Freitag, 19. April 2024
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Lobby-Schlacht um Tabak

Selten hat eine Branche in Brüssel derart massiv die Lobby-Maschinerie angeworfen wie die Zigarettenhersteller, die gegen die neue Tabakproduktrichtlinie mobil machen. Selbst langjährige Europa-Abgeordnete sind erstaunt, welchen massiven Druck die Zigarettenhersteller im Vorfeld der Abstimmung am Dienstag im Europäischen Parlament aufgebaut haben.

[[image1]]In der Plenarwoche in Straßburg Anfang September habe es von Lobbyisten nur so gewimmelt, berichten Europa-Parlamentarier. Die Generaldirektorin der Weltgesundheitsbehörde WHO Margaret Chan spricht offen davon, dass die Branche eine „Armee“ ausgesendet habe, um die EU-Abstimmung zu „sabotieren“.

Für die Branche geht es bei der Gesetzgebung für Tabak um viel Geld. Um so viel Geld, dass sogar mit einem Aufschub von strikteren Regeln viel gewonnen wäre. Jeder Monat, in dem die Zigarettenhersteller ihre Ware nach den bisher laxeren Auflagen verkaufen kann, steigert den Umsatz.

Nach den massiven Beeinflussungsversuchen hofft die Branche auf einen Teilerfolg. Die umstrittene E-Zigarette darf voraussichtlich weiter als Tabakprodukt verkauft werden und wird nicht als Arzneimittel eingestuft. Dafür zeichnet sich eine Mehrheit ab, obwohl der Gesundheitsausschuss ursprünglich für die strengere Regelung votiert hat. Wären E-Zigaretten unter die Arzneimittelzulassung gefallen, hätten sie nur in Apotheken verkauft werden können.

Warnhinweise werden wohl 65 Prozent der Packung einnehmen

Der ursprüngliche Vorschlag der EU-Kommission 75 Prozent der Packung mit Warnhinweisen zu versehen, dürfte aufgeweicht werden. Die Konservativen, die stärkste Fraktion im Parlament, plädieren für einen Anteil von nur 50 Prozent, der Warnungen vorbehalten werden soll. Eine Gruppe von Abgeordneten hat 65 Prozent als Kompromiss eingebracht. Die Mitgliedsstaaten haben sich schon auf diese Größenordnung verständigt.

Sehr zum Ärger der Tabaklobby zeichnet sich hingegen eine Mehrheit für eine sogenannte Positiv-Liste ab, die zugelassene Inhalts- und Zusatzstoffe regeln würde. Unter den Mitgliedsstaaten im Rat gibt es für ein solches Vorgehen schon Konsens. Der deutsche Europa-Abgeordnete Karl-Heinz Florenz (CDU), der die Liste initiiert hat, ist optimistisch, dass viele Abgeordnete für seinen Vorschlag stimmen werden.

Die Logik einer solchen Liste: Anstatt Inhaltsstoffe und Aromen zu verbieten, sollen wissenschaftlich als harmlose erwiesene Stoffe auf die Positivliste kommen. Bei Verboten würde die Industrie immer neue Aromen entwickeln, um den Gesetzgeber auszutricksen. Nun soll wissenschaftlich erforscht werden, welche Zusätze tatsächlich harmlos sind. „Bisher wissen wir nicht ausreichend, welche Wirkungen etwa Zucker entwickelt, wenn er bei hohen Temperaturen verbrannt wird“, sagt der Abgeordnete Florenz. Auch die Wechselwirkung zwischen Zusatzstoffen ist bisher noch nicht ausreichend erforscht.

Hersteller dürfen nur noch erwiesenermaßen harmlose Stoffe zusetzen

Die Positivliste, die erst nach einer Übergangszeit von fünf Jahren gelten soll, ist der Tabakindustrie ein Dorn im Auge, weil sie die Möglichkeit erheblich einschränkt, den Geschmack von Zigaretten zu beeinflussen.

Medienberichten zufolge soll alleine der US-Zigarettenhersteller Philip Morris International in Brüssel 161 Lobbyisten eingesetzt haben. Abgeordnete haben beobachtet, wie die Lobbyisten in den vergangenen Wochen vor allem Europa-Parlamentarier bearbeitet haben, die nicht dem Gesundheitsausschuss angehören und sich nicht im Detail mit dem Thema befasst haben.

Die Tabakproduktrichtlinie ist von Anfang an von ominösen Vorgängen begleitet worden. So trat Gesundheitskommissar John Dalli wegen bisher nicht geklärter Vorwürfe zurück, er habe sich von einem Tabak-Unternehmen beeinflussen lassen. Erst sein Nachfolger Tonio Borg legte den Gesetzesvorschlag dann vor. Dabei verzichtete er auf radikale Vorschläge wie Einheitsverpackungen (Plain Packaging). Die EU-Kommission hatte ursprünglich erwogen, dem australischen Beispiel zu folgen, und Tabakherstellern die Gestaltung der Verpackung unmöglich zu machen. Als diese Überlegungen bekannt wurden, war die Tabak-Lobby bereits auf den Plan getreten.
 

Bild: fotomira / pixelio.de/ © www.pixelio.de

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