Misst man nüchtern nach, waren Mittelschicht und Wohlstand hierzulande noch nie stärker, die Kluft zwischen Arm und Reich selten geringer – trotz rekordhaft hoher Unzufriedenheit.
[[image1]]Fast im Wochentakt misst man im Nachrichtenmagazin „Der SPIEGEL“ das Schrumpfen von Deutschlands Mittelschicht herbei. Die Kluft ginge weiter auseinander. Und auch hierzulande leben Gewerkschaften und Kirchen blendend von den Untergangsprognosen für die Mittelschicht. Höchste Eisenbahn, sich an nackten Zahlen zu erfreuen.
Der SPIEGEL: „Die Angst vor`m Abstieg[1]“
Wer zwischen 70% und 150% des Medianeinkommens verdient, zählt üblicherweise zur Mittelschicht. Die klassenkämpferischen Vorwürfe an „das System“ unterstreichen Spiegel-Artikeln traditionell mit Bildern von brennenden Vorstädten, antikapitalistischen Demonstrationen oder hungernden Menschen.
Tatsächlich ist Deutschlands Mittelschicht von 1999 (62,5%) bis 2009 auf 61,1% abgesunken. Das mag für manche dramatisch klingen – 1993 lag sie aber auch „nur“ bei 61,7%[2].
Und selbst dieser Rückgang geht laut Bericht u.a. „auf die Zunahme von Single-Haushalten, Alleinerziehenden und die Zuwanderung „bildungsferner Personen“ zurück“.
Österreich: „Sozialer Aufstieg gelingt oft[3]“
Auch die seit Jahrzehnten beklagte Unmöglichkeit, sozial aufzusteigen, stellt sich bei genauer Betrachtung differenzierter dar. Eine international vergleichende Studie untersuchte 2010[4], wie viele Menschen aus dem „untersten Einkommensfünftel“ aufsteigen konnten. Das Ergebnis erstaunte Europas Berufs-Pessimisten: 32,8% der Österreicher (32,4% der Deutschen) gelang der Durchbruch – fast ebenso vielen wie in den USA (33,4%)! Im Auswandererland Kanada hatten es hingegen nur 30,5% geschafft.
Auch in Österreich gelingt es 70% der Armutsgefährdeten, sich innerhalb von nur 2 Jahren aus ihrer Situation herauszuarbeiten. „Good News“: Niemand ist in Armut gefangen. So verwundert es auch nicht, dass in einer aktuellen Sonder-Auswertung des EU-Armutsberichtes (durch die Statistik Austria) von 2000 bis 2011 vor allem untere Einkommensgruppen aufgestiegen sind. Alleine von 2010 auf 2011 gelang dies 36% (!) des „Untersten Zehntels“. Und auch „oben“ ist das süße Leben nicht für immer garantiert: 13% des „Obersten Zehntels“ mussten wieder eine Stufe tiefer[5].
Einkommen: Kluft gesunken
Der Gini-Koeffizient ist eine Zahl zwischen 0 und 1 und beschreibt die Gleichverteilung in einer Gesellschaft. Je geringer der Wert, desto gleicher verteilt. Tatsächlich ist der Gini-Wert in Deutschland über die Jahre von 0,26 (2000) auf 0,29 (2005) gestiegen – um mittlerweile aber wieder auf 0,276 abgesunken zu sein[6]. In Österreich liegt der Koeffizient im Wesentlichen schon seit 10 Jahren unverändert auf niedrigem Niveau bei 0,26.
Freilich liegt Tschechien (0,252) noch um eine Nuance niedriger. Aber lebt es sich deshalb auch besser? Die Schweiz liegt bei über 0,30, Australien sogar bei 0,34. Gesellschaften, die an ihre Aufstiegschancen glauben, akzeptieren höhere Ungleichheiten als Leistungsansporn.
Der Grund für die hiesigen Spitzenwerte bei der Einkommensverteilung? Wohl ein Mix aus Zuckerbrot und Peitsche: Einerseits haben`s Drückeberger bei den Arbeitsämtern immer schwerer (vor allem seit Hartz IV), auf der anderen Seite bringt ein duales Schulsystem fast alle Jungen einer Generation in Brot und Arbeit. Jugendarbeitslosigkeit ist in Deutschland oder Österreich kein Thema.
Real-Einkommen stagnieren, Haushalts-Einkommen wachsen
Alle vier Jahre wählen die Österreicher jene Partei, die ihnen vorher am meisten Geld versprochen hat. Nach der Wahl werden in Sparpaketen (etwa Kreiskys „Mallorca-Sparpakete“) dann die Steuern erhöht, um die Wahlgeschenke zu finanzieren. Das frisst die Gehaltserhöhungen der Wirtschaft wieder auf – die Realeinkommen stagnieren also (was der „linke Mainstream“ lautstark kritisiert).
Allerdings werden aus den neuen Steuereinnahmen tatsächlich neue Sozialleistungen gebastelt, was die Haushaltseinkommen insgesamt dann erhöht (was der Mainstream nicht erwähnt).
So wuchsen Österreichs Realeinkommen von 1999 bis 2009 nur um 5,4%, gemeinsam mit den Sozialleistungen stiegen die Haushaltseinkommen jedoch um fast 15% – europaweit ein Spitzenwert.
In kaum einem Land der EU geht es den Menschen finanziell so gut wie Deutschland und Österreich. Stabile Mittelschicht haben die beiden Länder zu Europas Wohlstandspolen werden lassen – das von Medien gezeichnete Bild findet sich in der Lebensrealität der Bürger nur selten wieder.
Leider gehört das Jammern über die vielen anderen, von denen man in den Medien gehört hätte, sie würden es nie schaffen können, in Europa aber halt zum „guten“ Ton.
[1] SPIEGEL ONLINE, 15.06.2010
[2] Bröckelnde Mittelschicht: Soziologen fürchten Erosion der Gesellschaft, Der Spiegel, 15.6.2010
[3] Aufmacher Seite 1, In: Die Presse, 10.7.2013
[4] Neumann, Schäfer, Schmidt 2010
[5] Statistik Austria, In: Die Presse, 10.7.2010
[6] Schaubild C I.1.1, Basis: DIW/SOEP 2011, In: Der Vierte Armuts- und Reichtumsbericht der Bundesregierung, 2013
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Bild: S. Hofschlaeger / pixelio.de/ © www.pixelio.de