Freitag, 26. April 2024
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Die Mehrheit tickt Mitte-Rechts

Die Medien und Meinungsmacher haben geirrt. Die Meinungsforscher haben geirrt. Die Politikwisseng’schaftler haben geirrt. Nur die Wähler haben Fakten geschaffen. Das ist das unbestrittene Faktum nach den US-Präsidentschaftswahlen.

Als in den Morgenstunden des vergangenen Mittwoch feststand, dass nicht die favorisierte Hillary Clinton sondern der scheinbare Außenseiter Donald Trump das Rennen um die US-Präsidentschaft gewonnen hatte, machte sich fast schon eine Art Weltuntergangs-Stimmung in der so genannten westlichen Community breit. Tatsächlich haben gerade etwas mehr als 4 Prozent der Weltbevölkerung (diese beläuft sich derzeit auf 7,5 Milliarden, die USA zählen 325 Millionen Einwohner) über die Wahl ihres Staatspräsidenten abgestimmt. Und das gegen den prognostizierten und herbeigeschriebenen Trends.

Wenn man es genau nimmt, hat sich in den USA ein Trend fortgesetzt, den es in vielen parlamentarischen Demokratien westlicher Prägung schon seit längerem gibt. Linksliberal ist zwar chic und in gewissen Teilen der Gesellschaft, vor allem bei den Meinungsbildnern auch „in“, bloß die Mehrheit der Wählerschaft ist Mitte-Rechts eingestellt. So klein auch Österreich sein mag, es ist symptomatisch für die politische Stimmung unter der Bevölkerung. Seit 1983 gäbe es im Parlament eine Mitte-Rechts Mehrheit. Mit Ausnahme der Jahre 2000 bis 2006 wird das Land aber von einem sozialdemokratischen Bundeskanzler mit Hilfe der Volkspartei regiert.

Der Wandel der US-Parteien

Es ist schon lange her, da wurden die beiden großen politischen Lager in den USA nach den europäischen Politik-Maßstäben beurteilt. Die Demokraten (Parteisymbol ist der Esel) galten als links und liberal, die Republikaner (Parteisymbol ist der Elefant) als konservativ. Und tatsächlich, auch die europäischen Sozialdemokraten unterhielten transatlantische Beziehungen zu den Demokraten, die christlich-demokratischen und Zentrums-Parteien zu den Republikanern. In den letzten beiden Jahrzehnten hat sich da etwas gewandelt, zumal die hinter Trump stehende Partei ideologisch gespalten und zerstritten war, die Partei der Clintons das Mitte-Spektrum weitgehend abdeckte.

Wake-up-call für Volksparteien

Bloß seit dem Tag nach der Wahl scheint man wieder zum alten Schematismus zurückzukehren, wenn man die Unzahl an Kommentaren verfolgt, die das unerwartete Wahlergebnis zu analysieren versuchen und Prognosen für die kommende politische Entwicklung in den USA in den Raum stellen. Zwei Schlussfolgerungen ragen heraus. Es ist einerseits jene des ÖVP-Klubobmanns Reinhold Lopatka, der sich übrigens selbst einen persönlichen Eindruck vom US-Wahlkampf geholt hatte: „Die Amerikaner haben genug vom Washingtoner politischen Establishment. Trump bot das Kontrastprogramm und signalisierte Aufbruch.“ Und anderseits hat Manfred Weber, Fraktionsvorsitzender der EVP im Europäischen Parlament ganz offen von einem „Wake-up-Call“ für die so genannten Volksparteien gesprochen, die den rechten Flügel nicht länger den bloßen Populisten überlassen dürfen. Und daher jetzt – wenn sie das Wahlergebnis verdaut und sich von vorgefassten Meinungen gelöst haben – die eine oder andere ideelle Anleihe nehmen werden.

Wunsch nach einer anderen Art von Politik

Wenngleich es sich einmal mehr bewiesen hat, dass man in den USA den Einzug ins Weiße Haus nur anvisieren kann, wenn man über das nötige Kapital und vor allem die richtigen Geldgeber verfügt (mehr als 5000 Lobbys nehmen Einfluss, wer Kandidat wird), so ist Trumps Erfolg Ausdruck einer weitverbreiteten Stimmung in der Bevölkerung. Übrigens nicht nur in den USA – man muss nur hineinhören wie man hierzulande im privaten Kreis über Politik und Politiker spricht. Die Bürger wollen Abgeordnete, Minister, Regierungschefs, die nicht der sprichwörtlichen Nomenklatura angehören, die nicht um den heißen Brei mit den altbekannten Floskeln herumreden, sondern Klartext sprechen, die die Dinge beim Namen nennen. Man will eine andere Art von Politik, einen Kurswechsel und daher wird das Establishment verabschiedet.

Self-Made-Man statt Polit-Profi

Man muss nicht über den großen Teich sondern nur zum Nachbarn Tschechien schauen. Dort erlebt gerade die erst 1011 gegründete Partei namens ANO einen Höhenflug. An der Spitze steht kein gelernter Politiker sondern ein Unternehmer. Dieser Andrej Babiš ist durchaus vergleichbar mit einem Donald Trump. Die Frage, ob der Erfolg dieser Neuein- und Aufsteiger dauerhaft sein wird, lässt sich heute noch nicht beantworten. Sicher ist und da darf man den Politikwissenschaftlern Glauben schenken, dass die Traditionsparteien ihr ideologisches aufgegeben hatten oder auch aufgeben mussten (mit dem Zusammenbruch des realen Sozialismus wie sich der Kommunismus verschämt nannte, waren auch Karl Marx & Co. zu vergessen) und dafür neue, oft nur kurzfristig lebende politische Bewegungen auftauchen werden.

Wieder lebendig gewordene schweigende Mehrheit

In den 1980-er Jahren hatte man den Begriff der so genannten „schweigenden Mehrheit“ geprägt. Er ist wieder in Vergessenheit geraten. Wenn man sich die Diskrepanz zwischen den Wahlergebnissen und den Meinungsumfragen ansieht, dann lässt sich diese eben nur mit dieser scheinbar schweigenden Mehrheit vergleichen. Und die ist nicht nur existent, sie hat ein mehr als kräftiges Lebenszeichen gegeben. Sie verfolgen durchaus, was so die politische Seitenblicke-Gesellschaft von sich gibt, haben sich aber längst ein Urteil und eine Meinung gebildet, die sich eben nicht mit dem aufoktroyierten Mainstream deckt. Sie sagen den Interviewern nicht die volle Wahrheit, sie drücken ihre Meinung eben mit dem Stimmzettel aus. Und das pickt. Die Gesellschaft an der Ost- ebenso wie an der Westküste ist abgehoben, nicht ident mit dem was man im Landesinneren denkt und sich wünscht. Genau diese Lehre sollte, müsste die etablierte Politik in Europa aus den US-Wahlen ziehen.

 

Helmut Kohl als Bundeskanzler, 1987
(C) Bundesarchiv, B 145 Bild-F074398-0021 / Engelbert Reineke / CC-BY-SA 3.0 via Wikimedia Commons

 

Vorsicht mit Vorurteilen

Die Geschichte lehrt, findet aber keine Schüler lautet ein oft verwendetes Zitat. Trotzdem lohnt es sich in den Geschichtsbüchern nachzublättern. Als Ronald Reagan vor 36 Jahren zum US-Präsidenten gewählt wurde, machte sich die Welt lustig über den abgetakeltén Hollywood-Schauspieler. In seiner Ära brach das System des Kommunismus in sich zusammen – und er war daran wie Papst Johannes Paul II. nicht ganz unbeteiligt. Als 1982 Helmut Kohl deutscher Bundeskanzler wurde – gegen die veröffentlichte Meinung – spöttelte man über den Provinzpolitiker. Er wurde zum Vater der deutschen Einigung. Keine Frage, die Wahlkampftöne Donald Trumps sind nicht gerade eine Empfehlung dafür, dass in einer unruhigen Zeit an der Spitze des wahrscheinlich mächtigsten Staates dieser Welt ein Mann an die Hebeln der Macht kommt, der zunächst als ein Risikofaktor eingeschätzt wird.

 

Reagan an seinem Schreibtisch im Oval Office, 1982
(C) U.S. National Archives and Records Administration, via Wikimedia Commons

 

Der Präsident hat nicht so viel Macht                                                                 

Helene von Damm, die gebürtige Niederösterreicherin, die ab 1965 die rechte Hand Reagans war und schließlich von ihm als Botschafterin zurück in die Heimat geschickt wurde, sagte vor kurzem in einem Interview – und sie muss es wissen: „Der Präsident hat nicht so viel Macht, wie es den Anschein hat.“ Er wird von einem Mitarbeiter- und Beraterstab umgeben wird, in dem auch sehr kenntnisreiche und erfahrene Personen vertreten sind. Und dass nun die EU auch selbst gefordert ist, in Krisenzeiten nicht nur auf die Hilfe der NATO wartet, es nun auch vielleicht zu einem wieder besseren Verhältnis mit Russland kommt, ist sicher nicht der schlechteste Ansatz.

 

 

Donald Trump. Bild: (C) Gage Skidmore

 

 

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