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Vom „Monster at the Berlaymont“ zum Delegationsleiter der Europäischen Kommission in Wien

Bild © Creative Commons Pixabay (Ausschnitt)

Aufstieg und Fall des „mächtigsten Beamten Europas“, Martin Selmayr

Mit der Designierung von Ursula von der Leyen zur Präsidentin der Europäischen Kommission ging die Karriere von Martin Selmayr, dem Generalsekretär der Europäischen Kommission, zu Ende – eine Karriere, wie sie nicht schillernder hätte konstruiert werden können. Selmayr, ein deutscher Jurist, avancierte innerhalb von nur 15 Jahren vom Sprecher eines Kommissionsmitglieds zum Generalsekretär der Europäischen Kommission, und wurde damit zum „mächtigsten Beamten Europas“,[1] dem über 33.000 Kommissionsbeamte unterstanden. Dieser „kometenhafte“ Aufstieg sowie dessen Begleitumstände, verbunden mit dem kompromisslosen Führungsstil Selmayr’s, trugen diesem den wenig schmeichelhaften Ruf eines „Monsters“ ein, dessen Vorgangsweise als „abgehoben, manipulativ, diktierend statt debattierend, knallhart, mobbend, tyrannisierend, rücksichtslos“[2] uam bezeichnet wurde. Demgegenüber wurde auf das unerhört komplexe Verwaltungsgefüge der Europäischen Kommission hingewiesen, dessen effektive Administrierung eben eine „harte Hand“ benötige. Freund und Feind attestierten Martin Selmayr aber unisono hohe Intellektualität, Zielstrebigkeit, überragende Management-Qualitäten, ein hervorragendes politisches Urteilsvermögen, Gespür für das Machtgefüge, Durchsetzungsvermögen etc. Im persönlichen Umgang wird Selmayr als stets höflich, verbindlich und geradezu als charmant beschrieben.

Als Jemand, der Martin Selmayr bereits Ende der 1990er Jahre persönlich kennengelernt, in der Folge dessen Karriere genau verfolgt und zuletzt auch kurz dokumentiert hat,[3] ist es mir ein Bedürfnis, nachstehend die Rahmenbedingungen für dessen abrupten Wechsel vom Posten des Generalsekretärs der Europäischen Kommission zum Leiter der Delegation derselben in Österreich näher darzustellen und aufzuhellen, da dazu aktuell eine Reihe von unterschiedlichen Kommentaren vorliegen.

Persönliches Profil und bisherige Tätigkeit von Martin Selmayr

Das Besondere am Curriculum des 1970 in Bonn geborenen Martin Selmayr ist dessen Vielseitigkeit. Er absolvierte zunächst ein Studium der Rechtswissenschaften, und zwar an der Universität Genf, dem King’s College in London, der Universität München und an der Universität Passau, wo er 2001 mit einer Dissertation zum Thema „Die Vergemeinschaftung der Währung“ summa cum laude promovierte, eine in Deutschland extrem selten vergebene Auszeichnung. Danach widmete er sich dem Studium des anglo-amerikanischen Rechts an der University of California und absolvierte in der Folge eine Reihe einschlägiger beruflicher Tätigkeiten in der Privatwirtschaft (Bertelsmann AG uam) sowie an der Europäischen Zentralbank und beim Internationalen Währungsfonds.

Nach bestandenem Auswahlverfahren für Juristen trat Selmayr am 1. November 2004 in die Dienste der Europäischen Kommission ein, wo er im Kabinett der Kommissarin Viviane Reding zunächst Sprecher für die Angelegenheiten ihres Ressorts, nämlich für Informationsgesellschaft und Medien, wurde. Ab 2005 war er dann auch Sprecher für den Juristischen Dienst der Europäischen Kommission und wurde 2010 zum Kabinettschef der nunmehrigen Kommissarin für Justiz, Grundrechte und Bürgerschaft und Vizepräsidentin der Kommission, Viviane Reding, ernannt. 2014 wurde Selmayr Hauptberater der Generaldirektion für Wirtschaft und Finanzen (GD ECOFIN) sowie EU-Direktor bei der Europäischen Bank für Wiederaufbau und Entwicklung (EBRD).

Als sich 2014 abzeichnete, dass sich die Chancen von Vizepräsidentin Viviane Reding, Spitzenkandidatin bei der Europawahl 2014 zu werden, drastisch verringerten, wechselte Selmayr in das Team von Jean-Claude Juncker. Um dessen Wahlkampf als Spitzenkandidat der Europäischen Volkspartei (EVP) für das Amt des Präsidenten der Europäischen Kommission bei der Europawahl 2014 zu organisieren, ließ sich Selmayr beurlauben und wurde nach dem Sieg Junckers gegen Martin Schulz Leiter des Übergangsteams von Jean-Claude Juncker. Nach dem Amtsantritt von Jean-Claude Juncker als Präsident der Europäischen Kommission am 1. November 2014 wurde Selmayr dann dessen Kabinettschef, der an allen wichtigen Verhandlungen und Entscheidungen der Kommission führend beteiligt war und dementsprechend auch als „starker Mann hinter Juncker“[4] bezeichnet wurde.

Die Ernennung Selmayrs zum Generalsekretär der Europäischen Kommission

Nachdem der bisherige Generalsekretär der Europäischen Kommission, der Niederländer Alexander Italianer, Präsident Juncker im Jänner 2018 mitgeteilt hatte, dass er gedenke, mit 1. März in den Ruhestand zu treten, entschied sich dieser dazu, seinen bisherigen Kabinettschef, Martin Selmayr, für diese Position vorzuschlagen. Selmayr wurde in der Folge, gleichsam in einem Eilverfahren, am 21. Februar 2018 – mit Wirkung vom 1. März 2018 – zum neuen, und damit siebten, Generalsekretär der Europäischen Kommission ernannt, als seine Stellvertreterin wurde die Dänin Pia Ahrenkilde-Hansen bestellt.

Die „eilige“ Bestellung Selmayrs stieß sowohl im Europäischen Parlament im allgemeinen,[5] als auch bei einigen Abgeordneten desselben (zB Ingeborg Gräßle, Sven Giegold, Bart Staes, Dennis de Jong) im speziellen auf Kritik. Auch die EU-Ombudsfrau, Emily O‘Reilly, ging in ihrem Untersuchungsbericht, der am 11. Februar 2019 veröffentlicht wurde,[6] von einer nicht korrekten Bestellung Selmayrs aus, da dabei vier grundlegende Verfahrensvorschriften verletzt wurden. Des weiteren sprachen auch einige Journalisten, wie zB der Brüsseler Korrespondent der französischen Zeitung „Liberation“, Jean Quatremer, von einem irregulären Ernennungsverfahren[7] und Tim King sprach sogar von einem „act of such chicanery and skulduggery that it stains the record of the entire Commission“.[8] Auf der anderen Seite fühlte sich ein höherer Kommissionsbeamter wiederum dazu bemüßigt, ein eigenes „Empfehlungsschreiben“ für Martin Selmayr zu verfassen, in dem er ihn in höchsten Tönen lobte.[9] In der einschlägigen Literatur wurde dazu auch eine eigene Zusammenstellung der wichtigsten Pro- und Kontraargumente in Bezug auf die „Eilbestellung“ Selmayrs veranstaltet.[10]

Selmayr als Architekt des „Spitzenkandidatensystems“ und dessen Konsequenzen

Als Berater für die Abgeordneten der Europäischen Volkspartei (EVP) im Europäischen Parlament während des sog. „Verfassungs-Konvents“ 2002/2003[11] machte Martin Selmayr – gemeinsam mit Jean-Claude Juncker und dem EVP-Abgeordneten Elmar Brok – den Vorschlag, das Ergebnis der jeweiligen Wahlen zum Europäischen Parlament als richtungsweisend für die Wahl des neuen Präsidenten der Europäischen Kommission anzusehen, eine Überlegung, die später in Art. 17 Abs. 7 UAbs. 1 EUV ihren Niederschlag finden und als „Spitzenkandidaten-System“ benannt werden sollte. Niemals hätte sich Selmayr dabei gedacht, dass ausgerechnet dieses Spitzenkandidaten-System einmal seinen „Absturz“ einleiten könnte – und trotzdem war dies, zumindest zu einem Großteil, der Fall.

Sollte nämlich ein Deutscher als Spitzenkandidat gewählt und in der Folge vom Europäischen Parlament auch zum Präsidenten der Europäischen Kommission bestellt werden, dann würde sich sofort die Frage stellen, ob nicht die Kombination eines deutschen Kommissionspräsidenten und eines deutschen Generalsekretärs der Kommission eine zu große Machtfülle in „deutschen Händen“ ergeben würde. Genau diese Fallkonstellation trat hypothetisch bereits mit der Wahl des Deutschen Manfred Weber zum Spitzenkandidaten ein, wurde in der Folge in praxi aber deswegen nicht schlagend, da dieser im Europäischen Rat – dem Organ, das dem Europäischen Parlament den Kandidaten für den Präsidenten der Kommission zur Wahl vorschlägt, und nach dessen Zustimmung, diesen auch ernennt (Art. 17 Abs. 7 UAbs. 3 EUV) – keine Mehrheit fand.

Im Gegensatz dazu fand nach langem „Feilschen“ die deutsche Verteidigungsministerin, Ursula von der Leyen, im Europäischen Rat die Mehrheit als Kandidatin für die Präsidentschaft der Kommission, was aber genau dieselbe Problematik für Martin Selmayr darstellte. Wenngleich die GO der Europäischen Kommission keine explizite Unvereinbarkeit zwischen dem Präsidenten der Europäischen Kommission und deren Generalsekretär aus Gründen derselben Nationalität vorsieht, ist es ein „ungeschriebenes Gesetz“ in der EU, dass der jeweilige Präsident der Kommission und deren Generalsekretär, nicht über die gleiche Nationalität verfügen sollen, um damit einer zu großen Machtfülle vorzubeugen. Damit endet mit der Ernennung von Ursula von der Leyen als Präsidentin der Europäischen Kommission aber der kometenhafte Aufstieg Martin Selmayr’s zum Generalsekretär derselben, eine Position, die Selmayr lediglich 17 Monate innehaben sollte.

Der „Verzicht“ Selmayrs auf das Amt des Generalsekretärs der Europäischen Kommission

Nachdem er es in einem Interview mit der Zeitschrift POLITICO zunächst noch als „absurd“ ausgeschlossen hatte, aus seiner bisherigen Position auszuscheiden und unter Umständen die Vertretung der Europäischen Kommission in einem ihrer 28 Mitgliedstaaten[12] oder sogar die der EU in einem Drittstaat zu übernehmen,[13] musste Selmayr in der Folge die Realität zur Kenntnis nehmen und seinen Ausstieg aus dem Amt des Generalsekretärs in Erwägung ziehen. Nach einem Gespräch mit der designierten Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen, anlässlich ihres Treffens mit Abgeordneten des Europäischen Parlaments in Straßburg Anfang Juli 2019, erklärte Selmayr: „I told her that this issue would come up, and that she’d have to respond, regardless of me…The most important thing now is that you win this vote“.[14] Dementsprechend erklärte Ursula von der Leyen auch am 15. Juli 2019, dass Selmayr seine Position als Generalsekretär der Kommission verlassen werde, sollte sie zur Präsidentin der Kommission ernannt werden. Damit versuchte sie auch eine Reihe von Parlamentariern zufrieden zu stellen, die – wie vorstehend bereits erwähnt – gegen die Bestellung von Selmayr zum Generalsekretär der Kommission opponiert hatten.[15]

Auf die Frage, wer denn seines Erachtens ihn ersetzen werde, erklärte Selmayr, dass es wohl ein Franzose sein werde, den er auf weiteres Befragen mit Olivier Guersent, den aktuellen Generaldirektor der Kommission für Finanzdienstleistungen und Kapitalmarktunion, persönlich benannte. In einem Interview mit Playbook über die Frage, was denn seine aktuellen Pläne wären, erklärte Selmayr, dass er nach einem längeren Urlaub die Kommissionsvertretung in Wien übernehmen werde. Auch habe er „fünfzehn Jahre am 12. und 13. Stock des Berlaymont hart genug gearbeitet“, sodass es jetzt Zeit sei, um sich eine Auszeit zu gönnen.[16]

Die Ernennung von Martin Selmayr zum Sonderberater und Delegationsleiter

Am 24. Juli 2019 beschloss die Europäische Kommission, ihren bisherigen Generalsekretär, Martin Selmayr, mit Wirkung vom 1. August 2019 zum Sonderberater im Generalsekretariat und zum 1. November 2019 zum neuen Leiter ihrer Vertretung in Österreich zu ernennen. Was erstere Ernennung betrifft, so soll Selmayr Präsident Juncker als Sonderberater bis zum 31. Oktober 2019 weiterhin in zentralen strategischen Fragen unterstützend zur Seite stehen. Laut Kommissionssprecherin Mina Andreeva würdigten sowohl Präsident Juncker, als auch das gesamte Kollegium bei dieser Gelegenheit Selmayrs herausragende Fähigkeiten und Leistungen. Besonders hervorgehoben wurden dabei sein effizientes Management der Kommission Juncker, zunächst als Kabinettschef des Präsidenten und später als Generalsekretär, sowie sein Einsatz für die Gemeinschaftsmethode und seine vorbildliche Arbeitseinstellung.[17]

Was die Weiterführung der Tätigkeit des Generalsekretariats betrifft, so wurde unter einem, gem. Art. 26 der Geschäftsordnung (GO) der Europäischen Kommission,[18] die Lettin Ilze Juhansone – die seit 2015 stellvertretende Generalsekretärin war – als Generalsekretärin ad interim bestellt und mit dem reibungslosen Übergang von der „Juncker-Kommission“ zu der „Von der Leyen-Kommission“ betraut. Dabei wird sie von den beiden derzeitigen Stellvertretern, Herrn Pascal Leardini und Frau Céline Gauer, unterstützt.

Was wiederum die Betrauung von Martin Selmayr mit der Leitung der Vertretung der Europäischen Kommission in Österreich betrifft, so löste diese ein umfassendes Revirement aus, das in aller Kürze administriert werden musste. Seit Amtsantritt der Kommission Juncker werden die Leiter der Vertretungen der Europäischen Kommission vom Präsidenten ernannt und als seine politischen Vertreter in die jeweiligen Mitgliedstaaten entsandt. Selmayr musste daher in aller Eile Präsident Juncker eine komplizierte Personalrochade vorschlagen, die zu einer Reihe von Neubesetzungen führte, deren Positionen aber nicht zeitgerecht ausgeschrieben wurden. Der komplizierte Positionswechsel stellt sich folgendermaßen dar.

Die Neubesetzung der Vertretung der Europäischen Kommission in Österreich 

Die bisherige Vertretung der Europäischen Kommission in Wien hatte seit September 2015 der deutsche Diplomat Jörg Wojahn inne, der nunmehr am 24. Juli 2019 zum neuen Leiter der Vertretung der Europäischen Kommission in Berlin ernannt wurde und sein neues Amt am 1. September 2019 antreten wird. Wojahn tritt dort die Nachfolge von Richard Kühnel an, einem Österreicher, der 2004 – über das Kabinett der ehemaligen EU-Außenkommissarin Benita Ferrero-Waldner – in die Dienste der Europäischen Kommission getreten war und von 2008 bis 2014 die Kommissionsvertretung in Wien geleitet hatte. Danach wechselte Kühnel nach Berlin und übernahm die dortige Vertretung der Europäischen Kommission.

Im Zuge der Ersetzung durch Jörg Wojahn als Kommissionsvertreter in Berlin wurde Richard Kühnel mit Wirkung vom 1. September 2019 zum Leiter der Direktion „Repräsentation und Kommunikation in den Mitgliedstaaten“ in der Generaldirektion „Kommunikation“ der Europäischen Kommission bestellt,[19] die ua für die Vertretungen der Kommission in den einzelnen Landeshauptstädten zuständig ist. Durch die Betrauung von Richard Kühnel mit dieser neuen Funktion tritt nun der außergewöhnliche Fall ein, dass dieser damit zum Dienstvorgesetzten von Martin Selmayr wird, der bisher sein oberster Dienstherr war (!).[20]

Schlussbetrachtungen

Lässt man die Karriere von Martin Selmayr Revue passieren, dann erkennt man, dass das öffentliche Dienstrecht internationaler Organisationen um einiges „elastischer“ ausgestaltet ist, als das in nationalen Verwaltungen der Fall ist. Trotzdem darf man daraus weder ein allgemeines rechtsstaatliches Defizit folgern, noch das Verhalten Martin Selmayrs in irgendeiner Form „kriminalisieren“. Es handelt sich bei ihm um einen überaus qualifizierten dreisprachigen Europarechtler, der als „perfekter Netzwerker“[21] alle dienstrechtlichen Möglichkeiten bis zum Exzess ausgeschöpft hat, um seinem Kommissionspräsidenten Jean-Claude Juncker die mehr als komplexen Agenden für dessen Beschlussfassung entsprechend aufzubereiten.

Bedenkt man die Größe des Personalapparats der Europäischen Kommission, der über 33.000 Personen verfügt, dann erkennt man sofort, welche administrativen und gestalterischen Möglichkeiten dabei zur Disposition stehen und bestmöglich eingesetzt werden sollen. Der Vergleich mit der eher homogenen personellen Ausstattung nationaler Ministerien zeigt dabei auf, wie unterschiedlich eigentlich die tatsächliche Willensbildung innerhalb der Europäischen Union im Vergleich zu der im Rahmen ihrer Mitgliedstaaten vor sich geht. Dazu kommt noch die besondere Beschwer, mit 24 Amtssprachen arbeiten zu müssen, die nicht immer ganz konsistent miteinander abgeglichen sind, und damit große Interpretationsprobleme auslösen.

Alles in allem verlangt die überaus komplexe Entscheidungsfindung und -durchsetzung in der Europäischen Union auf der politischen Ebene vor allem aber auch eine effektive Beherrschung des Personalapparates der Europäischen Kommission, wie sie Martin Selmayr in einer bisher noch nicht gekannten Weise verwirklicht hat. Ihm daraus aber „einen Strick zu drehen“ und ihn als „Monster“ zu bezeichnen, ist nicht sachgerecht. Er hat lediglich die oftmals mehr als schwierigen Entscheidungen der Juncker-Kommission mit harter Hand aufbereitet, und dann auch durchgezogen. Die Erfahrungen mit der Personalführung des nächsten Generalsekretärs der Europäischen Kommission werden zeigen, ob es auch mit gelinderen Mitteln ebenso effizient gegangen wäre.

Abschließend soll nur darauf hingewiesen werden, dass der von ihm selbst gewollte „Rückzug“ auf den vergleichsweise „bescheidenen“ Posten eines Leiters der Kommissions-Vertretung in Wien – die mit 22 Mitarbeitern ausgestattet ist – zwar ein größeres „Erholungspotential“, als seine bisherige Tätigkeit, mit sich bringt, zugleich aber der Europäischen Union die singuläre Möglichkeit benimmt, die außerordentliche Erfahrung Martin Selmayrs an einer anderen, wichtigeren Stelle, sinnvoll einzusetzen. So wäre, in Zeiten wie diesen, Selmayr zB als Ständiger Vertreter der EU in London bestens platziert, um die anstehenden Probleme eines unter Umständen bevorstehenden „no deal-Brexit“ besser aufzubereiten und umzusetzen, als dies bisher der Fall war.[22]

_________________________

[1] Herszenshorn, D. M. Europas mächtigster Beamter, Die WELT vom 24. November 2016.

[2] Herszenshorn, D. M. „Monster“ at the Berlaymont; https://www.politico.eu/article/monster-at-the-berlaymont-martin-selmayr-european-c…; von der Burchhard, H. Martin Selmayr: „Monster of the Berlaymont“ or committed European?; https://www.politico.eu/article/martin-selmayr-monster-of-the-be

[3] Vgl. Hummer, W. Umgestaltung der administrativen Führungsebene der Europäischen Kommission. Der bisherige Kabinettschef von Jean-Claude Juncker, Martin Selmayr, wird als Generalsekretär der Europäischen Kommission der „mächtigste Beamte“ Europas, EU-Infothek vom 2. März 2018, S. 1 ff.

[4] Kafsack, H. Der starke Mann hinter Juncker, FAZ.net vom 10. September 2014.

[5] Siehe European Parliament resolution on Integrity policy of the Commission, in particular the appointment of the Secretary-General of the European Commission (PE619.347v02-00).

[6] Recommendation of the European Ombudsman in joint cases 488/2018/KR and 514/2018/KR on the European Commission’s appointment of a new Secretary-General; https://www.ombudsman.europa.eu/en/recommendation/en/102651

[7] Quatremer, J. Martin Selmayr et les comploteurs de la Commission, Liberation, 25 février 2018.

[8] King, T. Why Martin Selmayr had to go; https://www.politico.eu/article/why-martin-selmayr-had-to-go/

[9] Siehe Winneker, C. Wanted: New job for Martin Selmayr; https://www.politico.eu/article/wanted-new-job-for-martin-selmayr/

[10] Siehe von der Burchard, Martin Selmayr: „Monster of the Berlaymont“ or committed European? (Fn. 2), S. 3.

[11] Vgl. dazu Hummer, W. Der „Verfassungs-Konvent“: Ausgangslage, Zusammensetzung, Arbeitsweise, Ergebnisse, in: Hummer, W. – Obwexer, W. (Hrsg.), Der Vertrag für eine Verfassung für Europa (2007), S. 3 ff.

[12] Neben diesen Vertretungen unterhält die Kommission noch Regionalbüros in Barcelona, Belfast, Bonn, Breslau, Cardiff, Edinburgh, Marseille, Mailand und München.

[13] „I am an official of the European Commission. Why should I change from Brussels to somewhere else? Then to go to London? Come on, this is a bit absurd“; Martin Selmayr. The lame duck, POLITICO 28 Class of 2019, S. 5; https://www.politico.eu/list/politico-28-class-of-2019-the-rankin

[14] Eder, F. Exclusive: Martin Selmayr to leave powerful Commission post „next week“, S. 2; https://www.politico.eu/article/Martin-selmayr-to-leave-powerful

[15] De la Baume, M. – Eder, F. – Herszenhorn, D. M. Von der Leyen hints at Selmayr exit if she becomes Commission president; https://www.politico.eu/article/von-der-leyen-hints-at-selmayr-exi

[16] Eder, F. Martin Selmayr’s new job: The EU’s man in Vienna; https://www.politico.eu/article/martin-selmayrs-new-job-the-eus

[17] https://ec.europa.eu/germany/news/20190724-selmayr_de

[18] ABl. 2010, L 55, S. 60 ff.

[19] Dieses Direktorat gehört mit vier Abteilungen in Brüssel, die sich mit Strategie, politischer Berichterstattung, Bürgerdialogen und Netzwerken befassen, sowie 28 Vertretungen und 9 Regionalvertretungen in allen Mitgliedstaaten zu den größten innerhalb der Kommission; Richard Kühnel wechselt nach Brüssel: Jörg Wojahn wird neuer Vertreter der Europäischen Kommission in Deutschland; https://ec.europa.eu/germany/news/20190724-neuer-vertreter-kommission-deutschland­_de

[20] Vgl. Mayer, T. Kurioses EU-Postenkarussell um höchsten Kommissionsbeamten, Der Standard vom 27./28. Juli 2019, S. 9.

[21] Mayer, T. Junckers „Monster“ geht nach Wien, Der Standard vom 25. Juli 2019, S. 28.

[22] Wohlweislich hat Martin Selmayr diesen Wechsel aber bereits zuvor ausgeschlossen; siehe dazu seine Aussage in Fn. 13.

2 Kommentare

  1. Vielen herzlichen Dank für diese erhellenden Worte über diesen, oftmals in den Medien „verteufelten“ EU-Politiker.

    Die Hintergründe für seine Entmachtung wurden klar dargestellt.
    Eines würde ich aber noch gerne wissen :
    Wie hat sich dieser brillante Kopf während der Flüchtlingskrise 2015 zu Merkels Politik gestellt.
    Das ist für viele Menschen wichtig, wenn sie sich ein vollständiges Bild über einen Entscheidungsträger während dieser Zeit machen wollen.

  2. Die EU braucht einen Boxenstopp, um generalsaniert zu werden. Denn die Europäischen Grundwerte wie Freiheit, Gleichheit, solidarisches Miteinander, Wohlstands- Versprechen wurden in den vergangenen 30 Jahren ins Gegenteil verkehrt. Es wurde eine EU gebaut, die gegen die Interessen der Bürger handelt und nur den Interessen der großen Konzerne und deren Lobbys dient. „Diese EU ist komatös krank“ Der Brexit ist nur eine logische Folge des Versagens politischer Nieten. Warum? Seit gut 30 Jahren wird die Politik in Europa von einer Elite bestimmt, die das exakte Gegenprogramm zu den einstigen Werten fährt. Aus der Freiheit wurde die Freiheit des Marktes, des Kapitals und der großen Unternehmen, an die Stelle der Gleichheit trat die Rechtfertigung wachsender Ungleichheit, und das solidarische Miteinander wurde ersetzt durch die politische Legitimierung von Egoismus, Rücksichtslosigkeit und Gier. Für diese falsche Politik gegen die Bürgerinteressen wurde die EU nicht nur zuletzt mit dem Brexit abgestraft, sondern auch mit der steigenden Popularität von „Anti-Europäern“, wie in Italien Matteo Salvini oder in Ungarn Viktor Orbán oder AFD in Deutschland. Die EU ist nicht deshalb krank, weil immer mehr Wähler anti-europäische Parteien wählen, sondern die Anti-Europäer werden deshalb stark und werden gewählt, weil die EU schwer krank ist und weil die Vielen immer weniger haben, und die Wenigen immer mehr. Wenn die großen Ideen der: Freiheit, Gleichheit, solidarisches Miteinander nicht mehr die Politik bestimmen, dann stirbt Europa! Wir brauchen deshalb eine andere Politik in Europa. Selmayr und andere Spitzenbeamte sind die Sargträger in Brüssel, aber sie werden die EU nicht retten.

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