Freitag, 19. April 2024
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PRISM verärgert Brüssel

Kalter Krieg war gestern. Der US-Geheimdienst sorgt einmal mehr für globale Verärgerung, zumal  der NSA-Skandal uns alle betrifft. Belgien und Niederlande sind sichtlich mit von der Partie, die Kanadier spielen munter mit. Google ist um Schadensbegrenzung bemüht, das Europaparlament schäumt. Viviane Reding verlangt Aufklärung.

[[image1]]Wenn der US-Geheimdienst mit dem britischen Geheimdienst gemeinsame Sache macht, ist ein Skandal so gut wie unvermeidbar. Speziell dann, wenn es um breitgefächerte Bespitzelungsaktionen geht. Peter MacKay, der kanadische Verteidigungsminister, hat nach Bekanntwerden des Megaskandals bestätigt, dass auch Kanada ein eigenes globales Abhörprogramm für Auslandsspionage betreibt. Belgien und Niederlande sind sichtlich mit im Boot. Dem „De Telegraaf“ zufolge gibt es unlimitierten Zugang auf Abruf, Google und Facebook erweisen sich als verlässliche und zugleich sehr auskunftsfreudige Partner. Der Aufdecker ist wie erwartet untergetaucht, Datenschützer sprechen von einem globalen Problem.

Edward Snowden: Mann der Stunde

Kolportierte 150.000 Euro jährlich sind eine feine Sache, speziell für einen Schulabbrecher, der sein Dasein als Leiharbeiter fristet. Ausgerechnet Geheimdienste, die, wie der Name bereits sagt, sehr diskret agieren sollten, pflegen einen bedenklich lockeren Umgang mit sensiblen Daten und leisten damit höchste unprofessionelle Vorarbeit für weitreichende Sicherheitslücken. Sensible Bereiche auszulagern ist mit Risiken verbunden, welche die strukturellen Schwächen der leider ziemlich auffälligen Geheimdienste in denkbar schräges Licht hüllt. Der bekennende Täter bestätigt gegenüber Medien, dass es die Infrastruktur der NSA ermöglicht, jedes noch so brisante Geheimnis zutage zu bringen. Die Empörung darüber umspannt den Globus, Datenschützer toben. Applaus für den Aufdecker!

Datenschutz im Visier

Unterschiedliche Standards für US-Bürger und Ausländer sorgen für Kritik, die EU wartet auf Klarstellung aus Washington. Es wäre angebracht, dass die Grundrechte europäischer Bürger ebenso gewahrt werden wie jene von US-Bürgern. Zudem stellt sich die Frage über die Dimension der Datenweitergabe und einem griffigen Verdachtsmoment. EU-Justizkommissarin Viviane Reding jedenfalls dürfte beim Ministertreffen ziemlich energisch nach Aufklärung verlangen. Dazu kommt, dass Europa der Sammelleidenschaft der USA in Sachen Finanz- und Reisedaten der Europäer ohnehin sehr weit entgegen gekommen ist.

Europaparlament gegen Datenaustausch

Berichten zufolge gibt es geheime NSA-Anfragen, die in den Transparenzlisten nicht enthalten sind. Google jedenfalls beabsichtigt, klare Verhältnisse zu schaffen, Facebook und Microsoft sind ebenfalls um Klarstellung bemüht. Es sieht jedenfalls danach aus, dass die Anfragen der Behörden bekannt gegeben werden. Geht es nach den Abgeordneten aus dem Europaparlament, ist eine Aufkündigung des Datenaustauschprogramms mit den USA denkbar. Selbst der Kreml wirkt angesichts der Vorkommnisse irritiert.  Wladimir Putin schliesst sich der Kritik Brüssels an.

Barrierefrei ja. Aber nicht beim Datenschutz!

Vorratsdatenspeicherung ist an Transparenz gebunden. Die Internetanbieter stecken in einer ungünstigen Position und fühlen sich zu Handlagern der Behörden degradiert. Bereits die  Vorratsdatenspeicherung bildet einen drastischen Eingriff in die Grundrechte, was Österreich betrifft so ist ein vergleichbares Szenario unwahrscheinlich. Die ISPA (Vereinigung der österreichischen Internetprovider) bemängelt, dass Datenabfragen sehr pauschal abgehandelt werden, da die Abfragen geradezu kollektiv, nämlich mit einer einzelnen Aktenzahl zusammengefasst werden. Andreas Krisch, Datenschutzexperte, fordert eine eigene Untersuchungskommission und warnt nachdrücklich vor PRISM, da die Vertraulichkeit jeglicher Kommunikation nicht mehr gegeben ist. Das betrifft Skype ebenso wie Facebook, SocialMedia gerät sichtlich außer Kontrolle. Da EU-Bürger keine Möglichkeit haben, die Überwachung durch die NSA zu verhindern rät der Experte, von US-Anbietern abzusehen und heimische Provider zu nutzen. Das Safe Harbor Abkommen hat seine Berechtigung verloren, jetzt erhebt sich die Frage, wer noch in die Affäre involviert ist. Die Datenschutzstandards führen zudem zu Wettbewerbsverzerrungen, europäische Onlinedienste sind benachteiligt.

Pikanter Handel mit Daten

Eigene Bürger grundlos zu überwachen ist rechtswidrig, sowohl in Großbritannien wie in den USA.  Um dem Gesetz ein Schnippchen zu schlagen ist es unter Geheimdiensten üblich, regen Datenaustausch zu unterhalten. Die Tragweite der Aktion ist nicht vorhersehbar, doch Obamas Polizeistaat verursacht reichlich Empörung. Die NSA übt sich in diskreter Zurückhaltung mit Fakten, die Medien werden reihenweise gerüffelt, die US-Überwachung beschäftigt bereits das britische Parlament. Die Kommission und der Rat der EU sind ebenfalls gefordert, H.P. Martin hat einige pikante Anfragen eingebracht. Sicherheitstechnische Aspekte des Europäischen Auswärtigen Dienstes EAD und anderer EU-Institutionen sind ebenso angeführt wie die Aufbewahrung von Daten und ob es der Kommission bekannt ist, dass die Übernahme von Skype durch die NSA finanziert wurde. Zudem soll sich herausstellen, ob die Institutionen der EU über jenes Programm informiert waren, die gesammelten Daten genutzt haben oder sogar direkt an besagtem Programm beteiligt waren. Die Antwort sollte noch vor der parlamentarischen Sommerpause vorliegen.

Um die „Piraten“ zu zitieren: „Menschen wie Edward Snowden verdienen Schutz und Anerkennung statt Ächtung und Verfolgung“. An Asylofferten wird es sicher nicht scheitern.

 

Bild: Gerd Altmann/PIXELIO/©www.pixelio.de

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