Donnerstag, 3. Oktober 2024
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Der Dauer(alp?)traum: Eine Armee für Europa

Für das fast schon im Koma liegende Projekt Europa bedeutet die Wahl von Donald Trump gleich in dreifacher Hinsicht ein lautes Wecksignal: im Bereich Handelspolitik, im Bereich des politischen Stils und im Bereich Verteidigung und Sicherheit. Sollte auch nur ein Teil der Trumpschen Aussagen aus dem Wahlkampf in die Realität umgesetzt werden, dann wird das Verhältnis zwischen Amerika und EU-Europa komplett anders werden als in den letzten 70 Jahren.

Am klarsten scheint es im Handel zu sein: Da wird es wohl nicht zum TTIP-Abkommen kommen, von dem sich Wirtschaftsexperten zu beiden Seiten des Atlantiks einen positiven Input für Investitionen, Jobs und Rechtssicherheit erhofft haben.

Jetzt wird jede Regierung einseitig das nationale bzw. europäische Interesse gegen Unternehmen der anderen Seite betonen und durchzusetzen versuchen. Jede Seite wird mehr denn je aus Firmen von der anderen Seite des Atlantiks Milliarden herauspressen wollen. Hier heißt es: Europa gegen Apple, Google und Amazon. Dort heißt es: Amerika gegen Deutsche Bank, Voest und VW (der Autokonzern muss für seine Abgasschummeleien in Amerika ein Vielfaches jener Summe zahlen, wie sie im Rest der Welt zusammen fällig werden dürfte!).

Und das sind nur die prominentesten Opfer des drohenden Handelskriegs. Genauso betroffen werden auch unzählige kleinere Investoren und Exporteure ohne Investitionen sein. Man bedenke nur etwa: Die USA sind nach Deutschland der zweitwichtigste Markt für Österreich – noch vor allen anderen Nachbarn. Am meisten betroffen vom Handelskrieg werden Konsumenten und Jobsuchende, Investitionen und Wirtschaftswachstum sein.

Keines der betroffenen Unternehmen wird den Schutz eines neutralen Schiedsgerichts anrufen können, wie ihn TTIP gebracht hätte, sondern es bleibt der zunehmend einseitig und politisch agierenden Judikatur der anderen Seite ausgesetzt.

Die Europäer haben freilich dennoch keinen Grund zu weinen, haben sie doch auch selbst nicht gerade zielstrebig bei den TTIP-Verhandlungen agiert. Und haben doch insbesondere die europäischen NGOs – die ja immer gegen alles sind – und in ihrem Gefolge Rotgrün und dann auch die österreichischen Freiheitlichen (diese wieder im Gefolge der grün mutierten Kronenzeitung) gegen TTIP agitiert. Jetzt hat ihnen Trump den Erfolg beschert – von dem sie alle nichts haben werden.

Sie werden sich in der Zukunft nur wundern können, warum eine Konjunkturflaute nahtlos in die andere übergeht. Aber die Mehrheit und eine populistische Politik vieler Parteien hüben wie drüben hat es ja so gewollt.

So geht man nicht miteinander um

Zweiter Problemkreis: Die gegenseitige Verachtung und Präpotenz. Trump hat im Wahlkampf nur negativ über Europa geredet. Und Juncker, Hollande, Merkel, Schulz wie auch etliche andere Exponenten der EU-Länder haben sogar noch nach der Wahl öffentlich ungehobelt und negativ auf Trump reagiert. Der amerikanische Präsident ist noch nicht geboren, der sich einen solchen Ton von den eigenen Verbündeten gefallen ließe.

Merkel hat sich sogar dazu hinreißen lassen, ein eher widerwillig klingendes Zusammenarbeitsangebot an Trump mit präpotenten „Bedingungen“ zu knüpfen: Amerika müsse Werte wie Demokratie, Freiheit, Recht und Respekt vor Minderheiten achten.

So zu reden ist in den Augen jeden Amerikaners eine provozierende und abgrundtief überflüssige Hybris. Immerhin hatten die USA schon Jahrhunderte vor Deutschland Verfassung und Grundrechte. Immerhin haben nur die USA Siege des (von Deutschland ausgehenden) Nationalsozialismus und des Kommunismus in ganz Europa verhindert.

Ursache dieser Hybris ist schlicht primitiver Medienpopulismus. Merkel hat einfach den Mainstreammedien, die seit langem alle US-Republikaner verachten, nach dem Maul geredet und deshalb auf Trump hingedroschen.

Sicherheit wird für Europa teuer werden

Eine diplomatische „Meisterleistung“, die doppelt dumm wird, schaut man sich das dritte, das schwierigste Themenfeld an: Sicherheit und Verteidigung. Da verlangt Trump ungeschminkt von den Europäern massiv höhere Verteidigungsausgaben, soll es weiter transatlantische Bündnissolidarität geben. Die Europäer haben aber kein Geld dafür, fließt doch fast all ihr Geld in den Konsum des Wohlfahrtssystems. Von diesem Wählerbestechungspopulismus traut sich aber niemand in Europa abzugehen.

Die Amerikaner haben jeden Grund, ein höheres Engagement Europas zu fordern. Haben sie doch nicht nur in beiden – in Europa ausgelösten – Weltkriegen im Interesse Westeuropas mitgekämpft. Haben sie doch vor allem auch in den Nachkriegsjahrzehnten den alten Kontinent vor einem Vorstoß von 40.000 durchaus angriffig aufgestellten osteuropäischen Panzern geschützt.

Gleichzeitig ist heute Westeuropa genauso reich, wie es die Amerikaner sind. Daher sieht das Trump-Lager keinen Grund, weiterhin ungleich verteilte Rüstungslasten zu tragen. Trump erhofft ja in den hohen Rüstungsausgaben der USA auch jenen Topf, aus dem er seine sonstigen Ankündigungen finanzieren könnte.

Tatsache ist, dass die Amerikaner alljährlich einen viel höheren Anteil ihrer nationalen Wirtschaftsleistung für Armee, Navy und Luftwaffe ausgeben als irgendein EU-Staat. In Ziffern beträgt der Anteil des jeweiligen Verteidigungsbudgets am BIP (wobei in manchen Ländern die diesbezüglichen Angaben relativ geheim gehalten werden, daher nicht unbedingt exakt stimmen müssen; aber tendenziell sind die Werte sicher richtig):

In den USA 3,5 Prozent
In Deutschland 1,2 Prozent
In Großbritannien 2,2 Prozent
(ausgerechnet) in Griechenland 2,4 Prozent
In Polen 2,0 Prozent
In Russland 4,6 Prozent
In Österreich 0,7 Prozent

 

 

 

Keinem amerikanischen Bürger ist mehr erklärbar, wieso er auch weiterhin so überproportional viel für die Verteidigung und Sicherheit auch Europas zahlen soll. Das wäre selbst dann nicht mehr erklärbar, würden sich Europas Spitzenpolitiker besser benehmen. Das war auch schon bisher von vielen amerikanischen Regierungen kritisiert worden.

Gleichzeitig ist nicht nur in Trumps Augen eindeutig: Die Bedrohungen durch den expandierenden Islamismus, durch die russischen Eroberungen benachbarter Territorien, durch die türkische Politik sind durchwegs für Europa viel größer als für Amerika. In dem durch zwei Ozeane geschützten Amerika ist der Hang zum Isolationismus immer schon groß gewesen (deshalb wollte sich das Land ja auch in beiden Weltkriegen anfangs aus den europäischen Händeln heraushalten). Unter Trump wird dieser Hang jetzt noch größer.

Die eigene Sicherheit wird daher für Europa deutlich teurer werden – sollte es sich überhaupt noch der dreifachen Bedrohung aus dem Osten und Süden erwehren wollen. Viele sehen ja Europa ohnedies schon auf dem Totenbett.

Wie kann sich Europa alleine verteidigen?

Will aber Europa etwas tun – in den letzten Monaten hat wenigstens die ständige Talfahrt der diversen Verteidigungsbudgets ein Ende erfahren –, dann taucht sofort die nächste Frage auf: Wie? Denn da gibt es nicht nur das Problem, dass Verteidigung jedenfalls teuer ist.

  • Erste Möglichkeit: Die europäischen Nato-Mitglieder erhöhen innerhalb der Nato deutlich ihre Verteidigungsausgaben auf die eigentlich schon seit Jahren vereinbarten zwei Prozent. Das wäre noch die billigste Variante.
  • Zweite Möglichkeit: die Europäer bezahlen die USA direkt für ihre Sicherheits-Dienstleistung. Das wäre vielleicht noch etwas billiger, erinnert allerdings sehr stark an Söldnerheere – von denen man dann nie genau weiß, wie sie (oder die über sie befehlende US-Regierung) im Ernstfall agieren, wenn es wirklich um Blutvergießen geht.
  • Dritte Möglichkeit: In der EU wird eine gemeinsame schlagkräftige Armee aufgebaut. Darüber wird zwar schon lange geredet, aber das ist bisher ebenfalls gescheitert. Nicht nur an den Kosten, weil ja viele teure Doppelstrukturen zur Nato aufgebaut werden müssten; die Briten wollten auch prinzipiell nie eine Konkurrenz zum transatlantischen Bündnis aufbauen; die neutralen EU-Länder sind ein nie geklärtes Hindernis für eine solche Entwicklung; Und vor allem: Wer darf überhaupt den Einsatzbefehl für eine solche Armee geben? Kein Land will das der EU-Kommission überantworten. Frankreich und Großbritannien haben zugunsten der EU nicht einmal auf das autonome nationale (Veto-)Recht als ständiges Sicherheitsratsmitglied verzichtet. Andererseits wäre die Notwendigkeit eines Konsenses aller 28 im Ernstfall eine nie erreichbare Fiktion. Aus all diesen Gründen sind auch die schon seit Jahrzehnten aufgebauten zwischenstaatlichen Bataillone und europaweiten „Battle groups“ nie für irgendeinen Einsatz verwendet worden.
  • Vierte Möglichkeit: Die willigen Europäer bilden außerhalb der EU eine europäische Armee. Dabei tauchen aber fast alle unbeantworteten Fragezeichen wieder auf, die es schon bei der Variante EU gibt. Die meisten EU-Länder würden es auch sicher nicht hinnehmen, wenn die Neutralen dann ohne eigene Beteiligung gratis von der Sicherheit durch eine solche Armee profitieren könnten. In diesem Fall würde daher überdies die Forderung nach substanziellen Tributzahlungen durch Österreich, Schweden, Irland und Finnland auftauchen.
  • Fünfte Möglichkeit: Europa geht freiwillig in eine Allianz mit Russland. Eine solche Allianz könnte zwar die Kräfte gegen die islamistische Expansion bündeln. Sie wäre aber für die Mehrheit der Europäer schlicht untragbar, solange Russland nicht wieder zu Demokratie und Rechtsstaat zurückkehrt und zu einem Kompromiss über die eroberten Gebiete bereit ist (etwa: Volksabstimmung unter EU-Aufsicht?).

Man sieht: Auf Europa kommt gewaltiger Handlungsbedarf zu. Und das ausgerechnet zu einem Zeitpunkt, da Europa als Folge der Griechenland/Euro/EZB(usw.)-Politik wirtschaftlich so geschwächt dasteht wie noch nie seit seiner Gründung. Und da es durch die Völkerwanderung politisch und geistig so gelähmt und uneinig ist wie noch nie.

Andererseits ist genau das der Grund, warum sich Trump so verachtungsvoll von Europa abwendet. Er hat keine Lust, Europa als Märchenprinz wachzuküssen.

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