Dienstag, 15. Oktober 2024
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Merkel, Österreich und zwei historische Fehler

In der gesamten deutschen Nachkriegsgeschichte hat niemand so schwere Fehler begangen wie Angela Merkel. Und dennoch liegt sie in allen Prognosen für die deutsche Bundestagswahl mit einer sensationellen Beliebtheit anscheinend unangreifbar weit voran. Aber nicht nur deswegen haben diese Wahlen auch für Österreich und viele andere Europäer zentrale Bedeutung.

[[image1]]Zum einen sind sie für Österreich wegen der nur eine Woche danach stattfindenden Nationalratswahl besonders interessant. Und allenthalben wird – wie nach Bayern – über Nachahmungseffekte spekuliert.

Wien im Kielwasser Berlins

Zum anderen ist Österreich so wie viele anderen europäischen Länder in vielerlei Hinsicht enorm von Deutschland abhängig. Das war auf Grund der zehnfachen Größe der Bundesrepublik immer schon der Fall. Das konnte in Hinblick auf Handel und Wirtschaftskontakte sogar ein wenig reduziert werden. Die österreichische Wirtschaft hat es in den letzten 20 Jahren immerhin geschafft, sich international stärker zu diversifizieren: Richtung Osteuropa, aber auch nach Asien.

Dennoch ist Deutschland heute für die Alpenrepublik noch wichtiger denn früher: Das ist Folge der inzwischen unbestrittenen Führungsrolle Deutschlands in der EU . Alle anderen europäischen Großmächte haben aus unterschiedlichen Gründen an Bedeutung verloren. Österreich agiert daher (ähnlich wie etliche andere Länder) seit Jahren nur noch als Beiboot zum deutschen Riesen.

Österreich versucht nicht einmal mehr, wenigstens hie und da einen eigenen Kurs einzuschlagen. Das letzte Mal hat es das versucht, als Ursula Plassnik und Wolfgang Schüssel den Beitritt der Türkei zur EU zumindest signifikant verzögert haben. In jüngster Zeit hingegen fährt die österreichische Außenpolitik sogar dann im Kielwasser Deutschlands, wenn dieses sich erkennbar verirrt. Das war etwa beim gemeinsamen Vorstoß der Außenminister dieser beiden Länder zugunsten des gestürzten islamistischen Präsidenten Mursi zu beobachten gewesen. Dieser Vorstoß ist dann freilich schubladisiert worden, als Berlin merkte, dass sowohl der Rest der Welt wie auch die eigenen Wähler insgeheim sehr froh über die Entfernung von Mursi sind.

Man sollte aber durchaus kühl zur Kenntnis nehmen: Es ist irgendwie logisch, dass Großmächte in einer Union viel mehr zu reden haben als um den Faktor Zehn kleinere Länder. Und dass sie in der Regel auch qualitativ ein viel interessanteres Politikerangebot produzieren. Auf der anderen Seite ist schon als interessant festzuhalten, dass es ausgerechnet dem Luxemburger Premier gelungen ist, zu einem der ganz großen europäischen Spieler zu werden.

Davon ist Österreich weit entfernt. Merkel konnte sich – so wird zumindest in Deutschland verlässlich kolportiert – einmal eine spitze Bemerkung über ihren „Kollegen“ Werner Faymann nicht verkneifen: Ihr österreichischer Kollege ginge ohne eigene Meinung in europäische Gipfeltreffen hinein und komme dann mit der Meinung Merkels wieder heraus. Was freilich nach der Wahl in Frankreich nicht mehr gestimmt hat. Damals bemühte sich Faymann eine Zeitlang, statt Merkel seinem französischen Parteifreund Hollande zu folgen – bis er freilich merkte, dass Frankreich mit ziemlicher Sicherheit gegen ein Riff donnern wird. Dann war Frankreich für Faymann wieder weniger populär.

Die Crux mit den Leihstimmen

Tatsache ist jedenfalls, dass Angela Merkel in Deutschland um ein Vielfaches höhere Beliebtheitswerte hat als Faymann oder sonst ein Politiker in Österreich. Tatsache ist aber ebenso, dass die CDU/CSU schon bei mehreren Wahlen letztlich schlechter abschnitt, als es ihr vorher die Umfragen bescheinigt hatten.

Das hängt – auch – damit zusammen, dass die FDP regelmäßig im letzten Augenblick viele Leihstimmen von CDU-Sympathisanten bekommt. dies passiert zumindest dann immer, wenn diese glauben, dass es auf ihre Stimmen für die FDP und auf die FDP für eine bürgerliche Koalition ankommen könnte. Die FDP hat die Werbung um solche Stimmen nach der Schlappe in Bayern auch deutlich intensiviert. Die FDP macht das möglich, indem sie seit Jahrzehnten immer fixe Koalitionszusagen an die Union abgibt.

Dadurch werden immer wieder CDU-Wähler ermutigt, für die FDP zu stimmen, damit deren Stimmen mit Sicherheit über die schicksalshafte Fünfprozent-Grenze kommen und sich somit auch in Mandaten niederschlagen. Außerdem gibt es in Deutschland das anderswo unbekannte Zweitstimmensystem, wobei die Zweitstimme verwirrendweise die eigentlich entscheidende ist. Während die erste primär der Persönlichkeitswahl dient.

Dieses System könnte nach letzten Indizien auch der „Alternative für Deutschland“ in den Bundestag verhelfen. Diese liegt zwar bei Umfragen meist unter fünf Prozent. Sie vertritt aber eine Position, die auch bei vielen CDU/CSU- und FDP-Wählern sehr beliebt ist: Sie wendet sich vehement gegen eine Fortsetzung der diversen Euro-Rettungsaktionen (und zeigt sonst wenig Profil).

Die unpopuläre Griechenland-Rettung

Damit sind wir auch schon bei einem der beiden großen Merkel-Fehler: Sie – und vor allem ihr Finanzminister Wolfgang Schäuble – waren entscheidend dafür verantwortlich, dass seit Mai 2010 Griechenland und andere Länder mit Hunderten Milliarden Geldern, Krediten und vor allem Haftungen „gerettet“ wurden (nach Berechnungen des renommierten Münchner ifo-Instituts sind es sogar schon Billionen).

Andernfalls hätten sich jedenfalls etliche Euro-Länder für zahlungsunfähig erklären und in der Folge wohl aus dem Währungsraum ausscheiden müssen. Genau das wäre aber vielen Deutschen als die einzig richtige Strategie gegenüber verschuldeten Ländern erschienen. Zwar hat sich jetzt ihr Zorn ein wenig gelegt, weil es in den letzten Monaten keine neuen Kredite und Haftungen mehr gegeben hat, und weil das Wirtschaftswachstum Europas nach fünf Jahren des Absturzes erstmals kein Minuszeichen aufweist (wenngleich das Plus nur minimal und wohl nur vorübergehend ist).

Dennoch sind die meisten Experten einig, dass Griechenland & Co die Schulden niemals zurückzahlen werden können. Vor allem aber ist wichtig: Diese gewaltigen Beträge sind noch gar nicht bei den deutschen und österreichischen Steuerzahlern gelandet. Man fingiert vielmehr, als ob diese Haftungen und Kredite ohnedies alle zurückbezahlt würden. Wenn da aber einmal die Stunde der Wahrheit kommt, wird das Erwachen in Deutschland (wie in dem brav nachtrottenden Österreich) ein extrem hartes werden. Und wenn vielleicht in ein paar Jahrzehnten (etwa) Griechenland doch das ausgeborgte Nominale zurückzahlen kann, dann wird das aber nur noch einen Bruchteil des ausgeborgten Geldes wert sein. Und den gewaltigen Zinsverlust wird man wohl den europäischen Steuerzahlern umhängen.

Die Energiewende nach nirgendwo

Dazu kommt der zweite schwere Fehler Merkels: die sogenannte Energiewende. In ihrem populistischen Grundzug hat die deutsche Kanzlerin unmittelbar nach der japanischen Tsunami-Katastrophe und der Zerstörung des Atomkraftwerks Fukushima den kompletten Ausstieg aus der Atomenergie beschlossen. Der droht aber zum Todesstoß für die deutsche Industrie zu werden – trotz ihrer derzeitigen Erfolge. Denn schon jetzt, also während noch viele AKW laufen, steigen die deutschen Strompreise steil nach oben, was viele Unternehmen umzubringen droht. Die Energiewende funktioniert nur auf dem Papier. Denn:

• Die Windkraftwerke im windreichen Norden und die Industrien im Süden und Westen Deutschlands liegen weit auseinander. Es fehlen die notwendigen Stromleitungen dazwischen, sodass der Strom oft über Polen und Tschechien fließen muss.
• Solarenergie im wolkenreichen Deutschland ist ein noch dümmeres Unterfangen als die Windmühlen.
• Der dringend notwendige Bau neuer Leitungen wird von vielen Gruppen vehement bekämpft.
• Wind und Sonne produzieren im Gegensatz zu allen bisherigen Kraftwerkstypen den Strom naturgemäß nur sehr unregelmäßig. Einmal so viel, dass man den Strom verschenken müsste, einmal wiederum gar nicht.
• „Regelkraftwerke“, also Lückenfüller, rentieren sich angesichts der wilden Strompreiskurven überhaupt nicht mehr. Vor allem die sauberen, aber etwas teureren Gastkraftwerke sind fast vollständig stillgelegt worden, während die schmutzigen Kohlekraftwerke verstärkt herangezogen werden müssen.
• Und vor allem kostet die Energiewende enorm viel: Teuer kommt die Deutschen nicht nur der notwendige Leitungsbau, sondern insbesondere auch der hohe Preis, der auf Jahrzehnte den Solar- und Windstromproduzenten garantiert worden ist. Sie bekommen fette Entgelte selbst dann, wenn phasenweise der von ihnen gelieferte Strom angesichts der Überproduktion überhaupt nichts wert ist und nur die Netze belastet. Da aber (möglicherweise EU-widrig) einige große Stromverbraucher von den Alternativ-Aufschlägen befreit worden sind, müssen die anderen umso mehr zahlen. Wenn einmal aber die ganze Industrie den hohen Strompreis zahlen muss, werden Investitionen heftig ins Ausland abschwimmen, vor allem nach Übersee.

Warum eigentlich Merkel?

Diese zwei katastrophale Fehler überschatten die Ära Merkel. Die gegenwärtige Wirtschaftsstärke Deutschlands ist hingegen noch ein Produkt der harten (und von der Linkspartei heftig bekämpften) Agenda-2010-Reformen, die unter Gerhard Schröder von Rot-Grün beschlossen worden waren. Freilich im Konsens mit der damals oppositionellen CDU.

Dennoch ist Merkel beliebt wie noch nie ein Bundeskanzler. Ihre ruhige, nie aufgeregte Art ist den Deutschen angenehm. Und vor allem: Die rotgrüne Opposition hat sich immer noch viel massiver als die schwarz-gelbe Regierung für die Zahlungen an die Schuldnerländer und für die Energiewende ausgesprochen. Also bringt es nichts, aus Zorn über diese beiden Entscheidungen eine der Linksparteien zu wählen.

Merkel hat die Front nach links also anscheinend elegant abgedichtet. Sie nimmt den Sozialdemokraten den politischen Spielraum. Da nutzt es der SPD auch nichts, dass sie mit Peer Steinbrück einen extrem intelligenten Spitzenkandidaten hat, der – bei Sozialdemokraten sehr selten – auch von Wirtschaft und Finanzen viel versteht. Aber er ist zu kühl norddeutsch und wurde mit vielen Deutschen nie vertraut. Daher scheint es ihm nicht wirklich geholfen zu haben, dass er innerhalb der SPD eindeutig zum rechten, pragmatischen Flügel zählt. Seine oft spitzen Sprüche oder seine provozierenden Stinkefinger-Gesten halfen ihm auch nicht zu mehr Popularität.

So deutet alles auf einen Erfolg Merkels hin. Diese hat sich ja auch in anderen Fragen (Millionen für einen „Kampf gegen Rechts“ oder die massive Vermehrung von Kindergartenplätzen) in den letzten Jahren links profiliert. Erst in den Wahlkampfmonaten ist Merkel wieder nach rechts geschwenkt, sobald sie gemerkt hat, dass etliche ihrer Wähler doch mit der „Alternative“ kokettieren.

Aber sogar der britische „Economist“ – der sich etwa einst vehement für die italienische Linke und gegen eine Wahl Silvio Berlusconis ausgesprochen hatte – unterstützt „Mutti“ vorbehaltlos.

Also alles längst geklärt? Davor würde ich warnen. Denn Wahlkämpfe nehmen oft in den letzten Stunden vor der Wahl noch eine ganz überraschende Wendung. Und der Wohlfühlwahlkampf Merkels, bei dem alle Kanten geglättet scheinen, ist gerade gegenüber solchen Wendungen doppelt exponiert. Denn plötzlich könnte auch jenen, die sie sympathisch finden, das Motiv fehlen, wenn sie sich zu fragen beginnen: Warum eigentlich Merkel?

Österreich und die anderen Satelliten Deutschlands tun jedenfalls gut, genau zu beobachten, wie es dort weitergeht. Das ist vielleicht wichtiger als die eigene Wahl.

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