Samstag, 5. Oktober 2024
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Othmar Karas…Der Spitzenkandidat, der zunächst nicht geplant war

Foto © PD/Suzy Stöckl (Ausschnitt)

Was jetzt als Erfolg und personelle Breite bei der ÖVP präsentiert wird, war ursprünglich so nicht angedacht gewesen.

Der seit 1980 tätige und damit dienstälteste EU-Parlamentarier, der Deutsche Elmar Brok, wird bei EU-Wahl im Mai nicht mehr antreten. An sich war dies der Plan, dem haben aber die Delegierten seinen Landesverbandes (Nordrhein-Westfalen) einen Strich durch die Rechnung gemacht. Brok hat ein exzellentes Ansehen, höchste Kompetenz und galt als der Europaexperte, auf dessen Rat Bundeskanzlerin Angela Merkel ganz besonders hörte. Er bekam aber eine Rechnung präsentiert, die letztlich Merkel und ihrem System galt.

Auch Othmar Karas gehört zu den dienstältesten EU-Abgeordneten. Er sitzt seit 1999 im Straßburger Parlament. Auch ihm wird Ansehen und Kompetenz in Europafragen bescheinigt. Auch gegen ihn hat es in den letzten Monaten Vorbehalte gegeben. Nur hat er es schließlich besser als Brok erwischt, wurde er doch wieder von Parteichef und Bundeskanzler Sebastian Kurz mit der Führung der Europawahlliste betraut. So selbstverständlich war dies freilich nicht, gab es doch auch gegen ihn schon so manche Vorbehalte.

Die Hypothek des Mainstream-Verhaltens

Karas war nach seiner nun bald 20-jährigen Tätigkeit bereits so auf den so genannten EU-Main-Stream eingeschworen, dass er kaum ein Ohr oder einen Blick für Entwicklungen hatte, die sich draußen bei den Bürgern abspielten, nach mehr Flexibilität und Sensibilität verlangten. Nicht einmal beharrte er stur auf einer EU-Position und legte es sich sogar mit seinen eigenen Parteifreunden in Österreich an. Was unter anderem zur Folge hatte, dass es zu Bruchlinien unter anderem mit der niederösterreichischen Partei kam.

Als Elisabeth Köstinger im Herbst 2017 von Sebastian Kurz in sein Regierungsteam geholt wurde, ihr EU-Mandat abgab, wurde von der NÖ-ÖVP deren Landtagsabgeordneter Lukas Mandl nach Straßburg geschickt. Vom ersten Tag an hatte er nicht nur die volle blau-gelbe Unterstützung sondern es auch angelegt, sich zu profilieren und seinen Landsmann Karas auszubooten. Es verging kein Tag ohne dass er nicht auf Facebook und in den sozialen Medien präsent war. Dabei ging es weniger um die Inhalte als vielmehr sich zu populären Themen, wie dem Schutz des Wassers, zu äußern.

Zunächst war an Veränderung gedacht

Sebastian Kurz, der zwar wie Karas, aus der Jungen Volkspartei stammt, was eine Art Korpsgeist mit sich bringt, schaltete sich in die interne Personal-Diskussion nicht ein. Er zeigte sich nach außen wenig berührt, wenn Karas wieder einmal einen Kontrastandpunkt zur Partei- und Regierungslinie bezogen hatte und man parteiintern Konsequenzen einforderte. In der Umgebung gab es freilich durchaus kritische Kommentare. Kurz selbst bezog eine Warteposition, was zur Folge hatte, dass er die Bekanntgabe der ÖVP-Mannschaft für den EU-Wahlkampf auf die Zeit nach der EU-Ratspräsidentschaft verschoben hatte.

Tatsächlich gab es zu dieser Zeit im Kurz-Team Überlegungen, ähnlich wie vor der Nationalratswahl 2017 eine totale Veränderung vorzunehmen, also mit der Vergangenheit gewissermaßen zu brechen und einen neuen Anfang zu setzen. Kurz und seine engsten Berater machten sich auf die Suche nach neuen Gesichtern. So unter anderem in Wirtschaftskreisen. Dabei zeigte es sich, dass man für die nationale Ebene leichter Persönlichkeiten finden kann, als für die europäische. Weil da doch gewisse Anforderungen gelten. Zudem nimmt die politische Tätigkeit in Brüssel und Straßburg wesentlich mehr Zeit in Anspruch als eine solche im Wiener Parlament. Neben dem EU-Mandat auch noch einem Beruf nachzugehen, ist fast unmöglich.

Bruchlinien innerhalb der Volkspartei

So sehr in den Umfragen die ÖVP nicht nur gegenüber dem Nationalratswahlergebnis zulegen konnte und von 31,5 auf 35 Prozent hinauskletterte, zeigte sich im weitgespannten Wählerpotential der Volkspartei eine Bruchlinie. Wenngleich 75 Prozent mit der Politik von Kurz total einverstanden sind, missfällt 25 Prozent, dass man sich nicht stärker von der FPÖ abgrenzt.

Schlussendlich wollte man auf Karas nicht „verzichten“ – oder ihn gar als „Gegner“ aus dem eigenen Lager  in der EU-Wahl.

Der EU-Wahlgang am 26. Mai entscheidet freilich nicht nur über die Zusammensetzung der 19 Mandate, die Österreich in den kommenden fünf Jahren im Straßburger Parlament besetzen wird, sondern hat auch Auswirkungen auf die innenpolitische Atmosphäre. Die ÖVP, die bei den letzten Wahlen 2014 mit 27 Prozent knapp aber doch vor der SPÖ zu liegen kam, will nun ihr gutes Standing auch bei der Europawahl bestätigt wissen und so jenes zusätzliche Mandat gewinnen, das Österreich aufgrund des Brexit neu zusteht. Dazu kommt, dass die EU zwar täglich in aller Munde ist, die Bedeutung des Parlaments und damit der Wahlen unter dem Durchschnitt liegt.

Mangelndes Interesse am EU-Parlament

So hat erst kürzlich eine demoskopische Erhebung ergeben, dass die Österreicher der Meinung sind, dass das EU-Parlament eigentlich relativ wenig Gewicht bei der Gestaltung Europas hat. Dieses wird dafür sehr wohl dem Rat, also dem Gremium der Staats- und Regierungschefs zugestanden. Vergessen wird dabei bloß, dass bereits 80 Prozent der relevanten Gesetze vom europäischen und nicht vom nationalen Parlament beschlossen werden. Wie auch immer, die relative schwache Einschätzung des Parlaments hat Auswirkungen auf die Wahlbeteiligung. Während 80 Prozent im Oktober 2017 bei der Nationalratswahl ihre Stimmen abgaben, waren es nur 46 Prozent im Mai 2014 bei der Europawahl.

Um die Wahlbeteiligung zu heben, entschloss sich daher Kurz, einen besonderen Motivationsschub für die Wähler zu setzen. Nachdem es das österreichische Wahlrecht möglich macht, so genannte Vorzugsstimmen zu vergeben, soll die endgültige Mandatsvergabe aufgrund der Zahl der Vorzugsstimmen erfolgen. Und dieser Punkt kam Karas gelegen. Er wusste zu diesem Zeitpunkt, dass ihm innerparteilich auch Wind entgegenbläst, daher zierte er sich in den Gesprächen mit Journalisten, ob er noch einmal antreten würde. Ja es wurde sogar spekuliert, er könne mit einer eigenen Liste oder bei den NEOS antreten.

Die Nr. 2 wird als Nr. 1 aufgebaut

Tatsächlich hat er wie kaum ein anderer Politiker Erfahrungen mit einem Vorzugsstimmenwahlkampf. 113.000 Vorzugsstimmen 2009 und 80.000 im Jahre 2014 sicherten ihm einen Platz im Parlament und der ÖVP die Nummer 1. Auf dieses Asset wollte schlussendlich Kurz nicht verzichten. Es steht allerdings eine Rute im Fenster, denn auch Karas muss erst die Vorzugsstimmen erhalten, um das Ticket nach Straßburg zu bekommen.

Mehr noch. Es wurde auch gleich ein Signal in Richtung Veränderung und dem Spitzenkandidaten eine Art Ablaufdatum gesetzt. Schließlich geht es darum, dass man rechtzeitig personelle Vorsorge trifft. Das Augenmerk galt dabei schon seit längerem Staatssekretärin Karoline Edtstadler. Wenngleich sie immer wieder auf Fragen abwinkte, ob sie an einem Wechsel nach Brüssel interessiert sei, war bekannt, dass sie im Kickl-Ministerium über wenig Aktionsspielraum verfügte. Und Kurz startete einen Probelauf.

Während der EU-Ratspräsidentschaft muss sich immer auch ein Regierungsmitglied des jeweils vorsitzenden Landes in Brüssel aufhalten und für die Koordinierung sorgen. Diese Aufgabe kam im Wochenrhythmus Familienministerin Bogner-Strauß und Edtstadler zu. Letztere machte dabei eine ausgezeichnete Figur und so qualifizierte sich die 37jährige nicht nur als neues EU-Gesicht sondern auch gleich als präsumtive Nachfolgerin für den 62jährigen Karas. Der Rest der Kandidatenlisten deckt die Liste der Bundesländer ab, die auch präsent sein wollen.

Der Bonus der 60plus Generation

Damit ist freilich die Geschichte nicht zu Ende erzählt. Auch der Seniorenbund will nämlich im Europaparlament vertreten sein. Schon seit Wochen wurde daher auf ein spezielles Faktum aufmerksam gemacht. In den früheren Wahlgängen waren es vor allem die Pensionisten, die immer den Ausschlag für die SPÖ gaben. Seit der Nationalratswahlen 2017 hat sich freilich das Blatt gewendet. Jetzt ist es die so genannte 60plus Generation, die überdurchschnittlich der Volkspartei die Stimme gibt. Ein Trend, der sich bei den Landtagswahlen fortsetzte. Ein nicht uninteressanten Phänomen, dass der jüngste Bundeskanzler mehr Zuspruch bei den älteren Wählern als bei der eigenen Generation findet. Und die Senioren haben sich durchgesetzt, sie ziehen mit dem pensionierten ORF-Moderator Wolfram Pirchner ins Rennen.

Auch wenn sich Kurz im Frühjahr 2017, als er die Volkspartei übernahm, das alleinige Verfügungsrecht über die Politik und die Personen, die diese Politik tragen, ausbedungen hat, so spielen doch sehr viele Faktoren mit, bei der die Generalvollmacht allein nicht ausschlaggebend ist.

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