Donnerstag, 7. November 2024
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Durchmarsch der antieuropäischen Protestpartei UKIP

Bei den Kommunalwahlen in Großbritannien hat die UK Independence Party ein fulminantes Ergebnis erzielt. Die Konservativen müssen vor der neuen politischen Kraft zittern.

[[image1]]“Das jagt Schockwellen durchs Establishment“ freute sich UKIP-Chef Nigel Farage über das Resultat der Kommunalwahlen in England und Wales,  bei der die europafeindliche Protestpartei 26 Prozent der Stimmen erobern konnte und der Konservativen Partei von Regierungschef David Cameron schwere Verluste zufügte. Vor allem enttäuschte Wähler der Konservativen Partei liefen in Scharen zu UKIP über. Bei Nachwahlen in der Labour-Hochburg South Shields im Nordosten Englands, die am selben Tag stattfanden, blieb die Arbeiterpartei zwar die stärkste Kraft. Doch UKIP, die vor allem mit ihrer scharfen Kritik an der Einwanderungspolitik punkten konnten, lagen mit 24 Prozent der Stimmen an zweiter Stelle vor den Tories.  Einen schweren Rückschlag erlitten die Liberaldemokraten, die mit den Tories gemeinsam die Regierungskoalition bilden: In South Shields erhielt ihr Kandidat lediglich 352 Stimmen und landete damit weit abgeschlagen auf dem siebten Platz.

Konsequenzen für die Europapolitik

Vor kurzem hatte Cameron die rechte Konkurrenz noch als „Bande von Spinnern,  Idioten und verkappten Rassisten“ abgekanzelt,  doch das hat er nun bitter bereut. Cameron reagiert inzwischen vermehrt auf den Druck der Protestpartei. Schon seine Bereitschaft, überhaupt eine Volksabstimmung über das Verhältnis der Briten zum restlichen Europa anzuberaumen, gilt als Konzession an die Wähler, die mit UKIP sympathisieren. In einem Interview im Vorfeld der Kommunalwahlen signalisierte der Regierungschef nun sogar, er werde die Optionen für ein baldiges Referendum ausloten lassen. Bereits vor den nächsten Parlamentswahlen im Mai 2015 könnte demnach ein entsprechender Gesetzentwurf ins Unterhaus eingebracht werden, versprach Cameron. Im Januar hatte sich der Regierungschef lediglich darauf festgelegt, dass im Falle eines konservativen Wahlsiegs spätestens 2017 ein Referendum stattfinden werde. Damit hoffte er sich den Spielraum für Verhandlungen über eine Reihe von Konzession für Großbritannien verschaffen zu können. Die UKIP-Partei, die für den Austritt wirbt, fordert dagegen eine sofortige Volksabstimmung. Das aber würde bedeuten, dass die Briten über den Status Quo, der den meisten von ihnen absolut nicht passt, votieren würden und damit wäre ein Austritt fast programmiert. Nach den Kommunalwahlen meldete sich mit David Davis, einem innerparteilichen Rivalen Camerons, erstmals ein prominenter Euroskeptiker zu Wort, der fordert, die Briten sollten in jedem Fall noch vor den Parlamentswahlen in einem Referendum über das Verhältnis Großbritanniens zur EU entscheiden können.

Neue Kraft im britischen Parteiensystem

Bisher war UKIP von ihren Gegnern gern als Ansammlung von Clowns verspottet worden. Durch ihren Erfolg bei den Gemeindewahlen und bei den Nachwahlen in South Shields, bei der UKIP zum vierten Mal in den letzten sechs Monaten bei einer Nachwahl an die zweite Stelle aufrückte, hat sich die populistische konservative Protestpartei nun jedoch als vierte Kraft im politischen System Großbritanniens vorgekämpft. Vor allem enttäuschte Wähler der Konservativen Partei liefen in Scharen zu UKIP über. Das könnte bei den nächsten Parlamentswahlen ernste Konsequenzen haben: denn wenn die Anti-Europapartei den Tories zu viele Stimmen abnimmt, könnte dies der Regierungspartei den Wahlsieg kosten. Ohnehin liegt die Labour-Partei nun schon seit längerem rund zehn Prozentpunkte in den Umfragen vorne. Alarmierend für die Konservativen ist in diesem Zusammenhang auch eine Umfrage von YouGov im Auftrage der Times, der zufolge die Tories sechsmal so viele Wähler an UKIP verlieren wie Labour.

Bisher ist es UKIP zwar noch nicht gelungen, einen einzigen Abgeordneten ins britische Unterhaus zu schicken, denn die Hürde dafür ist angesichts des britischen Mehrheitswahlrechts besonders hoch. Doch nach den Kommunalwahlen nimmt Farage den Mund voll:  „Alles ist möglich. Ich will die Politik fundamental verändern“, prahlte er im Hinblick auf die nächsten Parlamentswahlen und verweist auf das Beispiel Kanada. Dort habe die Refompartei zunächst nur eine Nachwahl gewonnen, sei jedoch später als größte Partei ins Parlament eingezogen.

Chancen bei den nächsten Wahlen zum Europaparlament

Gute Chancen rechnet sich UKIP nun  vor allem bei den nächsten Europawahlen aus, die im Mai 2014 stattfinden werden und bei denen das Verhältniswahlrecht gilt. Bisher ist die Partei in Brüssel mit 13 Europaabgeordneten vertreten. Sollte UKIP kräftig zulegen und in Großbritannien womöglich als stärkste Kraft aus den Europawahlen hervorgehen, so könnte dies Cameron persönlich gefährlich werden: schon jetzt gibt es Hinterbänkler in seiner Partei, die ihn durch einen radikaleren Politiker ersetzen wollen. In der Europapolitik ist er seinen Gegnern zu kompromissbereit; seine Haltung zur Einwanderung von Osteuropäern wird von Kritikern innerhalb und außerhalb der Tory-Partei als viel zu lasch bezeichnet. Bei gesellschaftspolitischen Themen sei er außerdem zu modern, städtisch und liberal: so hat ihm die Befürwortung der Homo-Ehe beim rechten Flügel seiner Partei und bei den ländlichen Tories viel Unterstützung gekostet. Manche von ihnen sind wegen der Homo-Ehe sogar aus der Partei ausgetreten.

Mann des Volkes

Im Gegensatz dazu gibt sich UKIP-Chef Nigel Farage als volksverbundener Politiker, seine  Socken mit dem lila Pfund-Zeichen sind Programm: die britische Währung will er bis zum letzten Atemzug verteidigen. Der 49jährige gilt als Schreck der etablierten Parteien, die bei den Themen Europa und Einwanderung nicht an ihm vorbeikommen. Seit 1999 sitzt er im Europaparlament, wo er provoziert und Obstruktionspolitik betreibt. Ratspräsident Herman Van Rompuy  habe das „Charisma eines Putzlappens“ lautet einer seiner Lieblingssprüche. Zwar stammt Farage, der einst eine teure Privatschule besuchte, nicht aus armen Verhältnissen. Doch er kultiviert das Image des Anti-Establishment Politikers: er trinkt und raucht in der Öffentlichkeit und erzählt sogar bereitwillig vom Besuch in Stripptease-Lokalen. Nach dem Abitur ging er in die Londoner City und wurde Rohstoffhändler.  Erschüttern kann ihn wenig: er  hat einen schweren Autounfall, Hodenkrebs und einen Flugzeugabsturz überlebt. Seine Popularität beruht darauf, dass er sich glaubwürdig als Politiker präsentiert, der sich nicht um politische Korrektheit schert sondern sich vom gesunden Menschenverstand leiten lässt. Farage kommt an, „weil er unsere Sprache spricht“, sagen seine Wähler.

Über David Cameron, der als Vertreter der elitären Oberschicht gilt, hört man solche Kommentare nie. Ebenso wie Labour-Chef Ed Miliband und Nick Clegg, der Chef der Liberaldemokraten,  ist Cameron Anfang 40, schlank und mit seinem geschliffenen Auftreten ein typisches Produkt der Eliteuniversitäten Oxford oder Cambridge.  Farage dagegen spricht genau Teile der britischen Gesellschaft an, die sich von den Eliten missverstanden fühlen und erleben müssen, dass ihr Lebensstandard aufgrund der schlechten Wirtschaftslage und des Sparprogramms der Regierung sinkt. Zu vermuten ist, dass genau diese Briten bei einer Volksabstimmung für den Austritt aus der EU stimmen werden, auch wenn die wirtschaftliche Vernunft dagegen spricht.

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