Freitag, 29. März 2024
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Ist eine Union nicht genug?

Wladimir Putin verachtet die Europäische Union zwar als träges, überbürokratisiertes Monstrum – dennoch hat sich der russische Präsident in den Kopf gesetzt, eine EU-Kopie im Kleinformat zu kreieren: Ende Mai unterzeichnete er gemeinsam mit dem weissrussischen und dem kasachischen Staatsoberhaupt ein Abkommen zur Gründung der Eurasischen Wirtschaftsunion.

[[image1]]Dieses bereits zwei Jahrzehnte alte, immer wieder aufgeschobene Projekt, das nunmehr nach der Ratifizierung Anfang 2015 starten soll, peilt ähnliche Ziele wie die Brüsseler Organisation an – ein gemeinsamer Markt ohne Zollschranken, der freie Austausch von Waren, Kapital, Dienstleistungen und Arbeitskräften, sowie eine gemeinsame Strategie in zentralen Bereichen wie Industrie, Landwirtschaft, Energie und Transport.

Die drei Gründerländer wollen allerdings nicht unter sich bleiben, denn schon nächstes Jahr dürften sich einige GUS-Staaten dem Bündnis anschließen, darunter Armenien, Tadschikistan, Usbekistan und Kirgisistan. Putins Vision, mit Ausnahme des Baltikums alle Nachfolgestaaten der Sowjetunion an Bord zu holen, ist allerdings längst geplatzt: Die Ukraine ist bekanntlich abgesprungen, mit Georgien ist ebenfalls nicht zu rechnen, und obendrein flirten Moldawien sowie Aserbaidschan heftig mit der EU. Die drei erstgenannten Staaten sind fest entschlossen, Assoziierungsabkommen mit Brüssel zu unterzeichnen – und zwar, wie‘s aussieht, bereits am Freitag, dem 27. Juni. Naturgemäß dürfte das den russischen Präsidenten wieder bis zur Weißglut reizen, und man kann nur hoffen, dass er nach seiner Charmeoffensive in Wien nicht erneut auszuckt und die Muskeln spielen lässt, womit die Unruhen in Osteuropa endlos prolongiert wären.

Die abtrünnigen postsowjetischen Länder müssen jedenfalls zumindest mit wirtschaftlichen Sanktionen aus Moskau rechnen, die sie gewiss massiv treffen werden. Viele ihrer Exportfirmen müssen künftig wohl so wie der neue ukrainische Präsident Petro Poroschenko, dessen Schokofirma in Russland längst boykottiert wird, in Folge brutaler Zollschranken und anderer Strafmaßnahmen des Kreml auf Exporte ins Putin-Reich verzichten. Und es ist vorerst überhaupt nicht abzuschätzen, ob die Ausfälle durch stärkere Warenlieferungen in den EU-Raum auch nur halbwegs kompensiert werden können. Die westlichen Industrienationen wie Deutschland, Frankreich oder Großbritannien, die allesamt so tun, als könnten sie etwa der Ukraine eine glanzvolle Zukunft bieten, dürften auf Waren aus den diversen Oststaaten nicht gerade sehnsüchtig warten – sie sind vielmehr daran interessiert, diese politisch auf ihre Seite zu ziehen und als willkommene Absatzmärkte zu sehen.

Vom Atlantik bis Wladiwostok

Mit der geplanten, leider etwas vorschnellen Unterzeichnung der  Assoziierungsabkommen in Brüssel wird der bereits im Gang befindliche Wirtschaftskrieg zwischen der Union und Russland automatisch ein  gerade dramatisches Ausmaß annehmen, wobei die Ukraine, Georgien und Moldawien die absolut schlechtesten Karten haben. Eine diplomatischere Vorgangsweise etwa der EU-Führung, die klarerweise Wladimir Putin eins auswischen möchte, hätte das mit Sicherheit verhindern können. Anstatt den drei Staaten jahrelang mit – durchaus vagen – Versprechungen den Kopf zu verdrehen, wäre es strategisch weitaus klüger gewesen, den Kreml-Chef rechtzeitig in die Verhandlungen einzubeziehen und mit ihm gemeinsam eine tragfähigere Zukunftslösung auszuloten. Jedem vernünftigen Menschen muss nämlich klar sein, dass ein EU-Beitritt der genannten Länder erst in zwei, drei Jahrzehnten denkbar und nur dann möglich ist, wenn ihnen eine politisch friedvolle Entwicklung ermöglicht wird – was aus derzeitiger Sicht nicht der Fall zu sein scheint.

Dass einstige Sowjetrepubliken auf den Warenaustausch sowohl mit Russland als auch mit dem Westen angewiesen sind, ist obendrein keine sensationelle Erkenntnis. Der Präsident der Republik Armenien, Serzh A. Sargsyan, hat das unlängst bei seinem Staatsbesuch in Österreich unmissverständlich klar gemacht. Obwohl sein mit drei Millionen Einwohnern ziemlich kleines Land demnächst der Eurasischen Union beizutreten beabsichtigt, werde dies „keinen Deut“ daran ändern, die Handelsbeziehungen mit EU-Staaten zu pflegen und intensivieren, sagte Sargsyan. Und weiter: „Unter den GUS-Staaten ist Armenien das Land mit den liberalsten Wirtschaftsbedingungen. Wir sind daher für österreichische Unternehmen das ideale Sprungbrett, um mit ihren Produkten und Dienstleistungen auch in andere Mitgliedsländer der Eurasischen Union zu kommen“.

Der visionären Ideen niemals abgeneigte Präsident der Wirtschafts-kammer Österreich, Christoph Leitl, nahm den Ball sogleich auf und skizzierte einen brillanten Vorschlag, der freilich noch der Grenze des menschlichen Vorstellungsvermögens angesiedelt ist: Für Leitl müsse es langfristig das wirtschaftliche Ziel geben, einen gemeinsamen Freihandelsraum von der Atlantikküste Europas bis nach Wladiwostok zu schaffen. Im Klartext: Die Europäische Union, die massenhaft eigene Probleme zu lösen hat, und ihr eurasisches Pendant, das vorerst noch in den Kinderschuhen steckt, sollten irgendwann einmal nicht mehr getrennte Wege gehen und einander als ungeliebte Rivalen betrachten, sondern im Interesse der Wirtschaft gemeinsame Sache machen. Die USA, die ja gerade am nicht unumstrittenen TTIP-Abkommen mit Brüssel basteln, würden darob zwar sicher not amused sein, aber das wäre ihr Problem. Für ganz Europa indes wären intensive Handelsbeziehungen auf breiter Ebene das optimale Instrument für Frieden und Stabilität in der gesamten Region. Das alles ist – no na – ferne Zukunftsmusik, doch die künftigen Nachfolger von Merkel, Putin & Co. würden sich ebenso ungleich leichter tun wie die Exportbetriebe.

 

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