Donnerstag, 2. Mai 2024
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Die verschlungenen Wege Kroatiens in die EU, in den Euro-Raum und in das „Schengen-System“

Kroatien / Bild © Furfur, CC BY-SA 4.0, via Wikimedia Commons / Bild © fotogoocom, CC BY 3.0, via Wikimedia Commons
Einführung

Wirft man einen Blick auf den Westbalkanstaat Kroatien so fällt einem sofort dessen mühsames, zehnjähriges Aufnahmeverfahren in die EU – von 2003 bis 2013 – auf, ebenso wie auch dessen Bemühungen, die Landeswährung KUNA durch den Euro zu ersetzen – von 2013 bis 2023. Auch dass es wahrscheinlich zehn Jahre gedauert haben wird, bis Kroatien als EU-Mitgliedstaat dem „Schengen-Raum“ beigetreten sein wird – von 2013 bis 2023 – verblüfft.

Aus diesem Grunde soll anschließend erstmals versucht werden, alle drei Problembereiche gemeinsam darzustellen und kurz zu kommentieren. Dabei wird offenkundig, dass es den Nachfolgestaaten der „Sozialistischen Föderativen Republik Jugoslawien“ (SFRJ) nicht gelungen ist, untereinander entsprechende regulative Abkommen zu schließen, um deren Neustaatsbildung zu besichern und bestehende bzw. zu erwartende Divergenzen auszuräumen.

1. Grenzstreitigkeiten als Hindernisse des Beitritts Kroatiens zur EU

Nach dem Zerfall der bisherigen SFRJ[1] im Jahr 1991 wurden die Landgrenzen der unabhängig gewordenen Nachfolgestaaten Slowenien, Kroatien und Mazedonien im Jahr 1991, sowie von Bosnien & Herzegowina im Jahr 1992 festgesetzt. Serbien und Montenegro bildeten hingegen zunächst 1992 die „Bundesrepublik Jugoslawien“ (BRJ) aus, die in der Folge aber 2003 aufgelöst und in eine „Staatenunion Serbien und Montenegro“ umgewandelt wurde. Serbien beendete im Juni 2006 die Staatenunion und deklarierte sich als alleiniger Rechtsnachfolger derselben. Damit dauerte die definitive Ausbildung der Nachfolgestaaten der SFRJ fünfzehn Jahre, wobei es in vielen Bereichen zu umstrittenen Grenzziehungen kam, die in eine Reihe von Grenzstreitigkeiten mündeten. Dazu kam noch die von Serbien nicht anerkannte Sezession des Kosovo (2008), die ebenfalls eine Reihe von Grenzproblemen produzierte.

Der komplizierteste Grenzstreit betraf dabei die Grenze zwischen Slowenien und Kroatien, und zwar im Bereich des Mündungsdeltas des Grenzflusses Dragonja, entlang des Odorik-Kanals, sowie in der daran anschließenden Bucht von Piran. Die Mündung des Dragonja in das Adriatische Meer umfasst ein sehr sumpfiges Gebiet, in dem der Fluss immer wieder mäandrierte und dabei jeweils seinen Lauf markant veränderte, bevor er in die Adria einmündete. Da der Lauf des Dragonja als Grenzfluss aber die Grenze zwischen Kroatien und Slowenien determinierte, wechselte diese im Mündungsbereich des Öfteren. Da aber vom jeweiligen Mündungsverlauf wiederum die seerechtlichen Grenzen in der Bucht von Piran abhingen – Kroatien berief sich diesbezüglich auf Art. 15 Satz 1 des Seerechtsübereinkommen der VN (1982)[2], der die Mittellinie als Grenze vorsieht, Slowenien hingegen stellte auf das Konzept einer „historischen Bucht“ ab, in der der Zugang zur Hohen See für Slowenien gewohnheitsrechtlich gesichert sei – spitzte sich der Grenzstreit immer mehr zu.

Der Grenzkonflikt wurde zunächst durch ein bilaterales Übereinkommen zwischen dem slowenischen Ministerpräsidenten Janez Drnovšek und seinem kroatischen Kollegen Ivica Račan aus dem Jahr 2001 beizulegen versucht. Diese Übereinkunft wurde aber vom kroatischen Parlament abgelehnt. Erst im Jänner 2012 (!) einigten sich die beiden Staaten auf die Konstituierung eines fünfköpfigen Schiedsgerichts, das am 29. Juni 2017 seinen Schiedsspruch fällte, in dem es große Teile der Bucht von Piran Slowenien zusprach, ein Umstand, der von Kroatien aber nicht anerkannt wurde.

Zwischenzeitlich hatte Kroatien, als erster der sechs Westbalkanstaaten, am 21. Februar 2003 einen Beitrittsantrag zur EU eingebracht und erhielt Mitte Juni 2004 den offiziellen Status eines Beitrittskandidaten. Die Beitrittsverhandlungen begannen am 3. Oktober 2005, am 12. Dezember 2008 legte Slowenien aber sein Veto gegen die Eröffnung weiterer Verhandlungskapitel über eine Mitgliedschaft Kroatiens in der EU ein, und begründete dies mit angeblichen kroatischen Gebietsansprüchen auf slowenisches Territorium. Slowenien benutzte dabei im Rat der EU seine Position als Mitgliedstaat der EU dafür, die Beitrittsverhandlungen auf unbestimmte Dauer zu vertagen oder vielleicht sogar einen EU-Beitritt Kroatiens ganz zu verhindern. Nach positiv verlaufenen Gesprächen über die Trennung der Beitrittsverhandlungen vom Grenzstreit kündigte der slowenische Ministerpräsident Borut Pahor am 10. September 2009 die Aufhebung des slowenischen Vetos an, sodass die Beitrittsgespräche mit Kroatien wieder aufgenommen werden konnten.[3]

Nach dem Abschluss der Beitrittsverhandlungen Ende Juni 2011 unterzeichnete Kroatien am 9. Dezember 2011 den Beitrittsvertrag zur EU, worüber in der Folge am 22. Jänner 2012 ein Referendum abgehalten wurde, bei dem zwei Drittel der Abstimmenden für den Beitritt Kroatiens zur EU votierten. Nach Hinterlegung der letzten Ratifikationsurkunde des Beitrittsvertrages am 21. Juni 2013 wurde Kroatien am 1. Juli 2013 – in der nunmehr siebten EU-Erweiterungsrunde – in die EU aufgenommen und damit Teil des EU-Binnenmarkts.

Als neu aufgenommener EU-Mitgliedstaat war Kroatien verpflichtet, den Euro als Währung einzuführen. Bis dahin fungiert es gem. Art. 139 Abs. 1 AEUV als „Mitgliedstaat für den eine Ausnahmeregelung gilt“. Diese Stellung kommt Kroatien aber auch gemäß Art. 5 der Beitrittsakte von 2012[4] zu.

2. Der Beitritt Kroatiens zum Euro-Raum

2.1. Die „Konvergenzkriterien“ für einen Beitritt zum Euro-Raum

Alle EU-Mitgliedstaaten sind grundsätzlich verpflichtet, den Euro einzuführen, sobald sie die Konvergenzkriterien erfüllen. Die einzige Ausnahme stellt Dänemark dar, für das eine primärrangige Nichtbeteiligungsmöglichkeit, in Form einer „Opt-out-Klausel“,[5] vorgesehen ist, aufgrund derer es von der Verpflichtung, den Euro zu übernehmen, befreit ist. Dänemark kann jedoch jederzeit seinen Beitritt zum Euro-Raum beantragen.

Um den Euro einführen zu können, muss ein EU-Mitgliedstaat die sogenannten „Konvergenzkriterien“ erfüllen, die an sich bereits im Vertrag von Maastricht (1992) als wirtschaftliche und rechtliche Voraussetzungen (sog. „Maastricht-Kriterien“) ansatzweise festgelegt wurden und aktuell in Art. 140 Abs. 1 AEUV sowie im Protokoll (Nr. 13) über die Konvergenzkriterien[6], verankert sind. Durch sie soll gewährleistet werden, dass in der Wirtschafts- und Währungsunion (WWU) ein hoher Grad an dauerhafter Konvergenz erreicht wird. Konkret handelt es sich dabei um folgende 4 Kriterien:

  1. Kriterium der Preisstabilität: Ein Mitgliedstaat muss eine während des letzten Jahres vor der Prüfung gemessene durchschnittliche Inflationsrate aufweisen, die um nicht mehr als 1½ Prozentpunkte über der Inflationsrate jener – höchstens drei – Mitgliedstaaten liegt, die auf dem Gebiet der Preisstabilität das beste Ergebnis erzielt haben;[7]
  2. Kriterium der Finanzlage der öffentlichen Hand: Notwendigkeit des Bestehens einer öffentlichen Haushaltslage ohne übermäßiges Defizit iSv Art. 126 Abs. 6 AEUV;
  3. Kriterium der Teilnahme am Wechselkursmechanismus des EWS: Einhaltung der normalen Bandbreiten des Wechselkursmechanismus im EWS seit mindestens zwei Jahren, ohne von sich aus eine Abwertung gegenüber dem Euro vorgenommen zu haben;
  4. Kriterium der Konvergenz der Zinssätze: Der durchschnittliche langfristige Nominalzinssatz darf im Verlauf von einem Jahr vor der Prüfung in einem Mitgliedstaat um nicht mehr als 2 Prozentpunkte über dem entsprechenden Satz in jenen – höchstens drei – Mitgliedstaaten liegen, die auf dem Gebiet der Preisstabilität das beste Ergebnis erzielt haben.

2.2. Die Ausgestaltung des Euro-Raumes

Der Euro ist aktuell die Landeswährung in 19 EU-Mitgliedstaaten und wird in diesen von 345 Mio. Menschen verwendet. Mindestens alle zwei Jahre prüfen die Kommission und die Europäische Zentralbank (EZB), ob die nicht dem Euro-Raum angehörigen Mitgliedstaaten – das sind die vorerwähnten „Mitgliedstaaten, für die eine Ausnahmeregelung gilt“[8] – die Konvergenzkriterien einhalten und erstellen darüber je einen Konvergenzbericht. In den beiden Konvergenzberichten 2022 der Kommission[9] und der EZB, die am 1. Juni 2022 veröffentlicht wurden, wird übereinstimmend festgestellt, dass Kroatien nicht nur alle vier Konvergenzkriterien erfüllt, sondern dass auch seine Rechtsvorschriften voll und ganz mit den Anforderungen des Vertrags und der Satzungen des Europäischen Systems der Zentralbanken bzw. der EZB vereinbar sind. Unter Berücksichtigung weiterer Faktoren, die für die wirtschaftliche Integration und Konvergenz von Bedeutung sind, wie etwa Zahlungsbilanzentwicklungen und die Integration der Arbeits-, Produkt- und Finanzmärkte, gelangte die Kommission dabei zu der Auffassung, dass Kroatien die Voraussetzungen für die Einführung des Euro erfüllt. Dementsprechend hat sie auch Vorschläge für einen Beschluss des Rates und eine Verordnung des Rates über die Einführung des Euro in Kroatien angenommen. Der Rat wird, nach Beratungen in der Euro-Gruppe und im Europäischen Rat, sowie nach Stellungnahme des Europäischen Parlaments und der EZB, die endgültigen Beschlüsse in der ersten Julihälfte 2022 fassen.

2.3. Die Einführung des Euro in Kroatien zum 1. Januar 2023

In seinem Beschluss über die Einführung des Euro in Kroatien zum 1. Januar 2023 vom 6. Juli 2022[10] stellte der Rat hinsichtlich der Erfüllung der in den vier Gedankenstrichen des Art. 140 Abs. 1 AEUV genannten Konvergenzkriterien durch Kroatien Folgendes fest: „Die durchschnittliche Inflationsrate Kroatiens im Zwölfmonatszeitraum bis einschließlich April 2022 lag bei 4,7% und damit unter dem Referenzwert; sie dürfte auch in den kommenden Monaten unter dem Referenzwert bleiben; zu Kroatien liegt kein Beschluss des Rates über das Bestehen eines übermäßigen Defizits vor; Kroatien ist seit dem 10. Juli 2020 Mitglied des Wechselkursmechanismus (WKM)II[11] und die Landeswährung, der KUNA (HRK), war im zweijährigen Bewertungszeitraum seines Wechselkurses keinen starken Spannungen ausgesetzt; Kroatien hat den bilateralen Leitkurs seiner Währung gegenüber dem Euro nicht von sich aus abgewertet und im Zwölfmonatszeitraum bis einschließlich April 2022 lag der langfristige Zinssatz in Kroatien bei durchschnittlich 0,8%, und damit deutlich unter dem Referenzwert.“[12]

Am 12. Juli 2022 nahm der Rat die letzten drei Rechtsakte an, die noch erforderlich waren, damit Kroatien am 1. Januar 2023 den Euro einführen kann. Dabei handelte es sich um folgende Rechtsakte: Neben dem Beschluss (EU) 2022/1211 vom 12. Juli 2022 über die Einführung des Euro in Kroatien zum 1. Januar 2023[13], sind in diesem Zusammenhang noch die Verordnung des Rates zur Änderung der Verordnung (EG) Nr. 974/98 im Hinblick auf die Einführung des Euro in Kroatien[14], sowie die Verordnung des Rates zur Änderung der Verordnung (EG) Nr. 2866/98 in Bezug auf den Euro-Umrechnungskurs für Kroatien[15] zu erwähnen. Kroatien wird damit das erste Land sein, das seit 2015 den Euro übernimmt, damals hatte Litauen den Euro eingeführt.

Hinsichtlich der graphischen Gestaltung der zukünftigen kroatischen Euro-Münzen gab es eine interessante Kontroverse. Diesbezüglich hatte die Währungskommission der Kroatischen Nationalbank auf ihrer Sitzung vom 21. Juli 2021 den endgültigen Vorschlag für die zukünftige Ausgestaltung der kroatischen Euro-Münzen vorbereitet, der der EU vorgelegt werden sollte. Das kroatische Wappen soll ein gemeinsames grafisches Element aller Münzen sein. Darüber hinaus sollen eine Landkarte von Kroatien, ein Marder (Kuna), eine glagolitische Schrift und Nikola Tesla weitere Motive darstellen. Nachdem die kroatische Regierung die einschlägigen Entwürfe am 7. Dezember 2021 eingereicht hatte, zog sie dieses Projekt aus dem bereits angelaufenen europäischen Validierungsprozess überraschend wieder zurück, ohne aber die Gründe für diesen Rückzug anzugeben.[16] Offensichtlich kam es zu Protesten seitens der Serbischen Nationalbank wegen des Motivs von Nikola Tesla, da Serbien diesen als Serben ansieht; das Marder-Motiv stieß wiederum auf Urheberrechts-Bedenken. Am 4. Februar 2022 stellte die kroatische Regierung dann das geänderte definitive Design der jeweils nationalen Seite der kroatischen Euro-Münzen in allen ihren Wertigkeiten vor.

Mit der Ablösung der bisherigen Landeswährung, dem KUNA (Marder), durch den Euro zum 1. Januar 2023 erhöht Kroatien die Zahl der Mitglieder des Euro-Währungsgebiets auf 20 EU-Mitgliedstaaten, und wird damit – 30 Jahre nach dem Zerfall der „Sozialistischen Föderativen Republik Jugoslawien“ (SFRJ) – als jüngster EU-Mitgliedstaat in die Europäische Währungsunion (EWU) eintreten. Der definitive Wechselkurs beider Währungen zueinander orientiert sich am amtlichen Leitkurs der KUNA im WKM II, und wurde durch Art. 1 der vorerwähnten Verordnung (EG) Nr. 2866/98 des Rates[17] mit 1 Euro = 7,53450 Kroatische KUNA (HRK) festgesetzt.[18]

Eine Umstellung auf eine neue Währung haben die Kroaten in den letzten Jahrzehnten schon erlebt, wobei es aber nicht nur die Ersetzung des jugoslawischen Dinar durch den Kuna, sondern vor allem die Einführung der deutschen DM, als Parallelwährung, gewesen ist, die als informelle „Reservewährung“, vor allem im Tourismus und bei wichtigen Immobiliengeschäften, immer öfter in Anspruch genommen wurde. Man bevorzugte dafür eben die „harte“ DM und nicht den „weichen“ Dinar. Der dafür notwendige Bestand an DM in Kroatien resultierte dabei aus dem Umstand, dass alle im Ausland, vor allem aber in der Bundesrepublik, tätigen kroatischen Gastarbeiter ihre „Rimessen“ – das waren deren Kapitalheimsendungen an ihre Familien – in DM effektuierten. Nolens volens musste Kroatien in der Folge die DM als wichtige „Leitwährung“ zur Kenntnis nehmen und die mit ihr getätigten Rechtsgeschäfte auch anerkennen.

2.4. Auswirkung der Währungsumstellung vom KUNA auf den Euro auf die Handelsbeziehungen Österreich – Kroatien

Mit einem bilateralen Außenhandelsvolumen von knapp zwei Mrd. Euro und einem Dienstleistungsaustausch im Wert von 1,8 Mrd. Euro ist Österreich mit Kroatien wirtschaftlich eng verflochten. Österreich ist auch der zweitgrößte Investor in Kroatien. Die österreichischen Direktinvestitionen in Kroatien erreichten Ende 2021 rund 5 Mrd. Euro.[19] Niederlassungen heimischer Firmen sind in allen Branchen präsent, uam.

Die Euro-Umstellung in Kroatien bringt für österreichische Unternehmen eine Reihe von Vorteilen. So müssen österreichische Unternehmen, die in Kroatien tätig sind, in Zukunft keine Wechselspesen mehr bezahlen und ersparen sich auch die Währungsabsicherung gegen Geldentwertung. Chancen für österreichische Unternehmen bieten sich praktisch in allen Bereichen. Beispielsweise eröffnen sich in der Tourismusbranche für österreichische Firmen zahlreiche Möglichkeiten – einerseits für Investitionen und Projektbeteiligungen, andererseits aber auch für Zulieferungen, die von der WKÖ unterstützt werden. Auch beim laufenden Ausbau der kroatischen Infrastruktur bieten sich gute Geschäftschancen an.[20]

3. Paralleler Beitritt Kroatiens zum „Schengen-Raum“?

In den neun Jahren seiner bisherigen EU-Mitgliedschaft ist Kroatien dem Schengener Übereinkommen (1985/1990)[21] nicht beigetreten, obwohl dies für das Land eine Reihe von Vorteilen gebracht hätte. Dass damit aber auch Nachteile für die Nachbarstaaten verbunden wären, soll nachstehend am Beispiel des „Neum-Korridor“ gezeigt werden. Kroatien wird durch den Korridor von Neum, einen bereits im 18. Jhdt. errichteten, knapp zehn Kilometer breiten, (einzigen) Zugang zum Meer für Bosnien & Herzegowina, zweigeteilt. Dadurch entstand das Problem, dass der innerkroatische Straßenverkehr zwischen Ploče und Dubrovnik nolens volens bosnisch-herzegowinisches Staatsgebiet durchqueren musste. Mit dem Beitritt Kroatiens zur EU zum 1. Juli 2013 verschärfte sich die Situation drastisch, da die kroatische Grenze zum „Neum-Korridor“ nunmehr zur EU-Außengrenze wurde, an der entsprechende Personen- und Zollkontrollen durchgeführt werden mussten. Damit wurde aber sowohl der Transit-Verkehr durch den „Neum-Korridor“, wie auch die Durchreise von Drittstaatern erheblich erschwert.

Die seitens Kroatien dafür angedachte Lösung war die Umgehung des „Neum-Korridors“ durch den Bau einer Brücke zwischen der Ortschaft Komarna auf dem Festland und der kroatischen Halbinsel Pelješac, die über die Bucht von Mali Ston führen sollte. Nach dem Baustopp der Ende Oktober 2007 begonnenen Errichtung der „Pelješac-Brücke“, kam es Ende Juli 2018 zur Wiederaufnahme der Bauarbeiten durch die von China subventionierte China Road and Bridge Corporation, die Ende Juli 2021 mit dem Rohbau der Brücke abgeschlossen werden konnten. Die Brücke ist 2,4 km lang und darf nur mit einer Höchstgeschwindigkeit von 90 km/h befahren werden. Die Eröffnung der Brücke fand am 26. Juli 2022 statt.

Jahrelang intervenierte Kroatien bei der EU-Kommission, um die Finanzierung der Brücke bezuschusst zu bekommen. Die Kommission reagierte zunächst zurückhaltend, da sie nicht einsehen wollte, warum sie, anstatt Nachbarschaftspolitik zu fördern, ausgerechnet ein Bauwerk strikt nationalen Interesses Kroatiens unterstützen sollte. Zuletzt lenkte sie aber ein,  und gab Anfang Juni 2017 bekannt, 85% der Errichtungskosten der Brücke, die letztendlich 555 Mio. Euro betrugen, zu übernehmen.[22] Damit wurde der Bau – der auch als „Schildbürger-Brücke“[23] bezeichneten – Verbindung beider Teile Kroatiens, unter Umgehung der Transitierung des „Neum-Korridors“, großteils durch die EU finanziert.

Mit dem vorgesehenen Beitritt Kroatiens zum „Schengen-Raum“ wird die kroatische Außengrenze aber auch zu einer „Schengen-Außengrenze“, was vor allem die Situation von Bosnien & Herzegowina weiter verschärfen wird.

Ganz allgemein sind aber die umfangreichen Verkehr-Staus in Kroatien, an der Grenze zu Slowenien, ein nicht zu übersehendes Problem, das sich daraus ergibt, dass die slowenisch-kroatische Grenze gleichzeitig ebenfalls eine Schengen-Außengrenze ist. Wer diese überschreitet, verlässt entweder den Schengen-Raum oder reist in den Schengen-Raum ein – mit der Konsequenz, dann eben in der Regel strikte Personenkontrollen über sich ergehen lassen zu müssen.

Dementsprechend schlug der Rat am 29. Juni 2022 vor, die Grenzkontrollen an den Land- und Seegrenzen Kroatiens mit den Schengen-Staaten ab dem 1. Januar 2023, und an den Flughäfen ab dem 26. März des nächsten Jahres endgültig abzuschaffen.[24] Die unterschiedlichen Termine haben technische Gründe, denn auf den Flughäfen in den Schengen-Staaten ist es notwendig, die Gates für in Kroatien ankommende und abfliegende Flugzeuge zu ändern, damit einzelne Passagiere zu Ausgängen ohne Grenzkontrollen umgeleitet werden können.[25]

Vor einer endgültigen Entscheidung des Rates über einen Beitritt Kroatiens zum „Schengen-Raum“, die die Zustimmung aller 22 Mitglieder des „Schengen-Raums“, die zugleich EU-Mitgliedstaaten sind, erfordert, ist noch eine Stellungnahme des Europäischen Parlaments einzuholen, die für Oktober 2022 zu erwarten ist. Aktuell umfasst der „Schengen-Raum“ 26 Staaten, von denen vier jedoch Nicht-EU-Mitglieder sind, nämlich Island, Liechtenstein, Norwegen und die Schweiz.[26] Sollte die – nicht-bindende – Stellungnahme des Europäischen Parlaments sowie die (positive) Entscheidung des Rates noch im kommenden Oktober ergehen, dann wäre Kroatien im zehnten Jahr seiner EU-Mitgliedschaft (!) gleichzeitig auch Mitglied des „Schengen-Raumes“ – sowie, wie vorstehend bereits erwähnt, der Euro-Zone.

Um die Größenverhältnisse des Schengen-Raumes wenigstens ansatzweise zu verdeutlichen, sollen anschließend die wichtigsten Daten kurz erwähnt werden. Die Außengrenzen des „Schengen-Raumes“ erreichen eine Länge von 50.000 km, von denen 80% aus Wasser und 20% aus Land bestehen. Das Gebiet umfasst Hunderte von Flughäfen und Seehäfen, viele Grenzübergänge, eine Fläche von 4,312.099 km2 und verfügt über eine Bevölkerung von 419,392.429 Einwohnern.[27]

4. Würdigung

Lässt man die vorstehend gewonnenen Erkenntnisse Revue passieren, dann muss man feststellen, dass es Kroatien, als einem der wichtigsten Staaten des Westbalkans, nicht leicht gefallen ist, sich in die EU und den Euro-Raum zu integrieren. Andererseits wurde aber auch seitens der EU und ihrer Mitgliedstaaten nicht alles versucht, um die Annäherung Kroatiens zu befördern.

Ebenso wenig konnten aber auch bisher die vielfältigen innen- und außenpolitischen Probleme der anderen fünf Westbalkanstaaten kollektiv „abgemildert“ und die daraus resultierenden unübersehbaren Spannungen beseitigt werden. Exemplarisch dafür soll nur auf den Streit um die Unabhängigkeit des Kosovo hingewiesen werden, der sich als einst serbische Provinz 2008 einseitig für unabhängig erklärte, was aber von Serbien nicht anerkannt wurde. Seit 2011 vermittelt die EU – bisher erfolglos – im Konflikt zwischen Serbien und dem Kosovo und scheiterte neuerdings wieder, da der EU-Außenbeauftragte, Josep Borrell, in seinem Vermittlungsversuch zwischen dem serbischen Präsidenten, Aleksandar Vučić und dem kosovarischen Premierminister, Albin Kurti, den jüngsten Grenzstreit beizulegen, Mitte August 2022 einmal mehr erfolglos blieb[28]. Mit einer kriegerischen Ausweitung dieses Konflikts ist allerdings nicht zu rechnen, da die 4.000 Soldaten – ua mit österreichischer Beteiligung – der Friedensmission KFOR, unter Führung der NATO, die Situation strategisch beherrschen.

Die EU hat im Kosovo-Konflikt noch das besondere Problem zu bewältigen, dass fünf ihrer Mitgliedstaaten, nämlich Griechenland, Rumänien, die Slowakei, Spanien und die Republik Zypern, die Souveränität des Kosovo nicht anerkennen[29], um damit nicht die Sezessionstendenzen im eigenen Land zu befördern.

Auch der Internationalen Staatengemeinschaft und ihren „Hohen Repräsentanten“ (HR) in Sarajewo gelingt es nicht, den weiteren Konfliktherd Bosnien & Herzegowina zu befrieden. So scheitert der nunmehrige achte Hohe Repräsentant – seit dem Ende des Bosnien-Krieges (1992-95) – Christian Schmidt, der Nachfolger des Österreichers Valentin Inzko, in seinem Bemühen, die Umsetzung des Dayton-Friedensvertrages (1995) entsprechend zu überwachen, obwohl ihm dazu in diesem eine Reihe wichtiger Befugnisse übertragen wurden. So kann der Hohe Repräsentant Gesetze erlassen, Gesetze aufheben, selbst aktive Amtsträger entlassen uam.[30]

Im Wissen um die überaus wichtige Funktion des Westbalkan, als dem geopolitisch und -strategisch wichtigsten „Umfeld“ der EU, haben sich zwischenzeitlich sowohl die Russländische Föderation als auch China in diesem Raum sowohl ökonomisch, als auch politisch, exponiert und konnten dabei wichtige „Geländegewinne“ verzeichnen. Damit entstehen aber für die EU neue Herausforderungen, die ihr die „Befriedung“ des Westbalkans weiter erschweren. Es wird sich zeigen, ob und wie dieser Einfluss von ihr in Zukunft zurückgedrängt werden kann.

__________________________

[1] Vgl. Hummer, W. Probleme der Staatennachfolge am Beispiel Jugoslawien, SZIER 3/1993, S. 425 ff.

[2] BGBl. Nr. 885/1995.

[3] Vgl. Hummer, W. Vergleich: Beitrittsgarantie für Kroatien?, Wiener Zeitung, vom 10. November 2009.

[4] ABl. 2012, L 112, S. 21.

[5] Das dem Vertrag von Maastricht (1992) beigefügte „Protokoll über einige Bestimmungen betreffend Dänemark“ (ABl. 1992, C 191, S. 89) garantiert Dänemark, dass der Übergang zur dritten Stufe der WWU nicht automatisch erfolgt, selbst wenn alle Kriterien dafür erfüllt sein sollten. Nach dänischem Verfassungsrecht müsste hierüber eine Volksabstimmung durchgeführt werden. Diesbezüglich fand am 28. September 2000 in Dänemark auch eine Volksabstimmung statt; bei einer Beteiligung von 86% der Bevölkerung sprachen sich 53,1% der Wähler gegen die Einführung des Euro aus; EUR-Lex – 125061.

[6] ABl. 2012, C 326, S. 281 ff.

[7] Für das Kriterium der Preisstabilität wird die Inflation nach dem Harmonisierten Verbraucherpreisindex (HVPI) gemessen, der in der Verordnung (EU) 2016/792 des EP und des Rates vom 11. Mai 2016 (ABl. 2016, L 135, S. 11 ff.) definiert ist.

[8] Siehe vorstehend unter Kap. 1.

[9] COM(2022) 280 final, vom 2. Juni 2022; vgl. European Commission, Convergence Report 2022, Institutional Paper 179, June 2022; vgl. dazu Konvergenzbericht zur Überprüfung, ob Mitgliedstaaten für den Beitritt zum Euro-Währungsgebiet bereit sind, ebnet den Weg für die Einführung des Euro durch Kroatien am 1. Januar 2023, vom 1. Juni 2022; IP/22/3312.

[10] Rat Dok. 9867/22.

[11] Der WKM II ist ein seit 1. Januar 1999 zwischen verschiedenen EU-Mitgliedstaaten bestehendes Wechselkursabkommen, das den Leitkurs der Währung eines Mitgliedsstaats zum Euro festlegt. Der WKM II ist der Nachfolger des Europäischen Währungssystems (EWS), das vom 13. März 1979 bis zum 31. Dezember 1998 bestand. Die Teilnahme am WKM II ist freiwillig, ist jedoch eine obligatorische Voraussetzung für den Beitritt zum Euro-Raum. Am 10. Juli 2020 wurde die kroatische KUNA in den WKM II aufgenommen.

[12] Rat Dok. 9867/22, S. 10.

[13] ABl. 2022, L 187, S. 31 ff.

[14] Rat Dok. 9868/22.

[15] Rat Dok. 10853/22.

[16] 2023 kroatische Euro-Münzen enthüllt und bereits eine Kontroverse; numismag.com, vom 24. Juli 2021.

[17] Fn. 15.

[18] Euro-Einführung in Kroatien: Der Fahrplan, vom 13. Juli 2022, S. 2; Euro-Einführung in Kroatien besiegelt – Konkreter Wechselkurs ist festgelegt; handelsblatt.com, vom 12. Juli 2022.

[19] derstandard.at, vom 12. Juli 2022.

[20] Kroatiens Euro-Beitritt ist auch für Österreichs Wirtschaft ein Gewinn; news.wko.at, vom 17. Juli 2022.

[21] BGBl. III Nr. 80/1997.

[22] Pelješac-Brücke; https://de.wikipedia.org/wiki/Pelješac-Brücke.

[23] Winkler, H. „Geld ist Geld“: Kroatien auf dem Weg zum Euro, Die Presse, vom 23. August 2022, S. 22.

[24] Das Ende der Staus an den Grenzen zu Kroatien naht; kurier.at, vom 29. Juni 2022.

[25] Vgl. Müncheberg, M. Vorschläge des EU-Rats: Kroatien bald Schengen-Mitglied?, vom 7. Juli 2022, S. 2.

[26] Vier EU-Mitgliedstaaten sind dem „Schengen-Raum“ noch nicht beigetreten: Bulgarien, Irland, Rumänien und Zypern.

[27] Schengen-Raum – Die größte visumfreie Zone der Welt; https://www.schengenvisainfo.com/de/staaten-des-schengen-raums/

[28] Vgl. czar, Im Grenzstreit wird die Zeit knapp, Wiener Zeitung vom 19. August 2022, S. 4.

[29] 117 Staaten erkennen international die Unabhängigkeit des Kosovo an, neben den erwähnten fünf EU-Staaten wird diese aber auch von Russland, China und Serbien geleugnet; vgl. Ferstl, C. Heiße Luft in Kühler Stimmung, Kurier, vom 19. August 2022, S. 9.

[30] Vgl. Roser, T. Verloren im Labyrinth von Bosnien und Herzegowina, Die Presse, vom 20. August 2022, S. 5.

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