Der Frauenmörder Jack Unterweger wird im Knast zum Schriftsteller und kommt auf Druck der Gesellschaft frei. Doch die Realität ist: Er mordet weiter. Die Podcast-Serie „JACK. Gier frisst Schönheiten“ zeigt, wie Unterweger es geschafft hat, alle zu täuschen.
Meine Damen und Herren Geschworenen, wir sind jetzt für die nächsten zwei Monate zusammen, und ich möchte kein steriler Schauspieler sein. Ich möchte es mit Ihnen so haben wie im Kaffeehaus. Falls Sie Fragen haben, stellen Sie sie bitte, und ich werde Ihnen auf alles, wirklich alles, Antwort geben. Sehen Sie, ich habe den großen Vorteil, dass ich nichts zu verbergen habe, da ich nicht der Mörder bin. Wenn Sie mich bei einer Lüge erwischen, dann verurteilen Sie mich.“,
Jack Unterweger zum Prozessauftakt 1994
Nach seiner zweiten Verhaftung stellt sich Jack Unterweger beim Prozessauftakt wieder als Unschuldiger dar und versucht, die Geschworenen zu blenden. Doch es gelingt ihm nicht. Schließlich entscheidet die Gruppe: Jack Unterweger ist in neun Fällen des Mordes schuldig. Etwa zwanzig Jahre vorher mordete der charismatische Österreicher zum ersten Mal.
Der erste Mord und die erste Verhaftung
In einer Nacht im Dezember 1974 ist Jack Unterweger mit einer Freundin in Hessen unterwegs, sie brauchen Geld und sind auf dem Weg zu den Eltern der jungen Frau. Gegen 23 Uhr begegnen sie zufällig einer Freundin von Unterwegers Begleiterin: Margret Schäfer. Sie steigt ins Auto ein. Nach kurzer Fahrt hält Unterweger an, fesselt die 18-Jährige mit dem Gürtel ihres Wintermantels. Dann gehen sie in ihre Wohnung, nehmen Bargeld und Kleidung mit und fahren gegen Mitternacht weiter Richtung Herborn. Unterweger biegt in einen Waldweg ab.
Eine Viertelstunde später kommt er allein zurück und setzt sich wortlos in den Wagen. Auf der Fahrt nach Frankfurt wirft seine Freundin die Stahlrute, an der die Haare von Margret Schäfer kleben, aus dem Fenster. Die Geschworenen urteilen am 1. Juni 1976: Mord. Lebenslang. Inhaftiert wurde Jack Unterweger in der Justizanstalt Stein in Österreich.
Jack Unterweger wird zum Literaten
Österreich ist in den 1980er-Jahren auf der Suche nach neuen Wegen, Straftäter zu rehabilitieren. Bald hat man ein Paradebeispiel: Jack Unterweger. In Haft fängt der Mörder an zu schreiben: Gedichte, Theaterstücke und den autobiographischen Roman „Fegefeuer“. Der Roman sollte ihn berühmt machen. Richtig berühmt. Seine Gedichte berühren die Menschen.
Gedicht „Im Abseits“ (aus dem Gedichtband „Tobendes Ich“, 1982)
Ich lebe im Abseits.
Mein Name ist registrierte Nummer.
Meine Taten wurden zum Fall.
Mein Bild klebt im Akt, dreifach.
Und wenn die Vergangenheit mich überfallt, wüte ich gegen mein Bewusstsein.
Langsam verschwindet alles im Nebel, in dem die Freiheit stirbt.
Unscheinbar überzieht es die Gegenwart.
Ich vernichte das Damals, solange ich mein Hirn noch bewältigen kann.
Elfriede Jelinek: „Eine unglaubliche Geschichte.“
Unterweger gelingt es, sich aus der Haft herauszuschreiben. Verantwortliche und Intellektuelle, Gefängnisleiter und Künstler*innen setzen sich für Jack Unterwegers Freilassung ein. Nach 15 Jahren, am 23. Mai 1990, kommt er frei. Literaturnobelpreisträgerin Elfriede Jelinek befindet 1991: „Die Klarheit, mit der Jack Unterweger die Ursachen für seine Kindheit mit großer literarischer Qualität beschrieben hat, hat großen Eindruck auf mich gemacht.“ In den kommenden Jahren entwickelt sie aber Zweifel. Heute sagt sie: „Eine unglaubliche Geschichte. Es kann einfach nicht derselbe Mensch sein, der ‚Fegefeuer‘ und die Sachen danach geschrieben hat.“
Ernest Bornemann, Sexualforscher und Psychoanalytiker, schätzt Unterweger in den 1980er-Jahren in Haft ein:
„Ich kenne ihn nicht persönlich, aber ich habe seinen autobiographischen Roman „Fegefeuer“ gelesen […] Der Mann hat Intelligenz und würde sich in Freiheit zweifellos von seinen schriftstellerischen Arbeiten ernähren können […] Ich kann die Tat als beruflicher Sexualwissenschaftler besser würdigen als so mancher Psychiater. Und eben deshalb bin ich überzeugt, dass diese Tat nicht wiederholt werden wird […] Ich unterstütze deshalb sein Gesuch, vorzeitig aus der Haft entlassen zu werden.“
Der österreichische Verleger Gert Schmidt erläutert Unterwegers medienaffine Taktik:
„Er hat gezielt in jeder Redaktion ein oder zwei Kontaktleute gehabt, richtig strategisch. Vom ORF angefangen, „Kronen Zeitung“, alles was an Medien kreucht und fleucht, hat er irgendwo eine Dame als Kontaktperson gehabt, und die hat für ihn gekämpft bis zum Umfallen.“
Jack Unterweger als Reporter im Rotlicht-Milieu
Wien in den 1990er-Jahren. Der Kiez ist in Aufruhr: Die Frauen im Rotlichtbezirk fürchten um ihr Leben, Sexarbeiterinnen verschwinden, vom Täter keine Spur. Der Österreichische Rundfunk schickt Jack Unterweger in den Wiener Bezirk. Er ist prominent in dieser Zeit, steht als Schriftsteller und Reporter im Rampenlicht – und er ist ein verurteilter Frauenmörder. Im Knast berühmt geworden, beliebt in der Literaturszene, geliebt von den Frauen. Die Gesellschaft feiert den Bad Boy der österreichischen Literatur. Die Ermittler tappen im Dunkeln. Das Morden geht weiter. Elf Frauen sterben.
Sex and Crime
Selbst als verurteilter Mörder genießt Unterweger die Liebe und Zuneigung der Frauen. Wie ist das möglich? 1991 interviewt Unterweger für seine Reportagen über die Prostituierten-Morde den Leiter des Wiener Sicherheitsbüros, Hofrat Max Edelbacher. Später sagt Edelbacher über Unterweger:
„Gerade bei intellektuelleren, sensibleren, verletzlichen Frauen ist immer wieder hervorgekommen, wie einfühlsam, wie verständnisvoll er sich dargestellt hat, und das haben die Frauen sehr angenehm empfunden. Es sind vier Frauen damals in Wien schon Opfer geworden … das Perverse war eben, dass er mit der Polizei zu spielen begonnen hat. Das haben wir dann erst viel später erfahren.“
Frauen, Freundinnen, Liebschaften
Jack Unterweger hatte viele Freundinnen, viele Liebschaften, war ein Frauenschwarm und Casanova. Margit Haas war eine enge Freundin von Jack Unterweger. Sie hat ihn nach seiner Freilassung 1990 kennengelernt: „Vom Äußeren war er nicht mein Typ, also dazu war er mir zu klein. Und da sage ich: ja, aber man sagt doch, dass spätestens nach fünf Jahren durchgehender Haft die Sexualität Irrwege geht. Welchen Irrweg ging Ihre Sexualität? Und da sagt er: In der Einsamkeit der Haft habe ich mir selbst genügt.“
Jack Unterweger hatte viele Geliebte. Mit Bianca Mrak war er nach seiner Freilassung verlobt. Sie flüchtete 1991 mit ihm nach Miami. Die damals 18-Jährige hatte keine Vorbehalte:
„Man registriert’s, man weiß, es war grausam, man weiß, es ist viel passiert, was nicht hätte passieren dürfen, aber ich konnte damit nix verbinden. Mich hat’s emotional nicht berührt, das ist ein Teil seiner Vergangenheit, er hat seine Strafe abgesessen, er hat mir immer glaubhaft versichert, es tut ihm leid, es ist einmalig, und er ist froh, dass er wieder draußen ist und er würde das nie wieder aufs Spiel setzen.“
Unterweger war unter Verdacht geraten und in die USA geflohen. Dort wurde er schließlich festgenommen, um an Österreich überstellt zu werden. Nach der erneuten Verurteilung starb er 1994 in der Justizanstalt durch Selbstmord.
Die Opfer von Jack Unterweger
- Margret Schäfer, mit 18 Jahren ermordet am 11. Dezember 1974. Dillenburg.
- Blanka Bockova, mit 30 Jahren ermordet am 15. September 1990. Prag/CSSR.
- Brunhilde Masser, mit 39 Jahren ermordet am 26. Oktober 1990. Graz.
- Heide Hammerer, mit 31 Jahren ermordet am 5. Dezember 1990. Bregenz.
- Elfriede Schrempf, mit 35 Jahren ermordet am 7. März 1991. Graz.
- Silvia Zagler, mit 24 Jahren ermordet am 8. April 1991. Wien.
- Sabine Moitzi, mit 25 Jahren ermordet am 16. April 1991. Wien.
- Regina Prem, mit 33 Jahren ermordet am 28. April 1991. Wien.
- Karin Eroglu-Sladky, mit 25 Jahren ermordet am 7. Mai 1991. Wien.
- Shannon Exley, mit 21 Jahren ermordet am 19. Juni 1991. Los Angeles/USA.
- Irene Rodriquez, mit 33 Jahren ermordet am 29. Juni 1991. Los Angeles/USA.
- Sherri Ann Long, mit 27 Jahren ermordet am 6. Juli 1991. Los Angeles/USA.
Für die Morde an Regina Prem und Elfriede Schrempf wurde Unterweger nicht verurteilt.
Der NDR Podcast „JACK. Gier frisst Schönheiten.“
Malte Herwig ist Autor und Gastgeber des Podcasts „Faking Hitler“ und hat für das Magazin der „Süddeutschen Zeitung“, „Spiegel“ und „Stern Crime“ viele prominente Künstler*innen und Kriminelle interviewt. Über manche von ihnen schrieb er Biografien: „Françoise Gilot. Die Frau, die Nein sagt“ (Diogenes, 2021), „Der große Kalanag“ (Penguin, 2021) und „Meister der Dämmerung: Peter Handke“ (Pantheon, 2020).
„Ich habe Serienmörder, Kriegsverbrecher und Psychopathen interviewt. Aber einer wie Jack Unterweger ist mir noch nie untergekommen. Mich interessiert die Psychologie des Bösen, die Anziehungskraft, die Jack Unterweger als Bad Boy der österreichischen Literaturszene auf die Menschen ausgeübt hat. Wie hat er das angestellt? Warum sind alle auf ihn reingefallen?“
Also ist Malte Herwig zu Unterwegers Anfängen zurückgekehrt: In das einsame Kärntner Tal, in dem er in den 1950er-Jahren aufgewachsen ist, und in die Welt der Strafanstalt von Stein, in der Unterweger zum Schriftsteller wurde.
Herwig geht es nicht darum, den Frauenmörder Jack Unterweger ins Rampenlicht zu stellen. Ihm ist wichtig, dass wir den Frauen zuhören, deren Leben Unterweger gekreuzt hat. Frauen, die ihn geliebt und unterstützt haben.
Der Podcast ist eine Gratwanderung. Malte Herwig hat mit zahlreichen Zeitzeug*innen gesprochen, die sich zum ersten Mal öffentlich äußern, und ist bei seinen Recherchen auf alte Tonbandaufnahmen gestoßen. Auf diese Weise kommen wir Jack Unterweger so nahe wie nie zuvor.
Arno Frisch, österreichischer Schauspieler, war zuletzt in „Babylon Berlin“ zu sehen, bekannt wurde er mit „Funny Games“. Im Podcast liest er Unterwegers Gedichte, Romanauszüge, Tagebucheinträge, Briefe. „Das ist eine spezielle Geschichte. Man sieht ihn als Menschen, der sich eine zweite Identität zugelegt hat, für die Welt da draußen.“
Maja Schöne, Schauspielerin am Hamburger Thalia Theater, spielt in Filmen, Hörspielen, Features. Im Podcast spricht sie die weiblichen Rollen. „Unterweger hat etwas in den Frauen angesprochen, er hat sie begeistert und betört, hat etwas in ihnen zum Klingen gebracht. Sie wussten, der ist ein Mörder. Aber sie glaubten irgendwie doch, dass er sich bessern könnte. Vielleicht durch sie?“
Den Podcast „JACK. Gier frisst Schönheiten.“ hören Sie ab 7. April in der ARD Audiothek.
Quelle:
Jack Unterweger: Ein Frauenmörder, der schrieb, um zu töten, ndr.de, 06.04.2022