Ein Jahr nach seiner aufsehenerregenden Europa-Rede hat der britische Premier David Cameron im Hinblick auf seine Reformpläne wenig erreicht und kaum Verbündete gefunden. Statt dessen gibt es Streit mit anderen EU-Ländern wegen der von London geplanten Einschränkungen bei der Freizügigkeit.
[[image1]]Es war ein Ereignis, das internationale Schlagzeilen machte: als der britische Premier am 23. Januar 2013 in einer Grundsatzrede im Herzen der Londoner City seine Europavision skizzierte, erzeugte er damit ein lautes Echo. Neben viel Kritik an dem von ihm für 2017 in Aussicht gestellten Referendum über die künftige EU-Mitgliedschaft Großbritanniens gab es auch Lob für seine Forderungen nach einer flexibleren, demokratischeren und wettbewerbsfähigeren EU. Viele Politiker, Wirtschaftsfachleute und Experten räumten anschließend ein, die Stärkung der nationalen Parlamente, die Rückverlagerung von Kompetenzen von Brüssel in die nationalen Hauptstädte und mehr Bürokratieabbau und Transparenz bei den EU-Behörden mache durchaus Sinn. Als er diese Thesen danach beim Weltwirtschaftsforum in Davos auf internationaler Bühne eloquent verteidigte, stieß der britische Premier daher auf einige Zustimmung. Daher hoffte er, für sein Projekt in Europa einige Verbündete gewinnen zu können.
Magere Bilanz
Doch inzwischen ist Ernüchterung eingetreten. Wenn Cameron an diesem Freitag in Davos auftritt kann er nämlich keine greifbaren Ergebnisse vorweisen. In seiner Rede vor einem Jahr hatte er versprochen, er werde bald konkrete Vorschläge machen, welche Kompetenzen er von der europäischen Ebene auf die nationale Ebene rückholen will. Dafür werde er veranlassen, dass alle britischen Ministerien die geltenden EU-Gesetze einzeln unter die Lupe nehmen, um dann eine Liste mit denjenigen Bestimmungen, Regeln und Gesetzen zu erstellen, die Großbritannien wieder in nationaler Verantwortung sehen will. Anhand dieser Erkenntnisse wolle er dann neue Bedingungen für einen Verbleib der Briten in der EU aushandeln. Doch bisher hat die „Balance of Competences Review“ genannte, großangelegte Recherche nichts Konkretes erbracht, im Gegenteil: die im Juli veröffentlichte Zwischenbilanz ergab, dass die Kompetenzverteilung zwischen Brüssel und London auf dem Gebiet des europäischen Binnenmarktes, der für die Briten ja einen so hohen Stellenwert besitzt, in wirtschaftlicher Hinsicht „weitgehend angemessen“ sei. Der bereits angekündigte britische Ausstieg aus der innen- und justizpolitischen Zusammenarbeit in Europa gilt dagegen als Sonderfall, weil der Vertrag von Lissabon den Briten dieses Recht ohnehin zugestand.
Das aber wollen die Rebellen in der Konservativen Partei nicht zur Kenntnis nehmen; sie pochen auf mehr. Der euroskeptische Hinterbänkler David Davis, der 2005 bei der Kampfabstimmung um den Vorsitz der Tory-Partei gegen Cameron angetreten war, fordert daher lautstark, der Premier müsse endlich Nägel mit Köpfen machen und Vorschläge machen, welche Kompetenzen er von Brüssel nach London repatriieren will.
Maßnahmen gegen Sozialtourismus
Nägel mit Köpfen versuchen Cameron und seine konfrontationsfreudige Innenministerin Theresa May nun bei der Eindämmung des EU-Sozialtourismus und der Beschränkung des im EU-Recht verankerten Prinzip der Freizügigkeit zu machen. Kurz vor Weihnachten wurden in Großbritannien die Sozialleistungen für die Bürger anderer EU-Staaten im Eilverfahren eingeschränkt. Die Angst vor einem Ansturm von Rumänen und Bulgaren ab dem 1. Januar – die Lobbyorganisation Migration Watch schätzt ihre Zahl auf 50 000 im Jahr – und vor allem die Sorge vor dem Missbrauch der britischen Sozialkassen durch arbeitsunwillige Einwanderer aus Osteuropa veranlasste Großbritannien, die Notbremse zu ziehen. Nun haben Neuankömmlinge aus der EU in Großbritannien erst drei Monate nach ihrer Ankunft Anspruch auf Arbeitslosenhilfe, Wohngeld und andere Sozialleistungen. Bewilligt werden diese außerdem nur für sechs Monate sofern der Antragsteller nicht beweisen kann, dass er Aussicht auf einen Arbeitsplatz hat. Jetzt geht die Regierung noch einen Schritt weiter: May und ihr Kabinettskollege Iain Duncan Smith kündigten nämlich an, ab April dürften arbeitslose Einwanderer aus der EU generell keine Anträge auf Wohngeld mehr stellen. Offizielle Zahlen belegen zwar nicht, dass der EU-Sozialtourismus in Großbritannien bislang ein Problem darstellt, aber 77 Prozent der Briten sprechen sich für Einwanderungsbeschränkungen aus.
Vermutlich ist das auch der Grund warum die britische Regierung die ursprünglich für Februar geplante Veröffentlichung ihres Migrationsberichts bis nach der Europawahl im Mai verschiebt. Die europafreundliche Wirtschaftszeitung mutmaßt, Grund für das Hinauszögern sei, dass der Bericht den Beitrag der Einwanderer zur britischen Wirtschaft zu positiv darstelle. Der Chef des parteiunabhängigen Haushaltsbüros, Robert Chote hatte vor einiger Zeit die Ansicht geäußert, dass eine Reduktion der Einwanderungszahlen das Vereinigte Königreich wirtschaftlich schwächen könnte.
Einschränkung der Freizügigkeit – auch für Österreicher
Mit einem anderen Vorschlag löste Cameron bei seinen Partnern bereits eine Welle der Empörung aus: Kindergeld solle künftig nicht mehr von den britischen Behörden ausgezahlt werden, wenn die Nachkommen außerhalb Großbritanniens leben, erklärte er. Deshalb verlangt er eine Änderung der EU-Verträge verlangt, um Kindergeldzahlungen an die in Großbritannien arbeitenden EU-Ausländer – in erster Linie Polen – auszuschließen. Mit den übrigen EU-Ländern will Cameron überdies aushandeln, dass die vollständige Freizügigkeit künftig vom Pro-Kopf-Einkommen neuer Beitrittsländer abhängig gemacht wird. Damit nicht genug: ein Papier des Innenministeriums schlägt vor, die Einwanderung von EU-Bürgern generell auf maximal 75.000 im Jahr zu beschränken. Das beträfe dann nicht mehr nur die Osteuropäer, sondern auch Österreicher, Deutsche und Franzosen.
All dies hat nun allerdings bereits zum handfesten Krach mit Ländern wie Polen, Bulgarien und Rumänien sowie mit der EU-Kommission geführt. „Polen wird keine Änderung der EU-Bestimmungen dulden, die zu einer Diskriminierung und Stigmatisierung seiner Bürger führt“, kritisierte der polnische Ministerpräsident Donald Tusk. Und obwohl auch in Deutschland – und hier vor allem bei der CSU – das Thema Sozialtourismus heftig debattiert wird, hat Cameron bisher in Bundeskanzlerin Angela Merkel keine Verbündete für die Einschränkung der Freizügigkeit gefunden. Das Europaparlament will im Übrigen ohnehin keine Abstriche bei der Freizügigkeit zulassen, denn dieses Recht sei wesentlicher Kern der Werte der EU, heißt es.
UKIP startet durch
Britische Kritiker warnen, Camerons vollmundige Versprechen auf Repatriierung würden in der britischen Bevölkerung Erwartungen wecken, die zwangsläufig enttäuscht werden müssten. Je magerer das Ergebnis der angekündigten Neuverhandlungen über das künftige Verhältnis von Großbritannien zur EU ausfalle, desto größer sei die Gefahr, dass die Briten 2017 für einen Ausstieg aus der EU votieren könnten. Finanzminister George Osborne hatte erst vor wenigen Tagen erneut gedroht, dass sein Land die EU verlassen würde, wenn die übrigen Mitgliedstaaten eine grundlegende Reform der Union blockieren sollten. „Die größten wirtschaftlichen Gefahren gehen nicht von denen aus, die Reformen und neue Verhandlungen wollen – sie gehen von gescheiterten Reformen und Verhandlungen aus“, sagte der Minister. Doch ein Jahr nach Camerons EU-Grundsatzrede scheint die britische Regierung bei ihren EU-Partnern damit weiterhin wenig Gehör zu finden. Statt dessen kommen die Debatten über Immigration und EU-Reformen vor allem der britischen Splitterpartei UKIP zugute, die bedingungslos und für einen raschen Ausstieg aus der Europäischen Union kämpft: Bei einer Umfrage der Zeitung „Independent on Sunday“ kam die Partei auf 27 Prozent Zustimmung und lag damit vor Labour und den Konservativen. Die Wahl des Europaparlaments im Mai führt daher zu immer größeren Unruhe bei den Tories, denn sie fürchten, dass die Konservativen zum Mal in der Geschichte in einer landesweiten Wahl auf dem dritten Platz landen könnten.