Freitag, 19. April 2024
Startseite / Allgemein / Was hat der Profiskifahrer Henrik Kristoffersen mit dem EFTA-Gerichtshof im EWR zu tun?

Was hat der Profiskifahrer Henrik Kristoffersen mit dem EFTA-Gerichtshof im EWR zu tun?

Henrik Kristoffersen. Bild © CC Wikimedia/Ola Matsson (Ausschnitt)

 

Beinahe der gesamte Profisport ist durch „International Non-Governmental Organizations“ (INGOs) reglementiert [1], wobei die Rechtsakte von deren Organen nicht selten mit staatlichem Recht bzw. dem Verbandsrecht internationaler regierungsamtlicher Organisationen (IGOs) kollidieren. Exemplarisch soll dies am Beispiel des weltbekannten Slalomläufers Henrik Kristoffersen dokumentiert werden, der diesbezüglich gegen den norwegischen Schiverband (Norges Skiforbund) einen wichtigen Musterprozess vor einem norwegischen Gericht führt. Es geht dabei um die komplexe Fragestellung, ob die Kontrolle individueller Sponsoren- und Marketingverträge durch einen nationalen Sportverband eine Beschränkung der Dienstleistungsfreiheit eines Berufssportlers darstellt oder nicht. In diesem Zusammenhang hat das Osloer Gericht den EFTA-Gerichtshof im EWR um die Erstellung eines Gutachtens gebeten. Dieser Streitfall ist wegen der Zugehörigkeit Norwegens zum Europäischen Wirtschaftsraum (EWR) nach dessen Rechtsordnung und nicht nach dem Unionsrecht in der EU zu entscheiden, wenngleich der EFTA-Gerichtshof im EWR die Judikatur des Gerichtshofs der EU gebührend zu berücksichtigen hat, sodass beide Rechtsordnungen einander sehr angenähert sind.

Einführung

Unter einer „Athletenvereinbarung“ versteht man eine Vereinbarung, die ein Spitzensportler im Verbandssport zu unterzeichnen hat, wenn er an internationalen Wettkämpfen teilnehmen möchte, die in der Regel von einer INGO organisiert sind. Er unterwirft sich damit – zB im Falle eines österreichischen Skirennfahrers – sowohl den Regeln des internationalen Skiverbandes (FIS), als auch denen des nationalen, österreichischen Skiverbandes (ÖSV). Solche Athletenvereinbarungen bringen ganz allgemein sowohl für den Verband, als auch für den einzelnen Profisportler große Vorteile und sind für einen fairen Wettkampf unverzichtbar, sodass sie auch nicht generell hinterfragt werden. Probleme bereiten aber immer wieder einzelne Bestimmungen, wie zB das „Verbot“ der Eigenvermarktung durch Werbe- und Ausrüstungsverträge. Der Athlet gibt dafür, dass der Verband für ihn den gesamten Trainingsbetrieb organisiert und finanziert und ihn auch an den Wettkämpfen teilnehmen lässt, seine Persönlichkeitsrechte an diesen ab, der dann mit einem Hauptsponsor einen Exklusivvertrag abschließt. Da für einen Spitzensportler heute aber die Einkünfte aus individuellen Sponsoren- und Marketingverträgen weit lukrativer sind als Preisgelder uam, entsteht notwendigerweise eine Spannung zwischen privaten Vermarktungsrechten und der diesbezüglichen Monopolstellung des Sportverbandes. Wenngleich diese Monopolstellung durch den Verband nicht in unsachlicher Weise ausgeübt werden darf, orten Profisportler in den Vermarktungsbestimmungen der Athletenvereinbarungen – wie dies zB im Falle der 2015 entstandenen Streitigkeit zwischen der österreichischen Skirennläuferin Anna Fenninger und dem ÖSV der Fall war [2] – des Öfteren eine sachlich nicht korrekte Vorgangsweise des Verbandes.

 

Die aktuelle Situation von Henrik Kristoffersen

Der heute 23-jährige Henrik Kristoffersen aus Lørenskog bei Oslo ist sechsfacher Junioren-Weltmeister, gewann 2015 den Slalom-Weltcup vor Marcel Hirscher und Felix Neureuther und wurde in der Weltcup-Gesamtwertung Zweiter hinter Marcel Hirscher. Insgesamt gewann Kristoffersen 15 Weltcupslaloms. Mit dem Gewinn der Bronze-Medaille bei den Olympischen Spielen in Sotschi 2014 wurde er auch jüngster Olympiamedaillengewinner im alpinen Skisport überhaupt und gewann danach zwei weitere Goldmedaillen bei der Junioren-WM.

Kristoffersen gilt daher als eines der größten Talente in der Alpinski-Szene, sodass das Energy-Drink-Unternehmen Red Bull auf ihn aufmerksam wurde, und ihm ein lukratives Angebot für ein individuelles „Kopf-Sponsoring“ (Helm, Mütze usw) unterbreitete. Des Weiteren hätte die Alpin-Sparte des norwegischen Skiverbandes von Red Bull rund 2,7 Mio. Euro als Zuschuss zu den Trainingskosten erhalten [3]. Obwohl laut Aussage von Kristoffersen der Hauptsponsor, die norwegische Telefongesellschaft Telenor, diesem Deal zugestimmt hatte, legte sich der norwegische Skiverband quer.

Der Konflikt zwischen Henrik Kristoffersen und dem norwegischen Skiverband schwelte schon seit Längerem [4], da aber der Druck seitens des Verbandes kontinuierlich zunahm, sah sich Kristoffersen schließlich genötigt, am 2. August 2016 die Athletenvereinbarung mit dem norwegischen Skiverband zu unterschreiben, obwohl ihm damals nicht nur das Angebot von Red Bull bereits vorlag, sondern er auch darauf verweisen konnte, dass sein Teamkollege Axel Lund Svindal bereits seit Jahren einen „Kopf-Sponsoring-Vertrag“ mit Red Bull habe. Diesbezüglich wies der norwegische Skiverband aber darauf hin, dass Svindal seinen Sponsorenvertrag vor Beginn der Laufzeit des Vertrages zwischen dem Verband und dem Hauptsponsor Telenor [5] abgeschlossen habe, sodass letzterer auf das individuelle „Kopf-Sponsoring“ von Svindal nicht Anwendung finden würde [6].

Beraten durch seinen Trainervater Lars Kristoffersen, dessen Aktivitäten auch immer wieder Anlass zu Streitigkeiten im norwegischen Skiteam gegeben haben [7], ließ sich Henrik Kristoffersen davon aber nicht beeindrucken und klagte den norwegischen Skiverband vor einem Osloer Gericht (Oslo Tingrett). Um seiner Klage entsprechend Nachdruck zu verleihen, verzichtete er demonstrativ auf das Antreten beim nächsten Weltcup-Slalom in Levi [8], womit er sich um wertvolle Weltcuppunkte brachte. Mitte Dezember 2016 lehnte das Gericht den Antrag von Kristoffersen auf den Erlass einer einstweiligen Verfügung zwar ab [9], entschied sich in der Folge aber dazu, beim EFTA-Gerichtshof im EWR ein einschlägiges Gutachten zu diesen komplexen Rechtsfragen einzuholen.

 

Gutachtenverfahren vor dem EFTA-Gerichtshof

Der EFTA-Gerichtshof ist gem. Art. 108 Abs. 2 EWR-Abkommen [10] im Allgemeinen bzw. gem. den Art. 27 ff. des Abkommens zwischen den EFTA-Staaten zur Errichtung einer Überwachungsbehörde und eines Gerichtshofs [11] im Speziellen zuständig sowohl für Klagen wegen Streitigkeiten zwischen zwei oder mehreren EFTA-Staaten im EWR (Art. 32) als auch für die Erstellung von Gutachten über die Auslegung des EWR-Abkommens (Art. 34). Mit Schreiben vom 25. September 2017 beantragte das Bezirksgericht Oslo vom EFTA-Gerichtshof ein Gutachten in der Rechtssache Henrik Kristoffersen gegen Norwegischen Skiverband zu folgenden sechs grundlegenden Fragestellungen, die wegen ihrer grundsätzlichen Bedeutung näher dargestellt werden sollen:

1) Welche rechtlichen Kriterien sind bei der Beurteilung der Frage besonders zu beachten, ob das System der vorherigen Kontrolle und Genehmigung individueller Sponsorenverträge durch einen nationalen Sportverband – vor der Übertragung der mit den Marken verbundenen Rechte durch den Verband – eine Beschränkung der Dienstleistungsfreiheit des Sportlers gem. Art. 36 EWR-Abkommen oder der Richtlinie 2006/123/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 12. Dezember 2006 über Dienstleistungen im Binnenmarkt [12] (Art. 16) darstellt?

2) Stellt die konkrete Ablehnung eines nationalen Sportverbands, individuelle von Sportlern der Nationalmannschaft abgeschlossene Sponsorenverträge dieser Art zu genehmigen – sodass die mit den Marken verbundenen Rechte beim Verband bleiben – eine solche Beschränkung dar und welche Auswirkungen wird dies auf die Beurteilung haben, dass der nationale Sportverband bereits einen gültigen Vertrag mit dem Hauptsponsor der Nationalmannschaft in Bezug auf die Logo-Darstellung der Marke auf den Helmen abgeschlossen hat?

3) Sollte dabei eine Beschränkung vorliegen, können dann die gemeinsamen Regelungen des nationalen Sportverbandes (Genehmigungsregelung) für die potentielle Markennutzung durch die Sportler im Rahmen eines individuellen Vertrags eine Genehmigungsregelung iSv Art. 4 Abs. 6 der Dienstleistungs-Richtlinie darstellen?

4) Hat das nationale Gericht bei der Beurteilung der Rechtmäßigkeit der Regelung – nach Art. 36 EWR-Abkommen oder nach den Artikeln 9, 10 bzw. 16 der Dienstleistungs-Richtlinie – die Bestimmungen der Regelung und die Ablehnung gesondert oder zusammen mit folgenden Aspekten zu berücksichtigen:

a) Gründe des Verbandes für die Beibehaltung der Marketingrechte, einschließlich der Finanzierung der Nationalmannschaften oder einer anderweitigen Verwendung der Einnahmen;

b) die allgemeinen Möglichkeiten des Sportlers, finanzielle Tätigkeiten auszuüben, einschließlich der mit Sponsoren- und Marketingverträgen verbundenen Rechte;

c) Klärung der Frage, ob die Genehmigungsregelung oder die Verweigerung der Zustimmung gerechtfertigt und verhältnismäßig ist?

5) Wie wirkt sich die Tatsache, dass der Verband die individuellen Markenverträge frei bemessen kann, auf die Prüfung der Rechtmäßigkeit aus?

6) Wie sehen die verfahrenstechnischen Vorschriften für die Verhandlungen und Beschlüsse im Rahmen der Genehmigungsregelung durch einen nationalen Sportverband für individuelle Sponsoring- und Marketingverträge sowie die Folgen der Nichteinhaltung derselben aus? [13]

 

Fazit

Wie eingangs bereits festgestellt, ist der gegenständliche Streitfall nicht im unionsrechtlichen Kontext des Binnenmarkts der EU zu lösen, sondern hat aus der Sonderrechtsordnung des EWR [14] seine Beantwortung zu erfahren. Dementsprechend hat das damit befasste Osloer Bezirksgericht Ende November 2017 auch nicht das Gericht (EuG) in der EU, sondern den EFTA-Gerichtshof im EWR mit einem einschlägigen Gutachtenersuchen befasst. Wenngleich der EFTA-Gerichtshof – gem. Art. 6 EWR-Abkommen bzw. Art. 3 Abs. 2 des vorerwähnten Abkommens zwischen den EFTA-Staaten zur Errichtung einer Überwachungsbehörde und eines Gerichtshofs – seine Judikatur so weit als möglich an der des Gerichtshofs der EU auszurichten hat [15], kann die Lösung der gegenständliche Frage der (Un)Zulässigkeit einer solchen Beschränkung einer Grundfreiheit des Profisportlers Kristoffersen durch seinen nationalen Skiverband mit all seinen juristischen Konsequenzen nicht eindeutig antizipiert werden. Dem Gutachten kann daher mit Interesse entgegengesehen werden.


[1] Vgl. allgemein Hummer, W. Internationale nichtstaatliche Organisationen im Zeitalter der Globalisierung – Abgrenzung, Handlungsbefugnisse, Rechtsnatur, in: Dicke/Hummer/Girsberger/Boele-Woelki/Engel/Frowein (Hrsg.), Völkerrecht und Internationales Privatrecht in einem sich globalisierenden internationalen System – Aus­wirkungen der Entstaatlichung transnationaler Rechtsbeziehungen, Berichte der Deutschen Gesellschaft für Völkerrecht, Bd. 39 (2000), S. 45 ff.

[2] Vgl. dazu Toth, C. Eskalation beim ÖSV – erst der Anfang?, LAOLA1.at, vom 18. Juni 2015; https://www.laola1.at/de/red/archiv/redaktion/kommentare/toth/oesv-fenninger-athlete… (abgefragt am 26. Dezember 2017).

[3] Norwegens Jungstar verzichtet auf Levi, sport.ORF.at, vom 7. November 2016; //sport.orf.at/stories/2262925/2262924/ (abgefragt am 26. Dezember 2017); Sponsoren-Streit: Kristoffersen verzichtet auf Levi, ovb-online, vom 8. November 2016; //www.ovb-online.de/sport/sponsoren-streit-kristoffersen-verzichtet-levi-694633… (abgefragt am 26. Dezember 2017).

[4] Parallel dazu remonstrierten auch die Läufer Petter Northug und Johnsrud Sundby sowie auch die Läuferin Therese Johaug aus ähnlichen Gründen gegen die Entscheidungen des norwegischen Skiverbandes; vgl. Jungstar Kristoffersen stellt sich gegen das System, NZZ vom 11. November 2016.

[5] Im Gegensatz zu den meisten anderen nationalen Skiverbänden hat der norwegische Skiverband seinem Hauptsponsor Telenor auch die Werbeflächen auf Helmen, Stirnbändern und Kappen der Athleten verkauft; vgl. Jungstar Kristoffersen stellt sich gegen das System (Fn. 4), loc. cit.

[6] Vgl. Dreis, A. „Zu viel Lärm“ um Kristoffersen, Frankfurter Allgemeine, vom 8. November 2016.

[7] Vgl. Teller, T. Launischer Kronprinz, News 4/2018, S. 115.

[8] Sponsoren Streit: Darum startet Henrik Kristoffersen nicht, Augsburger Allgemeine, vom 11. November 2016.

[9] Vgl. Henrik Kristoffersen kämpft um Red Bull als Helmsponsor, SN.at, vom 21. Dezember 2016; https://www.an.at/sport/wintersport/henrik-kristoffersen-kaempft-um-red-bull-als-hel… (abgefragt am 26. Dezember 2017).

[10] ABl. 1994, L 1, S. 3 ff.

[11] ABl. 1994, L 344, S. 5.

[12 ]ABl. 2006, L 376, S. 36 ff.

[13] Rechtssache E-8/17; ABl. 2018, C 27, S. 22 ff.

[14] Vgl. allgemein Hummer, W. Sonderbeziehung EG-EFTA, in: Dauses, M. (Hrsg.), Handbuch des EG-Wirtschaftsrechts, Kap. K. III. (1993), Loseblattsammlung, S. 1 ff.

[15] Vgl. Epiney, A. – Metz, B. – Pirker, B. Zur Parallelität der Rechtsentwicklung in der EU und in der Schweiz – ein Beitrag zur rechtlichen Tragweite der „Bilateralen Abkommen“ (2012), S. 79 f.

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert

Das könnte Sie auch interessieren

KURIER / Jack Unterweger: Neue Details über den mutmaßlichen Serienmörder

Jack Unterweger zu Prozessbeginn am 20.04.1994 in Graz, Bild © APA/Georges Schneider / „Erbarmungslos: Jack …