Freitag, 19. April 2024
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Rechtsgrundlagen des Sanktionenregimes der EU gegen Angehörige der Russischen Föderation bzw der Ukraine

Über die „Sanktionen der EU gegen Russland“ wird viel geredet und geschrieben, aber noch niemand hat sich die Mühe gemacht, die von der EU tatsächlich ergriffenen restriktiven Maßnahmen samt ihren Rechtsgrundlagen genau zu spezifizieren. Das Sanktionenregime der EU sowohl gegen Drittstaaten, als auch gegen natürliche und juristische Personen ist außerordentlich komplex, und zwar aus einer Reihe von Gründen.

[[image1]]Zum einen werden im gegenständlichen Fall die Sanktionen ja nicht – wie im Völkerrecht ansonsten üblich – durch einen Staat angedroht und vollstreckt, sondern sie erfolgen durch eine Internationale Organisation, die zwar, wie eben die EU, supranational organisiert ist, der aber trotzdem das Monopol physischer Gewaltsamkeit, über das nur Staaten verfügen, fehlt. Zum anderen sind sowohl die Willensbildung und die Beschlussfassung, als auch der Grundrechtsschutz sowie die Rechtskontrolle, im Falle von Sanktionsbeschlüssen der EU außergewöhnlich komplex konzipiert.  

Für ein umfassendes Verständnis der Sanktionen der EU gegen Staatsangehörige der Russischen Föderation wegen der militärischen Intervention Russlands in der Ukraine sowie gegen einige ukrainische Politiker, die diesen Vorgang begünstigten, benötigt man daher eine genaue Auflistung der einschlägigen Rechtsgrundlagen sowie eine nähere Darstellung, wie diese unterschiedlichen Rechtsgrundlagen eigentlich miteinander verbunden sind. Diese Übersicht soll nachstehend in aller Kürze gegeben werden. Zuvor muss aber ein kurzer Blick auf das Institut der gezielten Individualsanktionen („smart/targeted sanctions“) geworfen werden.

„Smart/targeted sanctions“

In der Erkenntnis, dass gegen einen Staat verhängte (Wirtschafts-)Sanktionen in der Regel vor allem dessen Zivilbevölkerung nachteilig treffen, wurde das Institut der „smart“ oder „targeted sanctions“ entwickelt, die gezielt gegen einzelne Personen oder Unternehmen eingesetzt werden, die die Hauptverantwortung für den Anlass tragen, aufgrund dessen Sanktionen verhängt werden. Ein weiterer Grund für die Verhängung solcher Individualsanktionen ist der immer mehr zunehmende Kampf gegen den Terrorismus, der ja gegen nichtstaatliche Strukturen, dh gegen private Terrorgruppen oder deren Financiers, geführt wird. Für beide Szenarien, nämlich die Verhängung von Embargomaßnahmen entweder gegen Drittstaaten oder gegen Individuen und Unternehmen, enthält nunmehr Artikel 215 AEU-Vertrag[1] eine entsprechende Rechtsgrundlage.

Individualsanktionen iSv restriktiven Maßnahmen gegen natürliche oder juristische Personen sowie Gruppierungen oder nichtstaatliche Einheiten können gemäß Artikel 215 Absatz 2 AEU-Vertrag vom Rat aber erst dann verhängt werden, wenn vorab ein entsprechender Beschluss im Rahmen der „Gemeinsamen Außen- und Sicherheitspolitik“ (GASP) der EU gefasst wurde.[2] Der Grund dafür ist der, dass zunächst auf außenpolitischer Ebene festgestellt werden soll, ob überhaupt Sanktionen ergriffen werden sollen und welche Konsequenzen eine solche Vorgangsweise für die EU und ihre Mitgliedstaaten haben würde. Im Vorfeld dazu kann der Rat gemäß Artikel 29 EU-Vertrag auch Beschlüsse erlassen, in denen der Standpunkt der EU zu einer bestimmten Frage geografischer oder thematischer Art festgelegt wird, wobei die Mitgliedstaaten dafür Sorge zu tragen haben, dass ihre einzelstaatliche Politik mit den Standpunkten der EU in Einklang steht.

Beschluss 2014/145/GASP des Rates

Genau das war aber der Fall bei der militärischen Intervention Russlands auf der Krim, im Gefolge derer der Rat den auf Artikel 29 EU-Vertrag gestützten Beschluss 2014/145/GASP vom 17. März 2014 über restriktive Maßnahmen angesichts von Handlungen, die die territoriale Unversehrtheit, Souveränität und Unabhängigkeit der Ukraine untergraben oder bedrohen[3], erließ und dabei auf Folgendes hinwies. Am 6. März 2014 haben die Staats- und Regierungschefs der EU-Mitgliedstaaten die grundlose Verletzung der Souveränität und der territorialen Unversehrtheit der Ukraine durch die Russische Föderation scharf verurteilt und die Russische Föderation aufgefordert, unverzüglich ihre Streitkräfte in die Gebiete zurückzubeordern, in denen sie gemäß den einschlägigen Abkommen dauerhaft stationiert sein dürfen.

Der dabei beschlossene „Drei-Stufen-Plan“ sieht folgendermaßen aus: Nachdem der Rat bereits am 3. März 2014 Maßnahmen – wie zB die Aussetzung der bilateralen Gespräche über Visumfragen sowie über ein neues umfassendes Abkommen, das das bestehende Partnerschafts- und Kooperationsabkommen ersetzen soll – in Aussicht genommen hat, haben die Staats- und Regierungschefs der Mitgliedstaaten auf ihrer vorerwähnten Tagung diese Vorgaben gebilligt (Stufe 1), zugleich aber auch betont, dass sie über weitere Maßnahmen, wie beispielsweise Reiseverbote, das Einfrieren von Vermögenswerten, und die Absage des Gipfeltreffens EU-Russland, anlassbezogen entscheiden werden (Stufe 2). Sollte Russland weitere Maßnahmen zur Destabilisierung vornehmen- zusätzlich zur Krim etwa in der Ost-Ukraine – oder militärische Aktionen setzen, dann soll eine breite Palette wirtschaftlicher Sanktionen eingesetzt werden (Stufe 3).

Angesichts der aktuellen Umstände sollten aber gegen Personen, die für Handlungen verantwortlich sind, die die territoriale Unversehrtheit, Souveränität und Unabhängigkeit der Ukraine untergraben oder bedrohen und gegen mit ihnen verbundene Personen, Organisationen oder Einrichtungen Reisebeschränkungen verhängt und ihre Vermögenswerte eingefroren werden. Diesbezüglich enthält der Anhang zum Beschluss 2014/145/GASP[4] insgesamt 21 Personen, unter denen sich 13 russische und 8 ukrainische Staatsangehörige befinden. In der Gruppe der russischen Staatsangehörigen sind 10 Politiker und 3 Militärs enthalten, die ukrainische Gruppe wiederum besteht aus 6 Politikern und 2 Militärs bzw. Geheimdienstangehörigen (aus der Krim). Prominente Namen aus der Entourage Putins befinden sich nicht darunter.

Der Beschluss 2014/145/GASP enthält folgende Sanktionen: Verweigerung der Ein- und Durchreise durch das jeweilige Hoheitsgebiet der EU-Mitgliedstaaten. Davon unberührt bleibt die Einreise eigener Staatsangehöriger, die Ein- und Durchreise aufgrund eines völkerrechtlichen Titels, einer humanitären Notlage uam (Artikel 1). Einfrieren sämtlicher Gelder und wirtschaftlicher Ressourcen von den im Anhang aufgeführten natürlichen oder juristischen Personen, Organisationen oder Einrichtungen (Artikel 2).

Verordnung (EU) Nr. 269/2014 des Rates

Genau diese restriktiven Maßnahmen – nämlich das Einfrieren sämtlicher Gelder, die Eigentum der in Anhang I aufgeführten natürlichen Personen oder mit diesen in Verbindung stehenden natürlichen oder juristischen Personen, Einrichtungen oder Organisationen sind (Artikel 2 Absatz 1), das Verbot, dieser Personengruppe weder unmittelbar noch mittelbar Gelder oder wirtschaftliche Ressourcen zur Verfügung zu stellen (Artikel 2 Absatz 2) sowie die Nichtstattgabe von Forderungen und Schadensersatzansprüchen von Personen dieser Personengruppe (Artikel 11) – wurden danach durch die auf den vorstehend erwähnten Beschluss sowie auf die auf Artikel 215 AEU-Vertrag gestützte gleichlautende Verordnung (EU) Nr. 269/2014 des Rates vom 17. März 2014[5] angeordnet.

Die Liste im Anhang I dieser Verordnung[6] enthält eine idente Aufstellung der 21 Personen, die bereits auf der Liste im Anhang des Beschlusses 2014/145/GASP figurierten.[7]

Durchführungs-Verordnung (EU) Nr. 284/2014 des Rates

Nachdem der Europäische Rat am 20. März 2014 übereingekommen ist, die Liste der Personen, für die ein Visumverbot gilt und deren Vermögen eingefroren wird, zu erweitern,[8] wurde die Verordnung (EU) Nr. 269/2014 des Rates in der Folge durch die gleichlautende Durchführungsverordnung (EU) Nr. 284/2014 des Rates vom 21. März 2014[9] in dem Sinn näher präzisiert, dass weitere Personen, die im Anhang dieser Durchführungs-Verordnung[10] aufscheinen, in die Liste des Anhangs I der Verordnung (EU) Nr. 269/2014 des Rates aufgenommen werden sollen. Es handelt sich dabei um 12 weitere Personen, nämlich 10 Russen und 2 Ukrainer, unter denen sich auch zwei Frauen befinden. Unter den aufgelisteten 10 russischen Staatsangehörigen befinden sich auch 3 Militärs.

Ganz allgemein handelt es sich bei diesen gelisteten Russen um politische Funktionäre, die höhere Ämter als diejenigen Politiker bekleiden, die in den identen Listen des Beschlusses 2014/145/GASP bzw. der Rats-Verordnung (EU) Nr. 269/2014 enthalten sind. Einige davon gehören als enge Vertraute und Berater des Präsidenten der Russischen Föderation eindeutig zum innersten Machtzirkel im Kreml.

Fazit

In Summe betreffen die Individualsanktionen, die die EU auf der Basis der Stufe 2 ihrer Sanktionenskala verhängt hat, insgesamt 33 Personen, über die Eigentums- und Reisebeschränkungen verhängt wurden. Die Stufe 3, nämlich die Verhängung von Wirtschaftssanktionen, wurde bisher noch nicht aktiviert. Diesbezüglich sind sich die EU und die USA einig, wie dies auch in der Gemeinsamen Erklärung nach dem EU-USA – Gipfeltreffen vom 26. März 2014 zum Ausdruck kommt: „Further steps by Russia to destabilise the situation in Ukraine would lead to additional and far reaching consequences for the EU’s and US‘ relations with Russia in a broad range of economic areas“.[11]

Russland konterte zwischenzeitlich mit ersten Gegensanktionen, die aber nur an die Adresse der USA, nicht aber an die der EU gerichtet waren. So verhängte Russland Einreiseverbote gegen 9 US-Politiker, unter denen sich auch der republikanische Senator John McCain und der Sprecher des Repräsentantenhauses, John Boehner, befinden.

Die USA wiederum erweiterten ihre ursprüngliche Liste der von Einreiseverboten und Kontosperren betroffenen 11 Personen – 7 Russen und 4 Ukrainer – um 9 weitere ranghohe russische Politiker und Vertreter der russischen Industrie, sodass nunmehr in Summe 20 Personen von den US-Sanktionen betroffen sind. Neben dem ex-Präsidenten der Ukraine, Viktor Janukowitsch, befinden sich auf diese Liste Mitglieder der Staatsduma und des Föderationsrates sowie ein enger Berater von Präsident Putin. Außerdem wurde die Bankengruppe „Rossija“ mit Sanktionen belegt.[12]

So sinnvoll die Verhängung von Individualsanktionen in Form von „smart“ oder „targeted sanctions“ im Vergleich zu Embargomaßnahmen gegen einen ganzen Staat auch ist, so werfen auch diese eine Fülle von komplexen Fragestellungen auf, die im modernen Völkerrecht und Europarecht noch nicht ganz zufriedenstellend geregelt sind. Vor allem der Trend der dabei zu beobachtenden „negativen Reziprozität“ – iSe gegenseitigen Hinauflizitierens der Sanktionsmaßnahmen – ist als nachteilig anzusehen, resultiert aber einfach aus dem Umstand, dass sich jede der beiden Streitparteien „im Recht glaubt“ und daher die Sanktionen der anderen Seite, gleichsam automatisch, retorsiv beantwortet.  Das Fehlen eines obligatorischen Streitbeilegungssystems im Völkerrecht leistet dieser Vorgangsweise naturgemäß Vorschub.

Die völkerrechtlich komplexe Situation der Intervention der Russischen Föderation auf der Krim, die seitens Russlands und der EU völlig konträr gesehen und eingeschätzt wird, hat neuerdings eine wichtige Klärung erfahren. In ihrem Gutachten vom 21. März 2014 zur Frage, ob der Entwurf Nr. 462741-6 zur Ergänzung der Verfassung der bundesstaatlichen Russischen Föderation über das Verfahren der Aufnahme in die Föderation und die Schaffung eines neuen Rechtssubjekts der Russischen Föderation mit dem Völkerrecht kompatibel ist[13], kommt die „Europäische Kommission für Demokratie durch Recht“ („Venedig-Kommission“) des Europarates zu dem Schluss, dass der Entwurf mit den völkerrechtlichen Bestimmungen nicht im Einklang steht. Er verletzt nämlich eine Reihe von grundlegenden völkerrechtlichen Prinzipien, wie die territoriale Integrität, die nationale Souveränität, das Prinzip der Nicht-Intervention in die innerstaatlichen Angelegenheiten eines anderen Staates und das fundamentale vertragsrechtliche Prinzip „pacta sunt servanda“.   


[1] Amtsblatt EU 2012, C 326, S. 144.

[2] Der Übergang von der intergouvernamentalen GASP in die supranationale Beschlussfassung nach Artikel 215 AEU-Vertrag ist daraus ersichtlich, dass der Vorschlag für den verbindlichen Rechtsakt nach Artikel 215 AEU-Vertrag vom Hohen Vertreter und der Kommission gemeinsam eingebracht wird (Artikel 215 Absatz 1 AEU-Vertrag).

[3] Amtsblatt EU 2014, L 78, S. 16 ff.

[4] Amtsblatt EU 2014, L 78, S. 19 ff.

[5] Amtsblatt EU 2014, L 78, S. 6 ff.

[6] Amtsblatt EU 2014, L 78, S. 11 ff.

[7] Siehe Fußnote 4.

[8] Punkt 6. der Schlussfolgerungen zur Ukraine gebilligt vom Europäischen Rat, vom 20. März 2014, S. 2.

[9] Amtsblatt EU 2014, L 86, S. 27.

[10] Amtsblatt EU 2014, L 86, S. 28 f.

[11]EU-US Summit – Joint Statement, Rats-Dok. 8228/14 PRESSE 190, vom 26. März 2014, S. 1.

[12] Für eine komplette Zusammenstellung aller verhängten Individualsanktionen siehe www.tagesschau.de/ausland/sanktionsliste-russland100.html (Stand: 21. März 2014).

[13] Council of Europe, Venice Commission, Opinion no. 763/2014, CDL-AD(2014)004, vom 21. März 2014.

 

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