Donnerstag, 28. März 2024
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Ungarn: Und wieder siegte ein Buhmann

In Frankreich lief es gemäß den Erwartungen: Präsident Francois Hollande hat bei den Kommunalwahlen vor wenigen Wochen eine Ordentliche auf den Deckel bekommen. Nach dem desaströsen Abschneiden seiner Sozialistischen Partei musste er die Regierung umbilden, um von der eigenen schwachen Performance abzulenken.

[[image1]]Dass Politiker, die nichts weiterbringen, vom unzufriedenen Wahlvolk prompt abgestraft werden, kam in jüngster Zeit europaweit häufig vor, ist allerdings keine Selbstverständlichkeit: Bei den Wahlen in Ungarn am vergangenen Sonntag hat mit Viktor Orban ein Mann gewonnen, der dieses klare Votum wahrlich nicht verdient. Der seit langem international umstrittene Premier kam trotz seiner vielen durchaus undemokratischen Schachzüge in der Vergangenheit auf 45 Prozent der Stimmen. Und damit kann, so wie‘ s ausschaut, seine rechtskonservative Partei Fidesz-MPSZ im Parlament sogar mit einer Zwei-Drittel-Mehrheit alles bestimmen – abgesehen von Ungarn ist das nur noch in Bananenrepubliken möglich.

Auch die Entscheidung der Türken, der Regierungspartei AKP von Ministerpräsident Recep Tayyip Erdogan erneut das Vertrauen auszusprechen, kann nur mit Unverständnis zur Kenntnis genommen werden. Dem Chef der islamisch-konservativen Regierungspartei ist Ende März das Kunststück gelungen, die Kommunalwahlen, die er zu einem Referendum um seine Person umfunktioniert hatte, triumphal zu gewinnen. Seine Anhänger nahmen es ihm offensichtlich nicht übel, dass er im Gezi-Park von Istanbul Demonstranten niederknüppeln hatte lassen, sie scheinen übersehen zu haben, dass er seit Monaten mit wilden Korruptionsvorwürfen konfrontiert ist, es dürfte ihnen egal sein, dass er die wichtigsten Kontrollinstanzen entweder geschwächt, ausgeschaltet oder unter seine Kontrolle brachte, und schließlich ließ es sie offenbar kalt, dass er Twitter und Youtube verbieten wollte.

Der demnächst 51-jährige Orban und der zehn Jahre ältere Erdogan  haben zweifellos steile Karrieren vorzuweisen: Der eine war bereits mit 35 erstmals für vier Jahre Regierungschef und schaffte im April 2010, als seine Partei 53 Prozent der Stimmen erhielt, ein glanzvolles Comeback. Der andere, in den Neunzigern Oberbürgermeister von Istanbul, wurde zwar 1998 zu lebenslangem Politikverbot verurteilt und saß wegen Missbrauchs der Grundrechte und -freiheiten rund ein Jahr lang im Gefängnis, sodann gründete er jedoch die AKP, die aus drei Parlamentswahlen en suite siegreich hervorging, und hält sich schon seit elf Jahren an der Macht. Ihre Grundwerte sind naturgemäß sehr unterschiedlich: Während sich für Orban alles um Begriffe wie Vaterland, Christentum, Familie, Treue, Glaube, Liebe und Nationalstolz dreht, Erdogan hingegen werden irre Sager zugeordnet wie „Die Demokratie ist nur der Zug, auf den wir aufsteigen, bis wir am Ziel sind. Die Moscheen sind unsere Kasernen, die Minarette unsere Bajonette, die Kuppeln unsere Helme und die Gläubigen unsere Soldaten.“

Für Brüssel der „Bad Guy“

Die Parallelen zwischen dem ungarischen Erzkonservativen und dem türkischen Islam-Freak sind freilich nicht übersehbar: Beide halten beispielsweise von Presse- und Meinungsfreiheit nichts, müssen sich Demokratiefeindlichkeit nachsagen lassen, dulden keinerlei Widerspruch und schrecken nicht davor zurück, im eigenen Interesse notfalls brutal durchzugreifen: Orban hat etwa das ungarische Wahlrecht so abändern lassen, dass seine Partei klar bevorzugt und die Opposition eindeutig benachteiligt ist. Erdogan wiederum – der fünffache Ehrendoktor bekam u.a. den Internationalen Gaddafi-Preis für Menschenrechte verliehen – hat den Polizei- und Justizapparat so fest im Griff, dass er kürzlich gleich ein paar Tausend regimekritische Polizisten, Staatsanwälte und Richter strafversetzt hat, weil sie ihm für seinen Geschmack nicht ausreichend untertänig waren.

Heute spielen die beiden Premierminister jedenfalls in der Europa-Liga der heftigst kritisierten Buhmänner eine herausragende Rolle: Sie agieren autoritär, nahezu diktatorisch, bedienen sich einer aggressiven Rhetorik und kennen bei ihren Machtspielchen keinerlei Zurückhaltung. Orban gilt obendrein in Brüssel als unberechenbarer „Bad Guy“, der immer wieder aus der Reihe tanzt und – obwohl jahrelang Vizepräsident der Europäischen Volkspartei – vielen Regierungsspitzen aufgrund seiner eigenwilligen Eskapaden und uneinsichtigen Alleingänge schwer auf die Nerven geht. Der ungarische Alleindarsteller brüstet sich gerne damit, sein noch vor wenigen Jahren pleitereifes Land aus der Krise geholt und vor einem Budgetdebakel à la Griechenland bewahrt zu haben. Und er versteht es geschickt, seinen Landsleuten das Gefühl zu suggerieren, dass es ihnen nunmehr besser geht als früher. Für die meisten Ungarn scheinen mehr Forint im Geldbörsel letztlich mehr zu zählen als mehr Demokratie im Lande.

Auch Erdogan profitiert davon, dass die Türkei zuletzt einen deutlichen wirtschaftlichen Aufschwung nahm, was ihm insbesonders die Landbevölkerung Anatoliens hoch anrechnet. Diesen Menschen ist es auch ziemlich egal, wenn ihr machtbewusster Premier mit Wasserwerfern und Tränengas gegen Demonstranten oder Oppositionelle vorgeht bzw. reihenweise kritische Medienleute zum Schweigen bringt; und es erschüttert sie gar nicht, wenn sie etwas über Korruptionsvorwürfe und Machtmissbrauch zu hören bekommen – sie wählten ihn trotzdem. Erdogan möchte daher laut eigenen Aussagen noch bis zum Jahr 2023 an der Macht bleiben, um den 100. Geburtstag der türkischen Republik feiern und zugleich den Islam noch salonfähiger machen zu können. Das allein würde weitere Verhandlungsrunden mit der Europäischen Union wohl zunichte machen.

Dass der Ministerpräsident gemäß interner Spielregeln der AKP, die auf deutsch ausgerechnet „Gerechtigkeits- und Entwicklungspartei“ heißt, nach drei Legislaturperioden gar nicht mehr antreten dürfte, ist zwar blöd, wird aber vermutlich kein ernsthaftes Problem für ihn darstellen – schließlich findet in der Türkei bereits am 10. August die Wahl des Staatspräsidenten statt: Erdogan plant, einfach den Job mit dem derzeitigen Präsidenten Abdullah Gül zu tauschen und, natürlich mit mehr Kompetenzen ausgestattet, weiterhin die Nummer Eins zu bleiben.
 

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