Donnerstag, 3. Oktober 2024
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Sicherheits- und verteidigungspolitische Konzepte der EU im Rahmen der ESVP/GSVP. Verschlungene Wege im „semantisch-begrifflichen Irrgarten“ der Gemeinsamen Sicherheits- und Verteidigungspolitik (Teil II)

Scharfschützen-Training der Nordic Battlegroup im irischen Kilworth. Bild © CC Irish Defence Forces from Ireland/Wikipedia (Ausschnitt)

Die Hindernisse für „mehr Europa“ in Sachen Verteidigung sind zahlreich. In manchen Mitgliedstaaten mangelt es an politischem Willen dazu, in anderen an der konkreten Umsetzung von sicherheits- und verteidigungspolitischen EU-Beschlüssen.

Nachdem in Teil I des gegenständlichen Beitrags [73] die Voraussetzungen und Grundlagen für die Ausgestaltung einer „gemeinsamen Verteidigungspolitik“ der Mitgliedstaaten der Union aufgezeigt sowie deren konkrete Ausgestaltungen seit dem Beginn der 2000-er Jahre aufgelistet wurden, wird nachstehend diese Zusammenstellung bis Ende 2017 fortgeschrieben und kurz kommentiert.

 

4.10. Die neue „Globale Strategie der EU“ (2016)

Nachdem die Hohe Vertreterin der Union für Außen- und Sicherheitspolitik, Federica Mogherini, im Juni 2015 vom Europäischen Rat beauftragt wurde, den Entwurf einer neuen Globalen Strategie der Union für die Außenbeziehungen der EU vorzulegen [74], entschied sie sich dafür, nicht bloß eine Überarbeitung und Fortschreibung der vorerwähnten ESS (2003) vorzulegen, sondern einen umfassenderen Ansatz zu wählen und eine neue „EU Global Strategie“ (EUGS) auszuarbeiten, die sie am 28. Juni 2016 auch unter dem Titel: „Shared Vision, Common Action: A Stronger Europe. A Global Strategy for the European Union’s Foreign and Security Policy“ [75] dem Europäischen Rat vorlegte, der sie zwar ausdrücklich begrüßte, nicht aber – so wie die vorerwähnte ESS (2003) – formal annahm.

Konzeptiv ist die EUGS „erstaunlich defensiv ausgerichtet“[76]  und kreist um den Begriff der „Resilienz“ – dh um die Erhöhung der Widerstandsfähigkeit der Union gegenüber inneren und äußeren Bedrohungen – und nicht so sehr um den der Verteidigung selbst.

In der EUGS definiert die Hohe Vertreterin folgende fünf Prioritäten und begleitende Aktionslinien:

1. Sicherheit für die Union: Sicherheit und Verteidigung; Anti-Terror; Cybersicherheit; Energiesicherheit; strategische Kommunikation.

2. Staatliche und gesellschaftliche Resilienz im Osten und Süden der Union, unter Einbezug der Zivilgesellschaft.

3. Integrierter Ansatz in der Konfliktbewältigung, mit Schwerpunkt auf präemptivem Frieden.

4. Kooperative Regionalstrukturen mit folgenden Räumen: Maghreb und Mittlerer Osten; Türkei und Zypern; Golfregion; Nord- und Subsahara-Afrika sowie Horn von Afrika und Mittlerer Osten; Afrika gesamt. Daneben soll auch die Kooperation im transatlantischen Bereich, mit China, Japan, Südkorea, Indonesien uam vertieft werden.

5. „Global Governance“ des XXI. Jhdts., mit den Vereinten Nationen im Zentrum [77].

In seinen Schlussfolgerungen zu Sicherheit und Verteidigung im Kontext der Globalen Strategie der EU vom 18. Mai 2017 [78] weist der Rat in diesem Zusammenhang vor allem auf folgende Aspekte hin:

1. Verbesserung der GSVP-Krisenbewältigungsstrukturen durch die Einrichtung des „Militärischen Planungs- und Durchführungsstabs“ (MPCC) innerhalb des Militärstabs der EU sowie einer gemeinsamen „Unterstützungskoordinierungszelle“ (JSCC), bis spätestens Ende 2018;

2. Verstärkung der GSVP-Zusammenarbeit mit den Partnerländern und internationalen Organisationen (VN, NATO, OSZE, AU, Arabische Liga, ASEAN uam),

3. Kapazitätsaufbau zur Förderung von Sicherheit und Entwicklung (CBSD);

4. Entwicklung ziviler Fähigkeiten;

5. Verbesserung der Reaktionsfähigkeit im Bereich der zivilen Krisenbewältigung;

6. Verstärkung der militärischen Krisenreaktion, vor allem durch Verbesserung der EU-Gefechtsverbände;

7. Vertiefung der europäischen Verteidigungszusammenarbeit durch eine, alle Seiten einbeziehende, Ständige Strukturierte Zusammenarbeit (PESCO); eine koordinierte jährliche Überprüfung der Verteidigung (Coordinated Annual Review on Defence, CARD) [79] auf freiwilliger Basis und mit probeweisem Beginn im Herbst 2017 [80];eine Förderung der Arbeiten der Europäischen Verteidigungsagentur (EDA), vor allem zur Unterstützung der Stärkung der technologischen und industriellen Basis der europäischen Verteidigung (European Defense Technological and Industrial Base, EDTIB); eine raschere Umsetzung des Europäischen Verteidigungs-Aktionsplans (European Defence Action Plan, EDAP).

8. Kohärenz: Abschließend ersucht der Rat die Hohe Vertreterin, in enger Zusammenarbeit mit den Mitgliedstaaten, die möglichen Verknüpfungen zwischen der PESCO, der CARD und dem Europäischen Verteidigungsfonds [81] als Initiativen auszuloten, mit denen die Verteidigungszusammenarbeit zwischen den Mitgliedstaaten verbessert werden kann [82].

 

4.11. Der „Europäische Verteidigungs-Aktionsplan“ (2016)

Nachdem er bereits in seinen politischen Leitlinien für die Europäische Kommission vom 15. Juli 2014 darauf hingewiesen hatte, dass „wir auch in der Sicherheits- und Verteidigungspolitik an einem stärkeren Europa arbeiten müssen“ [83] forderte  Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker in seiner Rede zur Lage der Union am 14. September 2016 [84] die Mitgliedstaaten erneut auf, ihre Verteidigungsfähigkeit zu stärken, damit sie Bedrohungen von außen verhindern, darauf reagieren und sich davor auch schützen können. Die Union muss beweisen können, dass sie in der Lage ist, sowohl militärische, als auch zivile Sicherheit zu bieten, wie dies auch jüngst im sog. „Bratislava-Fahrplan“ vom 16. September 2016 [85] sowie vom Europäischen Parlament [86] und vom Rat [87] als Priorität gefordert wurde.

Dementsprechend stellte die Kommission am 30. November 2016 den „Europäischen Verteidigungs-Aktionsplan“[88] vor, der auf den Tagungen des Europäischen Rates im Dezember 2016 und März 2017 begrüßt wurde. Wie vom Rat gefordert [89], gewährleistet der Aktionsplan unter anderem, dass die industrielle Basis der Verteidigung der Union den künftigen Sicherheitserfordernissen der EU genügt und auch sowohl mit dem Umsetzungsplan für Sicherheit und Verteidigung [90] aus der vorerwähnten neuen Globalen Strategie der EU (2016), als auch mit der Implementierung der „Joint Declaration by the President of the European Commission, and the Secretary General of the NATO“, die am 8. Juli 2016 in Warschau unterzeichnet wurde [91], kompatibel ist.

Der „Europäische Verteidigungs-Aktionsplan“ besteht aus folgenden drei Hauptsäulen:

1. Einrichtung eines Europäischen Verteidigungsfonds [92];

2. Ankurbelung von Investitionen in Lieferketten im Verteidigungsbereich: Neben der Finanzierung durch den Europäischen Verteidigungsfonds bedarf es zusätzlicher Maßnahmen, damit die Verteidigungsindustrie innovativ und wettbewerbsfähig bleiben kann. Dabei muss besonderes Augenmerk auf die KMU gelegt werden, denen im Innovationsbereich, neben den „Start-ups“, eine wichtige Funktion zukommt. Daneben bieten KMU auch häufig Güter und Dienstleistungen mit doppeltem Verwendungszweck (dual use) an, die für die Verteidigung von großer Wichtigkeit sind. Dabei könnten eine Reihe von Finanzierungsinstrumenten, die auf Darlehen der Europäischen Investitionsbank (EIB) basieren, wie zB der Europäische Fonds für strategische Investitionen (EFSI)[93]  oder das Programm für die Wettbewerbsfähigkeit von Unternehmen und für kleine und mittlere Unternehmen (COSME), Hilfestellung bei der Finanzierung einschlägiger Aktivitäten im Bereich der „dual use“-Güter bieten [94].

3. Ausbau des Binnenmarkts für Verteidigungsgüter: Obwohl 2009 bereits zwei einschlägige Richtlinien des Europäischen Parlaments und des Rates, nämlich

a. zur Vereinfachung der Bedingungen für die innergemeinschaftliche Verbringung von Verteidigungsgütern [95] bzw.

b. über die Koordinierung der Verfahren zur Vergabe bestimmter Bau-, Liefer- und Dienstleistungsaufträge in den Bereichen Verteidigung und Sicherheit [96],

ergangen sind, ist damit noch kein binnenmarktähnlicher, offener Markt für Verteidigungsgüter in der Union entstanden, insbesondere auch deswegen nicht, da beide Richtlinien bisher nicht vollständig umgesetzt wurden.

Obwohl die Richtlinie über die Verbringung von Verteidigungsgütern in der EU ein vereinfachtes Genehmigungssystem mit einer Art „Allgemeingenehmigung“ dafür eingeführt hat, bestehen in der EU nach wie vor unterschiedliche Genehmigungssysteme. Dementsprechend hat die Kommission auch angekündigt, im ersten Quartal 2018 zwei Empfehlungen für ein harmonisiertes Funktionieren dieser Allgemeingenehmigungen zu erlassen.

Ebenso erfolgt ein bedeutender Teil der Vergaben und Beschaffungen im Verteidigungsbereich nach wie vor nicht im Rahmen der Vorschriften über das öffentliche Auftragswesen in der EU, sodass sich die Kommission auch hier genötigt sieht, diesbezüglich Ende 2017/Anfang 2018 entsprechende Leitlinien zu erlassen.

Zur Erleichterung des Marktzugangs von KMU im Verteidigungsbereich wird die Kommission bis Ende 2017 Empfehlungen verabschieden, die die Beschaffungsbehörden „ermutigen“ sollen, die Teilnahme von KMU an Vergabeverfahren zu fördern sowie deren Zugang zu den entsprechenden Lieferketten zu erleichtern [97].

In diesem Zusammenhang muss aber auf die Ausnahmebestimmung des Art. 346 lit. b) AEUV hingewiesen werden, aufgrund derer ein EU-Mitgliedstaat diejenigen Maßnahmen ergreifen kann, die seines Erachtens für die Wahrung seiner wesentlichen Sicherheitsinteressen erforderlich sind, soweit sie die Erzeugung von Waffen, Munition und Kriegsmaterial oder den Handel damit betreffen. Damit könnte ein Mitgliedstaat einzelne Vergabevorgänge zwar zu „immunisieren“ versuchen, diese Maßnahmen dürften auf dem Binnenmarkt aber die Wettbewerbsbedingungen hinsichtlich der nicht eigens für militärische Zwecke bestimmten Waren nicht beeinträchtigen.

 

4.12. Der „Europäische Verteidigungsfonds“ (2016)

Der in seiner Rede zur Lage der Union am 14. September 2016 von Präsident Juncker angekündigte und im Dezember 2016 vom Europäischen Rat unterstützte „Europäische Verteidigungsfonds“ wurde am 7. Juni 2017 von der Europäischen Kommission ins Leben gerufen [98]. Mit ihm werden die Investitionen, die auf mitgliedstaatlicher Ebene in die Verteidigungsforschung, die Entwicklung von Prototypen und die Beschaffung von Verteidigungsgütern und -technologien fließen, koordiniert, ergänzt und verstärkt.

Der Verteidigungsfonds wird aus zwei unterschiedlichen, sich jedoch gegenseitig ergänzenden, Finanzierungsstrukturen, den sog. „Fenstern“, gebildet, nämlich einem „Forschungsfenster“ und einem „Fähigkeitenfenster“, in deren Rahmen der gesamte Zyklus der industriellen Entwicklung, von der Forschung bis zur Markteinführung, von Produkten abgedeckt wird.

1. Das „Forschungsfenster“ dient dabei der Finanzierung von Kooperationsforschungsprojekten in der Union im Bereich der Verteidigung, das durch eine vorbereitende Maßnahme entwickelt werden und letztlich nach 2020 im nächsten mehrjährigen Finanzrahmen zu einem speziellen EU-Programm führen soll. Wie dieses Programm in das mehrjährige, in Art. 182 AEUV vorgesehene Forschungsrahmenprogramm eingebunden werden soll, wird im nächsten mehrjährigen Finanzrahmen festzulegen sein.

2. Das „Fähigkeitenfenster“, das von den Mitgliedstaaten zur Unterstützung der gemeinsamen Entwicklung der Verteidigungsfähigkeiten vereinbart wird, wird durch die Bündelung mitgliedstaatlicher Beiträge finanziert und, soweit möglich, auch aus dem EU-Haushalt unterstützt werden.

Die beiden „Fenster“ werden durch einen Koordinierungsmechanismus in Form eines „Koordinierungsausschusses“ ergänzt, in dem die Kommission, die Hohe Vertreterin, die Mitgliedstaaten und die Europäische Verteidigungsagentur (EDA), sowie gegebenenfalls auch der betreffende Industriebereich, vertreten sind. Hauptaufgabe des Koordinierungsausschusses wird es sein, für die Kohärenz zwischen beiden „Fenstern“ zu sorgen, um damit die größtmöglichen Synergien in der Verwendung der eingesetzten Mittel zu erreichen.

Ad 1: Im Bereich des „Forschungsfensters“ besteht großer Aufholbedarf, wurden doch die Ausgaben für Forschung und Technologie (FuT) auf dem Gebiet der Verteidigung in den 27 Mitgliedstaaten, die der EDA angehören, zwischen 2006 und 2013 um 27% gesenkt. 2014 beliefen sich die FuT-Ausgaben der 27 Mitgliedstaaten für die Verteidigung insgesamt auf etwa 2 Mrd. Euro, wobei dieser Rückgang nicht etwa durch eine Verstärkung der Zusammenarbeit ausgeglichen wurde: In den Plänen zu einer gemeinsamen Verteidigung ist bei FuT-Ausgaben im selben Zeitraum ebenfalls ein Rückgang von fast 30% zu verzeichnen [99].

Im Zeitraum 2006-2011 haben die USA jährlich durchschnittlich 9 Mrd. Euro für FuT im Bereich der Verteidigung und durchschnittlich 54,6 Mrd. Euro für Forschung und Entwicklung (FuE) im Bereich der Verteidigung ausgegeben. Im Vergleich dazu haben sich zwischen 2012 und 2015 die russischen FuE-Ausgaben in der Verteidigung verdoppelt, und China erhöhte seine FuE-Investitionen ebenfalls maßgeblich [100].

Das „Forschungsfenster“ ist bereits wirksam und die Union wird im Jahr 2017 erstmals Fördermittel für die gemeinsame Forschung im Bereich innovativer Verteidigungstechnologien und -güter (zB Elektronik, Metawerkstoffe, verschlüsselte Software, Robotertechnik uam) anbieten, die vollständig aus dem EU-Haushalt stammen. An finanziellen Mitteln sind für den Zeitraum 2017-2019 insgesamt 90 Mio. Euro vorgesehen, davon 25 Mio. Euro allein für 2017. Nach 2020 werden dafür jährlich 500 Mio. Euro zur Verfügung gestellt werden.

Ad 2: Im Bereich des „Fähigkeitenfensters“, dh in den Bereichen Entwicklung und Beschaffung, will der Verteidigungsfonds Anreize für die Mitgliedstaaten schaffen, bei der gemeinsamen Entwicklung (zB Drohnentechnologie, Satellitenkommunikation) und Beschaffung von Verteidigungsgütern (zB Hubschrauber) und -technologien zu kooperieren, wobei der Fonds eine Ko-Finanzierung mit den Mitgliedstaaten in folgender Höhe anbietet: für 2019 und 2020 500 Mio. Euro und danach 1 Mrd. Euro pro Jahr für ein größer angelegtes Programm. Dank dieses Programms ist für die nationale Finanzierung eine „Hebelwirkung“ mit einem fünffachen Multiplikatoreffekt zu erwarten, der dafür sorgen könnte, dass nach 2020 insgesamt 5 Mrd. Euro pro Jahr in den Ausbau der Verteidigungsfähigkeit der Union investiert werden [101].

Das „Fähigkeitenfenster“ könnte dabei auf folgenden zwei Ebenen beruhen, nämlich zum einen

a. auf einer „Dachstruktur“ und zum anderen

b. auf konkreten Projekten zur Entwicklung gemeinsamer Fähigkeiten – und zwar auf der Grundlage einer freiwilligen Teilnahme der Mitgliedstaaten.

Ad (a): Die „Dachstruktur“ bildet den gemeinsamen Rahmen für die finanzielle Unterstützung der Mitgliedstaaten und die operative Verwaltung für die Entwicklung konkreter Projekte durch gemeinsame Regeln sowie anwendbare Rechts- und Finanzinstrumente für die Durchführung der jeweiligen Projekte.

Ad (b): Bei den konkreten Projekten verbleiben die finanziellen und operativen Entscheidungen bei den einzelnen Mitgliedstaaten, die sich am jeweiligen Projekt beteiligen, allerdings nur im Rahmen der auf der Ebene der Dachstruktur festgelegten Regeln.

Falls es erforderlich sein sollte und auch so vereinbart wird, können projektbezogene Schuldtitel im Rahmen der „Dachstruktur“ und/oder der einzelnen Projekte ausgegeben werden. Es könnte aber auch die „Dachstruktur“ mit eigenem Kapital ausgestattet werden, was nicht nur die Kreditwürdigkeit des „Fensters“ verbessern, sondern auch die Fungibilität der einzelnen Schuldtitel erleichtern würde [102].

 

4.13. Die „Gemeinsame Erklärung der EU und der NATO“ (2016)

Allein schon der Umstand, dass 22 der 28 EU-Mitgliedstaaten [103] zugleich auch Mitglieder der NATO sind, belegt die Notwendigkeit einer gegenseitigen Abstimmung der jeweiligen Verpflichtungen im Rahmen beider Internationaler Organisationen. Dies bezieht sich, neben der Angleichung der Verteidigungsfähigkeiten, vor allem auf die Abwehr hybrider Bedrohungen und die Cybersicherheit, aber auch auf die Verteidigungsforschung.

Darüber hinaus sind aber auch die Zielsetzungen der NATO und die der GASP bzw. GSVP im Schoß der EU inhaltlich so ähnlich, dass sich eine Zusammenarbeit zwischen beiden Organisationen geradezu anbietet. Diesbezüglich bestehen schon seit längerem eine Reihe von einschlägigen Kooperationen, wie zB im Bereich der Krisenbewältigung, in dem die EU 2004 mit der Operation „EUFOR Althea“ in Bosnien & Herzegowina auf der Basis von NATO-Vorgaben erstmals tätig geworden ist. In der Folge wiederholte sich diese Zusammenarbeit ua in Afghanistan, dem Kosovo und bei der Piratenbekämpfung vor der Küste von Somalia („Operation Atalanta“). Neuerdings kam es in der Ägäis im Rahmen der Bekämpfung von Menschenschmugglern zu einer Zusammenarbeit von NATO- und Frontex-Einheiten, ebenso wie im südlichen Mittelmeer, wo die NATO-Operation „Sea Guardian“ mit der EU-Operation „NAVFOR MED Sophia“ logistisch zusammenarbeitet. Ein enger Informationsaustausch samt gegenseitigen Konsultationen findet aber auch hinsichtlich der Krisen in der Ukraine, dem Westbalkan, Libyen und dem Mittleren Osten statt.

In den Schlussfolgerungen des Europäischen Rates vom 28. Juni 2016 wurde nunmehr – angesichts der gemeinsamen Ziele und Werte und der beispiellosen Herausforderungen, vor denen beide Organisationen stehen – dazu aufgerufen, die Beziehungen zwischen der EU und der NATO weiter auszubauen. Eine dementsprechend neue Qualität bekam die NATO-EU – Kooperation in der Folge durch die „Gemeinsame Erklärung“ der EU und der NATO vom 8. Juli 2016 in Warschau, die vom Präsidenten des Europäischen Rates, Donald Tusk, dem Kommissionspräsidenten Jean-Claude Juncker und dem Generalsekretär der NATO, Jens Stoltenberg, unterzeichnet wurde [104].  Darin werden folgende sieben vorrangige Kooperationsfelder festgelegt:

1. Abwehr hybrider Bedrohungen;

2. Operative Zusammenarbeit, auch in maritimen Angelegenheiten;

3. Cybersicherheit und -verteidigung;

4. Verteidigungskapazitäten;

5. Verteidigungsindustrie und -forschung;

6. Parallele und koordinierte Übungen;

7. Erhöhung der Verteidigungs- und Sicherheitskapazitäten.

Am 6. Dezember 2016 wurden in den Schlussfolgerungen des Rates zur Umsetzung der Gemeinsamen Erklärung [105] in diesen sieben Kooperationsbereichen 42 konkrete Aktionen vereinbart, die vom Rat auch als „gemeinsames Paket“ von Vorschlägen [106] gebilligt wurden. Die Vorschläge wurden dabei von der Union – in Zusammenarbeit des Europäischen Auswärtigen Dienstes (EAD) und Dienststellen der Kommission mit der Europäischen Verteidigungsagentur (EDA) – und der NATO gemeinsam entwickelt. Das „gemeinsame Paket“ von Vorschlägen ist kein isoliertes Dokument und muss im Zusammenhang mit den gegenständlichen Schlussfolgerungen des Rates beurteilt werden. Auf der Seite der NATO wird das „gemeinsame Paket“ von Vorschlägen in einem parallelen Verfahren durch den Nordatlantikrat gebilligt.

In den Schlussfolgerungen des Rates wurde dazu explizit festgestellt: „Die Umsetzung der Gemeinsamen Erklärung hat für die EU höchste politische Priorität. Sie ist ein wesentlicher Bestandteil der umfassenderen Bemühungen mit dem Ziel, die Fähigkeiten der Union als aktivem Sicherheitsgarant – im Einklang mit den Schlussfolgerungen des Rates zur Umsetzung der Globalen Strategie der EU im Bereich Sicherheit und Verteidigung und dem Europäischen Aktionsplan im Verteidigungsbereich – zu stärken“[107].

Im Anschluss an die Beratungen der Außenminister auf der Tagung des Rates am 15. Mai 2017, zu der auch NATO-Generalsekretär Stoltenberg zugezogen wurde, berieten die Verteidigungsminister der EU-Mitgliedstaaten, in Gegenwart der Hohen Vertreterin Federica Mogherini, über die weitere Zusammenarbeit zwischen der Union und der NATO. Dabei begrüßten sie die bereits erzielten Fortschritte in verschiedenen Bereichen, insbesondere bei der Abwehr hybrider Bedrohungen sowie dem Informationsaustausch, der strategischen Kommunikation und der Zusammenarbeit in maritimen Angelegenheiten. Dabei betonten die Hohe Vertreterin und Generalsekretär Stoltenberg übereinstimmend, „dass die Zusammenarbeit zwischen der EU und der NATO inzwischen die Regel und nicht mehr die Ausnahme ist und beide Organisationen in praktischen und operativen Fragen zum beiderseitigen Nutzen zusammenarbeiten“[108].

 

4.14. Das „Europäische Programm zur industriellen Entwicklung im Verteidigungsbereich“ (2017)

Der im November 2016 von der Kommission verabschiedete „Europäische Verteidigungs-Aktionsplan“ [109] enthält als Kernvorschlag die Errichtung des „Europäischen Verteidigungsfonds“ [110], weist daneben aber auch auf die Notwendigkeit hin, Maßnahmen festzulegen, die für eine Vertiefung der Verteidigungszusammenarbeit und eine Stärkung der Wettbewerbsfähigkeit der Verteidigungsindustrie in der Union erforderlich sind. Dementsprechend legte die Kommission am 7. Juni 2017 den Vorschlag für eine Verordnung zur Einrichtung eines „Europäischen Programms zur industriellen Entwicklung im Verteidigungsbereich“ [111] vor, der auf die Förderung der Wettbewerbsfähigkeit und der Innovation in der Verteidigungsindustrie der EU abzielt, einschließlich der Cyberabwehr. Rechtsgrundlage dieses Vorschlags ist Art. 173 AEUV, der die Wettbewerbsfähigkeit der Industrie der Union steigern will, indem das industrielle Potential für Innovation und technologische Entwicklung durch die Zusammenarbeit zwischen den Unternehmen in allen Mitgliedstaaten ausgeschöpft wird.

Das „Europäische Programm zur industriellen Entwicklung im Verteidigungsbereich“ stimmt mit dem Umsetzungsplan für Sicherheit und Verteidigung der vorerwähnten neuen Globalen Strategie überein, der die Grundlage für eine neue Stufe ehrgeiziger, vom Europäischen Rat gebilligter [112], Pläne der Union sowie der Maßnahmen zu seiner Umsetzung bildet.

 

4.15. Das „Reflexionspapier über die Zukunft der Europäischen Verteidigung“ (2017)

In seinen politischen Leitlinien für die Europäische Kommission vom 15. Juli 2014 stellte Präsident Juncker des Weiteren fest: „Auch in der Sicherheits- und Verteidigungspolitik müssen wir nach meiner Überzeugung an einem stärkeren Europa arbeiten. Natürlich, Europa ist in erster Linie eine Soft Power. Aber auch die stärkste Soft Power kann langfristig nicht ohne ein Mindestmaß an integrierten Verteidigungskapazitäten auskommen“ [113].

Am 1. März 2017 legte die Kommission ein „Weißbuch über die Zukunft Europas“ vor, dem sie eine Reihe von weiteren Reflexionspapieren zu Themen folgen ließ, die für die Zukunft der Union mit 27 Mitgliedstaaten von zentraler Bedeutung sind. Das „Reflexionspapier über die Zukunft der Europäischen Verteidigung“ vom 7. Juni 2017 [114]  ist dabei das vierte in dieser Reihe. Es ergänzt die laufenden Arbeiten im Zusammenhang mit dem „Verteidigungs-Paket“, das der Europäische Rat im Dezember 2016 gebilligt hat und bei dem es um die Umsetzung der vorerwähnten neuen Globalen Strategie der Union im Sicherheits- und Verteidigungsbereich und des Europäischen Verteidigungs-Aktionsplans sowie um die Zusammenarbeit mit der NATO geht.

Laut Reflexionspapier sollen schrittweise die Grundlagen für ein „Europa 2025 – auf dem Weg zu einer Sicherheits- und Verteidigungsunion“ gelegt werden [115], wobei dafür, je nach politischem Willen der Mitgliedstaaten, folgende drei Szenarien in Betracht kommen:

1. Zusammenarbeit im Sicherheits- und Verteidigungsbereich: Diese Zusammenarbeit bliebe weitgehend freiwillig und würde auf Ad-hoc-Beschlüssen beruhen, die dann gefasst werden, wenn sich eine neue Bedrohung oder Krise abzeichnet. Die Union wäre dabei zwar weiterhin in der Lage, zivile Missionen und relativ kleine militärische Krisenbewältigungsmissionen und -operationen durchzuführen, wäre aber außer Stande, sich an Missionen mit höchsten Anforderungen zu beteiligen.

2. Geteilte Verantwortung für Sicherheit und Verteidigung: In diesem Szenario würde sich die Fähigkeit der EU verstärken, die Mitgliedstaaten beim Aufbau von Kapazitäten im Sicherheits- und Verteidigungsbereich zu unterstützen. Zudem würde sich ihre Fähigkeit verbessern, in den Bereichen Schutz zu gewähren, die an der Schnittstelle zwischen innerer und äußerer Sicherheit liegen, wie etwa die Bekämpfung von Terrorismus, hybriden Bedrohungen und Cyberbedrohungen, Grenzschutz, maritime Sicherheit und Energieversorgungssicherheit. Dabei müssten aber die Mitgliedstaaten, die über die schlagkräftigsten Streitkräfte verfügen, größere Bereitschaft zeigen, im Einklang mit den Erfordernissen von Art. 44 EUV, gemeinsam im Namen der Union hohe Anforderungen stellende Krisenbewältigungsmissionen und -operationen durchzuführen. In Bezug auf Verteidigung wäre die Zusammenarbeit zwischen den Mitgliedstaaten dann nicht mehr die Ausnahme, sondern die Regel.

3. Gemeinsame Verteidigung und Sicherheit: Dabei würden Solidarität und gegenseitige Hilfe zwischen den Mitgliedstaaten im Bereich Sicherheit und Verteidigung zur Regel werden – und zwar unter voller Ausschöpfung der in Art. 42 EUV gebotenen Möglichkeiten, einschließlich der schrittweisen Festlegung einer gemeinsamen Verteidigungspolitik der Union, die zu einer gemeinsamen Verteidigung führen kann [116]. Als Ergänzung zur NATO würde eine europäische „Gemeinsame Sicherheit und Verteidigung“ dazu beitragen, die Resilienz der Union zu stärken und sie in die Lage zu versetzen, anspruchsvollste Operationen durchzuführen – wie beispielsweise gegen größere Terrorgruppen, Marineoperationen in feindlichen Umgebungen oder Cyberabwehr-Maßnahmen. Neben der Förderung der Konvergenz der Strategiekulturen würden dabei auch echte europäische Sicherheitsinteressen entstehen, an denen sich die Mitgliedstaaten in ihren Verteidigungsplanungen strategisch ausrichten könnten. Aber auch gemeinsame Beschaffungsvorgänge – mit Unterstützung des Europäischen Verteidigungsfonds ließen sich so leichter abwickeln, würden dafür aber einen echten europäischen Markt für Verteidigungsgüter voraussetzen. Bisher ergingen diesbezüglich 2009 lediglich zwei einschlägige Richtlinien des Europäischen Parlaments und des Rates [117]. Schließlich würde eine eigens geschaffene „Europäische Agentur für Verteidigungsforschung“ zukunftsorientierte Innovationen im Verteidigungsbereich und deren Umsetzung in die militärischen Fähigkeiten von morgen unterstützen [118].

Mit diesem Reflexionspapier versucht die Europäische Kommission eine öffentliche Debatte über Wege zur „Sicherheits- und Verteidigungsunion“ in einer EU mit 27 Mitgliedstaaten zu eröffnen, dh bereits unter Berücksichtigung des zukünftigen Ausscheidens der wichtigsten Militärmacht in der EU, nämlich des Vereinigten Königreichs, als Folge des Brexit [119].

 

4.16. Der erste Versuch der Einrichtung einer „Ständigen Strukturierten Zusammenarbeit“ (PESCO) (2017)

Gem. Art. 42 Abs. 6 EUV können diejenigen EU-Mitgliedstaaten, „die anspruchsvollere Kriterien in Bezug auf die militärischen Fähigkeiten erfüllen und die im Hinblick auf Missionen mit höchsten Anforderungen untereinander weitergehende Verpflichtungen eingegangen sind, eine Ständige Strukturierte Zusammenarbeit im Rahmen der Union begründen“. Diejenigen Mitgliedstaaten, die sich an einer solchen „Ständigen Strukturierten Zusammenarbeit“ (Permanent Structured Cooperation, PESCO) beteiligen möchten und die Verpflichtungen eingehen, die im Protokoll (Nr. 10) über die Ständige Strukturierte Zusammenarbei [120] enthalten sind, teilen dem Rat und dem Hohen Vertreter der Union für Außen- und Sicherheitspolitik ihre Absicht mit, wobei der Rat binnen drei Monaten nach dieser Mitteilung einen Beschluss über die Begründung der „Ständigen Strukturierten Zusammenarbeit“ und über die Liste der daran teilnehmenden Mitgliedstaaten erlässt (Art. 46 Abs. 2 EUV).

Die „Ständige Strukturierte Zusammenarbeit“ berührt gem. Art. 42 Abs. 6 EUV aber nicht die Bestimmungen des Art. 43 EUV, der die sog. „Petersberg-Maßnahmen“ regelt, das sind Missionen, bei deren Durchführung die Union auf zivile und militärische Mittel zurückgreifen kann, um in Drittstaaten friedenssichernde Maßnahmen zu setzen, die unter anderem auch zur Bekämpfung des Terrorismus eingesetzt werden können.

Nicht damit verwechselt werden darf aber die „Solidaritätsklausel“ des Art. 222 AEUV iVm der Erklärung (Nr. 37) zu Art. 222 AEUV [121], gem. derer die Union und ihre Mitgliedstaaten ua im Falle eines Terroranschlags in einem Mitgliedstaat alle zur Verfügung stehenden militärischen Mittel zu mobilisieren haben, um die Bedrohung abzuwenden [122]. Auf sekundärrechtlicher Ebene ist die Terrorismusbekämpfung aktuell durch die Richtlinie (EU) 2017/541 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 15. März 2017  geregelt [123], durch die der bisherige Rahmenbeschluss 2002/475/JI des Rates vom 13. Juni 2002 zur Terrorismusbekämpfung [124] ersetzt wurde [125].

In systemwidriger Weise hat Frankreich nach den Anschlägen von Aktivisten des Islamischen Staates (IS) am 13. November 2015 in Paris nicht den dafür genau vorgesehenen Art. 222 AEUV, sondern vielmehr die militärische Beistandsklausel des Art. 42 Abs. 7 UAbs. 1 EUV angerufen [126], obwohl es sich um terroristische Attacken von Privatpersonen und nicht um „einen bewaffneten Angriff auf das Hoheitsgebiet eines Mitgliedstaats“ durch einen anderen Staat gehandelt hat. Die Annahme, dass der IS diesbezüglich bereits über eine gesicherte Staatsqualität verfügt hat, geht fehl, ebenso wie auch die Überlegung, dass sich die terroristischen Angriffe auf das Hoheitsgebiet Frankreichs bezogen haben. Frankreich verhängte in der Folge den Ausnahmezustand – den es mehrfach, nämlich insgesamt sechsmal, bis zum 1. November 2017, verlängerte – wandelte diesen in der Folge aber im September 2017 in ein eigenes „Anti-Terror-Gesetz“ um, das in beiden Kammern des französischen Parlaments mit überwältigender Mehrheit verabschiedet wurde [127]. Unter dem bisherigen Notstandsrecht wurden 4.400 präventive Hausdurchsuchungen bei mutmaßlichen Gefährdern vorgenommen und 62 Personen unter Hausarrest gestellt [128].

Um einen „Top-Down-Ansatz“ und eine hochrangige politische Steuerung zu gewährleisten, könnte die vorerwähnte „Ständige Strukturierte Zusammenarbeit“ (PESCO) über regelmäßige Sitzungen der Verteidigungsminister der teilnehmenden Mitgliedstaaten geleitet werden, wobei die Hohe Vertreterin sowohl den Vorsitz als auch eine zentrale Moderationsrolle übernehmen könnte. Damit wäre eine enge Verbindung zu allen EDA-Initiativen, zum Europäischen Auswärtigen Dienst (EAD) und zu den Arbeiten der Europäischen Kommission in den Bereichen innere Sicherheit, hybride Bedrohungen, Marktanreize und Forschung im Verteidigungsbereich gewährleistet [129].

Bisher ist es allerdings noch zu keiner definitiven Begründung einer PESCO im Schoß der EU gekommen. Im Hinblick auf die Stärkung der Sicherheit und Verteidigung Europas angesichts des derzeit schwierigen geopolitischen Umfelds und zur Verwirklichung der in der vorerwähnten „Globalen Strategie der EU im Bereich Sicherheit und Verteidigung“ (EUGS) [130] aufgeführten Zielvorgaben der Union erklärte Kommissionspräsident Juncker in seiner Rede zur Lage der Union am 14. September 2016: „Ich denke, jetzt ist der richtige Zeitpunkt, diese Möglichkeit zu nutzen“[131]. Dieser Überlegung schloss sich auch der Europäische Rat an, der es nunmehr ebenfalls für notwendig hält, dass eine inklusive und ehrgeizige PESCO begründet wird.

In seinen Schlussfolgerungen vom 23. Juni 2017 [132] stellt der Europäische Rat zum Thema Sicherheit und Verteidigung dementsprechend fest, dass die Mitgliedstaaten innerhalb von drei Monaten – auch im Hinblick auf Missionen mit höchsten Anforderungen – eine gemeinsame Liste von Kriterien und bindenden Verpflichtungen erstellen sollen, die voll und ganz im Einklang mit den vorerwähnten Art. 42 Abs. 6 und Art. 46 EUV sowie dem Protokoll (Nr. 10) über die Ständige Strukturierte Zusammenarbeit stehen müssen. Dazu sind noch ein genauer Zeitplan und spezifische Bewertungsmechanismen auszuarbeiten, damit diejenigen Mitgliedstaaten, die dazu in der Lage sind, unverzüglich mitteilen können, dass sie sich an dieser ersten PESCO beteiligen möchten. Diese Arbeiten müssen sowohl mit der nationalen Verteidigungsplanung der Mitgliedstaaten, als auch mit den Verpflichtungen, die die betreffenden Mitgliedstaaten mit den einschlägigen Gremien der Vereinten Nationen und denen der NATO vereinbart haben, in Einklang stehen [133].

 

5. Schlussbetrachtungen

Betrachtet man alle vorstehend aufgelisteten sicherheits- und verteidigungspolitischen Strategien und Instrumente, die in den letzten Jahren im Schoß der EU ausgearbeitet und auch beschlossen wurden, bekommt man den Eindruck, dass – im Gegensatz zu deren euphemistischer Ankündigung – auf der Ebene der konkreten Umsetzung sowie der Zuordnung derselben keine entsprechenden Erfolge verzeichnet werden konnten. Waren es früher die Sonderinteressen des Vereinigten Königreichs und auch Frankreichs, die – als ständige Mitglieder des Sicherheitsrates der Vereinten Nationen – einer intensiveren verteidigungspolitischen Kooperation im Rahmen der Union immer wieder reserviert gegenüberstanden, so sind es gegenwärtig eine Reihe unterschiedlichster Umstände, die einer entsprechenden Vertiefung der „Gemeinsamen Sicherheits- und Verteidigungspolitik“ (GSVP) der Union entgegenstehen.

Die Hindernisse für „mehr Europa“ in Sachen Verteidigung sind zum einen der dazu mangelnde politische Wille in einigen Mitgliedstaaten, zum anderen ein traditioneller NATO-Vorrang, letztlich aber auch eine konservative Rüstungspolitik und eine zu fragmentierte militärische Zusammenarbeit [134]. Überprüft man die vorliegenden sicherheits- und verteidigungspolitischen Strategien und Instrumente, vor allem aber die in ihnen mehrfach enthaltene Ankündigung des Aufbaus einer „Europäischen Sicherheits- und Verteidigungsunion“[135], inwieweit diese bereits den letzten Schritt in Richtung auf einen möglichen qualitativen Umschlag in das umfassende Konzept einer „gemeinsamen Verteidigung“ [136] darstellen, ist Skepsis angezeigt.

Weder einzeln, noch in Summe belegen sie die Bereitschaft der Mitgliedstaaten der Union, in absehbarer Zeit auf eine „gemeinsame Verteidigung“ hinzuarbeiten. Dazu kommt noch der Umstand, dass spätestens Ende März 2019 mit dem Vereinigten Königreich die wichtigste Militärmacht unter den bisherigen Mitgliedstaaten der EU die Union verlässt und damit für die verbleibenden Mitgliedstaaten umfassende Umstrukturierungsmaßnahmen und die Neuordnung des Verhältnisses zur NATO anstehen. Ganz allgemein würde sich aber gegenwärtig ein europäischer Alleingang im sicherheits- und verteidigungspolitischen Bereich keinesfalls anbieten, sondern es gilt, die transatlantische Kooperation mit der NATO weiter zu vertiefen, wenngleich die Signale, die diesbezüglich aus dem Weißen Haus kommen, nicht gerade ermutigend sind.

Damit hat sich aber in der 65-jährigen Periode seit der erstmaligen Konzeption einer „gemeinsamen Verteidigung“ auf der Basis des „Pleven-Plans“ in Europa nichts Gleichwertiges mehr ereignet, was mehr als signifikant ist. Der „Pleven-Plan“, den der französische Ministerpräsident René Pleven am 24. Oktober 1950 in einer Regierungserklärung der französischen Nationalversammlung vorlegte, enthielt den Vorschlag zur Bildung einer gemeinsamen europäischen Armee unter einem europäischen Verteidigungsminister und mündete nach langwierigen Verhandlungen in ein Abkommen zur Errichtung einer „Europäischen Verteidigungsgemeinschaft“ (EVG), das am 27. Mai 1952 von den Außenministern Deutschlands, Frankreichs, Italiens und denen der drei BENELUX-Staaten unterzeichnet wurde. In der Folge scheiterte der Plan der Gründung der EVG –  allerdings nur mit denkbar knapper Mehrheit – aber in der Abstimmung in der französischen Nationalversammlung am 30. August 1954 [137]. Heute kann nur mehr gemutmaßt werden, wie die UdSSR in der Zeit des Kalten Krieg es auf diese Herausforderung der westeuropäischen Staaten reagiert hätte, falls es tatsächlich zur Aufstellung einer europäischen Armee gekommen wäre.


[73] Teil I dieses Artikels erschien in der EU-Infothek vom 17. Oktober 2017.

[74] Siehe dazu vorstehend unter Punkt 4.3.

[75] Shared Vision, Common Action: A Stronger Europe;

https://eeas.europa.eu/top_stories/pdf/eugs_review_web.pdf;

vgl. https://eeas.europa.eu/headquarters/headquarters-homepage_en.

[76] Bendiek, A. Die Globale Strategie für die Außen- und Sicherheitspolitik der EU, SWP-Aktuell 44, Juli 2016, S. 1.

[77] Vgl. Kammel, A. Die neue Globale Strategie der EU – Ein neuer Referenzrahmen für die EU-Außenbeziehungen, AIES Fokus 6/2016, S. 2 ff.

[78] Dok. 9178/17.

[79] Vgl. Fiott, D. The CARD on the EU defence table, EU Institute for Security Studies (EUISS), April 2017, S. 1 f.

[80] Vgl. Schlussfolgerungen des Rates zu Sicherheit und Verteidigung im Kontext der globalen Strategie der EU, vom 18. Mai 2017, S. 12 f.

[81] Vgl. dazu nachstehend unter Punkt 4.12.

[82] Dok. 9178/17, S. 15.

[83] Juncker, J.-C. Ein neuer Start für Europa (Fn. 48), S. 12.

[84] Juncker, J.-C. Hin zu einem besseren Europa – einem Europa, das schützt, stärkt und verteidigt, Rede zur Lage der Union, vom 14. September 2016.

[85] //www.consilium.europa.eu/en/press-releases/2016/09/16-bratislava-declaration-and-roadmap

[86] Bericht des Europäischen Parlaments über die europäische Verteidigungsunion (2016/2052(INI)), angenommen am 22. November 2016.

[87] Schlussfolgerungen des Rates „Auswärtige Angelegenheiten“, vom 14. November 2016.

[88] Europäischer Verteidigungs-Aktionsplan;COM(2016) 950 final, vom 30. November016, S. 4.

[89] Schlussfolgerungen des Rates „Auswärtige Angelegenheiten“ vom 17. Oktober 2016.

[90] Rats-Dok. 14392/16, vom 14. November 2016.

[91] NATO Press Release (2016) 119, vom 8. Juli 2016; vgl. COM(2017) 294 final, S. 3.

[92] Siehe dazu vorstehend unter Punkt 4.12.

[93] Verordnung (EU) 2015/1017des EP und des Rates vom 25. Juni 2015 (ABl. 2015, L 169, S. 1 ff.).

[94] Europäischer Verteidigungs-Aktionsplan (Fn. 9), S. 13 f.

[95] Richtlinie 2009/43/EG (ABl. 2009, L 146, S. 1 ff.).

[96] Richtlinie 2009/81/EG (ABl. 2009, L 216, S. 76 ff.).

[97] Europäischer Verteidigungs-Aktionsplan (Fn. 9), S. 17 ff.

[98] COM(2017) 295, vom 7. Juni 2017; //europa.eu/rapid/press-release_IP-17-1508_de.htm.

[99] Kommission (Hrsg.), Zur Verteidigung Europas (Fn. 12), S. 3.

[100] Europäischer Verteidigungs-Aktionsplan (Fn. 9), S. 7 f.

[101] Europäische Kommission, Pressemitteilung IP/17/1508, vom 7. Juni 2017; Sicherheits- und Verteidigungsunion. Ein wehrhaftes Europa schaffen, EU-Nachrichten 10/2017, vom 15. Juni 2017, S. 2.

[102] Europäischer Verteidigungs-Aktionsplan (Fn. 9), S. 11.

[103] Fünf der sieben nicht der NATO angehörigen Mitgliedstaaten der EU sind neutrale Staaten, denen eine Mitgliedschaft in einem Verteidigungsbündnis iSv Art. 51 SVN völkerrechtlich an sich nicht erlaubt ist; vgl. dazu Hummer, W. Beistandspflicht – Solidarität – Neutralität, in: Kernic, F. – Hauser, G. (Hrsg.), Handbuch zur europäischen Sicherheit (2005), S. 115 ff.; Hummer, W. Die neue EU als „Militärpakt“. Solidarität – Neutralität – „irische Klausel“, in: Zeitschrift für Europarecht EuZ 1/2005, S. 2 ff.

[104] Europäischer Rat, Rat der EU, Pressemitteilung 419/16.

[105] Dok. 15283/16, vom 6. Dezember 2016, Anlage, S. 2 ff.

[106] Dok. 15283/16 (Fn. 105), Anlage zur Anlage, S. 5 ff.

[107] Dok. 15283/16 (Fn. 105), Anlage Pkt. 4, S. 3.

[108] Rat (Auswärtige Angelegenheiten), 10.05.2017;

//www.consilium.europa.eu/de/meetings/fac/2017/05/18/.

[109] Siehe dazu vorstehend unter Punkt 4.11.

[110] Siehe dazu vorstehend unter Punkt 4.12.

[111] COM(2017) 294 final.

[112] Schlussfolgerungen des Rates „Auswärtige Angelegenheiten“ zur Umsetzung der Globalen Strategie der EU im Bereich der Sicherheit und der Verteidigung, vom 14. November 2016; CFSP/PESC 906; Dok. 14149/16.

[113] Juncker, J.-C., Ein neuer Start für Europa: Meine Agenda für Jobs, Wachstum, Fairness und demokratischen Wandel. Politische Leitlinien für die nächste Europäische Kommission, Rede zur Eröffnung der Plenartagung des Europäischen Parlaments, Straßburg, 15. Juli 2014, S. 12.

[114] Reflexionspapier über die Zukunft der europäischen Verteidigung, COM(2017) 315 (Fn. 13).

[115] COM(2017) 315 (Fn. 13), S. 11 ff.; vgl. Brettner-Messler, G. – Hauser, G. Ein EU-Weißbuch für Sicherheit und Verteidigung, Schriftenreihe der Landesverteidigungsakademie, Wien, Bd. 20/2016.

[116] Vgl. dazu vorstehend unter Punkt 3.1.

[117] Vgl. dazu vorstehend unter Punkt 4.11.

[118] COM (2017) 315 (Fn. 13), S. 15.

[119] Vgl. Hummer, W. Der „Brexit“ und seine Auswirkungen auf die zukünftige Ausgestaltung der Beziehungen der EU zum Vereinigten Königreich, in: Zeitschrift für Europarecht (EuZ) 6/2016, S. 158 ff.

[120] ABl. 2016, C 202, S. 275 ff.

[121] ABl. 2016, C 202, S. 349.

[122] Vgl. dazu den Beschluss 2014/415/GASP des Rates vom 24. Juni 2014 über die Vorkehrungen über die Anwendung der Solidaritätsklausel durch die Union (ABl. 2014, L 192, S. 53 ff. idF ABl. 2014, L 221, S. 26).

[123] ABl. 2017, L 88, S. 6 ff.

[124] ABl. 2002, L 164, S. 3 ff.; geändert durch den Rahmenbeschluss 2008/919/JI des Rates vom 28. November 2008 (ABl. 2008, L 330, S. 21 ff.).

[125] Siehe dazu Hummer, W. Terrorismusbekämpfung in der Europäischen Union – Rahmenbedingungen, Strategien und Zuständigkeiten, ZEuS 2/2017, S. 145 ff.

[126] Siehe Hummer, W. Terrorismusbekämpfung mit unerlaubten Mitteln? Warum bemüht Frankreich das Szenario der „Beistandsklausel“ und nicht das der „Solidaritätsklausel“?, ÖGfE Policy Brief 41‘2015, S. 1 ff.

[127] In der Nationalversammlung stimmten 415 Abgeordnete dem Gesetz zu, 127 verwarfen es und 19 Abgeordnete enthielten sich der Stimme. Im Senat stimmten 229 Senatoren dafür und 106 dagegen, vgl. Frankreich macht den Ausnahmezustand zum Gesetz, //www.dw.com/de/frankreich-macht-den-ausnahmezustand-zum-gesetz/a-407923…; Französischer Senat billigt neues Anti-Terror-Gesetz, //www.dw.com/de/französischer-senat-billigt-neues-anti-terror-gesetz/a-39747668.

[128] Ausnahmezustand in Frankreich zum sechsten Mal verlängert, //www.dw.com/de/ausnahmezustand-in-frankreich-zum-sechsten-mal-verlängert/

[129] Kommission (Hrsg), Zur Verteidigung Europas (Fn. 12), S. 9.

[130] https://eeas.europa.eu/headquarters/headquarters-homepage_en.

[131] Juncker, J.-C. Hin zu einem besseren Europa – einem Europa, das schützt, stärkt und verteidigt, Rede zur Lage der Union, vom 14. September 2016.

[132] EUCO 8/17, vom 23. Juni 2017.

[133] Vgl. Giuliani, J.-D. Une Europe de la défense devient enfin possible, Le Figaro, 10. Juli 2017, S. 16.

[134] Kommission (Hrsg.), Zur Verteidigung Europas. Integrierte Verteidigungsfähigkeiten als Antwort auf Europas strategischen Moment, EPSC Strategiepapiere Nr. 4/2015, vom 15. Juni 2015,), S. 1.

[135] Zuletzt wieder in Kommission (Hrsg.), Reflexionspapier über die Zukunft der Europäischen Verteidigung, COM (2017) 315, vom 7. Juni 2017, S. 9. Bundesverteidigungsministerin Ursula von der Leyen begrüßte das Reflexionspapier der Kommission „ausdrücklich“ und stellte fest: „Es ist ambitioniert und zeigt, wie weit wir in den letzten zwölf Monaten auf dem Weg zu einer Sicherheits- und Verteidigungsunion gekommen sind“; Europa. Verteidigungsunion: EU-Kommission treibt Militarisierung der EU voran; https://deutsch.rt.com/europa/51998-verteidigungsunion-eu-kommission-treibt-militar

[136] Siehe dazu vorstehend unter Punkt 3.1.

[137] Vgl. Krüger, D. Die EVG – Ein Vorbild für eine zukünftige Europaarmee?, in: Hoyer/Kaldrack (Hrsg.), Europäische Sicherheits- und Verteidigungspolitik (ESVP). Der Weg zu integrierten europäischen Streitkräften? Forum Innere Führung (2002), S. 48 ff.

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