Dienstag, 30. April 2024
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Ibiza-Gate: Der Tag an dem ein gewisser „Erfahrungsnotstand“ sichtbar wurde

Sebastian Kurz / Bild © OSZE (Ausschnitt)

Kurz und die ÖVP sonnen sich in den aktuellen Umfragen. Intern stellt man sich allerdings auch die Frage, ob der junge „Alt-Kanzler“ nicht überhastet reagiert hat, weil ihm einfach die Erfahrung im Umgang mit kritischen Situationen fehlte.

Als am Freitag vor mehr als 10 Tagen das so genannte Ibiza-Video publik wurde, löste dies in mehrfacher Hinsicht ein politisches Erdbeben in Österreich aus. Innerhalb von vielleicht 24 Stunden wurde eine Koalition zu Grabe getragen, die sich zum Ziel gesetzt hatte, zumindest zwei Legislaturperioden lang zu regieren und das Land grundlegend zu verändern, wenn man so will zukunftsfit zu machen. Und diese Regierung hatte auch die Legitimation von 60 Prozent der Wähler. Mehr noch, sie hatte diese nicht nur am Wahltag erhalten sondern auch noch eineinhalb Jahre nachher fest auf ihrer Seite. Ein übrigens im europäischen Vergleich für eine Regierung höchst ungewöhnlicher Zustand.

Vorsicht, Falle!

Die durch EU-Infothek täglich neu aufgedeckten Enthüllungen über die Entstehungsgeschichte des Ibiza-Videos, werden noch eine Fülle von Folgerungen, auch rechtlicher und gerichtlicher Natur haben. Bis hin zu möglichen politischen Implikationen. Sie ändern freilich nichts an den Aussagen der beiden Protagonisten Heinz Christian Strache und Johann Gudenus, die da in eine Falle gelockt wurden.. Gleichzeitig stellt sich aber nun die Frage, ob die Reaktion von Sebastian Kurz nicht voreilig, ein nicht bis zur letzten Konsequenz durchdachter Schnellschuss war. Hätte er nicht abwarten müssen, bis die Hintergründe dieser geplanten Falle sichtbar werden? Hätte es nicht andere Möglichkeiten gegeben als die Auflösung einer Partnerschaft und die Direttissima in Neuwahlen?

Die aktuellen Umfragen zeigen das Dilemma. Die ÖVP gewinnt zwar ordentlich dazu und auch die NEOS legen zu, schaffen aber zusammen nur etwa 48 Prozent. Zu wenig für eine Regierungsmehrheit. Eine Dreier-Koalition wird zwar von gewissen Medien herbeigeschrieben, ist aber ein mühsames Unterfangen, weil immer die Möglichkeit besteht, dass sich zwei zusammentun und den Dritten in der Runde ausspielen. Dazu kommt, dass die österreichischen Grünen im Gegensatz zu ihren deutschen Kollegen keinen Mitte- sondern einen klaren Linkskurs steuern und als ernst zu nehmender Partner ausscheiden. In der ÖVP hat daher ein Nachdenkprozess begonnen, mit welchem Partner nach den Parlamentswahlen im September eine Regierung gebildet werden könnte, die den Reformprozess fortsetzt. Eine zwar verhaltende, aber dennoch leise spürbare blaue Nostalgie ist plötzlich nicht von der Hand zu weisen,

Alleingang

Kurz litt offenbar unter einem „Erfahrungsnotstand“, heißt es heute bei so manchen älteren Parteigranden und auch angesehenen Politikberatern aus früheren Zeiten. Zum ersten Mal war er wirklich mit einer durchaus dramatischen Situation konfrontiert. Krisenmanagement wäre gefragt gewesen. Offenbar aber entschied er sich aufgrund der Empfehlung seines engsten Beraterkreises für einen Alleingang, in der Meinung damit Kompetenz zeigen zu können. Nur auch diesem jungen Beraterkreis, dessen Mitglieder kaum älter als der Kanzler selbst sind, fehlt letztlich die Erfahrung. Sie leben in einer eigenen Welt und verfolgen ihr eigenes Weltbild. Und so nahmen dann auch die 24 Stunden zwischen dem ersten Blick in das Video und dem ersten öffentlichen Kanzlerstatement ihren Lauf.

Spitze der Message Controll

Jetzt zeigte sich aber, dass gerade jene Bedingungen, die sich Kurz im Mai 2017 von der Partei geben ließ um in der Nachfolge von Reinhold Mitterlehner die Partei zu übernehmen, auch ihre Nachteile habe. Der Bundesparteiobmann der neuen Volkspartei hat das Recht, im Grunde genommen alle Entscheidungen alleine treffen zu dürfen. Die Vorstandsmitglieder dürfen zwar ihre Meinung sagen, müssen aber im Grunde genommen das akzeptieren, was „der Chef“ vorgibt und dekretiert. Das ist gewissermaßen die Spitze der „Message Controll“.

Der erste Schritt

Noch Freitag abends machte Kurz seinem Vizekanzler Heinz Christian Strache klar, dass man mit einer Entschuldigung diese Szenen aus dem Sommer 2017 auf Ibiza nicht auskommen kann. Strache müsse die Konsequenzen dieses Fehlverhaltens ziehen und zurücktreten. Nach außenhin wurde vorerst nur kommuniziert, dass der Kanzler bereits wisse, war er tun müsse. Was aber offenbar so noch nicht der Fall war. Er suchte tatsächlich das Telefon-Gespräch mit den Landeshauptleuten und den Chefs der Teilorganisationen. Und holte Meinungen beziehungsweise Befindlichkeiten ein. Samstag morgens hieß es zunächst, dass Strache zurücktreten werde, aber die türkis-blaue Koalition fortgesetzt werde. Schließlich wolle man sich nicht auseinanderdividieren und vom Reformkurs abbringen lasse.

Stimmungswandel

Im Laufe des Vormittags begann sich das Blatt irgendwie zu wenden. Man begann verschiedene Modelle durchzuspielen. Variante 1 war der Rücktritt von Strache und sein Ersatz durch Norbert Hofer sowie die Bestellung eines neuen Infrastrukturministers. Dann plötzlich wurden Einwände gegen Herbert Kickl laut. Bereits seit Beginn der BVT-Affäre gab es intern immer wieder Unstimmigkeiten zwischen Kickl und der ÖVP. Staatsekretärin Karoline Edtstadler, als Aufpasserin ins Innenministerium geschickt, hatte dort „kein Leiberl“ und war daher froh, auf ein EU-Ticket zu kommen. Von Landeshauptfrau Johanna Mikl-Leitner und Nationalratspräsident Wolfgang Sobotka hieß es,  dass Kickl zur Zeit da das Ibiza-Video aufgenommen wurde, Generalsekretär der FPÖ gewesen sei, davon eigentlich gewusst haben müsste und daher ein Sicherheitsrisiko sei. Auf die Idee, mit ihm, dem das BVT untersteht, zu kooperieren, um Licht in das Dunkel zu bringen, kam man nicht. Anstatt einem Gespräch wurde der Streit gesucht. Und Kurz übersah noch etwas Wesentliches, nämlich dass Kickl der Mastermind der Partei ist und diese sich ihn nicht herausschießen lässt.

Der unterschätzte Mastermind

Nun begannen taktische Spielereien, soll heißen, dass Kickl in ein anderes Ministerium wechselt und ein neuer Innenminister bestellt wird. Ein nicht unwillkommener Hintergedanke, zumal schon seit Längerem immer wieder die Idee auftauchte, dass nicht beide Sicherheitsministerien, also Innen und Verteidigung in einer Hand sein sollen. Ab diesem Zeitpunkt begann sich eine Kluft zwischen Kurz und der FPÖ aufzutun. Das wurde auch nach außen irgendwie spürbar. Zunächst dadurch, dass die öffentlichen Erklärung des Bundeskanzlers immer wieder nur hinausgeschoben wurde. Zuerst hieß es 14 Uhr und von da an ging es im Stundentakt bis dreiviertel acht Uhr abends weiter. Intern hatte sich Kurz bereits darauf eingestellt, sich für die härteste Variante einzustellen, nämlich ein vorzeitiges Ende der Koalition und den Gang in Neuwahlen. Und er hatte für diese Variante auch die Sympathie von Bundespräsident Alexander van der Bellen sowie das Ja des Parteivorstandes in der Tasche. Getrieben von der Geschichte. Hatte doch Wolfgang Schüssel 2002 die Koalition mit der FPÖ beendet und dann bei der Wahl einen fulminanten Wahlsieg eingefahren.

Die Tücken des Sommers

Allerdings, so gut Kurz auch in den Umfragen liegt, ist Vorsicht geboten. Umso mehr als zwischen der Ausrufung von Neuwahlen und dem Wahltermin die Sommerferien liegen. Trotz des fulminanten Erfolgs der ÖVP bei den Europawahlen, sowie Umfrageergebnissen, wonach zwei Drittel der Wähler gegen die Abberufung des Kanzlers und der Regierung sind, nicht zuletzt weil damit auch nicht der Empfehlung Van der Bellens gefolgt wurde, steht noch ein langer Weg vor ihm. Und die Sommer hatten schon in den letzten Jahren immer ihre speziellen Tücken. Zudem wurde die Frage der Übergangsregierung unterschätzt. Auch da kam der so genannte „Erfahrungsnotstand“ zum Tragen. Mehr noch, hier setzte die Inszenierung aus. Denn wenn schon die Situation aufgrund des Ibiza-Videos als so dramatisch eingeschätzt wurde, dann hätte man zum Beispiel am Samstag im Laufe des Tages auch die Parteichefs der Oppositionsparteien zu einem Krisengipfel einladen können. Mehr noch, sie nicht nur irgendwie in Kenntnis über gewisse Überlegungen zu setzen, sondern ihnen das Gefühl zu geben, sie in die Verantwortung einzubinden. Wer weiß, ob dann nicht die Meinungsbildung zum Misstrauensvotum anders gelaufen wäre.

Allen politischen Beobachtern ist klar: die restlose Aufklärung mit möglichen bösen Überraschungen wird die Wahl entscheidend beeinflussen. Mit der erwarteten Aufklärung  von „Ibiza-Gate“ würden sich völlig neue politische Argumentations-Themen ergeben.

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