Samstag, 5. Oktober 2024
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Das europäische Paradox der Sparsamkeit

Dank günstiger internationaler Finanzierungsbedingungen scheinen die südlichen Wahlwerber die EU-Wahlen weitgehend mit dem Ende der Austerität gewinnen zu wollen.

[[image1]]Auch wenn Vorwahlzeiten es gerne an sich haben, dass Sparpläne ungern besprochen werden: Kaum sind die Wahlen vorbei, werden sich die südlichen Eurozonenländer mit Europa einigen müssen, wie sie ihre Budgetpolitik weiterhin zu gestalten planen. Nach vier Jahren mit teilweise hochempfindlichen Sparmaßnahmen lässt die EU-Wahlpropaganda der südlichen Regierungsparteien ebenso wie die ihrer Konkurrenten jedoch weitgehend vermuten, dass gerade eine kleine Zeitenwende heraufdämmert. Denn anstatt die Ausgaben weiterhin streng zu limitieren, wollen anscheinend viele endlich wieder einmal spürbare Konjunkturmaßnahmen ergreifen und vielleicht gar auf steigende Staatsausgaben umschwenken. Denn wenn neuerdings sogar Griechenland von den internationalen Finanzmärkten günstig finanziert werde, dann erst Recht die größeren Südländer, und dann müsse man sich vom Norden ja wohl keine Vorschriften mehr machen lassen.

Externe Wachstumsimpulse bleiben Mangelware

Klar ist jedenfalls, dass sich die Probleme nicht von selbst erledigen werden. So schrammt die europäische Konjunktur nach wie vor an der Nulllinie dahin, während im 1. Quartal allein Deutschland mit 0,8 Prozent eine halbwegs erträgliche Wachstumsrate gebracht hatte. Fast alle anderen Länder stagnieren jedoch weiterhin und werden wohl kaum in der Lage sein, die europäische Peripherie aus dem Sumpf zu ziehen. Ebenso wenig die die restliche Welt, da für einen Euro – obwohl sich der Dollar gerade leicht erholt hat – seit letztem November durchgängig mehr als 1,35 Dollar zu bekommen sind, was den europäischen Exporteuren noch immer schwer geschadet hat. Allerdings sind die europäischen Problemstaaten erst einen minimalen Schritt vom budgetären Abgrund zurückgewichen und jedes Abrücken von der Austerität könnte die Finanzmärkte nervös machen und die Krise über Nacht zurückholen.

Ökonomik bleibt Ratlos

Sparen oder Ausgeben, das ist also die Frage, und es wäre nett, wenn die Ökonomik als zuständige Wissenschaft zur Lösung dieser Frage beitragen könnte – und fast hatte es bis letzten Sommer auch so ausgesehen. Denn da hatten die ausgesprochen renommierten Makroökonomen Carmen Reinhardt und Kenneth Rogoff lange Zeitreihen an Daten analysiert und klipp und klar eines festgestellt: Übersteigt der Schuldenstand eines Landes ein bestimmtes Niveau – nämlich 90 Prozent des BIP – dann würden neuen Schulden negative Folgen haben. Weil inzwischen die Eurozone insgesamt über diesen Marke liegt und abgesehen von Malta, Slowenien und Kroatien alle südlichen Länder samt Frankreich und Großbritannien diese Schwelle überschreiten, während alle nördlichen Staaten darunter liegen, würde eine verpflichtende Einführung dieser Regel wohl sofort die Scheidung von Süd- und Nordeuropa bewirken. Folglich wurde sie auch nirgends laut ausgesprochen, dafür aber mit einigem Druck durchgesetzt.

Reinhart/Rogoff gegen Paul Krugman

Letzten Sommer hatten Forscher von der Universität Massachusetts die Ergebnisse von Reinhard/Rogoff nochmals durchgerechnet und waren zu deutlich abweichenden Ergebnissen gelangt, was sie auf deren Schlampigkeit, schlechte Datenwartung und Computerfehler zurückführten. So wären Volkswirtschaften mit einer Schuldenquote von mehr als 90 Prozent anstatt um 0,1 Prozent zu schrumpfen, im Schnitt um 2,2 Prozent gewachsen, also nur einen Prozentpunkt weniger als Länder mit einem Schuldenstand zwischen 60 und 90 Prozent. Das hatte vor allem bei Nobelpreisträger Paul Krugman für Begeisterung gesorgt, der Reinhart/Rogoff von Anfang an kritisiert hatte, weil es bedeuten würde, dass auch die USA ihre Schulden vernünftigerweise unter dieses Niveau würden drücken müssen. Das passte Krugman jedoch keinesfalls, da er entsprechend der Einsichten des Zwischenkriegsökonomen John Maynard Keynes der Ansicht war, der Staat müsse die krisenbedingt entfallenden Einkommen unbedingt durch Staatsausgaben kompensieren. Hingegen kritisierten Reinhart/Rogoff das hohes Staatsdefizit und noch mehr den hohen Schuldenstand, worauf die US-Regierung auf diesen Widerspruch mit einem Kompromiss reagiert. So musste sich Präsident Obama von Reinhart/Rogoff kritisieren lassen, weil er die Staatsschulden noch weiter in die Höhe treibe, während Krugman aufschrie, da die Staatsausgaben nicht ausreichen würden, um der Wirtschaft zu einem selbsttragenden Aufschwung zu bewegen.

Inzwischen herrscht noch immer Zweifel, ob der US-Aufschwung auch noch weitergehen werde, wenn die Fed ihre Anleihenkäufe einstellt oder der Aktienmarkt den Rückwärtsgang einlegt, und ebenso ist offen, wie die USA es jemals schaffen wollen, auch nur einmal wieder einen Überschuss zu erzielen der zu niedrigeren Schulden führt.

IWF-Studie bleibt indifferent

Allerdings hat die USA wesentlich bessere Kreditmöglichkeiten als die südlichen Eurozoneländer, weshalb deren Probleme aktuell doch wesentlich dringender erscheinen. Hier hat Markus Eberhardt von der School of Economics in Nottingham, der das Carmen /Reinhardt-Thema gerade für den IWF anhand aller verfügbaren Daten und mit verschiedenen Methoden untersucht hat, allerdings auch keine abschließende Beurteilung anzubieten. Denn sowohl können Länder mit hohen Schulden massiv in ihrem Wachstum behindert werden, ebenso kann hohes Wachstum die Bedienung hoher Schulden ermöglichen. Das Sparprinzip sei zwar jedenfalls wackelig, aber auch nicht ganz zu verwerfen. So unterscheide sich der Zusammenhang zwischen Schulden und Wachstum von Land zu Land, und die Politik die in einem Land passt, könne in einem anderen falsch sein. Zumindest die 90%-Schwelle sei aus seiner Sicht eine „empirische Fehlinterpretation“, was aber noch lange nicht heißt, dass in einzelnen Ländern in diesem Fall nicht stark negative Effekte zum Tragen kommen könnten.

Es kommt darauf an, wie man es macht

Offenbar kommt es darauf an, wie man es macht. Und betrachtet man die Versprechungen der Gruppen, die sich im Süden für die EU-Wahl bewerben, lässt sich immerhin die Übereinstimmung finden, dass die vorgeschlagenen Ausgaben sich in erster Linie in Bereiche ergießen sollen, wo Menschen getroffen werden, die diese Zahlungen sofort für Ausgaben weiterreichen und einen hohen „Multiplikator“ erwarten lassen. Je mehr zusätzliche Staatsausgaben aber in die Sparstrümpfen wandern, zur Tilgung von Schulden dienen oder gar ins Ausland verschoben werden, umso mehr würde eine Sparpolitik wohl zu bevorzugen sein.

 

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