Dienstag, 15. Oktober 2024
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Westeuropäische Arroganz verbeißt Mittelosteuropa

Bild © Creative Commons Mediamodifier/Pixabay (Ausschnitt)

Einer der durchaus wahrscheinlich gewordenen Gründe, an denen die EU zerbrechen könnte, heißt Mittelosteuropa. Vor allem die vier Visegrad-Staaten sind vielen in Westeuropa zum Dorn im Auge geworden. Vielerorts herrscht in westlichen EU-Staaten der Eindruck: Zuerst haben wir sie aufgepäppelt, jetzt sind sie undankbar. Was auch immer an diesem Vorwurf richtig sein mag, ein anderer ist jedenfalls noch viel richtiger und gravierender, der die Schuld freilich ganz wo anders hinschiebt.

Dieser Vorwurf richtet sich nämlich nicht gegen die Ost-, sondern vielmehr umgekehrt gegen die Westeuropäer: Diesen fehlt heute jedes Verständnis für diese Völker, jede Empathie. Diese begehen Osteuropa gegenüber einen Fehler nach dem anderen. Diese behandeln Osteuropa geradezu als Untertanen, die dem Westen und der EU zehn Mal am Tag dankbar die Hände zu küssen haben.

Absurderweise steht bei diesem Bashing Mittelosteuropas ausgerechnet das kleine Luxemburg an der Spitze, freilich eng gefolgt vom großen Deutschland und den anderen Benelux-Staaten. Der (sozialistische) Außenminister Luxemburgs, Jean Asselborn, kann fast keinen Tag vergehen lassen, ohne sich arrogant-belehrend über Ungarn oder Polen zu äußern. Und der (vom äußersten linken Rand der Christdemokratie kommende) Luxemburger EU-Kommissionschef Jean-Claude Juncker bezeichnet den ungarischen Premier Viktor Orbán gar als „Diktator“. Was die Ungarn empört, weil es keineswegs nur nach Scherz klingt.

Gewiss stimmt es, dass diese Länder in den ersten Jahren nach der Befreiung aus der sowjetischen Diktatur und auch noch nach dem EU-Beitritt als Langfrist-Folge des Kommunismus so kaputt waren, dass sie sich alles gefallen ließen, solange nur genug Investoren, Knowhow und dann auch EU-Strukturgelder aus dem Westen gekommen sind. Diese Länder hatten anfangs auch eine so hohe Meinung über Westeuropa, dass sie gar nicht daran dachten, dass von dort auch Dummheiten und Infamien kommen könnten. Jedoch haben die meisten westeuropäischen Politiker keine Ahnung von und kein Interesse an Osteuropa mehr. Die Zeiten von Alois Mock und Helmut Kohl sind vorbei, die noch sehr viel Verständnis, Sympathie und Wissen von und für Osteuropa hatten.

Inzwischen hat man in Osteuropa den Lernprozess durchgemacht: Man kann dem Westen nicht blind trauen. Zugleich haben sich die Visegrad- und baltischen Staaten vor allem wirtschaftlich extrem gut entwickelt, sie haben kontinuierlich niedrigere Arbeitslosenraten und höhere Wachstumsraten als West- und vor allem Südeuropa. Das lässt das Selbstbewusstsein wachsen.

Die wachsende Entfremdung zwischen EU und Osteuropa hängt weniger mit Fehlern Osteuropas, sondern vor allem damit zusammen, dass sich zwischen Brüssel und Berlin die Einstellung und Tonlage gegenüber den Osteuropäern dramatisch gewandelt hat. Diese Wandlung wäre zu Zeiten eines Helmut Kohls völlig undenkbar gewesen.

Dabei wirken sich neben dem Verlust von Empathie für die arg von der Geschichte gebeutelten Völker vor allem zwei Entwicklungen in der EU als Gift für die innereuropäischen Ost-West-Beziehungen aus:

  • Zum einen ist das der „Flüchtlings“-Strom, der vor allem durch Angela Merkel und linke Staaten wie Schweden mit großer Zustimmung der EU-Kommission nach Europa geholt worden ist. Die Osteuropäer sagen mit sehr gutem Grund: „Zuerst machen die Deutschen mit der Grenzöffnung einen historischen Riesenfehler, und dann sollen wir es ausbaden und ihnen viele der hereingeholten Asiaten und Afrikaner wieder abnehmen. Wir denken aber nicht daran, das zu tun.“
  • Zum anderen zeigt die rund um die Jahrtausendwende erfolgte Machtübernahme in der EU (vom Rat über die Richter bis zu den Beamten) durch eine linke Mehrheit zunehmend deutlichere Wirkung. Zwar hatten die Linken davor jahrelang die EU scharf bekämpft, etwa die SPÖ hatte einst hasserfüllt gegen den Brüsseler „Bürgerblock“ gehetzt. Aber ab den 90ern haben die meisten rotgrünen Parteien angesichts der Erfolge der EU und des Kollapses des real-existierenden Sozialismus die Strategie radikal geändert: Wenn man sie schon nicht besiegen kann, dann machen wir in der EU voll mit, um sie letztlich politisch zu übernehmen. Das ist ihnen sowohl auf Beamtenebene wie auch im Gerichtshof und der Kommission gelungen. Die rotgrün gewandelte EU wurde zunehmend von einem sehr erfolgreichen und viel Wohlstand schaffenden Binnenmarkt zu einem politisch-linkskorrekten Zuchtmeister. Sie entwickelte eine massive Überregulierung – beispielsweise – von der Datenschutz- bis zur Allergen-Verordnung. Als äußeres Zeichen der Linkswende kam es zu den antiösterreichischen Sanktionen des Jahres 2000. Diese hatten ja als einzigen Anlass, dass in Wien eine Koalition an die Macht gekommen war, die Rot und Grün nicht passte. Und jetzt will man im gleichen Geist gegen die Osteuropäer vorgehen, will sie nicht nur zur Übernahme von „Flüchtlingen“ zwingen, sondern mäkelt auch ununterbrochen an rein internen und mit der EU gar nichts zu tun habenden Gesetzen dieser Länder herum. So, als ob die EU der Erfüllungsgehilfe der dortigen nationalen Opposition wäre. Und wieder einmal tun etliche europäische Politiker mit, die eigentlich nicht auf einem rotgrünen Ticket gewählt worden sind: vom belgischen Liberalen Guy Verhofstadt bis zu dem einst auf einem ÖVP-Ticket gewählten Othmar Karas.

Es kann aber überhaupt kein Zweifel sein: Die vier Visegrad-Staaten werden nicht nachgeben. Das muss jeder begreifen, der die innere Entwicklung in den vier Staaten kennt. Dort ist sich eine große Mehrheit vor allem in der Ablehnung der Migration einig. Und zumindest Polen und Ungarn schützen sich überdies gegenseitig gegen irgendwelche EU-Sanktionen, die ja nur im Konsens aller anderen EU-Staaten gegen einen angeblichen Bösewicht ergriffen werden könnten.

Aber nicht nur das wird in Westeuropa nicht begriffen. Noch viel wesentlicher ist die geschichtliche Entwicklung: Diese Ostländer haben viel zu sehr unter einer kommunistischen Kommandodiktatur gelitten, in der alle Befehle aus Moskau gekommen sind, sie haben viel zu tapfer dagegen gekämpft, als dass sie sich jetzt einer politisch-linkskorrekten Kommandodiktatur in Brüssel und Berlin beugen würden. „Niemals!“ sagt da der nationale Stolz. Ganz abgesehen davon, dass man in diesen Ländern  davor auch schon sehr schlechte Erfahrungen mit Kommandos aus Berlin gemacht hat.

Es waren gerade Revolutionen in Ungarn, Polen und der Tschechoslowakei, also den heutigen Staaten der Visegrad-Kooperation, welche die kommunistische Herrschaft am heftigsten ins Wanken und letztlich zum Einsturz gebracht haben (zusammen mit einigen anderen Faktoren, die die Namen Reagan, Papst und Gorbatschow tragen, die aber auch auf das wirtschaftliche Versagen des Kommunismus zurückgehen).

Ein hochrangiges Treffen aller Osteuropäer mit dem chinesischen Regierungschef vor wenigen Tagen sollte den linken Gouvernanten in Brüssel und Berlin eine zusätzliche Warnung sein: Osteuropa baut sich inzwischen Alternativen zur EU auf. Zwar weiß man zwischen Prag und Sofia genau, dass in China eine kommunistische Einparteiendiktatur herrscht. Aber man weiß auch, dass einem die Chinesen mit Sicherheit keinerlei Vorschriften machen werden (und können), wie ein Land in Europa seine Politik und Justiz organisiert. Manche – gewiss nicht alle – osteuropäische Staaten blicken sogar auch auf das heutige Russland wieder versöhnlicher, das in diesem Raum ebenfalls werbend unterwegs ist.

Man muss schon sehr naiv sein zu glauben, dass Völker, die 40 Jahre Sklavendasein überstanden haben, jetzt vor Luxemburg & Co in die Knie gehen werden. Es ist doppelt naiv, das zu glauben, wenn man sich die Vorwürfe genauer ansieht, die von den in der EU heute dominierenden Linkskorrekten gegen die Ostländer erhoben werden. Die sind nämlich extrem hohl und substanzlos. Sie lauten im Wesentlichen:

  1. Ungarn macht der Privatuniversität von George Soros Schwierigkeiten. Ja, das tut es – aber welche konkrete EU-Regel ist dadurch verletzt? Es haben auch in vielen anderen Ländern schon Privatuniversitäten von den Regierungen Schwierigkeiten bekommen und sind sogar zum Schließen gezwungen worden, etwa in Österreich. Solange es keinen EU-Vertrag gibt, der jedem das Recht gibt, überall in der EU eine Privatuniversität zu betreiben, ist das interne Angelegenheit eines Mitgliedsstaats. Und Tatsache ist auch, dass Soros sehr viele Pro-Migrations-Initiativen unterstützt.
  2. Ungarn bestraft alle NGOs, die illegalen Migranten Hilfe leisten. Ja, das tut es – aber welche konkrete EU-Regel ist dadurch verletzt? Es wäre absurd, wenn ein Land nicht mehr die Beihilfe zu illegalen Aktionen bestrafen dürfte. Diese Beihilfe zur illegalen Migration ist beispielsweise in Frankreich bis vor wenigen Tagen strafbar gewesen. Und es war nicht die EU, die dort dagegen vorgegangen ist, sondern ein innerfranzösisches Gremium, der Staatsrat (der sich dabei bezeichnenderweise auf die – wegen ihres blutigen Terrors und der Auslösung eines Vierteljahrhunderts blutiger Kriege anderswo nicht gerade als Vorbild gesehene – Französische Revolution berufen musste, weil es keine andere Argumentation gefunden hat!). Auch in den meisten anderen EU-Staaten ist ja zumindest die Schlepperei illegal – wenngleich in Österreich die Schlepperei von Hunderttausenden illegalen Migranten durch die ÖBB unter Christian Kern bisher unbestraft geblieben ist (weil offenbar im Auftrag der Regierung Faymann geschehen).
  3. In Ungarn sind die Linksparteien hoffnungslos zurückgefallen; und auch die größte Opposition steht sogar rechts von der rechten Regierung. Ja, das ist richtig – aber welche EU-Regel soll dadurch verletzt worden sein? Gibt es etwa schon ein EU-Gesetz, das den Wählern die Wahl nichtlinker Parteien verbietet?
  4. In Ungarn sind alle Medien regierungsfreundlich. Nein, das ist unrichtig. Es gibt etliche sehr scharfe regierungskritische Medien. Und selbst wenn der Vorwurf richtig wäre: Dann hätte die EU nur dann eine Legitimität sich aufzuregen, wenn sie sich etwa auch in Österreich aufregen würde, wo fast alle Medien seit Jahren vor allem von der Gemeinde Wien (trotz deren wachsendem Defizit) mit Steuergeldern bestochen werden und wo der ORF wie ein linker Parteisender agiert.
  5. In Polen werden Richter künftig von der Politik besetzt. Ja, das ist richtig – aber welche konkrete EU-Regel ist dadurch verletzt? Und selbst wenn man fünfmal um die Ecke herum gedacht eine solche Regel konstruieren könnte, hätte die EU nur dann eine Legitimation einzuschreiten, wenn sie auch in Österreich eingeschritten wäre. Denn dort wird vor allem das mächtigste Gericht, der Verfassungsgerichtshof, seit jeher rein parteipolitisch besetzt. Seit den 50er Jahren gab es ein  bis 2017 wirksames parteipolitisches Abkommen, das strikt eingehalten worden ist: Dies ist ein roter Richterposten und jenes ein schwarzer. Von der knalllinks agierenden Grazer und Wiener Staatsanwaltschaften ganz zu schweigen, die ja auch nicht gerade Zeichen einer objektiven Justiz sind.
  6. In Polen werden jetzt alle Richter mit 65 Jahren in Pension geschickt. Ja, das ist richtig – aber welche konkrete EU-Regel ist dadurch verletzt? Müssen Richter nicht auch in Österreich mit 65 gehen? Und selbst wenn in Polen hinter der Pensionsalter-Reduktion das Motiv steht, viele jener Richter loszuwerden, die noch in kommunistischer Zeit zu Richtern geworden sind, kann man in Wahrheit gerade dafür aus rechtsstaatlicher Überzeugung nur volle Sympathie haben.

Man müsste in Wahrheit eher fragen, warum das erst mit fast 30 Jahren Verspätung passiert. Wer seine Karriere in einer totalitären Diktatur begonnen hat, kann doch wohl kein demokratischer Richter sein! Das erinnert verteufelt an die Zeit nach 1945, als man in Österreich oder Deutschland sehr bald Nazis wieder in demokratisch wichtige Posten in Justiz und Lehre gelassen oder gleich dort belassen hat und sich erst mit Jahrzehnten Verspätung darüber empört hat. Ganz zufällig eben erst dann, als Ex-Nazis keine sonderlich wählerrelevante Masse mehr gewesen sind. Im Osten scheint es mit den Ex-Kommunisten genauso zu laufen.

Was aber wohl die Visegrad-Vier am meisten zur Weißglut bringt: Zum Unterschied von ihnen geht es in  Rumänien wirklich schlimm zu. Dort ist die größte Regierungspartei massiv in Korruption verwickelt und dreht mit Parlamentsmehrheit einfach alle diesbezüglichen Verfahren ab. Dennoch zeigt die EU-Kommission ein auffälliges Desinteresse an den rumänischen Vorgängen. Das hängt ganz offensichtlich damit zusammen, dass diese Regierungspartei eine sozialistische ist. Und dass der zuständige EU-Kommissar und Vizepräsident Timmermans ein Sozialist ist. Da gibt es keine Spur einer Gleichbehandlung geschweige denn Abwägung, wo die weit schlimmeren Dinge passieren.

Vor allem die Polen, aber auch die anderen nördlichen Osteuropäer sind zusätzlich erbittert, weil Deutschland bereit ist, mit Russland eine neue Gaspipeline durch die Ostsee zu bauen, die an allen anderen Ländern vorbeiführt (die bisher dadurch strategisch wichtig waren und am Transit mitverdienten). In Mittelosteuropa sieht man das als eindeutig politisches Projekt, das ein (neuerliches!) deutsch-russisches Duumvirat über sie hinweg einzuläuten droht.

Manche Beobachter im Westen fragen sich: Warum eigentlich kooperieren nicht auch die drei baltischen Staaten mit den vier Visegrad-Ländern gegen diese EU-Politik? Sie sind ja wirtschaftlich ähnlich erfolgreich und haben ebensowenig Lust, von Deutschland Drittwelt-Migranten abgeschoben zu bekommen.

Die Antwort ist klar: Diese Drei befinden sich in einer ganz anderen Bedrohungs- und Sicherheitslage. Sie fürchten sich mit gutem Grund vor dem mächtigen Nachbarn Russland. Gibt es doch bei ihnen relativ große russische Minderheiten, und hat Russland doch schon mehrfach andere Nachfolgestaaten der ehemaligen Sowjetunion unter dem Vorwand des Schutzes der dortigen Russen angegriffen und Teile des fremden Territoriums erobert. Da wollen es sich die Balten keinesfalls mit Deutschland verderben, das man ja noch immer für die militärisch wichtigste Nato-Macht in Europa halten muss. Was besonders auch deshalb wichtig erscheint, weil sich die USA ja zunehmend von Europa zurückziehen.

Das ist für die Balten die viel wichtigere Priorität – auch wenn sie dabei oft die Zähne zusammenbeißen müssen.

Ich schreibe regelmäßig Beiträge für das unabhängige Internet-Portal eu-infothek.com.

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