Dienstag, 19. März 2024
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EU-Parlament: Postenschacher spaltet Europa

Nunmehr stellt das konservative Lager auch den Präsidenten im EU-Parlament. © European UnionDer oft verwendete Stehsatz führender EU-Politiker – „Europa muss zusammen wachsen“  –  wurde, nur wenige Tage vor der Inauguration Donald Trumps,   endgültig ad absurdum geführt.   Knapp  vor der Wahl des neuen EU-Parlamentspräsidenten  ist die bisherige Koalition  zwischen Christ-  und  Sozialdemokraten, den beiden stärksten Fraktionen in Straßburg und Brüssel, auseinander gebrochen. Um ihrem Kandidaten,  dem Italiener  Antonio Tajani,  zum Sieg zu verhelfen, hat sich  die  Europäische  Volkspartei  zur allgemeinen Überraschung mit der vom belgischen Ex-Premier Guy Verhofstadt angeführten liberalen ALDE-Fraktion  verbündet.  In einem nur eineinhalbseitigen Agreement  (siehe unten) stilisierten  sich die beiden Fraktionen zu einer „pro-europäischen Koalition“ hoch, die die Union mit Reformen aus der  Krise holen möchte.

Mit dieser Vereinbarung, die eher verbale Banalitäten wie „We need leadership, the future does not wait“ denn inhaltliche Novitäten enthält, wurden die Sozialdemokraten, die bislang mit dem Deutschen Martin Schulz einen überzeugten Großkoalitionär als durchaus profilierten Parlaments-Boss gestellt hatten, machtmäßig ins Out befördert: Nunmehr stellt das konservative Lager nicht nur EU-Kommissionspräsidenten Jean-Claude Juncker und den Rats-Präsidenten Donald Tusk, sondern eben auch den Präsidenten im EU-Parlament. Stolz können die Volksparteien wahrlich nicht sein, mit Tajani zwar einen erfahrenen EU-Insider, zugleich aber auch einen rundum farblosen Intimus des früheren italienischen Oberpopulisten Silvio Berlusconi in das Amt gehievt zu haben. Der neue Boss wird erst zu beweisen haben, ob er zum einen auch nur halbwegs als Integrationsfigur tauglich und zum anderen im Stande ist, den zahlreichen EU-Skeptikern und -Austrittskandidaten im eigenen Haus Einhalt zu gebieten. Schließlich haben ihm, abgesehen von elf Abgesandten des ungarischen Populisten Viktor Orban, gleich 19 britische Tories und 15 Vertreter der nationalkonservativen, rechtspopulistischen PiS aus Polen zur Mehrheit verholfen.

Im EU-Parlament herrschen jedenfalls neue Kräfteverhältnisse, die ab sofort eine gedeihliche, effiziente Arbeit immens erschweren werden. Während die Europäische Volkspartei und die Sozialdemokraten bislang mit 406 Stimmen die absolute Mehrheit stellten, sieht es in Zukunft wie folgt aus: Die Christdemokraten (mit 217 Mandataren) und die „Allianz der Liberalen und Demokraten für Europa“ (mit 68 Sitzen) werden bei Abstimmungen zusammen nur noch auf maximal 285 Stimmen kommen. Selbst für den Fall, dass die neue Koalition auch von den 74 Abgeordneten der  „Fraktion der Europäischen Konservativen und Reformer“ unterstützt werden, wäre mit alles in allem 359 Stimmen noch immer nicht die  absolute Mehrheit von 376 erreicht.

Trump darf sich freuen…

Der zweite, also der linke Block, angeführt von der „Progressiven Allianz der Sozialdemokraten“ (189 Sitze), käme mitsamt 52 bzw. 51 Abgeordneten der „Konföderalen Fraktion der Vereinigten Europäischen Linken/Nordische Grüne Linke“ bzw. der „Fraktion der Grünen / Freie Europäische Allianz“  auf lediglich 292 der insgesamt  751 Stimmen.  Das heißt demnach: Ausgerechnet die 100 verbleibenden Abgeordneten, die im EU-Parlament im Grunde genommen gar nichts verloren hätten, könnten zum Zünglein an der Waage werden. 42 davon bilden die Fraktion „Europa der Freiheit und der direkten Demokratie“  (EFDD), 40 gehören zur  Fraktion „Europa der Nationen und der Freiheit“ (ENF), und 12 sind als mehr oder minder obskure Einzelkämpfer fraktionslos.

Im Detail: Die EFDD besteht größtenteils aus Nigel Farage mit seiner austrittsbereiten „United Kingdom Independence Party“ (UKIP) mit 20 Mandaten und der  italienischen „Movimento 5 Stelle“ (15), wozu sich u. a. ein paar „Schwedendemokraten“ und ein deutscher „AfD“-Repräsentant gesellen. Die ENF wiederum wird von Marie LePens rechtsradikalem „Front Nationale“ (mit 19 Vertretern) angeführt, der Abgeordnete der  italienischen „Lega Nord“  (5), der niederländischen  „Partij voor de Vrijheid“ (4) und vier  FPÖ-Delegierten um sich schart. Zu den Fraktionslosen zählen schließlich etwa drei ungarische „Jobbik“-Abgeordnete, zwei abgesprungene „Front Nationale“-Leute, zwei griechische Kommunisten, eben so viele   Mandatare der dortigen ultranationalistischen „Goldenen Morgenröte“ sowie ein deutscher NPD-Mann.

Es  ist für die EU beschämend, dass ausgerechnet solche EU-Abgeordneten durch die neue Konstellation aufgewertet werden, weil die beiden großen Blöcke – zumindest theoretisch – zwecks  Beschaffung von Mehrheiten gezwungen sein könnten, um die Gunst der EU-Gegner,  -Skeptiker und – Austrittskandidaten zu buhlen. Leider ist nämlich zu befürchten, dass die sozialdemokratische EU-Fraktion – schon aus Prinzip –  nicht so bald den Schmollwinkel verlassen wird, um mit den bisherigen Partnern dringend wichtige Entscheidungen zu treffen. Der Wahlverlierer vom 17. Jänner, Gianni Pittella, und seine sozialdemokratische Fraktion können freilich zu Recht sauer sein, dass die Volksparteiler beispielsweise den Kampf gegen Populismus und Nationalmus in Europa lieber gemeinsam mit der ALDE-Fraktion als mit ihnen führen wollen.

Mit dem gnadenlosen Machtkampf um Posten – die Roten sicherten sich übrigens fünf Vizepräsidenten, die Schwarzen bekamen vier von insgesamt 14 einschlägigen Jobs (siehe Tabelle unten) – wurde jedenfalls enorm viel verbockt: Der unsinnige Pakt mit den Liberalen und die Ausschaltung der Sozialdemokraten – beides ist in erster Linie dem deutschen Fraktionsführer der Christdemokraten, Manfred Weber, anzulasten – hat die EU justament in  jenem dramatischen Moment geschwächt, als Donald Trump ins Weiße Haus einzog. Der neue US-Präsident wird sich wohl kaum als Freund der Europäischen Union entpuppen und damit Brüssel vor zahlreiche Probleme stellen, die ein geschlossenes Auftreten der Mitgliedsstaaten, aber auch des Parlaments erfordern würden. Jetzt kann sich Trump vorerst einmal ins Fäustchen lachen…
 

Ein Boss und 14 Stellvertreter

So sieht die neue Führungsriege im EU-Parlament aus: 

* im 4. Wahlgang
Abkürzungen:
EVP  =  Europäische Volkspartei
SD = Sozialdemokraten
EKR = Europäische Konservative & Reformer
ALDE = Allianz der Liberalen und Demokraten für Europa
GUE/NGL = Vereinigte Europäische Linke/Nordische Grüne Linke
Grüne/EFA  = Grüne/Freie Europäische Allianz

 

Das neue Agreement im Original

Was in der Vereinbarung zwischen Christdemokraten und Liberalen steht:

Europe is in crisis. Nationalists and populists of all boards try to destroy the Union from within and from outside. A pro-European coalition is needed to withstand this attempt. A cooperation of all the pro-European groups and MEP´s in the House not to defend the status quo, but to deliver on the needs of the European citizen and to reform the European Union. Therefore, the EPP and ALDE – beyond their ideological differences – have decided to work closely together and to offer a common platform as a starting point for this pro-European cooperation. We appeal to all other pro-European forces in the House to join this initiative and to add their ideas and their priorities to our agenda of reform.

(1) In the last decades, we as Europeans achieved a lot. But now, we need a fundamental debate and the will for reforms to secure the success-story EU. The starting point for this is the adoption of the three EP-reports (Brok/Bresso, Beres/Böge, Verhofstadt). Based on these reports the EP will propose to the two other institutions the launch of a common, inter-institutional reflection on the future of the European Union. This reflection must include the possibility of launching a Convention. We need leadership, the future does not wait.

(2) A strengthening of the growth, stability, sustainable development and investment strategy in the Union including support for new ambitious trade agreements. Therefore both groups require from the European Commission to introduce legislative proposals establishing a new economic governance in the European Union and especially in the Eurozone based on the so-called Five Presidents report. In the same spirit they will prepare the new multi annual financial framework using as basis the Monti report from the High Level Group on Own resources. Other issues such as further deepening of the internal market especially in the field of digitalization and energy, fight against bureaucracy, fair taxation and social cohesion will have high priority, taking subsidiarity into account.

(3)  This will also be the case for environmental policies and in particular the implementation of the Paris Agreement and the further development of the European emission trading system.

(4) The European Union is a Union based on values. The EPP and ALDE therefore commit themselves to use the instruments at their disposal when fundamental European principles and values are persistently breached. Moreover they both support the establishment of a new EU mechanism on democracy, the rule of law and fundamental rights, and ask the Commission for a legislative proposal. The two groups further agreed to support the fact based, fair assessments and recommendations from the European Commission.

(5) A strengthening of European capacities for internal and external security. Both groups will work closely on the establishment of a European Defence Union and commit to the further development of a true European Border and Coast Guard that will effectively manage our common borders, providing protection to those in need and effectively prevent illegal migration. Moreover there is an urgent need to develop capacities at the European level to better protect our internal security. An investigation in this regard through the establishment of a special committee will be undertaken.

To push forward this agenda the two groups will launch a structured dialogue with the European Commission. The two true European institutions, Parliament and Commission, must build a action unit for results. In the same spirit, the two groups will engage with their counterparts in the Council and European Council.

Finally, both groups will act to ensure the full involvement of the European Parliament in the Brexit negotiations so that the interests of the European citizens are fully taken on board. The European Parliament resolution will clearly indicate that the presence of the Parliament (besides the Council) in the EU negotiations delegation is a pre-condition for the consent procedure.

 

 

 

 

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