Freitag, 19. April 2024
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EU-Kartellstrafen: „zu niedrig und zu spät“ um Preisabsprachen einzudämmen

Von Rewe und SPAR bis zu Magna stehen weite Teile der Wirtschaft unter Verdacht, Preise zulasten ihrer Kunden zu manipulieren. Während aber nur ein Bruchteil davon erwischt wird, erreichen auch die Strafen in den seltensten Fällen die dadurch erzielten Gewinne.

[[image1]]Kartelle und Preisabsprachen gibt es offenbar bereits so lange, so lange es eine arbeitsteilige Wirtschaft gibt. So waren die mittelalterlichen Zünfte nichts anderes als allerdings legale Kartelle, die den Marktzugang limitieren und die Preise hoch halten sollten.

Und schon der klassische Ökonom Adam Smith konnte sich die Bemerkung nicht verkneifen, dass „jedes Mal, wenn Leute derselben Branche gesellig zusammentreffen, alsbald ein Komplott gegen die Kunden“ geschmiedet werde. Aus Sicht der Kartellbrüder wird dieses heute höchst illegale Verhalten allerdings zumeist als Akt schlichter Notwehr betrachtet, was auch nicht ganz von der Hand zu weisen ist. Immerhin hatte schon Karl Marx bemerkt, dass der freie Wettbewerb über kurz oder lang zu so niedrigen Marktpreisen führt, dass keiner der Wettbewerber Gewinne erzielen kann, was Marx zufolge langfristig zum Untergang des Kapitalismus führen würde. Offenbar hatte Marx jedoch zu sehr an die Märkte geglaubt und zu wenig mit der Findigkeit der Wirtschaftstreibenden gerechnet, die anstatt kollektiv Pleite zu gehen, stattdessen lieber versuchten, den Wettbewerb abzuschaffen.

Preisabsprachen in stagnierenden Märkten eher die Regel als die Ausnahme?

Das lässt jedenfalls ein Blick in die Zeitungen vermuten, der den Anschein erweckt, dass außerhalb der wenigen stark wachsenden Märkte Preisabsprachen heute eher die Regel als die Ausnahme sein dürften, was bei den Kunden insgesamt wohl enorme Kosten verursacht.

Am stärksten betroffen sind offenbar die reifen bzw. stagnierenden Märkte, wo es ausreichend hohe Zugangsbeschränkungen gibt um neue Anbieter fernzuhalten, die von den künstlich überhöhten Kartellpreisen angelockt werden könnten. Ein erstaunliches Beispiel bietet hier der österreichische Lebensmittelhandel, wo den beiden Marktführern Rewe und Spar seit Jahren nachgesagt wird, illegale Preismanipulationen vorzunehmen und dabei ihre Marktmacht nicht nur zulasten ihrer Kunden, sondern auch gegenüber ihren Lieferanten auszunutzen, wobei sie in dieser Frage aber zumindest nach außen diametral entgegen gesetzte Standpunkt vertreten.

So hat Rewe, nachdem die österreichische Wettbewerbsbehörde dahingehend Vorwürfe erhob, ohne viel Federlesen 20,8 Millionen Euro für ein „Settlement“ auf den Tisch gelegt, während SPAR sich mit Zähnen und Klauen gegen die Verdächtigungen zur Wehr setzt. So ging SPAR-Chef Gerhard Drexel in einem SN-Interview in die Offensive, wies alle Anschuldigungen zurück und unterstellte der Behörde sogar offen den Einsatz illegaler Spionagesoftware.

Dabei stellte er auch wohl nicht ganz zu Unrecht fest, dass „Gespräche zwischen Lieferanten und Handelsunternehmen über Verkaufspreis und strategische Preispositionierungen in der Praxis der österreichischen Lebensmittelwirtschaft lebensnotwendig“ wären und sich die Bundeswettbewerbsbehörde über betriebs- und volkswirtschaftliche Regeln hinwegsetze.

Ähnliches könnte man freilich auch über die betriebswirtschaftlich sicherlich gegebene Notwendigkeit zu Schmiergeldzahlungen sagen, will man in manchen Ländern bestimmte Geschäfte machen, was vor dem EU-Beitritt auch von den österreichischen Behörden akzeptiert wurde, die derartige Zahlungen sogar als steuerlich abzugsfähig betrachtet haben.

Heute stehen dem freilich strenge Gesetze entgegen, und dasselbe gilt für illegale Kartelle und Preisabsprachen, wobei es aber wohl nicht von Staatsanwälten und Gerichten definiert werden sollte, was zulässig ist, und was nicht, sondern vom Gesetzgeber.

Bruegel-Analyse der EU-Kartellmaßnahmen

Nun mag es durchaus sein, dass Spar tatsächlich im Rahmen der Gesetzte agiert hat und vielleicht auch Rewe nur deshalb freiwillig bezahlte, weil der Anschein des Kundenbetrugs vermieden werden sollte und die Strafe somit aus dem üppigen Werbebudget entnommen werden konnte.

Denn so sehr die Kartellverfahren die Kundenbeziehungen auch belasten mögen, unter dem Strich scheint die Verfolgung der Kartellsünder in der EU ohnehin derart halbherzig zu erfolgen, dass es sich für die betroffenen Unternehmen trotz aller Strafen dennoch lohnt, dem Wettbewerb auf diesem Wege auszuweichen. Das meint jedenfalls der Ökonom Mario Mariniello von der Brüsseler Denkfabrik Bruegel, der in einem Aufsatz die kartellrechtlichen Maßnahmen der EU analysiert hat.

Denn während die Industrie, seit im Jahr 2006 strengerer Regeln eingeführt wurden, lautstark moniert, es würden viel zu hohe Strafen verhängt, die die Märkte ihrerseits verzerren und zu noch höheren Preisen führen würden, sei die Reaktion der Behörden viel zu wenig streng, um illegale Praktiken einzuschränken.

Mariniello hat dabei die 73 Kartelle analysiert, die die EU von 2001 bis 2012 verurteilt hat, wodurch 479 Unternehmen zu insgesamt 18,4 Milliarden Euro an Strafen verurteilt wurden. Angesicht des Volumens der von Kartellen betroffenen Märkte und der Profite, die dadurch erzielt würden, sei dies dennoch „außergewöhnlich wenig“. So wurde – je nach dem wie hoch die zusätzlichen Gewinne (bzw. niedrigeren Verluste) durch illegale Preisabsprachen eingeschätzt wurden – bei 43 bis 81 Prozent der Unternehmen, die erwischt wurden, niedrigere Strafen verhängt, als die dadurch erzielten Gewinne ausgemacht hatten, wobei zudem nur ein Bruchteil der illegalen Kartelle aufgedeckt wurden.

Noch dazu wurden die Kartelle erst zehn bis zwanzig Jahre nachdem die Entscheidung zu deren Bildung gefallen war sanktioniert. Die Mehrheit der beteiligten Manager war dann längst anderswo beschäftigt oder bereits in Rente, so dass sie zwar die Vorteile der illegalen Kartelle genießen konnten, aber kaum Nachteile zu befürchten hatten.

Um die Unternehmen also tatsächlich von diesen Praktiken abzuschrecken, wären demnach nicht nur deutlich höhere Strafen erforderlich, sondern es müsste auch die Verfahrensdauer von aktuell vier bis sechs Jahren erheblich verkürzt werden. Zuletzt war krisenbedingt jedoch das Gegenteil davon zu beobachten. So hätten die Unternehmen ab 2008 zunehmend behauptet, sich etwaige Kartellstrafen schlicht nicht leisten zu können, was 2010 bei 45 Prozent der angeklagten Unternehmen der Fall gewesen sei, wovon rund ein Drittel damit auch durchgekommen ist, obwohl die EU da im Schnitt ohnehin schon deutlich geringere Strafen verhängt hatte, als vor Ausbruch der Krise.

Beschleunigt wurden die Verfahren gleichfalls nicht, weshalb Mariniello davor warnt, im Zuge der allgemeinen Ausgabenkürzungen in der EU auch hier zu Sparmaßnahmen zu greifen – was dann wohl ein klares Anzeichen dafür wäre, wie ernst die EU tatsächlich gegen illegale Kartelle vorzugehen gedenkt.

 

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