesehene Reduktion ihrer Mitglieder zum 1. November 2014 aber nicht hinzunehmen haben, sondern wird auch danach nach der Formel „ein Kommissar pro Mitgliedstaat“ zusammengesetzt werden.[4])

Rat: Ab dem 1. Juli 2013 sind wenigstens 260 Stimmen (von insgesamt 352 Stimmen) aus mindestens 15 Mitgliedstaaten erforderlich, damit im Rat ein Rechtsakt mit qualifizierter Mehrheit angenommen werden kann. Kroatien verfügt dabei über 7 Stimmen (gleich wie Dänemark, Irland, Litauen, die Slowakei und Finnland). Zum Vergleich: das Stimmgewicht Österreichs im Rat beträgt 10 Stimmen.

Die rotierende Vorsitzführung im Rat bleibt zunächst unverändert und soll erst im Jahr 2017 revidiert werden.[5])

Gerichtshof/Gericht: Sowohl der Gerichtshof, als auch das Gericht werden auf 28 Mitglieder aufgestockt, wobei die Amtszeit des kroatischen Richters am Gerichtshof, Siniša Rodin, am 6. Oktober 2015 und die der kroatischen Richterin am Gericht, Vesna Tomljenović, am 31. August 2013 endet. Die teilweise Neubesetzung der Richterstellen am Gerichtshof, die alle drei Jahre stattfindet, betrifft nunmehr 14 Richter.

WSA/AdR: Im Wirtschafts- und Sozialausschuss (WSA) und im Ausschuss der Regionen (AdR), deren Gesamtmitgliederzahl auf je 353 Personen angehoben wird, werden je 9 kroatische Mitglieder Einsitz nehmen.

Amtssprache: Kroatisch wird die 24. Amtssprache der EU, sodass sämtliche Rechtsakte der EU auch auf Kroatisch verfasst werden müssen.

Währung: Der Gouverneur der kroatischen Nationalbank, Boris Vujcic, erklärte am 4. Juni 2013, dass Kroatien so bald als möglich den Euro übernehmen wolle, unter anderem auch deswegen, da diese Währung bereits massenhaft in Kroatien umlaufe und auch von den Banken umfassend verwendet werde.[6]) Auch der Staatspräsident Kroatiens, Ivo Josipovic, wies darauf hin, „dass mehr als 80 Prozent unserer Ersparnisse in Euro angelegt sind, sodass Kroatien den Euro innerhalb von drei bis fünf Jahren einführen sollte“.[7]) Die Leiterin des EBRD-Büros in Kroatien, Vedrana Jelusic, spricht hingegen davon, dass die Euro-Einführung für sie noch keine unmittelbare Priorität habe, wohl aber die zügige Anpassung an die Konvergenzkriterien, um sich gegebenenfalls rasch der Euro-Zone anschließen zu können.[8])

Regionale Präferenzzonen: Mit dem Beitritt zur EU musste Kroatien aus der Freihandelszone der CEFTA (Central European Free Trade Agreement)[9]) ausscheiden, wodurch auch alle Präferenzzollsätze mit den CEFTA-Mitgliedstaaten – vor allem mit den unmittelbaren Nachbarstaaten Serbien und Bosnien & Herzegowina – in Wegfall kamen.

Wirtschaftsbeziehungen Österreich-MOEL im allgemeinen

Österreich, das sich stets aus historischen und politischen Gründen ganz besonders für den Beitritt zur EU der Westbalkanstaaten im allgemeinen und Kroatiens im speziellen eingesetzt hat, wird aber auch wirtschaftlich davon enorm begünstigt.

Ganz allgemein gesprochen, profitierte die österreichische Wirtschaft vom Aufholprozess der mittel- und osteuropäischen Länder (MOEL) bzw. der Balkanstaaten am stärksten von allen EU-Mitgliedstaaten. Nach Untersuchungen des Österreichischen Instituts für Wirtschaftsforschung (WIFO) brachte allein der „Integrationsbonus“ der EU-Erweiterungsrunde 2004 um zehn neue Mitgliedstaaten für Österreich eine jährliche zusätzliche Steigerung des realen BIP von 0,4 Prozent und einen Zuwachs von rund 9.000 Arbeitsplätzen pro Jahr.[10])

In den letzten 15 Jahren machte der Handel mit den MOEL mehr als ein Drittel des gesamten Volumens des österreichischen Außenhandels aus. Österreichs Warenausfuhr nach Osteuropa hat sich allein in den letzten zehn Jahren fast verdreifacht. Die Exporte nach Ungarn, Slowenien, Tschechien, der Slowakei und Polen haben sich bis 2011 mehr als vervierfacht und stiegen dementsprechend von 4 Milliarden Euro im Jahr 1995 auf 16,7 Milliarden im Jahr 2011. Als Folge der Wirtschaftskrise sanken sie zwar im Jahr 2009 auf 12,7 Milliarden, erholten sich aber in der Folge wieder und erreichten 2011 die erwähnte Summe von 16,7 Milliarden Euro.

Auch auf dem Sektor der Direktinvestitionen ist Österreich mit den MOEL eng verflochten. Bereits 1990 betrug das Volumen der österreichischen Direktinvestitionen rund 0,3 Milliarden und erhöhte sich im Jahr 2000 auf 2,5 Milliarden. 2005 betrug das Volumen bereits über 5 Milliarden und erreichte 2008 den Umfang von 10,7 Milliarden. Der Gesamtbestand an österreichischen Direktinvestitionen betrug 2011 63,6 Milliarden Euro, ein Wert, der knapp 50 Prozent der gesamten Direktinvestitionen Österreichs im Ausland entspricht. Damit ist die österreichische Investitionstätigkeit auch im internationalen Vergleich außerordentlich stark auf Mittel- und Osteuropa konzentriert.[11])

Österreich ist in Slowenien, Kroatien, Bosnien & Herzegowina und Serbien der bedeutendste Investor und belegt unangefochten den 1. Platz. In Rumänien, Bulgarien und in der Slowakei liegen Österreichs Unternehmen mit ihren Firmenbeteiligungen auf dem 2. Platz und auch in den übrigen MOEL ist Österreich als Direktinvestor stark vertreten.[12])

Wirtschaftsbeziehungen Österreich-Kroatien im speziellen

Was den Außenhandel mit Kroatien betrifft, so führte Österreich 2012 Waren im Wert von 1,11 Milliarden Euro nach Kroatien aus und importierte im Gegenzug Waren im Wert von 0,761 Milliarden Euro, sodass ein (traditioneller) Handelsüberschuss von ca. 350 Millionen Euro entstand. Dieser zählt zu den höchsten im österreichischen Außenhandel, wenn man diesen in Relation zur Exportsumme setzt.

Was die Investitionstätigkeit in Kroatien betrifft, so tätigte die österreichische Wirtschaft von 1993 bis 2011 mit 6,5 Milliarden ca. 25 Prozent aller Auslandsinvestitionen. Damit ist Österreich der bei weitem größte ausländische Investor in Kroatien – vor den Niederlanden, Deutschland und Ungarn. Etwa 700 österreichische Unternehmen verfügen über Niederlassungen in fast allen Branchen der kroatischen Wirtschaft. Seit 1999 besteht ein bilaterales Investitionsschutz-Abkommen (BIT) und seit 2002 ein Doppelbesteuerungs-Abkommen (DBA) zwischen Österreich und Kroatien.[13])

Einstellung der Österreicher zum Beitritt Kroatiens

Die Österreicher heißen Kroatien in der EU mehrheitlich willkommen: 46 Prozent der österreichweit befragten 650 Personen[14]) bewerten den Beitritt Kroatiens zur EU positiv, 29 Prozent lehnen ihn ab und 22 Prozent stehen diesem neutral gegenüber. Der Rest auf 100 Prozent ist unentschlossen: weiß nicht/keine Angabe. Am höchsten ist die Zustimmung in Kärnten (64 Prozent) und im Burgenland (58 Prozent), am niedrigsten in Vorarlberg (32 Prozent).[15]) Kroatien ist das Land, dessen EU-Beitritt die Österreicher – im Vergleich zu anderen aktuellen und potenziellen EU-Kandidatenländern – mit Abstand am stärksten befürworten. Bei dieser überaus positiven Bewertung dürften aber die etwa 70.000 in Österreich lebenden Kroaten eine gewisse Rolle gespielt haben.[16])

Österreich ist nicht nur, wie vorstehend erwähnt, der weitaus größte Auslandsinvestor in Kroatien – woraus sich nicht nur ökonomische, sondern auch soziale Kontaktnahmen ergeben – sondern Kroatien rangiert auch im Ranking der beliebtesten ausländischen Sommer-Urlaubsdestinationen an zweiter Stelle.

Fazit

Seit 1981 kommt es mit dem Beitritt Kroatiens erstmals wieder zu einer Erweiterung der EU nur um einen einzigen Staat, nachdem es zwischenzeitlich stets mehrfache Aufnahmen gegeben hat, die in der Beitrittswelle von insgesamt 12 Staaten 2004/2007 kulminierten. Durch diesen Einzelbeitritt eines kleinen Staates mit knapp 4,5 Millionen Einwohnern ist das auf Druck Österreichs 2006 in zukünftige Beitrittsverhandlungen aufgenommene neue Kriterium der Aufnahmefähigkeit der EU nicht tangiert.

Nach einem beinahe zehnjährigen Beitrittsmarathon, dem bisher längsten in der Geschichte der EU, war Kroatien 2013 deutlich besser auf eine Mitgliedschaft in der EU vorbereitet, als dies 2004 Rumänien und Bulgarien waren, die dann 2007 der EU beitraten. Die Reformbemühungen haben Kroatien von einer seit 1992 autoritär geführten Präsidialrepublik unter Franjo Tudjman zu einer westlichen Demokratie umgestaltet und auch zu einer stärkeren marktwirtschaftlichen Orientierung geführt. Reformen in der Justiz und Verwaltung sowie erste Erfolge in der Korruptionsbekämpfung, die vor allem in der Verurteilung des früheren Ministerpräsidenten Ivo Sanader (2003-2009) am 20. November 2012 durch ein Zagreber Strafgericht wegen Annahme von Bestechungsgeldern zu zehn Jahren Haft ihren Ausdruck fanden, sind in diesem Zusammenhang zu erwähnen.

Trotz aller Freude, wieder nach Europa zurückgekommen zu sein, macht sich in der kroatischen Öffentlichkeit aber verstärkt Ernüchterung und Skepsis breit. In einem interessanten Pressespiegel nationaler und internationaler Gazetten hat Katja Petrovic aufgezeigt, dass Kroatien mehr und mehr von einem Gefühl der Beunruhigung und Sorge ergriffen wird, welche Folgen denn der EU-Beitritt politisch und wirtschaftlich, zB in Form exorbitanter Preissteigerungen etc., auslösen wird.[17]) Ein Kommentator stellt in diesem Zusammenhang sogar fest, dass Kroatien von einer „mysteriösen Depression geplagt wird“.[18])

Wie dem auch sei, die ordnungsgemäße Bewältigung des Beitritts Kroatiens zur EU wird auf die Beitrittsambitionen der weiteren Westbalkanstaaten eine wichtige Ausstrahlung ausüben. Von Serbien abgesehen, das am 19. April 2013 ein historisches Abkommen zur Normalisierung seiner Beziehungen zum Kosovo abschließen konnte[19]) – aufgrund dessen nunmehr der Beitritt Serbiens zur EU politisch „deblockiert“ wurde – bergen vor allem die möglichen Beitritte Albaniens und Bosnien & Herzegowinas noch ungeahnte politische und juristische Probleme.[20])


[1]) Amtsblatt EU 2012, L 112, S. 24 ff.

[2]) Amtsblatt EU 2012, L 112, S. 26 ff.

[3]) IP/13/354, vom 25. April 2013.

[4]) Vgl. dazu Hummer, W. Wer bestimmt über die Größe und Zusammensetzung der Kommission?, EU-Infothek vom 28. Mai 2013.

[5]) Vgl. dazu Beschluss 2007/5/EG, Euratom des Rates vom 1. Januar 2007 zur Festlegung der Reihenfolge für die Wahrnehmung des Vorsitzes im Rat, Amtsblatt EU 2007, L 1, S. 11 f.

[6]) Vgl. Thomson, A. Croatia Aims for Speedy Adoption of Euro, Europe News, vom 4. Juni 2013.

[7]) Kroatiens Präsident will Euro in drei bis fünf Jahren, Handelsblatt, vom 21. Juni 2013.

[8]) Miljkovic, M. Im Interview. Vedrana Jelusic EBRD Kroatien. „Kroatien muss Investoren als Partner begegnen“, WirtschaftsBlatt vom 1. August 2013, S. 9.

[9]) Die Satzung der CEFTA wurde am 21. Dezember 1992 von den Visegrad-Staaten Polen, Ungarn, Tschechien und die Slowakei in Krakau unterzeichnet und trat im Juli 1994 in Kraft. Am 6. April 2006 wurde die Ausweitung der CEFTA auf die Staaten Albanien, Bosnien & Herzegowina, Moldawien, Serbien, Kroatien, Montenegro und die UNMIK für den Kosovo beschlossen. Für Kroatien trat die Satzung der CEFTA in der Folge am 22. August 2007 in Kraft.

[10]) Vgl. dazu auch Gabriel, A. Österreich Hauptprofiteur der großen EU-Erweiterung, Die Presse, vom 22. Juni 2013, Europa vertiefen, S. II.

[11]) Vgl. Reidl, P. Unternehmen bleiben Osteuropa treu, WirtschaftsBlatt vom 1. August 2013, S. 8.

[12]) Vgl. Vytiska, H. EU-Osterweiterung. Kroatien: Wegbereiter für EU-Erweiterung am Balkan?, EurActiv.de, vom 27. Juni 2013.

[13]) WKO (Hrsg.), EU Top Thema – Neues EU-Mitglied Kroatien, Juli 2013, S. 3.

[14]) Die Befragung wurde von der Sozialwissenschaftlichen Studiengesellschaft (SWS) Ende Juni 2013 im Auftrag der Österreichischen Gesellschaft für Europapolitik (ÖGfE) durchgeführt. 

[15]) Vgl. dazu Kopeinig, M. Österreicher begrüßen den Beitritt Kroatiens als 28. EU-Mitglied, Kurier vom 30. Juni 2013.

[16]) ÖGfE (Hrsg.), Österreicher heißen Kroatien in EU mehrheitlich willkommen, 30. Juni 2013.

[17]) Petrovic, K. Außenspiegel zum EU-Beitritt Kroatiens. „Es wird nicht einfach“, SPIEGELONLINE, vom 28. Juni 2013.

[18]) Muzik, P. Kroatien ist depressiv und so gar nicht euphorisch, EU-Infothek vom 26. Juni 2013.

[19]) Vgl. dazu Jureković, P. Kosovo Agreement – Implementation as Litmus Test, IFK Monitor International, July 2013. 

[20]) Vgl. Boutherin, T. Croatia’s accession to the European Union: thoughts on Europe at a crossroad, Fondation Robert Schuman, Policy paper – European issues No. 283, 25 June 2013.

 

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