Donnerstag, 28. März 2024
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TTIP: Schlecht für Umwelt und Gemeinwohl?

„Ganz viele Menschen denken, TTIP reguliere, dass Neutralleiter-Kabel bei uns standartmäßig blau sind und in den USA weiß.“ Damit fasst Dr. Katharina Reuter kurz und einfach zusammen, wie wenig in Deutschland bekannt ist, was hinter TTIP steckt. Reuter ist Geschäftsführerin des UnternehmensGrün e.V. – Bundesverband der grünen Wirtschaft. Der Verein mit Sitz in Berlin ist ein ökologisch orientierter Unternehmensverband. Seit 1992 engagieren sich hier Unternehmen, die Verantwortung für Wirtschaft, Umwelt und Gesellschaft verbinden. Ende April lud UnternehmensGrün gemeinsam mit der Gemeinwohlökonomie Berlin zur neuen Gesprächsreihe „Berliner Unternehmensgespräche – Umwelt. Ethik. Gemeinwohl.“ in das Berliner taz Café ein. Den Anfang machte „TTIP – und der Protest von Unternehmen“.

Im Mittelpunkt stand die Frage: Inwiefern gefährdet das geplante Transatlantische Handelsabkommen TTIP eine ethische Unternehmensführung, die Umwelt und das Gemeinwohl? Neben Dr. Katharina Reuter erklärten die Wirtschaftsakteure Guido Körber, (Unternehmer aus Brandenburg, Initiative „Kleine und Mittlere Unternehmen (KMU) gegen TTIP“) und Dr. Hans-Jürgen Völz vom Bundesverband der Mittelständischen Wirtschaft (BVMW), warum sie sich gegen TTIP engagieren.
Hans-Jürgen Völz stellte zuerst die Ergebnisse der Studie „Wie zufrieden ist der Mittelstand mit der aktuellen Freihandelspolitik?“ vor. Das Forschungsinstitut Prognos hatte im Auftrag des BVMW und der Schöpflin Stiftung 800 kleine und mittelständische BVMW-Unternehmen zu TTIP befragt.

Außenwirtschaftliche Orientierung der befragten Unternehmen

Im Vergleich zur Gesamtstruktur der KMU in Deutschland haben überdurchschnittlich viele größere Mittelständler sowie Unternehmen aus der Industrie teilgenommen. Fast die Hälfte dieser Unternehmen exportiert einen Teil seiner Waren und Dienstleistungen. Im Verarbeitenden Gewerbe sind es sogar 80 Prozent. Das belegt die außenwirtschaftliche Orientierung der Teilnehmer. Dabei ist nach wie vor Europa der mit Abstand wichtigste Absatzmarkt, gefolgt von Osteuropa, Asien und Australien. Erst danach folgen Nordamerika sowie Mittel- und Südamerika. Afrika als Absatzmarkt hat für Unternehmen im Export hingegen nur wenig bis keine Bedeutung. Zudem hat ein Sechstel der Befragten Auslandsinvestitionen getätigt, auch hier liegt der Schwerpunkt in Europa.

Deutliche Zunahme des Wettbewerbs erwartet

Insgesamt erwarten laut dieser Studie 62 Prozent der befragten Firmen „eher negative“ oder „sehr negative“ Auswirkungen durch das geplante Abkommen. Nur 22 Prozent sehen positive Effekte. Aktuell anstehende Freihandelsabkommen wie TTIP oder CETA sehen die befragten Unternehmen eher mit Risiken als mit Vorteilen verbunden. Dass sich durch die genannten Freihandelsabkommen neue Absatzmärkte erschließen oder Investitionssicherheit ergibt, erwarten nur wenige der Teilnehmer. Lediglich acht Prozent von ihnen antworteten auf die Frage, ob die Erschließung neuer ausländischer Absatzmärkte vereinfacht würde, mit „trifft zu“, elf Prozent sagten „trifft eher zu“. Dem gegenüber stehen 52 Prozent, die mit „trifft nicht zu“ antworteten und 14 Prozent „trifft eher nicht zu“.
Stattdessen gehen sie von einer deutlichen Zunahme des Wettbewerbs aus. Probleme, dem härteren Wettbewerb standzuhalten, sehen 59 Prozent der befragten Unternehmen (38 Prozent „trifft zu“, 21 Prozent „trifft eher zu“).

Mehr Datenschutz gewünscht

Folglich wünschen sich die Befragten mehr Schutz vor allem in den Bereichen Daten und geistiges Eigentum sowie vor Wirtschaftsspionage. Dazu gehören im Einzelnen auch der Schutz regionaler Marken und Produktbezeichnungen, Wettbewerbsvorschriften zur Begrenzung von Marktmacht und spezielle Vorschriften zum Schutz kleiner und mittelständischer Unternehmen.
Im Bereich der Exportförderung zeigen die befragten Unternehmen vor allem Interesse am Zugang zu Informationen über die Anforderungen in den Auslandsmärkten. Von einem Großteil der Befragten als unwichtig oder eher unwichtig eingestuft wurden die Aspekte „Zugang zu Krediten für die Exportbeförderung“, „Zugang zu Wagniskapital“ sowie „Zugang zu Exportversicherungen und Exportbürgschaften“.
Vereinfachte Visa-Bestimmungen wünschen sich vor allem die exportorientierten Unternehmen. Das gilt für kurzfristige wie längerfristige Arbeitsaufenthalte gleichermaßen.

Deutscher Mittelstand erwartet kaum Vorteile

Sollte es zu einem Abschluss eines TTIP-Abkommens zwischen der EU und den USA kommen, erwarten die Teilnehmer kaum Vorteile und mehrheitlich sogar negative Auswirkungen auf die deutsche Gesamtwirtschaft und den Mittelstand. Profitieren würden bislang vor allem große Unternehmen.
Auch von einer Abschaffung oder Reduzierung der Zölle würden aus Sicht der Befragten nur wenige Unternehmen profitieren. Eine Gefährdung der Stellung des eigenen Unternehmens auf dem deutschen und/oder europäischen Markt wird in diesem Zusammenhang dagegen mehrheitlich nicht erwartet.
Lediglich elf Prozent der Umfrageteilnehmer stimmen zu, dass das eigene Unternehmen von einer Angleichung von Standards und Normen für die Märkte der EU und der USA profitiert (23 Prozent stimmten mit „trifft eher zu“). Demgegenüber stimmen 34 Prozent nicht zu (19 Prozent stimmten „eher nicht“ zu). Eine Festlegung, Standards und Normen sollten multilateral – und nicht bilateral in einem Abkommen mit den USA – festgelegt werden, befürworten 66 Prozent (44 Prozent „stimme zu“, 22 Prozent „stimme eher zu“).

Chance oder Bedrohung für die Globalisierung?

Auf die Frage, ob das eigene Unternehmen von der Etablierung gemeinsamer sozialer und ökologischer Standards profitiert, antworteten 62 Prozent, dass sie davon nicht ausgehen. Lediglich 20 Prozent der Befragten sehen hierin einen Vorteil.
Durchwachsen sind die Meinungen hinsichtlich der Frage, ob TTIP Chance oder Bedrohung für die Globalisierung ist. Während sich 53 Prozent dagegen und 32 Prozent dafür aussprechen, TTIP sei ein wichtiger Schritt auf dem Weg zur Globalisierung der Wirtschaft, ist die prozentuale Verteilung der Bewertung, ob TTIP die Globalisierung gefährdet, weil es die Bildung neuer Wirtschaftsblöcke bewirkt, wie folgt: „stimme zu“ 23 Prozent, „stimme eher zu“ 18 Prozent, „stimme eher nicht zu“ 18 Prozent, „stimme nicht zu“ 19 Prozent, „weiß nicht/keine Angaben“ 22 Prozent.

Skepsis gegenüber Investor-Staats-Schiedsgerichten

Skeptisch sind die befragten Unternehmen gegenüber Investor-Staats-Schiedsgerichten. Über 60 Prozent sehen darin kein wichtiges Instrument, um Schadenersatzansprüche auf ausländischen Märkten durchzusetzen, ein Drittel befürchtet sogar eine Bevorzugung ausländischer Unternehmen. Deshalb fordert eine große Mehrheit den diskriminierungsfreien Zugang zu Gerichten im jeweils anderen Land.

Insgesamt beklagen viele Teilnehmer das als unzureichend empfundene Informationsangebot. Vor allem von der nationalen Politik und den Wirtschaftsverbänden wünschen sie sich mehr Aufklärung zu TTIP. Doch auch Europäische Institutionen, die Medien, Wirtschaft, Verbraucherzentralen und Nichtregierungsorganisationen sind hier gefragt.
(Die Ergebnisse der Studie im Detail: //www.bvmw.de)

Zwei Beispiele aus der Praxis

Industrieelektronik
Guido Körber, der seit Jahren geschäftlich in den USA unterwegs ist, berichtet aus seinem unternehmerischen Alltag. Sein Unternehmen beliefert den Markt seit 1998 mit Industrieelektronik. Seines Erachtens nach trägt TTIP, zumindest in der Harmonisierung der Standards (europäische Normen sind mit den internationalen ISO-Standards harmonisiert) gar nicht zu einer Erleichterung des Handels mit amerikanischen Unternehmen bei, denn: auf Ebene der Bundesstaaten bis hin zum County hat die US-Regierung keinen Durchgriff auf die Zertifizierungsstellen und technische Spezifikationen. Somit sind TTIP und CETA keine Perspektive für den KMU.
Körber befürchtet sogar, und hier speziell mit Blick auf die Elektronikindustrie, dass TTIP zu einem einseitigen Handelsvorteil für amerikanische Unternehmen führt. „Darüber hinaus ist es sehr wahrscheinlich, dass mit TTIP die in Europa gültigen Umwelt- und Sicherheitsstandards sinken“, heißt es in einem Hintergrundpapier, dass Körber gemeinsam mit der Unternehmerin Martina Römmelt-Fella verfasst hat. Beide bewerten, dass sich die „Systeme zur Marktzulassung und Produktzertifizierung in Europa und den USA grundlegend unterscheiden.“

Einseitiger Handelsvorteil für amerikanische Unternehmen

Für Befürworter von TTIP sei die regulatorische Kooperation das zentrale Argument. Körber führt als ein Beispiel an, dass Autos in den USA rote Blinker haben, in der EU blinkt es gelb. „Derartige Unterschiede in den Produktanforderungen sind für Hersteller mit kleinen Produktmargen ein gravierendes Problem, wenn sie auf dem jeweils anderen Markt Fuß fassen wollen“, sagt Körber und weiter: „Aber als Argument für TTIP taugt dieses Beispiel nicht.“ Aus dem Hintergrundpapier geht hervor: „Für derartige Vereinheitlichungen braucht es kein komplexes völkerrechtliches Abkommen wie TTIP. Es genügen Branchenvereinbarungen. Dass solche Vereinbarungen möglich sind, zeigen einheitliche Standards etwa für Bioprodukte in USA und EU.“
Weitere Probleme sieht Körber im Haftungsrisiko: „Kommt es zum Schaden, drohen in den USA sehr hohe Schadenersatzforderungen. Ob im Falle einer gegenseitigen Anerkennung der
Konformitätsbewertungen im Zuge von TTIP auch amerikanische Gerichte und
Versicherungen das europäische CE-Kennzeichen und ISO-Zertifikate anerkennen, ist unbekannt. Für europäische Unternehmen bedeutet das ein großes Risiko.“

Agrar- und Ernährungswirtschaft
Mit einem anderen Sektor beschäftigt sich die UnternehmensGrün-Studie „TTIP: Risiken für kleine und mittlere Betriebe in der Agrar- und Ernährungswirtschaft“, die von Dr. Katharina Reuter vorgestellt wurde. Zentrales Ergebnis der Studie: Eine Intensivierung des europäisch-amerikanischen Handels im Agrar- und Lebensmittelsektors führt zu einem erhöhten Höfesterben in Europa, zudem würden Umwelt- und Verbraucherstandards abgesenkt.
„Europäische Agrar-Unternehmen sind durch einen größeren Anteil bäuerlicher Familienbetriebe und kleinere Betriebsgrößen strukturell anders aufgestellt als die amerikanischen Betriebe und damit nach strengen marktwirtschaftlichen Gesichtspunkten unterlegen“, sagt Reuter.

Absenkung der Umwelt- und Verbraucherstandards befürchtet

Die Studie belegt auch, dass Landwirte und Lebensmittelverarbeiter kaum in die USA exportieren. Die Mehrheit der Unternehmen in Europa habe von einem Freihandelsabkommen mit den USA darum vor allem zusätzliche Konkurrenz zu erwarten. Reuter: „In einer Situation, in der ohnehin viele Landwirte ihre Betriebe schließen müssen, ist das völlig unverantwortlich.“ Dass etwa Getreide in den USA so billig sei wie nirgends sonst, liege zu einem erheblichen Teil auch an den dortigen Standards zum Einsatz von Gentechnik und den hohen Grenzwerten für Pestizide. „Wie die EU insbesondere die mittelständische Landwirtschaft und Verarbeitungsbetriebe in der Ernährungsbranche vor dieser Konkurrenz langfristig schützen will, ist unklar“, warnte Reuter und regt an, dass die Agrar- und Lebensmittelbranchen aus dem geplanten Freihandelskommen ausgeklammert werden sollten.

 

Nachtrag

Die Wirtschaftsinitiative „KMU gegen TTIP“ fordert in ihrem öffentlichen Schreiben vom 20. Mai 2016 eine klare Absage von Wirtschaftsminister Sigmar Gabriel (SPD) und der Bundesregierung zu dem Vorschlag, Investitionsschutz á la TTIP auch in der EU zu verankern. Dass in der EU an diesem Vorschlag gearbeitet wird, habe das geleakte „Non-Paper“ gezeigt (hier geht es zum geleakten Papier „The AFFGN non‐paper“: //www.s2bnetwork.org/wp-content/uploads/2016/05/Intra-EU-Bits2-18-05.pdf)

Mittelstand sieht sich getäuscht

In dem Schreiben heißt es: „Wir fühlen uns getäuscht! Denn bisher hat Gabriel private Schiedsgerichte öffentlich kritisiert. Und nun sehen wir das Gegenteil – er geht auf Werbetour für ihren Erhalt und plant sogar die Ausweitung“, sagt Martina Römmelt-Fella. (…) Und weiter: „Es ist völlig unverständlich, dass die Bundesregierung in TTIP, CETA und nun auch innerhalb der EU auf Sonderrechte für ausländische Investoren drängt.“
In dem (…) „Non-Paper“ wird dafür geworben, dass alle EU-Mitgliedsstaaten untereinander ein neues Schutzabkommen abschließen. So sollen Investoren auch in innereuropäischen Streitfällen auf private Schiedsrichter zurückgreifen können, die auf der Liste des „Permanent Court of Arbitration“ in Den Haag stehen (Die Zeit, 18.5.2016). Zur Begründung wird angegeben, dieser Investitionsschutz werde gebraucht, weil Investoren innerhalb der EU durch die Sonderklagerechte in TTIP und CETA sonst rechtlich schlechter gestellt würden als Investoren aus Nordamerika. Das konterkariert die aktuelle europäische Argumentationslinie und die Vermittlungsversuche der EU-Kommission. Diese fordert zwar in internationalen Abkommen Schiedsgerichte, will ihnen aber bei Konflikten innerhalb der EU die Zuständigkeit entziehen.

Sonderrecht nur für wenige Unternehmen

„Private Schiedsgerichte sind mittelstandsfeindlich und benachteiligen kleine und mittlere inländische Unternehmen. Gabriel scheint nur die Interessen einiger weniger Großunternehmen und Konzerne zu vertreten. Denn ein Investitionsschutzabkommen in der geplanten Form bedeuten letztlich: Renditeschutz für Konzerne, das unternehmerische Risiko wird der Gesellschaft aufgebürdet und Staaten werden durch mögliche Klagedrohungen in Milliardenhöhe erpressbar. Für mich als Unternehmer ist es nicht nachvollziehbar, warum wenige Unternehmen dieses Sonderrecht gegenüber allen anderen erhalten sollen – egal ob innerhalb der EU oder im Rahmen von CETA und TTIP“, betont der Unternehmer Gottfried Härle.“
Weitere Informationen: www.kmu-gegen-ttip.de
 

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