Das ist überraschend und erfreulich zugleich: Obwohl die Zuwanderung in jüngster Zeit wieder zugenommen hat, ist der frühere Dauerbrenner Migration just im Superwahljahr 2013 – zumindest bis zur Stunde – bloß ein Randthema. Selbstverständlich wird an vielen Stammtischen immer noch über das „Ausländer-gsindel“ munter drauf los gepoltert, und die Ablehnung gegen alle, die über die Grenze nach Österreich kommen und eine andere Sprache sprechen, ist in breiten Bevölkerungsschichten keineswegs verschwunden.
[[image1]]Die emotionalen Wogen gehen allerdings nicht mehr so hoch wie gewohnt. Die aktuellen Fakten: Laut einer jüngst präsentierten OECD-Studie sind 2011 58.000 Menschen mit ausländischem Pass in die rot-weiß-rote Republik eingewandert – um 27 Prozent mehr als im Jahr davor. Im Europa-Vergleich liegt Österreich damit nach Irland und Deutschland an dritter Stelle. Im vergangenen Jahr wurden gemäß Statistik Austria rund 51.211 Neuankömmlinge registriert, die großteils aus Deutschland, Ungarn und Rumänien stammen. Ihnen ist zu verdanken, dass trotz Abgang von 7.500 österreichischen Staatsbürgern der so genannte Wanderungssaldo deutlich positiv ausfiel.
Die OECD-Untersuchung hat erstmals den Nachweis geliefert, dass das Land vom Zustrom ausländischer Arbeitskräfte unter dem Strich profitiert: Jeder Zuwanderer liefert jährlich netto 2.400 Euro mehr an die Staatskassen ab als er in Form von Sozialleistungen oder aus dem Gesundheitssystem erhält. Wenn man also die – übrigens steigenden – Steuer- und Abgabenleistungen mit den staatlichen Transferleistungen gegenrechnet, handelt es sich um Nettozahler. Obendrein ist die Beschäftigtenquote unter den Zuwanderern in den vergangenen fünf Jahren um 1,5 Prozent angestiegen. Österreich hätte laut Meinung der OECD bei besserer Integration von qualifizierten Migranten sogar noch ein zusätzliches Wachstumspotenzial – die Nettoeinnahmen des Staates könnten um bis zu einer halben Milliarde Euro zunehmen.
Eines steht jedenfalls fest: Die heimische Bevölkerung wächst tendenziell lediglich dank der Zuwanderer. Mit Stichtag 1. Jänner 2013 lebte, wiederum laut Statistik Austria, immerhin eine Million Ausländer in Österreich, was bei 8,5 Millionen Einwohnern einem Anteil von 11,9 Prozent entspricht. Die allermeisten sind in Wien sesshaft (Anteil: 23 Prozent), die drei westlichen Bundesländer liegen in etwa im Bundesschnitt, das Burgenland ist mit 6,4 Prozent Ausländeranteil Schlusslicht – hinter Kärnten, Steiermark und Niederösterreich.
Politik der kleinen Schritte
Beim Dauerproblem Integration sind zweifellos Teilerfolge zu registrieren: Der engagierte Staatssekretär Sebastian Kurz, der neue, 15köpfige Expertenrat im Innenministerium, aber auch die schon 2009 gestartete Initiative „Wirtschaft für Integration“ sowie ein engagiert gemachtes Webportal für Journalisten namens Medien-Servicestelle Neue ÖsterreicherInnen – all das sorgt offenbar dafür, dass ein frischer Wind weht. Die brisante Materie Zuwanderung ist merklich versachlicht worden, die Berichterstattung in den Medien profunder und weniger tendenziös, obendrein sorgen diverse Sponsoren dafür, dass diese Thematik stets am Köcheln ist – jährlicher Integrations-bericht, Integrationstag, Integrationspreis usw. Kurzum: Dem dereinst recht neurotisierenden Wahlkampfthema Migration, das teilweise mit grenz-idiotischen Argumenten abgehandelt wurde, wird neuerdings eine beinahe unaufgeregte Betrachtungsweise zuteil.
Trotzdem bleibt noch immens viel zu tun: In Österreich haben etwas mehr als 1,5 Millionen BürgerInnen einen so genannten Migrations-hintergrund. Das Gros davon, rund 1,1 Millionen, zählt zur „Ersten Generation“, die ins Land gekommen ist – das sind jene, die noch im Ausland geboren wurden. 400.000 Menschen bilden die „zweite Generation“, mit Geburtsort in Österreich. Viele – bei weitem nicht alle – müssen nach wie vor, insbesondere wenn sie wie TürkInnen und Ex-JugoslawInnen großteils als ArbeiterInnen tätig sind, mit etlichen altbekannten Klischées leben, die es ihnen nicht gerade einfach machen: Die „Ausländer“, heißt es gerne, werden häufig diskriminiert, kriegen lediglich miese Jobs, verdienen weniger als Österreicher, leben in schlechteren Wohnverhältnissen, sind stärker armutsgefährdet – und das alles, weil sie, speziell bei fehlenden oder mangelhaften Deutschkentnnissen, schwer integrierbar sind.
Genau deshalb gibt es jedoch den im Jänner 2010 vom Ministerrat beschlossenen Nationalen Aktionsplan für Integration, ein umfassendes Regelwerk voller Leitlinien, Zieldefinitionen und geplanten Maßnahmen, die sich über 374 Seiten erstrecken. Er wird schrittweise und relativ langsam in die Praxis umgesetzt, wobei es allerdings den Anschein hat, als würden Bund, Länder, Städte, Gemeinden und Sozialpartner erstmals an einem Strang ziehen wollen – noch dazu in die selbe Richtung. Die Crux dabei ist lediglich, dass die geplanten Initiativen, zum Beispiel Deutschkurse, neue Planstellen an Schulen usw., ziemlich viel Geld kosten, die Ministerien jedoch auf der Ausgabenbremse stehen müssen.
Die Besten sollen kommen
Das heißt: Rasche Wunder sind nicht zu erwarten, denn an dem mit der Integration zusammen hängenden Problem-Katalog ändert sich nicht täglich etwas Entscheidendes. Und Fakt ist, dass Menschen mit Migrationshintergrund grosso modo, selbst wenn ihr Bildungsprofil bisweilen das Gegenteil erwarten ließe, deutlich geringere berufliche Chancen als Inländer haben. Obwohl sie rund 20 Prozent der Gesamtbevölkerung stellen, bekleiden etwa nur rund 45.000 Personen in Betrieben eine Führungsposition – macht bloß neun Prozent der insgesamt 500.000 zur Verfügung stehenden leitenden Positionen.
Freilich: Für Topmanager mit ausländischem Pass und so genannte „Schlüsselkräfte“ ist es erstaunlich einfach, bei bekannten Unternehmen reihenweise Spitzenpositionen zu besetzen. Auch das Sportbusiness – bestes Beispiel Fußball – wäre ohne Multikulti-Stars weitaus farbloser – in der bereits angelaufenen Saison kicken rund 60 Legionäre in der Bundesliga mit. Ähnliches gilt für die heimische Kulturszene, an deren Schalthebeln zahlreiche Ausländer sitzen. Gottlob haben die allermeisten Österreicher gegen ausländische Topmanager, Fußballer oder Krankenschwestern nichts einzuwenden – dafür mögen sie die, die sie für Sozialschmarotzer, Taschelzieher oder Drogendealer halten, so überhaupt nicht.
Die Politik möchte, wie es Innenministerin Johanna Mikl-Leitner formuliert hat, „die weltweit besten Köpfe nach Österreich holen“. Das ist zwar mit Sicherheit ein tolles Vorhaben, aber bislang gab es diesbezüglich keine überwältigenden Erfolge: Per „Rot-Weiß-Rot-Card“ sind vorerst zu wenige top-qualifizierte Ausländer aus Nicht-EU-Staaten angeheuert worden, beispielsweise „Schlüsselkräfte“, Wissenschafter, Forscher oder Spitzen-Fachkräfte in Mangelberufen. Jene, die aus Kanada, den USA, der Russischen Föderation und Serbien kamen, waren am ehesten Profisportler, etwa Eishockey-cracks, Kicker oder Basketballer.
Es bleibt, speziell für die nächste Bundesregierung, noch enorm viel zu tun, und es werden auch beträchtliche finanzielle Ressourcen erforderlich sein, um diese Initiative voranzutreiben. Eine Politik der kleinen Schritte muss sich letzten Endes als der richtige Weg erweisen. Die kleine Sensation, die schon jetzt zu orten ist, besteht darin, dass überhaupt etwas weiter geht und die sture Ausländer-feindlichkeit leicht abzunehmen scheint. Sofern Österreich so etwas wie einen Paradigmenwechsel schafft, wäre das nicht zuletzt dem jungen Staatssekretär Kurz zuzuschreiben, der seine Bestellung und seine Gage mehr als gerechtfertigt hat. Bleibt nur inständig zu hoffen, dass etwa der Ober-Opportunist HC Strache („Österreich zuerst“) und die Seinen nicht bald wieder wie gewohnt Öl ins Feuer gießen, sondern weiterhin die Klappe halten …
IN- und AUSländer: Fakten, Fakten, Fakten
Wussten Sie eigentlich schon, …
- … dass es in Österreich 1,5 Millionen Menschen mit ausländischen Wurzeln gibt – und jedes Jahr werden es mehr: 2012 wurden 51.211 Neuankömmlinge verzeichnet, rund 32.000 davon kamen aus EU-Staaten, jeweils um 8.800 aus den übrigen europäischen Ländern sowie aus Asien.
- … dass die Zuwanderung zuletzt wieder zunahm: Im Vorjahr kamen gleich 40 Prozent mehr Menschen ins Land als 2011.
- … dass die deutschen Immigranten mit rund 225.000 Personen die stärkste Community im Alpenland sind – vor Serben, Türken, Bosniern, Rumänen und Kroaten.
- … dass in Österreich 816.000 Migrantinnen leben – macht fast 20 Prozent der weiblichen Gesamtbevölkerung; 480.000 sind ausländische Staatsbürgerinnen, mehr als 700.000 wurden im Ausland geboren. Die wichtigsten Herkunftsländer der Frauen sind – in dieser Reihenfolge – Deutschland, Serbien/Montenegro/Kosovo, Türkei und Bosnien/Herzegowina. In jüngster Zeit kamen die meisten Zuwanderinnen aus Deutschland und Rumänien.
- … dass die Ungarn in jüngster Zeit einer alten Tradition folgend – nach der Revolution 1956 sind 180.000 Magyaren nach Österreich geflüchtet – neuerdings die zahlenmäßig stärkste Zuwanderer-Gruppe sind: Allein im Jahr 2012 kamen 13.000 ins Land.
- … dass sich alljährlich zigtausende Ausländer wieder aus Österreich verabschieden: Im Vorjahr verließen etwa 11.500 Deutsche, 8.000 Rumänen, 6.500 Ungarn und 5.000 Serben das Land.
- … dass die Antipathie gegenüber MigrantInnen in Österreich stärker ausgeprägt als in allen anderen europäischen Staaten, wobei Italiener, Finnen und Holländer gleich hinter Rot-Weiß-Rot rangieren – das ist das Ergebnis der im Herbst 2011 durchgeführten „Europäischen Wertestudie“.
- … dass Wien das mit Abstand beliebteste rot-weiß-rote Ziel von Zuwanderern ist: Im Vorjahr entfielen auf die Bundeshauptstadt rund 44 Prozent der Netto-Zuwanderer aus anderen Staaten.
- … dass der Auslanderanteil in Wien – zur Zeit 23 Prozent – beinahe doppelt so hoch ist wie im österreichischen Durchschnitt.
- … dass in Österreich etwa 68.000 Personen mit Migrations-hindergrund einer selbstständigen Arbeit nachgehen – also jeder Neunte. 28.000 üben im Alleingang ein Gewerbe aus, 20.400 haben zumindest einen Mitarbeiter, mehr als 12.000 sind FreiberuflerInnen, der Rest neue Selbstständige.
- …. dass rund 13 Prozent aller unternehmerisch tätigen MigrantInnen aus der EU, dem EWR und der Schweiz kommen, mehr als sechs Prozent aus der Türkei und etwa vier Prozent aus Ex-Jugoslawien.
- … dass jeder dritte privatwirtschaftliche Betrieb laut Umfrage des Instituts für Bildungsforschung der Wirtschaft Mitarbeiter mit Migrationshintergrund hat.
- … dass neun Prozent der etwa 500.000 Führungskräfte in Österreich einen Migrationshintergrund haben und weniger als drei Prozent der privatwirtschaftlichen Unternehmen solche Leute in leitenden Positionen beschäftigen.
- … dass rund 81.000 Ausländer an Österreichs Unis und Fachhochschulen studieren – ihr Anteil bei ordentlichen Studierenden beträgt 23 Prozent – die meisten kommen aus Deutschland, gefolgt von Italien und der Türkei.
- … dass die Zahl der Einbürgerungen seit 2002 deutlich gesunken ist – damals wurden 36.382 Menschen eingebürgert, im Vorjahr haben nur noch 7.107 Personen die Staatsbürgerschaft erhalten.
- … dass Österreich bei Asylanträgen laut Bericht von UNHCR (United Nations High Commissioner for Refugees) auf Platz neun rangiert – 2012 wurden 17.400 Ansuchen eingebracht, 21 Prozent mehr als im Jahr zuvor.
- … dass in Österreich rund 500.000 orthodoxe ChristInnen leben – die serbische Community ist mit schätzungsweise 265.000 Gläubigen Nummer eins, gefolgt von Russen, Bulgaren und Rumänen.