Donnerstag, 18. April 2024
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Heinrich Wohlmeyer: „Wir verhungern vor der vollen Schüssel“

Bereits seit längerem beschäftigt sich der Österreichische Wissenschaftler Prof. Heinrich Wohlmeyer publizistisch mit ökologischen und ökonomischen Fehlentwicklungen. Im Interview mit EU-Infothek geht er mit dem weltweiten Finanzsystem als Ursache für die jüngste Krise hart ins Gericht.

[[image1]]In ihrem neuen Buch „Empörung in Europa“ fordern Sie eine Neuordnung des Weltfinanzwesens, das weitgehend ungeregelt ist und sich der nationalen Kontrolle entzieht. Auf welchen Eckpfeilern soll das globale Finanzsystem künftig fußen?

Wir brauchen ein Weltwährungsabkommen nach dem Muster der bereits 1944 von J. M. Keynes vorgeschlagenen Weltfinanzordnung. Das heißt konkret: Der US-Dollar, der seine Leitwährungsfunktion nicht mehr erfüllen kann (ungehemmtes Geldrucken und chronisches Leistungsbilanzdefizit), muss durch eine Verrechnungswährung ersetzt werden, an die die einzelnen Währungen gemäß ihrer Kaufkraft gebunden werden. Überschussländer wie z. B. China und Defizitländer wie z. B. die USA müssten Pönale zahlen, wodurch eine Tendenz zu ausgeglichenen Leistungsbilanzen entsteht. Eine Anpassungsregelung bei strukturellen Ungleichgewichten ist vorzusehen. Das IWF-Weltbanksystem ist zur demokratisch kontrollierten Administrationszentrale umzubauen. Es ist daher dringend eine Weltwährungskonferenz einzuberufen, bevor es zum ungeordneten Zusammenbruch des Weltwährungssystems kommt.

Sehen Sie in der EU – mit Ausnahme Großbritanniens – die Bereitschaft, die Finanzmärkte an die Kandare zu nehmen?

Ja,  aber das geeignete Konzept fehlt. Wir brauchen neben der Trennung des normalen Bankgeschäftes vom Investmentbanking auch die Rückführung der Geldschöpfung zu den Staaten (100% Nationalbankgeld). Die Geldschöpfung durch die Geschäftsbanken ist die wesentliche Ursache der derzeitigen Misere. Weiters ist ein weltweiter Schuldenschnitt notwendig. Da die Großinvestoren das Schuldgeld ohnehin aus der Luft kreiert haben (fiat money) kann die Blase wieder geordnet implodiert werden. Wir brauchen einen Neustart analog zum seinerzeitigen Neubeginn im geplünderten Osten Österreichs (Schillingeröffnungsbilanz-Gesetz).  Hierzu muss noch erwähnt werden, dass die derzeit noch tonangebende US-Notenbank FeD in Wirklichkeit ein Großbankenkartell mit Nationalbankprivilegien ist, dem die Orientierung zum Gemeinwohl fehlt.

Um den stark verschuldeten Ländern zu mehr Budgetspielraum zu verhelfen, plädieren Sie für die Erschließung neuer Einnahmen etwa durch die Besteuerung von Kapital- und Devisentransfers inklusive Spekulationssteuer sowie des Informationstransfers und des Ressourcenverbrauchs. Warum tun sich die Staaten so schwer, diese Maßnahmen umzusetzen?

Die Tragik ist, dass die meisten Regierungen am Gängelband des Großkapitals hängen, zumal rund 80 Prozent  der Ökonomieprofessuren vom Großkapital finanziert werden. Wenn etwa unser Regierungschef zu den Bilderbergertreffen pilgert, dann spricht dies Bände. Wir brauchen daher den Aufstand von unten her. Daher habe ich auch mein Buch Empörung in Europa – Wege aus der Krise  gegen alle Zensurversuche als Handlungsanleitung geschrieben. Das Geld liegt eigentlich vor uns auf der Straße, aber wir verhungern vor der vollen Schüssel, weil wir uns nicht getrauen, den geeigneten Löffel in die Hand zu nehmen.

Sie treten auch für eine Reform des Welthandels ein, der von Liberalisierung gekennzeichnet ist. Welche  Maßnahmen wären Ihrer Meinung nach notwendig?

Man muss zwischen fairem und ungezähmtem Freihandel unterscheiden. So wie wir im nationalen Bereich Regeln des gerechten Wettbewerbs kennen, so muss es diese auch international geben. Kernpunkte sind die Kaufkraftparität der Währungen und das Bestimmungslandprinzip. Das heißt, freien Marktzutritt ohne Ausgleichsabgaben sollte es nur geben, wenn die Preise im Wege der Wechselkurse nicht verfälscht sind, und wenn die sozialen und ökologischen Standards des Bestimmungslandes bei der Herstellung der importierten Waren und Dienstleistungen eingehalten wurden. Erfolgt dies nicht, dann findet ein ungebremster Wettbewerb nach unten (race to the bottom) und auch steigende Arbeitslosigkeit statt.

Ist bei der Rettung der europäischen Pleite-Staaten wie etwa Griechenland in der EU alles optimal gelaufen oder wurden Fehler gemacht?

Es ist geradezu ungeheuerlich, wie vorgegangen wurde. Es wurden sowohl die Lissabonner Verträge als auch die nationalen Verfassungen umgangen und geduldet, dass die Schulden auf die europäischen Bürger herübergeschaufelt wurden. Insbesondere die US- Investoren hätten ihre uneinbringlichen (und bewusst eingegangenen) Forderungen ganz oder zum Teil abschreiben müssen. Griechenland ist das ‚Dollartorpedo‘ gegen den Euro. Die Strategie kann man in meinem Buch nachlesen.

Erweiterung der EU vorerst nicht sinnvoll

Soll die EU weitere Länder aufnehmen bzw. sollen weitere Staaten in die Euro-Zone aufgenommen werden?

Ich denke, wir sollten zuerst das begonnene konsolidieren. Wir haben derzeit bereits genug Probleme. Schon Bruder Klaus von der Flüe hat seinen Landleuten geraten: „Zieht den Zaun nicht zu weit, wenn ihr Frieden haben und die Freiheit bewahren wollt.“

Etlichen Staaten in Europa macht die hohe Arbeitslosigkeit – insbesondere bei Jugendlichen – zu schaffen. Wie könnte man die Beschäftigung ankurbeln?

Die Antwort wäre abendfüllend. Was derzeit abläuft ist stümperhaft und sogar kontraproduktiv.  Nur mit Wirtschaftswachstum und mit Geld-in-die-Wirtschaft-pumpen kann es nicht gehen. Wir müssen vor allem bedenken, dass der Rationalisierungseffekt der meisten Investitionen höher ist als der Kapazitätserweiterungseffekt. Das heißt,  sie bewirken Arbeitslosigkeit. Wir brauchen auf Basis der vor allem durch eine strategische Steuerreform sanierten Budgets eine radikale Entlastung der menschlichen Arbeit von Steuern und Abgaben, die Eröffnung neuer Arbeitsfelder – auch im sogenannten ‚informellen Sektor‘ und den ökosozialen Umbau der Bedarfsdeckungssysteme. Auch ein handelspolitisch geschütztes Grundeinkommen sollten wir andenken, damit individuelle Arbeits- und Lebensentwürfe erreichbar sind; ebenso eine Arbeitszeitverkürzung.

Würde eine Verkürzung der Arbeitszeit Sinn machen?

Ja, aber sie muss handelspolitisch abgesichert sein (Ausgleichsausgaben), sonst preisen wir uns aus.

Viele Österreicher stehen der EU und dem Euro skeptisch gegenüber. Gibt es Alternativen für die Alpenrepublik Alternativen zur EU-Mitgliedschaft und zur europäischen Gemeinschaftswährung?

Da die EU-Verfassung die europäische Rechts- und Demokratietradition auf den Kopf stellt, weil die versammelte Exekutive (Ministerrat) die höchste gesetzgebende Gewalt hat, plädiere ich für eine grundsätzliche föderale Reform oder für die Rückkehr zu einer vertieften EFTA, in der auch die Schweiz mit ihrer direkten Demokratie Platz hat. Der Euro könnte zur europäischen Verrechnungswährung umgestaltet werden, womit nationale Währungen wieder möglich sein würden. Letzteres wäre übrigens ein geeigneter Weg zur Sanierung der chronischen Defizitländer.

Die Sanierung der Kärntner Hypo hat Österreich bereits mehrere Milliarden  Euro gekostet.
War die Verstaatlichung im Nachhinein gesehen falsch?

Ja, das sagen ja nun alle inklusive Rechnungshof und EU. Ich habe dem damaligen Finanzminister einen geordneten Konkurs angeraten, denn nur durch einen solchen wird man Schulden und die Hasardeure dahinter los. Aber da wurde von den so genannten Experten behauptet, dass die Welt untergehen würde. Nun zwingt uns die EU genau zu diesem Schritt – und die Welt geht nicht unter, wohl aber unsere Budgetkonsolidierung. Mein Rat an den Finanzminister war: Konkurs, dann um wenige Euro kaufen und anschließend restrukturieren und mit Gewinn verkaufen. Beim Haftungsverbund der Hypothekenbanken hätte ich mich auf den Standpunkt gestellt, dass nur für normale Risiken, aber nicht für betrügerisches Handeln gehaftet wird.

Sie orten auch eine Gesellschaftskrise, in der sich quasi jeder bemüht, auf Kosten des anderen zu leben. Wie könnte man diesen Trend brechen?

Der „inneren Kompass“ muss neu orientiert werden. Wer die Familien zerstört, in denen die Grundmuster solidarischen Zusammenlebens erlernt werden, darf sich nicht wundern, wenn die Gesellschaft zerbricht. Wer in den Schulen disziplinlose Selbstbefriediger erzieht (siehe ‚Sexkoffer‘),  darf sich nicht wundern, wenn diese keine Leistungen für die Allgemeinheit mehr erbringen. Wenn alles nur lustvoll sein soll – auch das Lernen – der wird in Zukunft keine Mitbürger mehr haben, die in schwierigen Situationen durchhalten. Wer schließlich die christlich abendländische Wertordnung aushöhlt und lächerlich macht, wird erleben, wie die Achtung der Menschenwürde, die zwischenmenschliche Solidarität und die Opferbereitschaft für das Gemeinwohl dahinschwinden.  Wer auch den Migranten nicht mehr lernt, auf dieses Land und seine Traditionen stolz zu sein, wird eine steigende Zahl von geistigen Emigranten ernten, die nur fordern, aber nichts zum Gemeinwohl beitragen.

 

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