Freitag, 29. März 2024
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Sebastian Kurz und seine Türkisen: Wenn der Jäger zum Gejagten wird

Bild © Dragan Tatic / Rat Brüssel / Bundesministerium für Europa, Integration und Äußeres via flickr(Ausschnitt), CC BY 2.0

Vor zwei Jahren galt Sebastian Kurz als der große Herausforderer. Heute – zwei Monate nach der Aufkündigung der türkis-blauen Koalition – wird er herausgefordert.

Die Machtübernahme der alten durch die neue Volkspartei wurde lange vorbereitet. Begonnen hatte diese im Spätherbst 2016. Die ÖVP war, nachdem die SPÖ Werner Faymann gegen Christian Kern ausgetauscht hatte, in den Umfragen auf den dritten Platz zurückgefallen. Kern und FPÖ-Chef Heinz-Christian Strache lieferten sich das das Duell um den ersten Platz. Die Truppe rund um Kurz, damals noch Außenminister, begann den Obmann der Jungen ÖVP als neuen Hoffnungsträger aufzubauen. Umfragen wurden lanciert, aus denen hervorging, dass Kurz die Partei aus dem „Tal der Tränen“ in lichte Höhen führen könnte. Das führte im Mai 2017 auch zum innerparteilichen Putsch. Die Parteigranden der Bünde und Länder beugten sich dem Diktat von Kurz, weil sie darin die letzte Chance und das auf Jahre hinaus sahen, dass die ÖVP wieder den Bundeskanzler stellen könnte. Und tatsächlich, die neue Volkspartei kam auf die Überholspur.

Das türkis-blaue Kunststück

Kurz wurde zum Polit-Star in der Medienwelt. Vor allem in der Boulevardpresse. Dazu kam, dass ihm auch die internationale Politik, als jüngstem Regierungschef, Aufmerksamkeit schenkte. Und er hatte das getan, was schon seit Jahrzehnten, auf der Hand lag, nämlich eine Koalition mit der FPÖ zu bilden. Seit Beginn der Zweiten Republik, also seit 1945 gibt es in Österreich, mit Ausnahme der Zeit der Kreisky’schen Alleinregierung (von 1971 bis 1983) eine Mehrheit so genannter bürgerlicher Stimmen. Und dennoch gab es von 1983 bis 2017 nur für sechs Jahre (damals bildete Wolfgang Schüssel eine Koalition mit dem so genannten dritten Lager) einen ÖVP-Bundeskanzler. Der türkis-blauen Koalition gelang – im Vergleich zu anderen Staaten, siehe nur Emmanulle Macron in Frankreich – ein besonderes Kunststück. Selbst nach eineinhalb Jahren Amtszeit stand die Regierung noch immer hoch im Kurs bei den Wählern.

Die Koalition hätte bis 2022 durchhalten können

Mit einigermaßen Geschick hätte man – nicht zuletzt angesichts der personellen und inhaltlichen Schwäche vor allem bei der SPÖ – die Stimmung bis zum regulären nächsten Wahltermin im Jahre 2022 durchtragen können. Wäre da nicht im Mai 2019 der Skandal mit dem Ibiza-Video hochgekommen. Und genau damals am 25. Mai passierte Kurz und seinem engsten Beraterkreis ein Fehler. Während der Kanzler noch in den Morgenstunden des Samstag gewillt war, die Regierung – eben ohne Strache, der die persönlichen Konsequenzen gezogen hatte – fortzuführen, waren es vor allem die Bundesländer, die plötzlich auf den Bruch der Koalition drängten. Bereits an diesem Tag funktionierte die Kommunikation aus dem innerersten Kreis an die Öffentlichkeit nicht wirklich. Auch in den Medien wurden kritische Kommentare merkbar.

Erfahrung lässt sich durch jugendlichen Elan nicht ersetzen

Wie sehr dem jungen Kurz in den nächsten Tagen, bis zur Bildung einer Übergangsregierung, die dann vom Parlament gestürzt wurde, die Erfahrung fehlte, zeigte die Kommunikation mit den anderen Parteien. Keine Frage, für SPÖ, NEOS, die Liste Pilz und letztlich auch die vor den Kopf gestoßene FPÖ war es geradezu ein Vergnügen, dem etwas abgehoben agierenden Noch-Kanzler eines auszuwischen. Trotzdem hatte schon damals das Argument, dass Kurz die einzelnen Parteiführer nicht stärker in die Beratungen einbezog, wie man gemeinsam diese Krise bewältigen könnte, einiges für sich. Und dieses Verhalten gipfelte dann im Verzicht, sich bis zur Neuwahl das Dasein eines einfachen Abgeordneten zu ersparen. Ein Verhalten, das schon auch die Frage nach dem Parlamentsverständnis stellt.

Der Gewöhnungseffekt mit der Bierlein-Regierung

Noch aber honorierten die Wähler, wie die Umfragen zeigen, das forsche Vorgehen von Kurz & Co. Die ÖVP schnellte von 31,5 auf 38 Prozent in den Umfragen und hielt die SPÖ mit 15, die FPÖ mit 20 Prozent auf Distanz. Allerdings zeigte sich plötzlich ein neues Phänomen. Binnen weniger Tage schnellte die Interimskanzlerin Brigitte Bierlein nicht nur beim Bekanntheitsgrad sondern auch bei den Popularitätswerten empor. Trotz nichtssagender öffentlicher Auftritte Bierleins macht sich plötzlich in der Öffentlichkeit das Gefühl breit, dass man auch mit einer Beamtenregierung ganz gut leben kann. Ein Gefühl, das zwar realitätsfremd ist, weil Verwalten, also bloß das Bestehende zu erhalten, und Regieren, soll heißen neue Vorhaben anzugehen und Probleme zu lösen, zwei verschiedene Paar Schuhe sind. Aber selbst diesen Unterschied der breiten Bevölkerung zu erklären, ist gar nicht so einfach. Vor allem aber, dieses Zufriedenheitsgefühl mit dem Status quo, macht es nicht leichter, für die Fortsetzung des Weges der Veränderung zu werben.

Nicht mehr Primus sondern Pares inter Pares

Dass Sebastian Kurz nicht mehr der alleinige Herausforderer ist, sondern von den politischen Konkurrenten selbst herausgefordert wird, zeigt die Medienberichterstattung. Er ist gewissermaßen zu einem „Pares inter pares“ geworden. Das merkt man zum Beispiel einmal mehr im ORF, der da plötzlich auf Distanz geht. Als Kurz vor kurzem die deutsche Kanzlerin Angela Merkel und auch die eben zur EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen in Berlin besuchte, war dies in der Hauptabend-Zeit-im-Bild nicht einmal eines Wortes oder Bildes Wert. Aber auch in den Printmedien hat die Volkspartei nicht mehr jene Themenführerschaft, wie man sie noch vor wenigen Monaten gewohnt war. Themen, wie etwa der Vorschlag auf Einführung einer Pflegeversicherung, geraten sofort in das Sperrfeuer öffentlicher Kritik.

Die ÖVP als Zielscheibe Nummer 1

Nicht zuletzt hat es die ÖVP eigentlich nicht verstanden, aus dem Dunstkreis des Ibiza-Videos auszubrechen. Schon seit Wochen quält sie sich mit dem Problem der Parteispenden herum. Wenngleich davon gleichermaßen auch SPÖ und FPÖ betroffen sind, bei den NEOS völlig übersehen wird, dass sich Hans Peter Haselsteiner schon seit LIF-Zeiten eine eigene so genannte liberale Partei hält, muss es sich die ÖVP gefallen lassen, Zielscheibe Nummer 1 zu sein. Hier hat man es verabsäumt, von allem Anfang an mit offenen Karten zu spielen und sich nicht den Vorwurf der Kriminalisierung gefallen zu lassen. Quer durch Europa (und erst recht die USA) gehört es zur Tradition, dass die Einnahmen aus den Parteispenden zusammen mit den Mitgliedsbeiträgen und öffentlichen Zuschüssen die Grundlage der Parteienfinanzierung bilden.

Die schwierige Suche nach einem Koalitionspartner

Die Zeiten, da in der Ferienzeit auch die Politik Urlaub macht, sind schon lange vorbei. Gerade die angeblich politikarme Zeit birgt die Gefahr in sich, dass plötzlich Themen auftauchen, mit denen man nicht gerechnet hat, auf die man nicht vorbereitet ist, die aber eine Eigendynamik entwickeln. Entscheidend wird es daher werden, wie Kurz & Co. aus dem Sommer herauskommen. Und da wird sich einmal mehr die Frage stellen, wer mit wem kann. Die Fortsetzung des bisherigen türkis-blauen Kurses wird mit der SPÖ nicht möglich sein, wenn auch plötzlich von dieser Seite Annäherungsversuche an die ÖVP gestartet werden. Die Grünen sind zwar in den Umfragen im Aufwind, haben aber auch schon Kurz ihre Abneigung kundgetan und eine klare Präferenz für ein Linksbündnis. Die NEOS kommen aufgrund der Datenlage in den Umfragen als Mehrheitsbeschaffer nicht wirklich in Frage. Bleibt die FPÖ – nur stellt sich da die Frage, des richtigen Umgangs miteinander. Dem möglichen neuen Koalitionspartner schon heute vorzuschreiben, wer Minister sein darf oder wer nicht, gehört sicher nicht dazu und

ist das Gegenteil von kluger Politik.

6 Kommentare

  1. Der ORF ist nicht als ausgewogen und unparteiisch, bzw. nicht-ideologisch berichtendes Medum zu verstehen. Beim ORF regieren die linken und extrem linken Kräfte weit überproportional. So musste auch ein eher konservativ agierender Kurz früher oder später in Ungnade fallen. Was man beim ORF bemerkt, ist, dass vor allem den derzeit nicht mal im Parlament vorhandenen Grünen eine extrem breite und ausführliche Plattform geboten wird. Auch die Neos hoffiert man gerne, so wie natürlich PJRW und ihrem roten Gefolge.
    Die FPÖ bekommt nur die allernötigste Sendezeit und wird auch dabei immer wieder eher skandalisiert, statt ihnen die Chance zu geben ihr Programm zu präsentieren.

  2. Die Regierung, die mutwillig geopfert wurde, hat im letzten Jahr mehr auf die Beine gestellt, als die politischen Bruchpiloten der Jahre zuvor. Sie haben Österreich aus der Agonie des Stillstands und des Streits, sie haben Österreich aus dem Schlafwagen- Europas herausgeholt und in einen Schnellzug gesetzt. Jeder weiß, es war ein Kraftakt, die alten Systemparteien zu überwinden, die koalitionären Machtkartelle in allen Bereichen unseres Lebens zurückzudrängen. Familienbonus, Deutschförderklassen, strengere Asylgesetze, Erhöhung der Mindest- Pensionen, keine neuen Schulden nach Jahren der Schuldenpolitik, Sozialversicherungsreform sind nur einigen Maßnahmen, die Türkis/Blau umgesetzt haben. Das hat natürlich die „alten Machteliten“ aus den Bundesländern auf den Plan gerufen, um den Neustart für ein besseres Österreich und die restriktive Fremdenpolitik von Herbert Kickl zunichte zu machen. Das heißt im Klartext, der „österreichische Frühling“ ist vorbei. Die türkise Marionette Sebastian Kurz regiert auf Zuruf der „Alten“. Kurz hat der Republik Österreich erheblichen Schaden zugefügt. Es lebe „SCHWARZ“. Kurz verweigert die Arbeit im Parlament. Die einzigen Garanten für Reformen sind daher die FPÖ. 

  3. es ist eine Tatsache,daß der nicht direkt gewählte ORF zuviel Macht und Einfluß in der Meinungsbildung hat.Das muß beendet werden.Auch erfüllt sich der Tatbestand der Fehlinformation regelmäßig.

  4. Gott sei Dank gibt es ja noch die Krone, vulgo Benko-Express, die dem Kurz nicht nur die Stange hält, sondern vor allem auf die FPÖ und ganz besonders auf Kickl hindrischt. Sogar in den Leserbriefen wird anscheinen so getrickst, dass immer der Kickl-kritischste Brief an letzter Stelle steht.

    Wovon Strache und Gudenus nur fantasiert haben, das hat Benko dann realisiert und zack zack auch schon Redakteure getauscht. Wie man sehen kann, hat sich der Einstieg von René Benko zumindest für Kurz gelohnt.

  5. Die Idee, politische Gegner mittels versierter Profis und hochprofessioneller Spionagetechniken überwachen bzw. in Fallen laufen zu lassen, muss irgendjemandem schon weit vor IbizaGate gekommen sein. Nachdem der Erstkontakt mit Gudenus Anfang 2017 erfolgte, muss die Idee dazu (mit Vorlaufzeit … Entschluss sowas prinzipiell zu machen, Überlegung wer kann sowas, über wen und welches Thema kommt man (über Umwege (Gudenus)) an die Zielperson (Strache) ran, etc.) einige Monate vorher entstanden sein.

    Einige Monate vorher war Frühjahr/Sommer 2016.

    Damals (Mai 2016) hat Kern Faymann abgelöst. Die SPÖ hat in den Umfragen zugelegt, allerdings nicht auf Kosten der FPÖ, sondern auf Kosten der ÖVP. Kern sprach von Zukunftsvergessenheit und Machtbesessenheit, von einem „New Deal“, etc. Kern war der „Christi“-Fantasti damals.

    Wer war damals hochnervös?

    Kern nicht, Strache nicht, Mitterlehner (der auf Zusammenarbeit setzte und den Weg Kerns mittragen wollte (Regierungserklärung Anfang 2017) auch nicht …

    Nervös zu dieser Zeit war der, von der ÖVP-NÖ aufgebaute (Wiener) Messias, Sebastian Kurz. Ohne Wissen des Parteiobmannes/Parteivorstandes der ÖVP wurden aus seinem Umfeld bereits Pläne geschmiedet (sind bekannt). Sein Umfeld und auch er gingen damals fix davon aus, dass es im Herbst 2016 oder spätestens im Frühjahr 2017 Neuwahlen (ausgerufen von Kern) geben wird. Kurz und sein ÖVP-NÖ-Umfeld gingen davon aus, dass bei diesen von der SPÖ provozierten Neuwahlen eben Sebastian Kurz als Spitzenkandidat antreten wird (der ÖVP-OÖ-Mann Mitterlehner war denen schon länger ein Dorn im Auge).

    Es musste alles getan werden, dass der junge Kurz nicht wie eine Sternschnuppe verglüht. Es sollte eine möglichst lang andauernde „Ära“ Kurz erschaffen werden …

    Die damalige Nervosität von Kuz geht auch aus dem Mitterlehner-Buch hervor. Bei einem ÖVP-Parteivorstand am 4. September 2016 sprach Kurz (laut Mitterlehner) das erste Mal davon, dass ER bei der (aus seiner Sicht bevorstehenden und von Kern ausgerufenen) Neuwahl als Spitzenkandidat antreten wird (zur Überraschung der anwesenden ÖVP-Granden und des amtierenden Parteichefs Mitterlehner).

    Laut Mitterlehner (Zitat:) „Dann sagte er noch: Wenn ich das (die Wahlen) aber machen soll, dann muss ich ja was tun.“ Er meinte auch, dass er bereits von Silberstein ausspioniert und fotografiert würde (noch bevor Silberstein von der SPÖ beauftragt wurde). Mitterlehner weiter: „Das war das erste Mal, dass offen darüber gesprochen wurde, wie es um die Nachfolge in der Partei stand – oder stehen könnte. Die Stimmung war indigniert, alle waren peinlich berührt, weil es zu diesem Thema ja nie einen formalen oder inhaltlichen Beschluss der Partei gegeben hatte. …“.

    Zu dem Zeitpunkt, wo in irgendjemand die Idee zur Informationssammlung über politische Gegner entstanden sein dürfte, war einzig und alleine Sebastian Kurz nervös. Sein engster Vertrauter, (der ÖVP-NÖ-Mann) Sobotka hatte damals auch das BMI (inkl. BVT) inne. Später war es auch Sobotka, der den Weg zur Demontage Mitterlehners und zur Intronisation von Kurz geebnet hat. …

    Die betreffende Seite/Absatz im Mitterlehnerbuch beginnt mit den Worten „Beim ÖVP-Parteivorstand am 4. September …“

    PS: Habt Ihr Euch schon angesehen, wer wann was in Wikipedia bei den Einträgen von Julian Hessenthaler, Katia Wagner, Daniel Kapp, dem RA BierFassHai (oder so ähnlich) geändert hat?

    • Übrigens ist es nicht zwingend so, dass Kurz die Mitteilungen des Gernot Blümel vom 27.2.2018 völlig neu gewesen sein müssen. Blümel dürfte (das hört man auch betreffend seine sonstige „Gestricktheit“) eine Art „Gudenus“ für Kurz sein. Der muss einfach Alles dem „Chef“ sagen …

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