Samstag, 12. Oktober 2024
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Rote Karte für die Roten

Foto © CC BY 2.0 Ian Burt via flickr (Ausschnitt)

Die Sozialdemokraten haben europaweit nichts mehr zu lachen: Nach der Schlappe für die SPD wird höchstwahrscheinlich auch die rot-weiß-rote SPÖ an den Wahlurnen abgewatscht werden.

Es sieht ganz danach aus, als würde Christian Kern die SPÖ dorthin führen, wo Martin Schulz mit der SPD zu landen beabsichtigt. Auf dem Weg in die schrittweise Bedeutungslosigkeit haben Deutschlands Sozialdemokraten am 24. September ihr schlechtestes Ergebnis eingefahren, sodass ihr Rückzug in die Opposition als logischer Akt der Verzweiflung wahrgenommen werden darf. Auch für Österreichs Kurzzeit-Kanzler scheint dies der einzige Ausweg aus dem drohenden Dilemma zu sein. So wie der frühere EU-Parlamentspräsident Schulz muss der ehemalige ÖBB-Generaldirektor schmerzlich erkennen, dass Rot längst keine politische Modefarbe mehr ist.

Vielmehr ist die Sozialdemokratie in Europa längst ein ziemlich komplizierter Sanierungsfall: Abgesehen von Malta, Rumänien, Großbritannien, Portugal, Italien und vielleicht auch noch Schweden, wo die Roten noch gut ziemlich dastehen, haben sie in allen übrigen Ländern an Stimmen und Mandaten ebenso eingebüßt wie an Einfluss und Reputation. Die einstigen Arbeiterparteien haben auf Grund programmatischer, personeller und vieler anderer Probleme ihren Nimbus verloren und damit beträchtliche Teile der Stammklientel. Ihre strahlenden Leitfiguren aus der goldenen Ära – Tony Blair (Großbritannien), Francois Mitterand (Frankreich), Olof Palme (Schweden), Mario Soares (Portugal) oder José Luis Rodríguez Zapatero (Spanien) – sind beinahe vergessen – und das, wofür die Sozialdemokratie eigentlich steht, ist immer verwaschener geworden. Die roten Parteien haben dafür von der Wählerschaft sukzessive rote Karten erhalten und ein politisches Drama in mehreren Akten durchmachen müssen.

Die goldene Ära ist längst Geschichte

Beste Beispiele für den schier unaufhaltsamen Absturz sind die jahrzehntelang staatstragenden sozialdemokratischen Parteien in Deutschland und Österreich. Ihre beste Zeit erlebten sie in den Siebzigerjahren: Im Dezember 1966 hatte die SPD als Juniorpartner der Schwarzen erstmals Regierungsmitglieder gestellt – Willy Brandt wurde Außen-, Karl Schiller Wirtschaftsminister. Im März 1969 wurde Gustav Heinemann Bundespräsident, und im September 1969 gewann Brandt die Bundestagswahl und wurde der erste rote Kanzler.

In Österreich, wo die SPÖ seit dem Krieg nur die zweite Geige spielen durfte, löste Bruno Kreisky im März 1970 die schwarze Alleinregierung Klaus ab. Er bekam 48,5 Prozent der Stimmen und ging mit einer roten Minderheitsregierung ans Werk. Ein Jahr später schaffte er bei der nächsten Wahl 50 Prozent und damit die absolute Mehrheit. 1975 und 1979 konnte er die Absolute erneut verteidigen.

Willy Brandt erzielte 1972 bei der Bundestagswahl den SPD-Rekordwert von 45,8 Prozent. Nur zwei Jahre später indes musste er wegen der Guillaume-Affäre zurücktreten und Helmut Schmidt Platz machen, der die sozialliberale Koalition mit der FDP fortsetzte. Schmidt blieb bis 1982 trotz zwei verlorener Urnengänge im Amt, ehe ihm der Koalitionspartner abhandenkam. Die stärkste politische Partei, die CDU/CSU, übernahm mit Kanzler Helmut Kohl die Macht, die Roten mussten in die Opposition abtauchen und verloren sukzessive an Stimmen.

Kreisky musste bei der Wahl 1983 ein Minus von 3,4 auf immerhin noch 47,6 Prozent hinnehmen, zog aber die Konsequenzen und trat zurück. Die SPÖ, die zunächst mit den Freiheitlichen eine kleine Koalition einging, wechselte 1986 sowohl ihren Chef als auch den Partner aus: Franz Vranitzky, der damals nur noch 43,11 Prozent der Stimmen gewonnen hatte, formte mit der ÖVP eine Große Koalition. Unter seinem Nachfolger Viktor Klima blieben die Roten zwar trotz geringer Einbußen die Nummer Eins, wurden aber von ÖVP-Chef Wolfgang Schüssel ausgetrickst, der als Drittplatzierter mit Hilfe der Haider-FPÖ schwarzer Kanzler wurde. Die SPÖ musste nach fast dreißig Jahren an der Macht ins zweite Glied zurücktreten – sprich: in Opposition gehen.

Zu diesem Zeitpunkt hatten die deutschen Sozialdemokraten ihre Durststrecke bereits wieder überwunden: 1998 konnte der Ministerpräsident Niedersachsens, Gerhard Schröder, 40,9 Prozent der Wähler überzeugen, womit er an der Spitze einer rot-grünen Koalition ins Kanzleramt einzog. In den darauffolgenden Jahren, als die CDU/CSU unter einer gewissen Angela Merkel in die Opposition abtauchte, lief es für die österreichische Volkspartei, die sich 2002 von zuletzt 26,9 auf 42,3 Prozent verbessert hatte, ziemlich gut.

12 Parteichefs in 27 Jahren

Bis zur Trendwende, die in beiden Ländern fällig war: In Deutschland war Merkel 2005 erstmals Wahl-Siegerin und trat mit einer schwarz-roten Koalition an. In Österreich hingegen löste SPÖ-Chef Alfred Gusenbauer bei der Nationalratswahl im Oktober 2006 die ÖVP an der Spitze ab, obzwar der Stimmenanteil der Roten nur noch 35,3 Prozent betrug –  die Schwarzen verloren mit acht Prozent weitaus mehr.  Die Große Koalition, die damals geschmiedet wurde, hielt unter diversen Proponenten bis heute – aber glücklich wurde niemand dabei. Die SPÖ hatte Gusenbauer schon 2008 gegen Werner Faymann ausgetauscht, der sich bis 2016 hielt, ehe er für den damaligen Eisenbahner-Chef Christian Kern das Feld räumen musste. Irgendwie hatten die Roten das Glück, dass sie trotz kontinuierlichem Absturz auf 26,8 Prozent (2013) stets vor der Volkspartei rangierten, die in nicht einmal zehn Jahren gleich fünf Bundesparteiobmänner benötigte.

Ähnlich chaotisch waren die vielen Revirements an der Spitze der SPD: Die eiserne Angela Merkel hat nicht nur die SPD-Bosse Franz Müntefering, Matthias Platzeck, Kurt Beck und Sigmar Gabriel ins politische Out verfrachtet, sondern auch den roten Kanzlerkandidaten Frank-Walter Steinmeier und Peer Steinbrück nicht die geringste Chance gelassen. Die deutsche Kanzlerin, die es zwischenzeitlich auch mit der FDP versucht hatte und dann wieder auf die SPD umgestiegen ist, konnte den Niedergang der deutschen Sozialdemokraten geschickt beschleunigen:  Auch ihr neuester Gegenspieler Martin Schulz fand kein Rezept gegen die offenbar unbesiegbare „Mutti der Nation“.

Die Ursache des roten Dilemmas beruht – nicht nur, aber ganz wesentlich – auf Personalproblemen: Die SPD verbrauchte seit 1990 zwölf Vorsitzende, elf Generalsekretäre, acht Vorsitzende ihrer Bundestagsfraktion sowie obendrein – seit 1999 – sieben Bundesgeschäftsführer/innen. Ihre österreichischen Kollegen, die in 70 Jahren mit lediglich neun Parteivorsitzenden das Auslangen gefunden hatten, werden seit Monaten vom jungen Gegenspieler Sebastian Kurz geschickt herausgefordert und zugleich von der Bildfläche verdrängt.

Die Talfahrt ist nicht zu Ende

Die Wahlen 2017 sind jedenfalls für die Sozialdemokraten in beiden Ländern eine Zäsur: Die im Oktober 1945 als Arbeiterpartei wiedergegründete SPD, die bislang nur die drei Regierungschefs Brandt, Schmidt und Schröder gestellt hat, wird künftig nur noch 153 der 709 Bundestagsmandate stellen. Ein schwacher Trost bleibt freilich insofern, als sie in insgesamt elf Bundesländern an der Regierung beteiligt ist, in sieben davon den Regierungschef stellt, obendrein 516 von insgesamt 1.821 Landtagssitzen innehat und zu guter Letzt auch 27 von 96 deutschen Abgeordneten; Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier kommt auch noch aus ihren Reihen. Martin Schulz muss folglich trachten, die auf bescheidene 440.000 Mitglieder geschrumpfte Partei wieder aus dem Sumpf zu ziehen.

Die SPÖ steuert, wie’s aussieht, auf eine ähnlich triste Zukunft zu: Die Roten, die seit 1945 immerhin in 16 von 29 Bundesregierungen den Kanzler und obendrein sechs von neun Bundespräsidenten der Zweiten Republik gestellt hatten, sind stimmenmäßig von der absoluten Mehrheit bis 2013 auf die Hälfte geschrumpft – und wahrscheinlich geht die Talfahrt am 15. Oktober weiter. Die einstige Arbeiterpartei bekleidet zwar immer noch wichtige Posten – Kanzler, Erste Nationalratspräsidentin, drei Landeshauptleute (W, K und B) -, doch ist es ungewiss, wie weit sie in nächster Zeit noch zurückfallen wird. Das politische Gewicht der SPÖ nahm bislang tendenziell zwar nicht so stark ab wie das der Schwesterparteien etwa in Ungarn oder Griechenland, die einstmals ganz oben waren und nunmehr nur noch ein Schatten ihrer selbst sind, dennoch ist Rot auch in Österreich beileibe keine politische Modefarbe mehr wie früher. Christian Kern, der vor 14 Monaten als Wunderwuzzi angetreten ist, hat diese Problematik offenbar unterschätzt…

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