Gottes Mühlen mahlen bekanntlich langsam – doch Österreichs Justiz ist, wie wir alle wissen, noch viel, viel langsamer. Wie endlos lange sich manche Causen ziehen können – man denke nur an den armen Karl-Heinz Grasser – ist immer wieder erstaunlich. Es ist durchaus legitim, die oft extrem lange Verfahrensdauer vieler Fälle großteils mit Überforderung aller Beteiligten zu begründen.
[[image1]]Faul sind Österreichs 11.700 Justiz-Mitarbeiter, die 1,1 Milliarden Euro aus dem Budget erhalten und im Gegenzug weit mehr als 800 Millionen an Einnahmen schaffen, jedenfalls nicht: Die 128 Bezirksgerichte, 20 Gerichtshöfe, vier Oberlandesgerichte und der Oberste Gerichtshof müssen jährlich rund 3,6 Millionen Geschäftsfälle bewältigen – von Zivil- über Exekutions- bis Strafsachen, von Grund- und Firmenbucheintragungen über Insolvenzverfahren bis diverse Rechtsmittel in Zivil- und Strafangelegenheiten. Allein der Oberste Gerichtshof, was Recht und Unrecht anlangt sozusagen die Stimme Gottes, hat sich pro Jahr mit rund 10.000 Causen zu befassen.
Dabei landen ohnedies schon etliche Streitfragen beim Gerichtshof der Europäischen Union, der für die Auslegung des EU-Rechts zuständig ist. Dieser entscheidet etwa, wenn es zwischen den Regierungen der Mitgliedsstaaten und den EU-Organen Knatsch gibt. Und an ihn können sich auch Privatpersonen, Unternehmen und Organisationen wenden, falls sie der Auffassung sind, dass die Union ihre Rechte verletzt habe. Der EuGH in Luxemburg hat es zwar weder mit Mördern und Räubern noch mit Einbrechern oder kleinen Hühnerdieben zu tun – sein Corebusiness ist dennoch von beachtlicher Breite und Komplexität. Im vergangenen Jahr hat er rund 600 Probleme geklärt, eben so viele sind frisch bei ihm gelandet, 886 Rechtssachen noch anhängig. Bei seinen durchaus übergeordneten Verfahren geht es zum Beispiel um Steuer- und Wettbewerbsfragen, staatliche Beihilfen, Konsumentenschutz, Umweltthemen oder geistiges Eigentum. Seine zumeist extrem kompliziert formulierten Urteile und Beschlüsse an der Grenze zur Unverständlichkeit sind dennoch letztlich so beschaffen, dass die Eisenbahn drüberfährt – also für alle Betroffenen total verbindlich.
AUA bitte warten …
Österreich bekam die Strenge bereits des öfteren zu spüren, gerade in jüngerer Zeit: Der EU-Gerichtshof befand beispielsweise, dass die Republik gegen die Datenschutzrichtlinie verstieß, weil die Datenschutzkommission organisatorisch zu eng mit dem Kanzleramt verwoben war. Oder dass der Bund bei der Veröffentlichung von Firmenbuchdaten keine hoheitliche Tätigkeit ausüben dürfe und daher nicht berechtigt sei, jemandem die Weiterverwendung solcher Daten zu untersagen. Oder dass der Ausverkauf eines Handelsunternehmens nicht unbedingt eine unlautere Geschäftspraxis darstelle, wenn dafür keine behördliche Genehmigung eingeholt wurde. Oder dass eine Fahrpreisermäßigung bei einem öffentlichen Verkehrsmittel nicht nur für österreichische Studenten gelten dürfe. Oder dass das früher rigide Einsichtsverbot in Kartellgerichtsakten unrechtens und daher aufzuheben sei. Oder dass ein österreichischer Konsument, der per Internet etwas bei einem Händler im EU-Ausland kauft, diesen im Streitfall vor heimischen Gerichten verklagen kann.
Klare Letztentscheidungen seitens einer gewiss hochqualifizierten Institution sind für die Union letztlich unumgänglich. Daher ist die Existenzberechtigung des EuGH, der heuer etwa 355 Millionen Euro an Budgetmittel benötigt, selbst von den gestrengsten EU-Kritikern nicht in Frage zu stellen. Das Einzige, was man bekritteln könnte, ist sein eher gemächliches Arbeitstempo. Zum Beispiel ließ er erst jetzt den Handelskonzerns Spar abblitzen, der die Kommission wegen mangelhafter Prüfung der Übernahme von Adeg durch Billa im Jahr 2008 (!) geklagt hatte. Ein anderer Fall, der allerdings dem Wiener OGH anzulasten ist, betrifft Austrian Airlines: Die heimischen Höchstrichter sollten auf Wunsch der Gewerkschaft Vida seit Juli 2012 prüfen, ob der Kollektivvertrag für AUA-Piloten und -Flugbegleiter auch nach dem Betriebsübergang auf Tyrolean weiter gelten müsse. Sie wollten sich an diesem heißen Eisen freilich nicht die Finger verbrennen und reichten es folglich an den Europäischen Gerichtshof weiter. Dieser braucht für so eine Causa laut hausgemachter Statistik durchschnittlich 16 Monate – in der Praxis bisweilen sogar einige Jahre. So etwa ist das ursprünglich von einem österreichisch-ukrainischen Konsortium angestrengte Verfahren über die Übernahme der Bank Burgenland durch die Grazer Wechselseitige im März 2006 bis heute noch nicht endgültig erledigt.
Im Fall AUA hieße das folgendes: Sofern der EuGH den Betriebsübergang irgendwann – vielleicht in zwei, drei Jahren – für rechtswidrig erachtet, wäre die Airline prompt in einer schlimmen Bredouille, sprich: erneut am Rande der Pleite, weil dann alle Sanierungsmaßnahmen rückgängig zu machen wären. Eine Airline, deren Existenz auf dem Spiel steht, jahrelang zittern zu lassen – das kann’s doch wohl nicht sein. Wenn schon Österreichs oberste Richter offenbar keine Eile hatten, um sich letzten Endes um die Entscheidung zu drücken, dann sollten sich wenigstens die Justiz-Götter in Luxemburg nicht allzu viel Zeit lassen …
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