Freitag, 29. März 2024
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Nach dem Programm-Relaunch: Das Sittenbild der Regierung

Vieles hängt in Zukunft davon ab, wie Christian Kern sein Amtsverständnis auszulegen gedenkt. © Sabine HauswirthTrotz aller verbalen Beschwörungen, bis Herbst 2018 durchhalten zu wollen, sind vorgezogene Neuwahlen nicht wirklich vom Tisch. In beiden Regierungsparteien regen sich bereits Widersprüche. In der ÖVP wird vor allem von führenden Landespolitikern bemängelt, dass die Bundespartei keine Strategie habe.

An sich ist es das Charakteristikum einer Koalition, dass man zumindest zwei im Regelfall verschiedene Meinungen auf einen gemeinsamen Nenner bringen muss. Nun zeigt sich bereits bei einer Zweier-Koalition, wie schwierig und langwierig dies sein kann. Für eine in Zukunft durchaus mögliche Dreier-Koalition keine wirklich gute Empfehlung. Auch durchaus sonst kritische Experten finden jedenfalls, dass das fortgeschriebene Regierungsprogramm – und nur darum handelt es sich – ein an sich guter Wurf geworden ist. Und dieser Relaunch erfolgte durchaus zu Recht. Denn als dieses Programm geschrieben wurde, war Reinhold Mitterlehner nur Wirtschaftsminister und Christian Kern nicht einmal ein einfaches Regierungsmitglied.

Kern in der Zwickmühle zwischen linker Fraktion und Gewerkschaft

Ob freilich das nunmehr runderneuerte Regierungsprogramm auch Garant für ein Ausdienen der Legislaturperiode ist, wagen selbst Insider nicht ehrlich vorauszusagen. Dazu gibt es unverändert zu viele Unabwägbarkeiten. So spekuliert Christian Kern einerseits noch immer damit, ob sich vorgezogene Wahlen nicht doch bezahlt machen könnten, weil sie damit sein Macher-Image verstärken helfen. Andererseits ist er mit dem Programm selbst innerparteilich unter Beschuss geraten. Eine Auseinandersetzung, die er eher scheuen will, weil sie zu einer Zerreißprobe für die Partei werden könnten. Für den linken Flügel hat er zu viele Eingeständnisse an die ÖVP gemacht und die Partei sogar nach rechts geöffnet. Die Gewerkschaft wiederum fordert mehr Mitbestimmung und Mitwirkungsrechte in der Regierungsarbeit. Dabei wurde ein besonders heikles Thema ohnedies und überhaupt ausgeklammert, nämlich die Reform des Pensionssystems.

Programmrelaunch eine „Überlebensgarantie“ für Mitterlehner

Fast leichter hat es da Reinhold Mitterlehner. An sich geht der Relaunch des Regierungsprogramms auf seine Ankündigung zu Jahresbeginn zurück. Der dann von Kern vorgelegte „Plan A“ führte dann beinahe zu einem Koalitionskrach. Nicht gerade förderlich war in diesem Zusammenhang die von der Boulevardpresse geradezu betriebene Kampagne, die einen Abbruch der Verhandlungen mit der ÖVP durch Kern forderte. In dieser Situation spielte Mitterlehner seine alten Kontakte zur Sozialpartnerschaft aus und der Kanzler musste schließlich erhebliche Abstriche an seinen Vorschlägen hinnehmen. Für ihn bedeutet die Einigung auf ein Arbeitsprogramm für die restlichen maximal 18 Monate der laufenden Legislaturperiode eine Art „Überlebensgarantie“. Dem Vizekanzler wird von den meisten seiner Parteifreunde zugestanden, gute Arbeit geleistet zu haben. Und er war es auch, der maßgeblich dafür sorgt, dass weitergearbeitet und die Zusammenarbeit nicht aufgekündigt wurde. Die Führungsdebatte ist dadurch wieder eingeschlafen.

Kurz geht auf Warteposition

Sein eigentlicher innerparteilicher Konkurrent, Sebastian Kurz, will sich durchaus geschickt jetzt auf seine Tätigkeit als Vorsitzender der OSZE konzentrieren und international Punkte sammeln. Das fiktive Duell Kern gegen Kurz geht jedenfalls weiter, zumal man in der SPÖ damit rechnet, dass die ÖVP bei den nächsten Wahlen mit einem Spitzenkandidaten antritt, der Kurz heißt. Daher macht auch der Bundeskanzle auf Außenpolitik, hat sich aber als einer der 28 Regierungschefs im EU-Rat mit der an sich unbefriedigenden Performance der Europäischen Union herumzuschlagen. Kurz bleibt dagegen seinem Metier treu, sich am internationalen Parkett als Vermittler und daheim als Ezzes-Geber in der Flüchtlingspolitik zu profilieren. Dass sein bereits im August 2016 vorgestelltes Integrationsgesetz nun auch Regierungsagenda wurde, ist zweifellos ein Erfolg. Der ihm aber nicht in den Kopf steigen darf, wie innerparteilich zu hören ist. Kurz dürfte sich daher wohl auch den Rat eines seiner Mentoren zu Herzen genommen haben, der davor warnte, den Höhenflug in den Meinungsumfragen überzubewerten. Dass er nun bei vorzeitigen Neuwahlen auf der Regierungsbank landen würde, sei alles anderes denn eine ausgemachte Sache.

Kreuzdebatte neuer Konfliktstoff für die Regierung

Die eigentliche Nagelprobe für die Regierung kommt erst. Denn ab jetzt geht es darum, die einzelnen Maßnahmen so rasch wie möglich in die Praxis umzusetzen. Mehr noch, es muss sich nunmehr auch zeigen, wie lange das wieder einmal gemeinsam beschworene „Verhältnis“ zwischen den Regierungspartnern wirklich hält. Und um die persönliche Chemie ist es innerhalb der Regierung nicht zum Besten bestellt, ist immer wieder von Regierungsmitgliedern und deren Mitarbeitern zu hören. Dass Staatssekretärin Muna Duzdar nichts Eiligeres zu tun hatte, als sofort nachdem man sich auf ein partielles Kopftuchverbot und ein Nein zur Vollverschleierung geeinigt hatte, den Feldzug gegen das Kreuz auszurufen, ist kein gutes Zeichen. Umso mehr als es sich beim Konkordat zwar um kein Gesetz im Verfassungsrang aber immerhin um einen internationalen Vertrag handelt, der zwischen der Republik und dem Heiligen Stuhl abgeschlossen wurde. Wie auch die linke und so genannte liberale Szene über Innenminister Wolfgang Sobotka herfiel, als dieser Änderungen beim Demonstrationsgesetz laut andachte, ist nicht gerade dazu angetan, daran zu glauben, dass der Kitt der derzeit SPÖ und ÖVP hält, von langer Haltbarkeit sein dürfte.

Der Bundeskanzler ist kein CEO

Vieles hängt in Zukunft davon ab, wie Christian Kern sein Amtsverständnis auszulegen gedenkt. Derzeit wirft man ihm vor, die Regierung wie ein Unternehmen führen zu wollen, wo Minister bloß Abteilungsleiter sind und dem Chef zu gehorchen haben. Genau daran spießt sich das Verhältnis des Kanzlers mit Innenminister Wolfgang Sobotka. Nicht nur für ihn gelten in der Politik andere Spielregeln, umso mehr als es auch in Österreich keine Richtlinienkompetenz des Kanzlers gibt. Diese hätte zwar die deutsche Kanzlerin, sie hat aber – wie alle ihre Vorgänger – nie davon Gebrauch gemacht. Wissend, dass eine solche Weisung an einen anderen Minister noch dazu des Koalitionspartners als ein Eingriff in die politische Gestaltung ausgelegt werden könnte und folglich zu einem Bruch der Koalitionsvereinbarung führen würde.

Die Wähler wollen eine arbeitende Regierung – vorerst

Dass man sich jedenfalls bis zum Sommer mit dem Bestand der Regierung hinüberretten will und kann, scheint derzeit eine nicht unrealistische Annahme zu sein und hat einige sehr pragmatische Gründe. Was dann im Herbst passiert, ist schon eine ganz andere Sache. Die Österreicher sind es an sich nach dem fast ein Jahr dauernden Präsidentschaftswahlkampf müde, schon wieder mit einer bundesweiten Wahlauseinandersetzung zu tun zu haben. Die Mehrheit will, bei aller Kritik an der Regierung, dass diese weitererarbeitet. Wer immer daher Neuwahlen ausrufen würde, bekäme dafür von den Wählern die Rechnung präsentiert. Darauf stehen weder SPÖ noch ÖVP. Umso mehr als beide derzeit noch auf dem zweiten und dritten Platz im Parteienranking sitzen. Nur bei den Wählern der FPÖ gibt es, nicht unverständlich, ein Votum für Neuwahlen. Das zeigen auch die jüngsten demoskopischen Untersuchungen. Die Freiheitlichen beginnen zu bröckeln und haben Handlungsbedarf. Die beiden Regierungsparteien spüren Aufwind. Die Grünen und die NEOS stagnieren unverändert. Die Restbestände des Team Stronachs agieren unter der Wahrnehmungsgrenze.

Landeshauptleute vermissen bei der Bundes-ÖVP Strategie

Macht man bei der SPÖ kein Hehl daraus, nicht nur den politischen Gegner genau zu beobachten sondern auch intensiv mögliche Szenarien (und auch Koalitionsvarianten) zu studieren, so ist man im Kreis der ÖVP-Landeshauptleute der Meinung, dass der Bundespartei eine mittel- und langfristige Strategie fehlt. Der Parteiführung wird schon seit längerem nachgesagt, sich zu wenig Gedanken über die zukünftige Entwicklung zu machen. Mit dem runderneuerten Regierungsprogramm hat man zwar Zeit gewonnen, ist es aber nicht getan. Es stellen sich viele Fragen. Allen voran, wenn man sich nicht mit einer Statistenrolle abfinden will, mit welchen Inhalten und Personen man wieder eine Führungsrolle ergattern will. Ganz entscheidend wird es auch darauf ankommen, mit welchen Parteien Bündnisse geschlossen werden können. Gab es in früheren Zeiten doch einige sehr bekannte „Verbindungsleute“ nicht nur zum Traditionspartner SPÖ sondern auch zur FPÖ, so hat man es derzeit mit dem Eindruck einer unkoordinierten Politik zu tun, die dann auch noch zu öffentlichem Disput führt. Ein Fall für sich ist noch dazu die Bundeshauptstadt. Seit Monaten schwelt hier ein Richtungsstreit zwischen den Bezirken und den handelnden Personen. Die zur Mini-Opposition geschrumpfte ÖVP versteht es aber nicht, daraus und auch den großen finanziellen Problemen der Stadtverwaltung Kapital zu schlagen.

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