Mittwoch, 16. Oktober 2024
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Jetzt geht’s los…

Foto © BM für Europa Integration und Aeußeres/flickr (Ausschnitt)

Der nächste Kanzler hat im Wahlkampf alles richtig gemacht – doch jetzt muss Sebastian Kurz beweisen, wie gut er wirklich ist…

Das „Wunderkind der österreichischen Politik“ (Copyright:„Washington Post“) oder der „Macron der Rechten“ („ABC“, Madrid) oder – noch besser – „Österreichs politischer Messias“ („The Times“, London) hat es erwartungsgemäß geschafft: Sebastian Kurz, am Sonntag mit der türkis eingefärbten Volkspartei klare Nummer Eins geworden, ist drauf und dran, 13. Bundeskanzler der Republik zu werden.  Als 17. Bundesparteiobmann der rot-weiß-roten Konservativen konnte er das jahrzehntelange, nur durch die Ära Schüssel durchbrochene Dasein im Schatten der Roten beenden, das ihnen der SPÖ-Sonnenkönig Bruno Kreisky 1970 verordnet hatte.

Die zahlreichen Kurz-Fans – immerhin eine/r von drei Wählerinnen und Wählern – sind begeistert, dass der junge, sympathische, freundliche, überzeugende, charismatische und professionell wirkende Außenminister nicht nur exakt für jene politische Veränderung steht, die längst fällig ist, sondern auch all das verspricht, was viele dringend wollen – beispielsweise mehr Geld im Börsel, weniger Ausländer in Österreich sowie Reformen, Reformen, Reformen, wohin man auch schaut. Sie halten ihn für einen neuen, vielversprechenden Politiker-Typus – modern, mutig, durchsetzungsstark, lösungsorientiert, konsequent und weiß der Teufel noch was alles – einen hochtalentierten Wunderwuzzi, der für einen anderen Polit-Stil, einen anderen Polit-Kurs und eine andere Polit-Effizienz sorgen wird.

Die zahllosen Kurz-Gegner indes – immerhin zwei Drittel der Wählerinnen und Wähler, die am 15. Oktober allesamt eine andere Parteien bevorzugt haben – scheinen großteils  die Welt nicht mehr zu verstehen: Für sie  ist der neue Boss ein weithin unerfahrener, bei vielen Themen weithin unterbelichteter Jungspund, der sich marketingmäßig zwar hervorragend verkauft, aber im Grunde genommen außer leeren Floskeln bzw. Versprechen wenig zu bieten hat. Dieser Mann als Kanzler in einer Koalition mit HC Sprache – einfach gruselig. Oder Kurz an der Spitze einer Regierung, in der die Roten sitzen, wenn auch nicht der bisherige Kanzler, sondern zum Beispiel Hans Peter Doskozil – genauso schrecklich…

Einwand, Herr Kurz…

Der türkise Hoffnungsträger des Jahres, der zweifellos am liebsten über die Auswüchse der Flüchtlingskrise, also nicht mehr willkommene Asylwerber und komplizierte Integrationsprobleme redet, hat es im Wahlkampf tatsächlich verstanden, so zu tun, als hätte er mit der Volkspartei kaum etwas zu tun, wiewohl diese schon seit 30 Jahren in der Regierung präsent und damit für Missstände, Versäumnisse, Ungerechtigkeiten und politische Scharlatanerien durchaus mitverantwortlich ist. Es ist ihm hervorragend gelungen, – wie es die „Financial Times“ formulierte – den Rechtsauslegern der Freiheitlichen Partei den Zündstoff aus der Hand zu nehmen, die Wechselstimmung im Lande zu nutzen, indem er versprach, ein müde gewordenes politisches System zu erneuern. Und trotzdem hängen ihm nun, vor Beginn der ungemein komplizierten Koalitionsverhandlungen, einige Klischeevorstellungen nach, die wir hier auf ihren Wahrheitsgehalt abklopfen wollen.

Vorurteil 1: Kurz ist zu jung. Tatsächlich wird er der jüngste Regierungschef in ganz Europa, wenn nicht gar der Welt sein. Bislang war Alfred Gusenbauer, der mit 47 antrat, der jüngste Kanzler – alle anderen waren so wie Christian Kern, Franz Vranitzky und Viktor Klima gerade 50, etliche noch älter. Es ist aber festzuhalten, dass  es der erst 39-jährige  Emmanuel Macron zum französischen Präsidenten brachte und dass zuvor der gleichaltrige Italiener Matteo Renzi Italiens Ministerpräsident geworden ist, wenn auch nur relativ kurzfristig. Ein Blick auf royale Würdenträger belegt, dass manche in der Vergangenheit  sogar blutjung am Thron landeten: Franz Joseph I ist mit 18 Kaiser geworden (und hat das fast 68 Jahre ausgehalten); Thailands Bhumibol  begann mit 19 zu regieren; Japans Tenno Hirohito übernahm mit 20 die Regierungsgeschäfte seines kranken Vaters übernommen; unsere Maria Theresia stand mit 23 an der Spitze der Habsburger-Monarchie; und die heute 91-jährige Elizabeth II hatte  bereits 1952 mit 26 den Thron bestiegen.  Die imperialen Herrschaften mussten sich zwar durchwegs nicht mit einer alles anderen als unkomplizierten ÖVP abmühen, doch Kurz wird womöglich auch das halbwegs elegant und ohne allzu massive Komplikationen schaffen.

Vorurteil zwei: Kurz ist zu unerfahren. Der Faktencheck ergibt: stimmt nicht. Tatsächlich war er ab 2009 Bundesobmann der Jungen Volkspartei, ab 2010 Wiener Gemeinderat, von 2011 bis 2013 Staatssekretär für Integration und ab 2013 Außen-, Europa- und Integrationsminister. Das heißt: Kurz verfügt über weitaus mehr politische Erfahrung als etwa Christian Kern und – was die Regierungsarbeit anlangt – über längere Dienstzeiten als HC Strache und alle übrigen Spitzenkandidaten. Was obendrein für ihn spricht: Er verstand es, auch bei Kontakten mit dem russischen oder amerikanischen Außenminister gut aufzutreten und dabei eine überzeugende Figur zu machen.

Vorurteil drei: Kurz hat weder Studium noch Berufserfahrung. Die Wahrheit ist: Er hat nach der Matura mit Auszeichnung 2005 an der Uni Wien sehr wohl Rechtswissenschaft zu studieren begonnen, das Studium jedoch auf Grund der übernommenen Polit-Jobs nicht vollenden können. Die mehr als sechsjährige Tätigkeit als Staatssekretär und Bundesminister ist zweifellos als Berufserfahrung zu werten – richtig ist: Kurz war niemals ÖBB-Chef (wie Kern) und keinen Tag lang Zahntechniker (wie HC). Sofern ein Studium und Vordienstzeiten in der Wirtschaft Grundbedingung für eine politische Tätigkeit wären, würden die politisch unerfahrenen Quereinsteiger Franz Vranitzky oder Christian Kern folgerichtig hundert Punkte erhalten – der mit allen politischen Wassern gewaschene Werner Faymann hätte freilich nicht zum Zug kommen dürfen.

Vorurteil vier: Kurz wird sich letztlich gar nicht durchsetzen können. Dieser Aspekt ist leider im Bereich Kaffeesudlesen angesiedelt: Die Volkspartei in ihrer derzeitigen Struktur ist bei Gott nicht leicht zu führen – und was den schwarzen Fürsten der Finsternis (Copyright: Matthias Strolz) und anderen schwarzen Keyplayers noch alles einfallen wird, um aufzufallen, weiß kein Mensch. Kurz hat sich jedoch vor dem Amtsantritt – im Gegensatz zu allen seinen Vorgängern, was zweifellos für ihn spricht – abgesichert, indem er sich parteiinterne Sonderrechte zusichern ließ. Im Ernstfall wird er also mit harter Hand durchgreifen, was ganz gut in sein eher autoritäres Persönlichkeitsprofil passt. Man wird jedenfalls sehen, wie beliebt der beim letzten Bundesparteitag  mit 98,7 Prozent der Delegiertenstimmen gewählte ÖVP-Boss in Zukunft bleiben wird. Und was die Führung der Koalitionsregierung abelangt – wie immer diese aussehen mag -, so wird er zumindest versuchen, mit Hilfe einer so genannten Richtlinienkompetenz das Ministerteam effizient zu managen. Hat bisher auch noch kein Kanzler verlangt, aber Angela Merkel weiß, dass sie damit bisher gut gefahren ist.

Vorurteil fünf: Kurz wird seine Versprechen nicht halten. Eine derartige Mutmaßung ist nach jeder Wahl nicht von der Hand zu weisen und daher legitim. Bisher waren viele Zweifel durchaus berechtigt – doch wie es im aktuellen Fall aussieht, muss bei mehreren konkreten Überprüfungen evaluiert werden. Die EUI wird erstmals nach der obligaten 100-tägigen Schonfrist für den neuen Kanzler analysieren, wie es um die türkisen Wahlzuckerl steht – und in weiterer Folge diesbezüglich immer am Ball bleiben.

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