Dienstag, 19. März 2024
Startseite / Allgemein / Die Verleihung der russischen Staatsbürgerschaft an den amerikanischen „Whistleblower“ Edward Snowden – Ein russischer „Nadelstich“ in den Bereich der US-Außenpolitik

Die Verleihung der russischen Staatsbürgerschaft an den amerikanischen „Whistleblower“ Edward Snowden – Ein russischer „Nadelstich“ in den Bereich der US-Außenpolitik

Edward Snowden, Bild © Gage Skidmore from Surprise, AZ, United States of America, CC BY-SA 2.0, via Wikimedia Commons (Ausschnitt) / Russian ePassport, Bild © AndrewSamuel, Public domain, via Wikimedia Commons
Einführung

Nachdem sich der Autor bereits einmal mit dem Schicksal des wohl berühmtesten Whistleblowers, Julian Assange, befasst hat,[1] soll nunmehr auf einen weiteren bekannten Whistleblower eingegangen werden, nämlich auf Edward Snowden, der am 26. September 2022 vom Präsidenten der Russischen Föderation, Wladimir Putin, die russische Staatsbürgerschaft verliehen bekommen hat. Die Verleihung erfolgte damit neun Jahre nachdem dieser das Ausmaß der geheimen Überwachungsmaßnahmen des amerikanischen Geheimdienstes National Security Agency (NSA) enthüllt hatte, und geschah auch formlos, da Snowdens Name – ohne jeglichen Kommentar des Kremls – auf einer Liste von 72 im Ausland geborenen Personen aufschien, denen Putin die Staatsbürgerschaft verliehen hatte.[2]

Was veranlasste aber Putin zu dieser Einbürgerung eines ehemaligen Mitarbeiters amerikanischer Geheimdienste, der sich zwar fünf Jahre in Moskau (legal) aufgehalten, die Verleihung der russischen Staatsbürgerschaft aber nicht aktiv angestrebt hat? Nach Aussage des russischen Anwalts von Snowden, Anatoly Kucherena, hatte Snowden nämlich nicht vor, einen russischen Pass zu beantragen.[3]

Der Grund dafür war eigentlich der, dass sich Russland, indem Putin dem Amerikaner Edward Snowden die russische Staatsbürgerschaft verlieh, „als freiheitliches Land und als Verteidiger eines Kämpfers gegen den Überwachungsstaat USA positionieren“[4] konnte und damit einen mehr als unangenehmen Nadelstich der US-Außenpolitik verabreichte.

Wie kam es aber dazu, dass ein ehemaliger Mitarbeiter amerikanischer Geheimdienste nach Russland flüchten und dort um Asyl ansuchen musste? Dem soll nachstehend in aller Kürze nachgegangen werden. Für ein korrektes Verständnis des Unterschieds zwischen einem „Whistleblower“, der Kriegsverbrechen eines Staates aufdeckt, und einem solchen, der betriebsinternes Fehlverhalten leitender Angestellter eines Unternehmens, wie zB Korruption, Veruntreuung, Unterschlagung etc., offenlegt, wird am Ende des Artikels auch ein Bezug zur aktuellen „Hinweisgeber“-Regelung in der EU hergestellt.  

Die asylrechtliche Odyssee Snowdens

Der Amerikaner Edward Snowden arbeitete von 2005 bis 2013 als technischer Mitarbeiter bei den amerikanischen Geheimdiensten CIA, NSA und DIA und gab streng geheime Unterlagen über nachrichtendienstliche Überwachungs- und Spionagepraktiken der USA an die Dokumentarfilmerin Laura Poitras und den Guardian-Journalisten Glenn Greenwald weiter, der diese Dokumente im Juni 2013, ohne Quellenangabe, veröffentlichte. Nachdem Snowden am 9. Juni 2013 in Hongkong in einem Video-Interview mit dem Guardian seine Identität offengelegt hatte, erwirkte das FBI wenige Tage danach mit einer Strafanzeige – ua wegen Spionage – einen Haftbefehl gegen Snowden.

In der Folge plante Snowden, gemeinsam mit der Journalistin und Wikileaks-Mitarbeiterin Sarah Harrison, über Moskau, Havanna und Caracas nach Quito zu fliegen. Der Grund für die Wahl dieser Destination war der, dass die Hongkonger Rechtsanwälte Snowdens der Meinung waren, dass Ecuador am ehesten bereit sein würde, sich für sein Recht auf politisches Asyl einzusetzen. Damit nahmen sie eindeutig Bezug auf die außergewöhnliche Bereitschaft Ecuadors, dem vorstehend erwähnten Whistleblower Julian Assange auf seiner Flucht nicht nur in der Londoner Botschaft Ecuadors „humanitäres Bleiberecht“ zu gewähren, sondern diesem auch Ende 2017 die ecuadorianische Staatsbürgerschaft zu verleihen.   

Für diese Reise Snowdens war am Moskauer Flughafen Scheremetjewo ein Zwischenstopp von zwanzig Stunden vorgesehen, der sich aber deswegen verlängerte, da das amerikanische Außenministerium bereits während des Anflugs auf den russischen Flughafen den Pass von Snowden für ungültig erklärt hatte. Am Schalter der Ausweiskontrolle in Scheremetjewo wurde Snowden von Angehörigen des russischen Geheimdienstes aufgehalten und ihm ein sogenannter „cold pitch“ unterbreitet. Als Gegenleistung für eine Kooperation wurden ihm Gefälligkeiten aller Art in Aussicht gestellt, und zwar von „Bargeldbündeln“ bis hin zu einer „Du-kommst-aus-dem-Gefängnis-frei-Karte“.[5]

Nachdem er diese Kooperationsangebote ausgeschlagen hatte, musste Snowden vierzig Tage im Transitbereich des Moskauer Flughafens Scheremetjewo ausharren – womit er sich juristisch in einem „herrenlosen Land“ befand und als (noch) nicht in die Russische Föderation eingereist galt – wobei er die Zeit nützte, um insgesamt 27 Staaten um Asylgewährung zu kontaktieren, von keinem dieser Staaten aber eine positive Rückmeldung erhielt. Anfang August 2013 erklärte sich die Russische Föderation schließlich bereit, ihm eine vorläufige Aufenthaltsgenehmigung im Umfang von drei Jahren zu gewähren, die in der Folge mehrfach verlängert wurde, allerdings im Januar 2020 auslief. Snowden nützte diesen Aufenthalt in Russland, um eine umfangreiche Biographie mit dem Titel „Permanent Record“ zu verfassen, die Mitte September 2019 auch publiziert wurde.

Umgehend teilte das US-Justizministerium diesbezüglich mit, Snowden habe mit der ungefragten Veröffentlichung des Buches gegen Vertraulichkeitsvereinbarungen verstoßen, die er mit seinen Arbeitgebern, den beiden US-Geheimdiensten CIA und NSA, unterzeichnet habe. Darin sei vereinbart worden, dass eine eventuelle Publikation einer Biographie den Geheimdiensten vorab zur Überprüfung ihres Inhalts vorgelegt werden müsse. Interessanter Weise teilte das Justizministerium aber mit, dass mit seiner Klage nicht die Veröffentlichung oder Verbreitung des Bandes gestoppt werden soll. Die Regierung wolle stattdessen nur auf die Einnahmen zugreifen, die Snowden durch den Verkauf des Buches erziele.[6] Wie aus der Urteilsbegründung des angerufenen amerikanischen Gerichts hervorgeht, soll Snowden rund 5,2 Mio US-$ an Honoraren an die USA abtreten, wobei es um 4,2 Mio US-$ für seine Biographie sowie um gut eine Million US-$ aus seinen 56 öffentlichen Auftritten geht.[7] 

Damit sah sich Snowden nicht nur mit einem Haftbefehl aus den USA, unter anderem wegen Spionage – ein Delikts, das mit 175 Jahren Freiheitsstrafe bzw. sogar mit der Todesstrafe bedroht ist – sondern auch mit einer eingeklagten Forderung von über 5 Mio. US-$ konfrontiert, was seinen weiteren Verbleib in der Russischen Föderation nur verstetigte. Da er ja nunmehr über die russische Staatsbürgerschaft und damit einen unbeschränkten legalen Aufenthalt in der Russischen Föderation verfügt – allerdings inkognito und an einem unbekannten Ort – hatte Snowden an sich keine Veranlassung, das Land zu verlassen.

Dieser Zustand wird solange andauern, bis Russland ihm die Staatsbürgerschaft wieder aberkennt, wozu es aber gegenwärtig nicht das geringste Interesse hat. Sein Interesse besteht vielmehr darin, die „Causa Snowden“ am „köcheln“ zu halten und damit die internationale Öffentlichkeit immer wieder an die von Snowden aufgezeigten Verbrechen der USA zu erinnern.

Da zeitgleich zur Einleitung strafrechtlicher Verfahren durch die US-Justiz gegen die beiden Whistleblower Assange und Snowden auch in der EU versucht wurde, das „Whistleblower“-Phänomen in den Griff zu bekommen und ein „Hinweisgeber“-System zu etablieren, muss abschließend kurz auf die essentiellen Unterschiede beider Phänomene eingegangen werden.

„Whistleblower“ versus „Hinweisgeber“      

Jahrhundertelang war das offene oder geheime Anzeigen rechtswidrigen Verhaltens Dritter durch davon nicht betroffene „Whistleblower[8] negativ besetzt und mit einer Reihe von abwertenden Begriffen, wie Denunziant, Vernaderer, Verleumder, Aufdecker, Enthüller usw., belegt. Auf der anderen Seite wurden aber erst dadurch Skandale aufgedeckt, die ansonsten unbemerkt geblieben wären, wie zB: 1971 die Vorlage der „Pentagon-Papers“ durch Daniel Ellsberg, die die amerikanischen Kriegsverbrechen im Vietnam-Krieg offenlegten; 1974 die Aufdeckung des „Watergate-Skandals“ durch Mark Felt, die zum Rücktritt von Präsident Nixon führte; 2013 die Aufnahme militärischer Geheimdokumente über Kriegsverbrechen der USA in Afghanistan und dem Irak auf die Plattform WikiLeaks durch Manning und Assange; 2019 die Offenlegung der Manipulationen der Datenfirma Cambridge Analytica im amerikanischen Wahlkampf über die „Panama-Papers“ durch Christopher Wylie uam.[9]

Interessanterweise wurden diese „Skandale“ aber nicht anlassbezogen näher untersucht und gegenseitig zugeordnet, um daraus einen einheitlichen Deliktstypus abzuleiten. Dementsprechend konnte man die außergewöhnliche Verhaltensweise von Whistleblowern lange Zeit auch nicht begrifflich einordnen und in einem einheitlichen juristischen Tatbestand systematisieren. Der Gesetzgeber „verschwieg“ sich damit über viele Jahre, in denen das „Vernadern“ nicht als eigenständiger Deliktstypus qualifiziert werden konnte.    

a) Zum einen handelte es sich dabei vor allem um die Aufdeckung veritabler Skandale, wie vorstehend dokumentiert, sowie von Kriegsverbrechen, die vom Militär des eigenen Heimatstaates begangen wurden. Die Gerichte standen dabei vor der grundlegenden Frage, ob das Geheimhaltungsinteresse des Staates an von „Whistleblowern“ aufgedeckten geheimen Regierungsdokumenten im Zweifelsfall hinter dem Informationsinteresse der Öffentlichkeit und der Pressefreiheit zurückstehen müsse.

b) Zum anderen ging es um die Offenlegung betriebsinternen Fehlverhaltens von leitenden Angestellten, wie zB von Korruption, Veruntreuung, Dokumentenfälschung und -unterschlagung, Geschenkannahme in Amtssachen uam. Dabei stand neben dem Schutz unternehmerischer Interessen vor allem der arbeitsrechtliche Schutz von hinweisgebenden Arbeitnehmern vor Kündigung, Entlassung etc. im Mittelpunkt.

Damit haben wir, auch auf der semantischen Ebene, zwei Typen von „Vernaderern“ zu unterscheiden, nämlich die „Whistleblower“ vom Modell a) und die „Hinweisgeber“ vom Modell b).

Die eben getroffene Regelung in der EU ist eine „Hinweisgeber“-Regelung iSd Modell b). Die Rechtsgrundlage dafür ist die am 23. Oktober 2019 vom Europäischen Parlament und vom Rat verabschiedete Richtlinie (EU) 2019/1937 zum Schutz von Personen, die Verstöße gegen das Unionsrecht melden[10], mit der gemeinsame Mindeststandards für den Schutz von Personen festgelegt werden, die Verstöße in folgenden Bereichen gegen das Unionsrecht gemeldet haben (Art. 2): Öffentliches Auftragswesen, Finanzdienstleistungen, Produktsicherheit, Verkehrssicherheit, Umweltschutz, Lebensmittelsicherheit, Tierschutz, öffentliche Gesundheit, Verbraucherschutz, Schutz der Privatsphäre uam – sowie Verstöße gegen die finanziellen Interessen der Union iSv Art. 325 AEUV und solche gegen die Binnenmarktvorschriften iSv Art. 26 Abs. 2 AEUV.

Gem. Art. 4 Abs. 1 sind „Hinweisgeber“, die im privaten oder öffentlichen Sektor tätig sind und im beruflichen Kontext Informationen über Verstöße erlangt haben, wie zB Arbeitnehmer iSv Art. 45 Abs. 1 AEUV, einschließlich Beamte, Selbständige iSv Art. 49 AEUV, Anteilseigner und Personen, die dem Verwaltungs-, Leitungs- oder Aufsichtsorgan eines Unternehmens angehören uam., geschützt. Die Richtlinie gilt auch für Hinweisgeber, die Verstöße einmelden, von denen sie im Rahmen eines inzwischen beendeten Arbeitsverhältnisses Kenntnis erlangt haben (Art. 4 Abs. 2) sowie für solche, deren Arbeitsverhältnis noch nicht begonnen hat und die während des Einstellungsverfahrens oder anderer vorvertraglicher Verhandlungen Informationen über Verstöße erlangt haben (Art. 4 Abs. 3).

Fazit

Wie in der Richtlinie steht auch im Entwurf des österreichischen Umsetzungsgesetzes[11] derselben anstelle des Begriffs „Whistleblower“ „Hinweisgeber“ bzw. „Hinweisgeberin“ und entsprechend anstelle von „Whistleblowing“ „Hinweisgebung“. Damit wurde bewusst eine Formulierung gewählt, die mit der bisher allein bekannten Begrifflichkeit „Whistleblower“ für Aufdecker rechtswidriger und verbotener Aktivitäten nicht übereinstimmt. Diese Unterscheidung muss sich aber im allgemeinen Sprachgebrauch erst durchsetzen.

__________________________

[1] Hummer, W. Der facettenreiche „Fall Julian Assange“, EU-Infothek vom 26. April 2019.

[2] Putin gewährt dem Whistleblower Snowden die russische Staatsbürgerschaft, nzz.ch, vom 26. September 2022.

[3] Russland gewährt Whistleblower Snowden permanentes Aufenthaltsrecht, nzz.ch, vom 22. Oktober 2020.

[4] Ackeret, M. Edward Snowden ist ein „Gespenst“ in Moskau, nzz.ch, vom 25. Juni 2018.

[5] Scheer, O. Von Bargeldbündeln bis zur „Du-kommst-aus-dem-Gefängnis-frei-Karte“ – Snowden erzählt vom Leben als Flüchtling, nzz.ch, vom 17. September 2019.

[6] Scheer, Von Bargeldbündeln bis zur „Du-kommst-aus-dem-Gefängnis-frei-Karte“ (Fn. 5), S. 1.

[7] Gericht: Whistleblower Snowden soll 5,2 Mio. $ an die Vereinigten Staaten abtreten, nzz.ch, vom 1. Oktober 2020.

[8] Ein „Whistleblower“ im wörtlichen Sinne ist Jemand, der eine Trillerpfeife bläst („to blow the whistle“).

[9] Vgl. Homann, M. Was ist ein Whistleblower?, integrityline.com, vom 7. Dezember 2021; Andrae, J. Kennen Sie den? 10 berühmte Whistleblower, Audible Magazin, vom 4. Oktober 2019. 

[10] ABl. 2019, L 305, S. 17 ff.

[11] Bundesgesetz, mit dem ein Bundesgesetz über das Verfahren und den Schutz bei Hinweisen auf Rechtsverletzungen in bestimmten Rechtsbereichen (HinweisgeberInnenschutzgesetz- HSchG) erlassen wird (…), 210/ME XXVII GP – Ministerialentwurf – Gesetzestext.

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert

Das könnte Sie auch interessieren

Finanzpolizei und BKA gelingt Schlag gegen das illegale Glücksspiel

Im Rahmen einer gemeinsamen Schwerpunktaktion mit dem Bundeskriminalamt hat die Finanzpolizei im Dezember österreichweit Glücksspielkontrollen …