Montag, 7. Oktober 2024
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Vorsichtiger Balkan Optimismus versus wachsende Türkei-Skepsis

Visit of Federica Mogherini, Vice-President of the EC, and Johannes Hahn, Member of the EC, to Greece and to the former Yugoslav Republic of Macedonia, June 2018 / Bild © European External Action Service via flickr (Ausschnitt), CC BY-NC 2.0

Die EU-Türe zum Westbalkan beginnt sich öffnen, jene zur Türkei langsam zu schließen.

In einem Interview mit EU-Infothek schlägt EU-Erweiterungskommissar Johannes Hahn in Bezug auf die Türkei neue Töne an. Er will zwar weiterhin den „Dialog“ pflegen, spricht aber, wenn auch noch vorsichtig, in Bezug auf die Beitrittsperspektive wörtlich davon, „neue Formate“ anzudenken. Soll heißen, dass es auch Alternativen gibt. Diesbezüglich muss aber noch ein EU-interner Überzeugungsprozess gestartet werden. Neben Österreich sind derzeit etwas mehr als Handvoll Länder für den von Bundeskanzler Sebastian Kurz vorgeschlagenen „Partnerschaftsvertrag“.

Befriedigt zeigt sich die EU-Kommission über die Fortschritte bei den Gesprächen mit den Balkanländern. Allerdings werden noch eine Reihe von Reformen eingemahnt. So auf den Gebieten von Rechtsstaatlichkeit, Bekämpfung von Korruption und organisierter Kriminalität, wirtschaftlichen Strukturreformen sowie bei der Beilegung von Grenzkonflikten. Und Hahn erinnert die Balkanländer daran, dass die Lösung dieser Fragen im eigenen Interesse der einen EU-Beitritt suchenden Länder sein müsste. Ist dies doch die einzige Möglichkeit, den „brain-drain“, das heißt das Abwandern junger, gut-qualifizierter Menschen aus der Region, zu stoppen. In Bezug auf den kolportierten Beitrittstermin 2025 heißt es aber schon jetzt, dass es keinen „En-Bloc-Beitritt“ geben wird.

Dazu kommt, dass einige Länder, wie Frankreich und die Niederlande bei der Umsetzung der Balkanstrategie bremsen. Hier verweist der EU-Kommissar aber auf die geopolitische Bedeutung des Balkan. Nicht nur, dass die Länder von EU-Staaten bereits umgeben sind, gilt es zu verhindern, dass in dieses Vakuum andere Staaten hineindrängen. Das reicht schon derzeit von Saudi-Arabien bis zur Türkei, die ihren Einfluss vor allem im Immobilien und Medienbereich ausdehnen.

Wenn man die Politik des türkischen Ministerpräsidenten genau verfolgt, so scheint die Europa-Orientierung der Türkei immer geringer zu werden. Das Land wird nach den Wahlen künftig noch stärker von Erdogan an die Kandare genommen, Grund und Freiheitsrechte stehen schwer unter Druck.

Wir haben unsere Strategie gegenüber der Türkei bereits vor den Wahlen an die Situation im Land angepasst. Alle Mitgliedstaaten teilen den Befund, dass sich die Türkei in den letzten Jahren immer weiter von der EU und ihren Standards wegbewegt hat. Deswegen haben die Mitgliedstaaten auch beim letzten Rat bestätigt, dass der Beitrittsprozess zum Stillstand gekommen ist und vorerst keine weiteren Kapitel eröffnet oder geschlossen werden können. Auf meine Initiative hin wurden auch die Vorbeitrittszahlungen angepasst, das heißt, um mehrere Hundert Millionen Euro über die nächsten Jahre gekürzt.

Wäre bezüglich der EU Beitrittsperspektive bei der Türkei nicht endlich Realismus angesagt?

Aus meiner Sicht – und aus der Sicht der meisten Mitgliedstaaten – Sinn, macht es Sinn mit der Türkei den Dialog weiterzuführen. Denn die Türkei ist und bleibt aus geostrategischer Sicht ein wichtiger Nachbar. Kooperation in Bereichen gemeinsamen Interesses macht durchaus Sinn, wie das Flüchtlingsabkommen zeigt, das funktioniert, weil beide Seiten ihre Verpflichtungen einhalten. Auf längere Sicht wäre es daher gegebenenfalls sinnvoll, neue Formate jenseits der Beitrittsverhandlungen, deren Bedingungen die Türkei nicht erfüllen kann beziehungsweise will, anzudenken.

Sechs Westbalkan-Länder wollen in die EU. Welche von ihnen haben im letzten Jahr die größten Fortschritte gemacht?    

Da ist zu allererst die ehemalige jugoslawische Republik Mazedonien zu nennen, die eine tiefe politische Krise auf demokratischem Wege überwunden hat. Das Land hat unter der neuen, reform-orientierten und pro-europäischen Regierung beachtliche Fortschritte bei der Umsetzung des Przino-Abkommens und der Reformprioritäten gemacht. Nach dem Freundschaftsvertrag mit Bulgarien konnte endlich, nach 27 Jahren vergeblichen Bemühens unter UN-Vermittlung, der Namensstreit zwischen Skopje und Athen beigelegt werden. Diese historische Einigung markiert einen wesentlichen Schritt zur Verwirklichung der euro-atlantischen Perspektive des Landes.

Noch bedarf es aber dazu einer Volksabstimmung, deren Ergebnis abzuwarten ist.

Ich appelliere daher an alle politischen Akteure, konstruktiv an der Verwirklichung dieses Zieles zu arbeiten und die erreichten Fortschritte nicht aus parteipolitischen Erwägungen aufs Spiel zu setzen. Es geht um die Zukunft des Landes, daher sollte das Referendum über das Abkommen mit Griechenland und den neuen Namen möglichst bald durchgeführt werden. Die Ratifizierung des Abkommens und ein erfolgreiches Referendum sind wesentliche Schritte auf dem Weg zur NATO- und EU- Mitgliedschaft.

Positiv überrascht hat aber auch Albanien, das aus dem Schatten seiner Vergangenheit tritt.

Das Land hat gute Fortschritte mit der Umsetzung seiner Reformprioritäten gemacht, vor allem was die sehr ehrgeizige Justizreform betrifft. Auch hat die Regierung Geschlossenheit beim Kampf gegen Korruption und organisierte Kriminalität demonstriert. Jetzt geht es darum, auch Verurteilungen von Drahtziehern vorzunehmen. Albanien arbeitet, wie die ehemalige jugoslawische Republik Mazedonien, an Abkommen zur Lösung von offenen Grenzfragen und ist generell um gutnachbarschaftliche Beziehungen bemüht. Auf Grund der substantiellen Fortschritte beider Länder hat die Europäische Kommission empfohlen, Beitrittsverhandlungen mit Albanien und Mazedonien aufzunehmen.

Wie steht es um den Fortschritt der restlichen Westbalkanländer?

Generell kann man sagen, dass alle Länder im vergangenen Jahr Fortschritte gemacht haben, wenn auch mit unterschiedlicher Geschwindigkeit und Intensität. Montenegro und Serbien, die ohnedies gemessen an der Eröffnung von Kapiteln derzeit die „frontrunner“ sind, haben im letzten Jahr weitere Kapitel eröffnet und stehen nun bei 31 bzw. 14 Kapiteln von insgesamt 35.

Kosovo hat die ausstehenden Bedingungen für die Erteilung der Visaliberalisierung erfüllt, sodass wir eine positive Empfehlung abgeben konnten. Bosnien und Herzegowina haben Antworten auf den umfangreichen Fragenkatalog der Kommission geliefert, der Voraussetzung für die Erteilung des Kandidatenstatus ist.

Die Erweiterungsstrategie erwähnt ein Zieldatum, nämlich das Jahr 2025. Ist das nicht zu unpräzise für die den Beitritt suchenden Länder?

Keineswegs! Dieses indikative Datum ist nicht fern, denn die Reformen zur Anpassung an die EU-Standards nehmen viel Zeit in Anspruch, da es nicht nur um Gesetzesänderungen sondern auch um deren konkrete Anwendung geht. Wenn man dann noch die in manchen Ländern notwendigen Referenda und Ratifizierungsverfahren bedenkt, wird man erkennen, dass dieses indikative Datum sehr ambitioniert – aber machbar – ist. Auch wenn die Europäische Perspektive der ganzen Region im Prinzip offensteht, wird es keinen „en bloc“ Beitritt geben. Nur jene Länder kommen voran, die auch konkrete und nachweisbare Reform-Fortschritte vorzuweisen haben.

Als Reaktion auf die Kommissionsempfehlung für die Eröffnung von Beitrittsverhandlungen mit Albanien und Mazedonien Skepsis bei einigen Mitgliedstaaten. Wie wollen sie Länder wie Frankreich oder die Niederlande davon überzeugen, dass die Erweiterung für die EU wichtig ist?

Die Erweiterung des Westbalkan ist gerade angesichts der zunehmenden Erosion der regelbasierten Weltordnung relevanter denn je. Der Westbalkan ist von EU-Mitgliedstaaten umgeben, gehört geografisch, historisch und kulturell zu Europa. Es ist im ureigensten Interesse der EU in ihrer unmittelbaren Nachbarschaft für Stabilität und Prosperität zu sorgen. Mein Grundsatz für die Erweiterung lautet: Stabilität exportieren, anstelle Instabilität zu importieren. Insofern ist die EU-Integration des Westbalkan eine Investition in die Sicherheit und Stabilität der Union. Nicht zu vergessen ist auch der geostrategische Aspekt: es wäre unklug und geradezu fahrlässig ein Vakuum zu hinterlassen, das sich andere internationale Akteure, deren Werte nicht mit den unsrigen übereinstimmen, zu Nutze machen.

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