Freitag, 29. März 2024
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Wahl 2014: Verlierer Europa

380 Millionen Europäer konnten zwischen Donnerstag und Sonntag bei der Europawahl ihre Stimme abgeben. Der Wahlverlierer stand schon vor dem amtlichen Endergebnis fest: Europa.

[[image1]]In manchen Ländern ist der Durchmarsch extremer Kräfte zwar ausgeblieben. So landete Geert Wilders mit seiner Freiheitspartei PVV in den Niederlanden auf Platz vier. In vielen Mitgliedsstaaten gingen extreme Parteien dagegen als stärkste Kraft aus der Wahl. In Frankreich liegt Marine Le Pen mit einem noch deutlicheren Vorsprung vor der konservativen UMP, als von den Meinungsforschern vorhergesagt. In Griechenland gelang den Linksextremen von Syriza der Sprung an die Spitze und die Faschisten der Goldenen Morgenröte schoben sich hinter die größte Regierungspartei auf Platz drei. Auch in Dänemark gelang der populistischen DPP der Sprung nach ganz vorne.

Überraschend kam das Wahlergebnis nicht. Demoskopen hatten seit Monaten prognostiziert, dass Parteien am Rande des Parteienspektrums zu den Gewinnern zählen würden. Eine Erklärung: Meinungsforscher beobachten seit geraumer Zeit, dass sich die Bürger von den europäischen Institutionen nicht ernst genommen fühlen. 71 Prozent der Befragten sagten bei einer Umfrage des Pew Research Centre in sieben Ländern, dass ihre Stimme in der EU nicht zähle. 63 Prozent kritisierten den Drang der EU, sich in alles einzumischen. Die EU-Kommission ermittelte, dass nur noch 31 Prozent der EU-Bürger den europäischen Institutionen vertrauen. 2007 hatte der Anteil noch bei 57 Prozent gelegen.

Duette statt Duelle

Die Polit-Strategen der europäischen Parteien hatten gehofft, dieser Stimmung etwas entgegen setzen zu können, indem sie einen Wahlkampf mit Spitzenkandidaten organisieren. Doch diese Hoffnung hat sich als äußerst naiv erwiesen. Der konservative Jean-Claude Juncker und Sozialdemokrat Martin Schulz vermochten nur wenig Begeisterung für Europa zu wecken. Im Gegenteil: Sie haben eher das weit verbreitete Gefühl gestärkt, dass Europa die Menschen nicht ernst nimmt. Auftritte im Fernsehen waren als Duelle angekündigt, endeten jedoch als Duette, in denen beide  bei vielen Themen einer Meinung waren. Keiner der beiden Polit-Veteranen konnte überzeugend darlegen, was unter ihm als Kommissionschef künftig anders werden würde.

Es ist schwacher Trost, dass nun wohl keiner von beiden den Zuschlag auf den Top-Posten in der Kommission bekommen wird. EU-Ratspräsident Herman van Rompuy hat bereits relativ offen zugegeben, dass ein Alternativkandidat auf den Zuschlag hoffen kann. Das mag personell eine Verbesserung sein. Die Wähler fühlen sich durch ein solches Vorgehen hintergangen, waren ihnen doch zuvor die Spitzenkandidaten als künftige Kommissionspräsidenten verkauft worden. Das Vertrauen in Europa wird auf diese Art nicht wachsen.

Für die unschöne Situation gibt es gleich mehrere Schuldige. EU-Kommission und die Parteien mit den europäischen Sozialdemokraten haben die Idee der Spitzenkandidatur befördert, ohne über eine ausreichende Rechtsgrundlage zu verfügen. Die Mitgliedsstaaten, und allen voran die deutsche Bundeskanzlerin Angela Merkel, die zentrale Spielerin im Personalpoker, können sich nun darauf zurückziehen, dass der Vertrag von Lissabon die Spitzenkandidatur so nicht vorgesehen hat. Die starke Abschneiden der Euroskeptiker bieten nun vermutlich eine Ausrede, eine neue Person ins Spiel zu bringen – auch wenn in Deutschland SPD-Chef Sigmar Gabriel dies bereits als „Volksverdummung“ gegeißelt hat.

Wenig Innovatives aus dem künftigen Parlament

Als Verlierer geht Europa aus dieser Wahl aber vor allem deshalb hervor, weil das Parlament in seiner neuen Zusammensetzung nur wenig zustande bringen wird, was in Europa für Wachstum sorgen könnte. Konservative und Sozialdemokraten werden in der Kammer auch künftig eine Mehrheit verfügen. Aber eine große Koalition dürfte, wie für gewöhnlich auch in den Mitgliedsstaaten, für eine wenig innovative Politik stehen. Beobachter weisen darauf hin, dass bisher schon im Parlament die Mehrheiten in 70 Prozent der Fälle aus den beiden größten Parteien bestanden. In der abgelaufenen Legislaturperiode war aber auch eine Mehrheit links von der Mitte und eine rechte mit Konservativen und Liberalen und britischen Tories möglich, die jeweils in 15 Prozent der Fälle eintrat.

Simon Hix, Professor an der London School of Economics, geht etwa davon aus, dass das Europäische Parlament in seiner künftigen Besetzung das Freihandelsabkommen mit den USA ablehnen wird. So umstritten das Abkommen in der Bevölkerung ist, Ökonomen prognostizieren, dass es wie ein Konjunkturprogramm wirken könnte. Wachstum würde den derzeit 26 Millionen Ar-beitslosen in der EU helfen. Doch dafür könnte es künftig in Brüssel und Straßburg keine Mehrheiten geben.  
 

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