Samstag, 5. Oktober 2024
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Der zweite Anlauf von Alexis Tsipras

Das dritte, 86 Milliarden Euro schwere Hilfspaket für Griechenland ist also, nachdem sogar Wolfgang Schäuble als Europas Skeptiker Nummer Eins schmeichelweich seinen Widerstand beendete, auf Schiene – doch jetzt geht es primär darum, dass Athen nicht noch entgleist.

Die nach dem Rücktritt von Regierungschef Alexis Tsipras für 20. September angesetzten Neuwahlen müssen Klarheit bringen, wie es mit dem Land weitergehen soll. Der Premier hofft – obzwar ihm der ultralinke Parteiflügel abhandenkam und er in der Folge samt Koalitionspartner über  keine Mehrheit im Parlament verfügte – , dass ihm die Wählerinnen und Wähler noch einmal zu einem Höhenflug verhelfen werden.

In der Tat scheint der Syriza-Chef immer noch die größte- und wohl auch  einzige – Hoffnung des griechischen Volkes zu sein. Dem mit allen Wassern gewaschenen Links-Politiker, der als strikter Gegner des Sparkurses die Wahl im Jänner klar gewonnen hat, dürften die zahlreichen Schrammen an seiner Reputation erstaunlich wenig geschadet haben. Vergessen ist offenbar seine unsägliche Entscheidung, im allerletzten Moment ein Referendum anzusetzen, bei dem sich 60 Prozent der Griechen gegen ein schmerzliches Diktat aus Brüssel ausgesprochen haben. Und viele konnten ihm sodann auch nachsehen, dass er beim Verhandlungspoker mit den EU-Granden und der Troika letztlich klein beigeben und all das akzeptieren musste, was er zuvor stets knallhart abgelehnt hatte.

Alexis Tsipras, der sich mit zahlreichen Mätzchen als unberechenbarer Taktierer und politisches Schlitzohr ersten Ranges profiliert hat, dessen Wort herzlich wenig zählt, schaffte zu guter Letzt das Kunststück, das bei seinen beinharten Verhandlungspartnern verloren gegangene Vertrauen wieder halbwegs herzustellen. Und er verstand es vortrefflich, seinem Land ein weiteres, monströses Hilfspaket zu sichern und zugleich den drohenden Grexit samt Staatsbankrott noch einmal abzuwenden. Das machte eben auf seine leidgeprüften Landsleute durchaus Eindruck – obzwar ihnen weitere Steuererhöhungen, Pensionskürzungen und sonstiges Ungemach drohen.  Der Premier  musste zwar in Kauf nehmen, dass sein ultralinkes Parteienbündnis Syriza erwartungsgemäß zerschellte, doch immerhin konnte er die geradezu brutalen Auflagen aus Brüssel mit Hilfe der pro-europäischen Oppositionsparteien durch das Athener Parlament boxen, was ihm wiederum den Respekt der EU-Gewaltigen gesichert hat. Griechenland konnte mit den neuen Milliarden-Krediten zumindest alte Schulden begleichen und die dringend nötige Rekapitalisierung der hellenischen Banken in Angriff nehmen.

Kein Experiment in Athen

Der Premier hat jedenfalls rechtzeitig erkannt, dass endgültig Schluss mit Lustig sein muss und harte Zeiten für Griechenland unumgänglich sind. Er musste zur Kenntnis nehmen, dass der erhoffte Schuldenschnitt eine Illusion bleiben wird – doch auch diverse Schuldenerleichterungen helfen dem Land. Er hat in letzter Minute verstanden, dass es hoch an der Zeit ist, etwas für die Stabilisierung der schwer angeschlagenen griechischen Wirtschaft zu unternehmen. Tsipras hat also – der Not gehorchend – eine radikale Kehrwendung vollzogen. Anders als bei seinem Wahl-Triumph im Jänner, als etwa Verhandlungen über Privatisierungen aus parteiideologischen Dogmen sogleich eingestellt wurden, liegt nunmehr eine ambitionierte Strategie für Privatisierungen des griechischen Familiensilbers vor: Bereits im Oktober soll der Hafen von Piräus verkauft, im Dezember für die staatliche Eisenbahnen ein neuer Eigentümer gefunden und im Februar 2016 der Hafen von Thessaloniki versilbert werden. Das alles muss zwar einen Linken wie Tsipras enormen Schmerz bereiten, gilt allerdings als alternativlos, weil es plangemäß bis zu 50 Milliarden Euro einspielen soll.

Dass es derzeit auch für ihn praktisch keine politische Alternative gibt, ist das große Glück des abgedankten Regierungschefs, der imagemäßig nach wie vor gute Karten hat. Seine 25 abtrünnigen Ex-Kollegen, die unter der Bezeichnung „Volkseinheit“ bei der September-Wahl unter anderem für ein Comeback der Drachme plädieren wollen, können zwar mit uneinsichtigen Protestwählern rechnen – aber ob die Hardliner 25 Mandate halten können, ist zumindest fraglich, und dass sie stärkste Kraft werden, sogar höchst unwahrscheinlich. Die im Moment zweitstärkste Partei, die liberal-konservative „Nea Dimokratia“ (ND), strahlt unter ihrem neuen Boss Vangelis Meimarakis auch nicht gerade die erforderliche Attraktivität aus, um auf ein Traumergebnis hoffen zu dürfen. Die rechtspopulistische ANEL („Unabhängige Griechen“) von Panos Kammenos darf sich als bisheriger Syriza-Partner ebensowenig Wunderdinge erwarten. Und die übrigen Gruppierungen – beispielsweise die sozialliberale Partei „To Potami“, die Kommunisten oder die sozialdemokratische  PASOK – werden erwartungsgemäß über Unter-ferner-liefen-Platzierungen nicht hinauskommen.

Das heißt im Klartext: Tsipras wird es im zweiten Anlauf erneut gelingen, stärkste Kraft im Lande zu werden. Falls er – was anzunehmen ist – die Absolute nicht schafft, wird er, selbst wenn das nicht sein erklärter Wunsch ist, mit ein, zwei pro-europäischen Parteien koalieren müssen, womit zumindest die derzeit über 17 Mandate verfügende neonazistische Partei „Chrysi Avgi“ (was „Goldene Morgenröte“ heißt) schon mal ausscheidet, auch wenn sie stimmen- und mandatsmäßig dazugewinnen sollte. Der bisherige Regierungschef ist also trotz seiner teilweise grotesken Eskapaden in der Vergangenheit der Einzige, dem zuzutrauen wäre, Griechenland in die – freilich höchst unsichere – Zukunft zu führen. Auch in der Brüsseler EU-Zentrale, wo ihm nach seinem ersten Wahltriumph geballtes Misstrauen entgegen gebracht wurde, dürfte ein Umdenken stattgefunden haben: Der Mann, mit dem mit Ach und Krach das dritte Hilfspaket ausgehandelt wurde, scheint für Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker und Konsorten die künftige Idealbesetzung in Athen geworden zu sein – Experimente sind offensichtlich nicht erwünscht…

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