Freitag, 6. Dezember 2024
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Forward Guidance: Notenbank muss Märkte überzeugen, dass sie künftig „verantwortungslos“ handeln wird

Mit Federal Reserve, EZB, Bank of Japan und Bank of England geben nun alle großen Notenbanken eine Vorschau auf ihre künftige Geldpolitik – was überflüssig sein dürfte, weil die Banken aktuell ohnehin nirgendwo eine Zinsanhebung aushalten würden.

[[image1]]Vor zehn Jahren wäre derlei noch undenkbar gewesen: Obwohl die EZB bei ihrer Zinssitzung letzte Woche alles unverändert belassen hatte, reagierten die Börsen sofort mit Kursgewinnen, obwohl einige Analysten zuvor eine weitere Senkung vorausgesagt hatten. Folglich hätten die Märkte „enttäuscht“ ins Minus rutschen müssen, was nicht erfolgt ist. Als Grund für die Gewinne wird nun einhellig der „einschneidende Wechsel“ der Geldpolitik identifiziert, den EZB-Präsident Mario Draghi diesen Montag auch vor dem Europaparlament in Brüssel bekräftigte: Die Leitzinsen werden über einen längeren Zeitraum (“an extended period of time”) auf dem gegenwärtigen oder einem niedrigeren Niveau bleiben, womit die EZB nun erstmals einen längerfristigen Ausblick auf ihre geldpolitische Haltung gegeben hat, was als „Forward Guidance“ bezeichnet wird.

Alle großen Reservewährungen im selben Boot

Noch vor zehn Jahren war eine derartige Ankündigungen Japans eine geldpolitische Sensation, da die US-amerikanische Federal Reserve seit 2003 unter Alan Greenspan und ab 2008 unter Ben Bernanke auf dieses Instrument setzt, konnte die EZB inzwischen mit der „extended period“ sogar das Fed-Vokabular eins zu eins übernehmen. Da fast zeitgleich mit der EZB auch die Bank of England unter ihrem neuen kanadischen Chef Mark Carney erstmals eine „Forward Guidance“ abgeliefert hat, sind nun alle großen Reservewährungen im selben Boot, wobei der Erfolg bislang jedoch zweifelhaft erscheint. Insbesondere stellt sich die Frage, ob allfälliges zusätzliches Wachstum nicht mit noch schwereren künftigen Problemen erkauft wird. Schließlich lassen die Statistiken jedenfalls für die USA keinen Zweifel, dass die Notenbankgelder kaum zu zusätzlichen Krediten an die Realwirtschaft führten, sondern in die Finanzierung von Finanzanlagen, was für die Banken in kurzfristiger Sicht umso weniger riskant wird, je länger sie sich auf niedrige Zinsen verlassen können. Allerdings dürften sich dadurch auch gefährliche Finanzblasen aufblähen, die, wenn sie platzen, die aktuellen Gewinne einiger Banken rückblickend wieder fragwürdig erscheinen lassen könnten.

Forward Guidance eine „Erfindung“ von Nobelpreis-Ökonomen Paul Krugman

In die ökonomische Diskussion eingebracht wurde dieses Instrument übrigens von Nobelpreis-Ökonomen Paul Krugman, der 1998 analysiert hatte, was die japanische Notenbank, die ihre Leitzinsen damals bereits jahrelang erfolglos an der Null-Linie gehalten hatte, noch unternehmen könne, um die Wirtschaft zu stimulieren. Die damalige Situation Japans weist dabei durchaus einige Parallelen zur heutigen Situation der Eurozone auf, aber auch einige Unterschiede. So war etwa die Sparquote in Japan in den ersten zehn Jahren nach dem Platzen der Blase tendenziell angestiegen, während sie in der Eurozone seit dem Lehman Crash stetig gesunken ist und diesen Mai ihren bisherigen Tiefststand erreicht hat.

So wie heute die Eurozone war die japanische Wirtschaft 1989 trotz sechs Jahren mit superlockerer Geldpolitik fest am Boden geklebt und Krugman suchte nach Wegen, wie die offensichtliche Wirkungslosigkeit der Geldpolitik überwunden werden könne. Krugman diagnostizierte für Japan also eine klassische „Liquiditätsfalle“, wie sie schon der Ökonom John Maynard Keynes für die USA der 1930er Jahre diagnostiziert hatte. Denn egal wie viel Geld die Notenbank dem Bankensystem auch zuteilte, es führte einfach nicht zu höheren Krediten an den Privatsektor, weshalb in diesem Fall nach Keynes und Krugman eine Stimulierung der Konjunktur nur noch mit kreditfinanzierten Staatsausgaben möglich sei.

Notenbank hatte Glaubwürdigkeitsproblem – allerdings nicht das übliche

Um in so eine Situation zu kommen, müsse die japanische Notenbank laut Krugman also ein „Glaubwürdigkeitsproblem“ gehabt haben, allerdings nicht das „übliche“, wonach die Notenbank den Privatsektor von ihrem Einsatz für die Preisstabilität überzeugen müsse, sondern das genaue Gegenteil davon. Denn die Märkte würden annehmen, dass die niedrigen Zinsen nur eine Übergangsphase darstellten (die in Japan übrigens bis heute andauert) und dass die Bank of Japan die Zinsen bei erstbester Gelegenheit wieder anheben werde. Könnte die BoJ die Märkte jedoch davon überzeugen, künftig „verantwortungslos“ zu handeln – d.h. die Leitzinsen auch bei anziehender Konjunktur oder steigender Inflation nicht anzuheben –müsste auch ihre Geldpolitik wieder wirksam werden. Würde der Privatsektor also tatsächlich überzeugt werden können, dass die Notenbank ein langfristig höheres Preisniveau zulassen werde, wäre die Geldpolitik Krugman zufolge sofort wieder wirksamer als jede fiskalische Expansion. Und sie würde völlig unabhängig davon funktionieren, in welchem Zustand der Bankensektor sich befände, der damals in Japan vermutlich in einem mindestens ebenso schlechten Zustand war, wie aktuell der Europäische.

EZB-Reaktion auf Bernankes negative Guidance

Der Privatsektor dürfte der BoJ jedenfalls nicht geglaubt haben, da sich Japan andernfalls längst hätte erholen müssen. Das hat die Federal Reserve sowie einige skandinavische Notenbanken jedoch nicht davon abgehalten, gleichfalls auf eine „Forward Guidance“ zu setzen, wobei entweder ein Zeitraum genannt wird, wie lange die Niedrigzinsen noch beibehalten werden, und/oder es werden Konjunkturindikatoren festgelegt, die erst ein bestimmtes Niveau erreichen müssen, bevor die Leitzinsen wieder steigen könnten. So hatte Fed-Chef Ben Bernanke seit 2008 fast durchwegs betont, dass die Leitzinsen den oben genannten „beträchtlichen Zeitraum“ ungewöhnlich niedrig bleiben würden und vergangenen Dezember das Auslaufen einer weiteren außergewöhnlichen Maßnahme (den direkten Anleihekäufen mit Zentralbankgeld) noch von einem Absinken der Arbeitslosigkeit unter 6,5 Prozent abhängig gemacht. Die Finanzmärkte hatte das tatsächlich kräftig ansteigen lassen, was nun allerdings zu Ende sein könnte, da Bernanke vor bald sechs Wochen erstmals wieder eine annähernd negative „Vorausschau“ abgegeben hatte, was die globalen Finanzmärkte sofort enorm unter Druck setzte.

Nicht wenige Analysten äußerten daraufhin die Befürchtung, dass der Kursrekord der Wall Street von Mitte Mai den oberen Wendepunkt des aktuellen Börsenaufschwungs darstellen könnte und es mit dem US-Aufschwung realwirtschaftlich schon wieder vorbei sei, noch ehe der so richtig begonnen habe. Insofern dürfte die Hinwendung der EZB zur „Forward Guidance“ wohl vor allem das Ziel gehabt haben, die Folgen der Ankündigung Bernankes zu limitieren, was – gemessen an den seither eher freundlichen Börsenkurse in Europa und den USA – vorerst auch gelungen zu sein scheint. Denn vermutlich haben die Märkte daraus abgeleitet, dass die EZB diesmal auf vorschnelle Zinserhöhungen verzichten werde, wie es vor zwei Jahren der Fall war, als die EZB ihre Leitzinsen offenbar vorschnell angehoben und den zaghaften damaligen Aufschwung damit abgewürgt hatte. Unwahrscheinlich ist jedoch, dass dadurch auch die Kredite an die Realwirtschaft angefeuert werden können.

In den USA und Japan wurden sie jedenfalls nur in einem einzigen Kreditsegment tatsächlich wirksam, und das ist die Finanzierung von Finanzanlagen, von wo die Kredite – wenn überhaupt – nur mit sehr großen Umwegen als Einkommen in die Realwirtschaft gelangen. Hingegen dürften sich die Gelder mittlerweile in so großem Ausmaß an den Finanzmärkten befinden, dass ohnehin keine große Notenbank es riskieren wird, den Banken den Kredithahn zuzudrehen – wie die EZB jetzt bis auf weiteres ausgeschlossen hat.

 

Bild: SarahC. / pixelio.de/ © www.pixelio.de

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