Dienstag, 5. November 2024
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Bund vs. Länder: ein Krieg eskaliert und schuld sind beide

Bild © Creative Commons Pixabay (Ausschnitt)

Für Österreich sind die Schnittzone zur EU und die oft absurde EU-Überregulierung ein wachsendes Problem. Diese zeigt sich aktuell gerade an Hand der neuen „Datenschutzverordnung“: Diese entpuppt sich als riesige und teure Schikane für Hunderttausende Unternehmer und Selbständige; sie wird Europa bei der ständig postulierten „Digitalisierung“ noch weiter zurückwerfen. Ein noch viel größeres und teureres Problem ist aber die Schnittzone zwischen Bund und Bundesländern, die sich gegenseitig immer stärker paralysieren. Das zeigt sich derzeit an besonders vielen Fronten.

Eine sinnvolle Befriedung der Kriegszone Bund-Länder wäre nur durch Verfassungsänderung herbeizuführen. Für diese ist aber angesichts der Polarisierung im Parlament realistischerweise keine Mehrheit zu erwarten. Auf Oppositionsseite sitzen militante Zentralisten (die Neos) oder militante Lobbyisten des Bundeslandes Wien (die SPÖ).

Aber auch in der Regierung und insbesondere in der ÖVP stehen einander diese beiden Lager mit völlig unterschiedlichen Intentionen sogar quer durch die Parteigrenzen gegenüber.

Hier die Zentralisten, die überzeugt sind, dass republikseinheitliche Lösungen immer effizienter und billiger sind. Auf der anderen Seite die Föderalisten, die ganz stark die Vorteile von Föderalismus und Subsidiarität betonen (so wie das ja auch der Bund selbst tut – allerdings nur der EU gegenüber!); sie sind überzeugt, dass Lösungen viel eher maßgeschneidert und akzeptabler sind, wenn sie bürgernäher erfolgen.

Wer hat da Recht? Absurderweise beide Seiten! Jede Seite sieht freilich immer nur die eigenen Argumente, und nicht auch die Legitimität der Gegenargumente. Solange sich das nicht ändert, sind grundsätzliche Fortschritte oder gar Problemlösungen praktisch ausgeschlossen. Es gibt immer nur Symptomkuren, die neue Nebenwirkungen haben.

Die Argumente der Zentralisten sind weitgehend plausibel:

  • Die Landesspitäler kooperieren nicht effizient über die Landesgrenzen hinweg.
  • Neun verschiedener Gebietskrankenkassen haben neun teure Verwaltungshierarchien, neun verschiedenen Honorierungsordnungen und Leistungskataloge, obwohl sie alle auf dem gleichen Bundesgesetz fußen.
  • Landesbeamte haben neun unterschiedliche Gehaltssysteme, wobei viele Länder weit spendabler sind als der Bund (weitaus am meisten das Land Wien).
  • Die Schulsysteme haben unterschiedliche Leistungsniveaus (wobei die Wiener Pflichtschulen nicht nur wegen des hohen Migrantenanteils am problematischsten sind).
  • Besonders kostentreibend ist der Unsinn von neun – nein, mit dem Bund sogar zehn – unterschiedlichen Bauordnungen (an deren freiwilliger Vereinheitlichung wenigstens seit einiger Zeit gearbeitet wird).
  • Der Bundesrat ist teuer, aber sinnlos.
  • Der immer weniger gesehene ORF hält sich nur noch deswegen am Leben, weil die Länder bisher eine Abschaffung der Gebühren blockiert haben. Sie profitieren dort von einem für sie unentgeltlichen Landeshauptleutefernsehen, alle neun Landeshauptleute haben einen eigenen ORF-Stiftungsrat und bestimmen de facto die jeweilige Landesredaktion.
  • In den meisten Ländern musste im Gegensatz zum Bund fast noch nie wirklich schmerzhaft gespart werden.
  • Eine enorme Steuergeldverschwendung durch oft absurde und nur parteipolitisch erklärbare Subventionen.
  • Die Länder sträuben sich bis heute, die Transparenzdatenbank korrekt zu befüllen. Sie wollen ganz offensichtlich ihre Subventionspolitik verschleiern (allerdings ist die Datenbank auch nicht gerade glücklich strukturiert).
  • Vor allem das Land Wien gibt alljährlich aberwitzige Summen zur Bestechung von Zeitungen und anderen meinungsbildenden Medien aus (andere Institutionen tun das zwar auch, aber nur zu einem Bruchteil).
  • Alle fünf Jahre können die neun Länder beim Finanzausgleich den Bund – beziehungsweise den einsamen Finanzminister mit Erfolg über den Tisch ziehen, zu Lasten der Steuerzahler.

Das Sündenregister des Bundes

Aber auch die Föderalisten können auf ein ganzes Register von schweren und teuren Sünden der Bundesebene verweisen. Sie können dies zum Teil mit vollem Recht, zum Teil freilich nur mit Hilfe von Milchmädchenrechnungen.

Dieses – in der Folge detaillierte – Register zeigt erstens, dass sich auf Bundesebene Sozialpopulismus noch viel leichter (und teurer) durchsetzt. Es lässt zweitens den Verdacht aufkommen, dass der Bund noch viel stärker in Länderkompetenzen eingreift, seit ihm selbst durch die EU viele Kompetenzen weggenommen worden sind. Und es zeigt drittens, dass bei an sich sinnvollen Bundesregeln zu wenig Bedacht auf die Umsetzungsproblemeder Länder genommen wird.

Die Klagepunkte der Föderalisten haben sich in letzter Zeit gehäuft. Das hängt wohl auch damit zusammen, dass bei der Bundes-ÖVP durch Sebastian Kurz der Einfluss der Länder stark zurückgedrängt worden ist; und dass die FPÖ ohnedies nie (mit Ausnahme einiger Kärntner Jahre) sonderliche Stärke auf Landesebene hatte.

Einige Beispiele berechtigt scheinender Klagen der Länder:

  1. Die Regierung, insbesondere die Sozialministerin, hat das Ende der Unfallversicherungsanstalt AUVA sowie eine damit zu erzielende Einsparung von 500 Millionen Euro angekündigt, gleichzeitig aber auch die Fortführung der teuren (und leistungsstarken) Unfallspitäler der AUVA versprochen. Sie sagt aber nicht, WER eigentlich mit welchen Einnahmen künftig diese Spitäler führen und bezahlen soll. Da aber in Österreich fast alle anderen Spitäler mit Ausnahme der Privatspitäler und Universitätskliniken Landesspitäler sind, haben die Länder begreifliche Sorge, dass sie diese Spitäler erben und künftig finanzieren sollen.
    Natürlich ist die AUVA in ihrer Administration sehr teuer; natürlich ist es den Arbeitgebern eigentlich unzumutbar, über die AUVA-Beiträge nicht nur die Behandlung der (ständig abnehmenden) Arbeits-, sondern auch der (ständig zunehmenden) Freizeitunfälle zu finanzieren; natürlich wäre eine Reduktion der durch die Unfallversicherung verursachten Lohnnebenkosten für den Standort Österreich sehr positiv. Aber so einfach ohne vorheriges Klären aller Folgen geht halt eine Kostenreduktion nicht.
    Andererseits klammern die berechtigten Klagen der Länder die für sie peinliche Frage aus, warum eigentlich die Ordensspitäler im Gegensatz zu den landeseigenen ohne Defizit arbeiten können – obwohl sie für jede Einzelleistung von den Sozialversicherungen (skandalöserweise) weniger Geld bekommen, obwohl sie längst keine Klosterschwestern mehr gratis ausbeuten können.
  2. Auch bei der diskutierten Zusammenlegung der neun Gebietskrankenkassen haben viele Länder Sorgen: Denn manche dieser Kassen haben sparsam gearbeitet. Dort bangt man nun davor, dafür bestraft zu werden.
    Zugleich ist zu befürchten, dass sich die erhofften Einsparungen durch eine Kassenzusammenlegung ohnedies bald in Luft auflösen werden, weil überall eine Leistungsharmonisierung nach oben eintreten wird. Was teuer wird.
    Es ist überdies ein – auch schon zu SPÖ-Zeiten verbreiteter – Irrglaube, Kassenzusammenlegungen würden Substanzielles einsparen. Sie kosten vor allem am Anfang sogar deutlich mehr. Eine echte Einsparung wäre nur durch Wettbewerb (also freie Wahl der Versicherung) und Selbstbehalte (wodurch auch die Patienten am Einsparen interessiert werden) schaffbar.
  3. Die Einführung eigener Deutschklassen ist zwar in vielerlei Hinsicht ein eindeutiger und dringend notwendiger Fortschritt. Nur benötigt sie nach Ansicht der Länder zusätzliche Lehrer und Klassen. Die Länder sehen daher auch hier als Folge eines Bundesgesetzes höhere Ausgaben auf sich zukommen. Das wäre umso mehr der Fall, wenn die Hinweise vieler Lehrervertreter stimmen, dass eigentlich viel mehr Schüler als die jetzt „außerordentlich“ geführten eine Zeitlang in solche Deutschklassen gehören.
    Allerdings trifft dieses Argument höchstens nur auf kleine Schulstandorte zu. In größeren muss die Einrichtung von Deutschklassen logischerweise dazu führen, dass im Gegenzug die Zahl der Regelklassen geringer wird (wenn die Länder nicht künftig Klassen mit etwa bloß vier Kindern führen wollen). Daher sind diese Klagen bloße Milchmädchenrechnungen.
    Die Klagen ignorieren noch ein Faktum: In den letzten Jahren ist die Zahl der Lehrer steil gewachsen, während die der Schüler gesunken ist. Daher sollte es eigentlich genug Lehrer geben. Man müsste nur viele ideologische Reformprojekte der letzten Jahre wieder abbauen. Diese waren nämlich meistens ein ergebnisloser Schlag ins Wasser. Wie vor allem die Entsendung von zwei Lehrern gleichzeitig in Klassen der „Neuen Mittelschulen“, wie die Senkung der Klassenschülerzahlen, wie die Einrichtung von parallel laufenden Wahlpflichtfächern in den AHS.
    Die neuen Deutschklassen sind zweifellos wichtiger als all das. Allerdings ist es zweifellos wieder der Bund, der die teuren Sinnlos-Reformen früherer Zeiten rückgängig machen müsste (was halt ein versierter Bildungsminister gleichzeitig mit der Ankündigung der Deutschklassen sofort sagen hätte müssen).
  4. Der Familienbonus von 1500 Euro netto pro Kind eines Steuerzahlers ist eine absolut positive familienfreundliche und leistungsfreundliche Maßnahme. Er führt aber zu Einnahmenausfällen bei den Ländern, die am Einkommensteuereinkommen ja prozentuell beteiligt sind.
    Allerdings ist angesichts der starken konjunkturbedingten Zuwächse bei der Einkommensteuer die Einnahmenentwicklung der Länder eindeutig positiv. Sodass sie nur auf sehr hohem Niveau klagen können.
  5. Selbst zum Verbot des Kopftuchs in Volksschulen und Kindergärten haben die Länder einen nicht ganz unberechtigten Grund zur Klage gefunden: Dieses Verbot wird vom Bund beschlossen, sie müssen es aber umsetzen. Diese Klage ist zumindest so lange nicht ganz absurd, als der Bund nicht gleichzeitig den Ländern und Schulen wirksame Instrumente gegen fundamentalistische Eltern in die Hand gibt, etwa die Möglichkeit einer Kürzung der Familienbeihilfe oder Verhängung von Verwaltungsstrafen.
    Föderalistischer wäre es gewesen, hätte der Bund den Ländern (oder Schulen) das Pouvoir zur Einführung des Kopftuchverbots gegeben. Dann hätte wohl Niederösterreich ein solches bald eingeführt. Dann wäre Wien unter gewaltigen Zugzwang geraten: Denn dann wären einerseits noch mehr Fundamentalisten-Familien nach Wien migriert; andererseits wären dann noch mehr Mittelstands-Familien aus Wien weggezogen. Worauf Wien wohl bald beim Kopftuchverbot nachgezogen hätte …
  6. Absolut und voll berechtigt sind hingegen die Klagen der Länder über den Wegfall des Pflegeregresses. Dabei geht es darum, dass die Kosten eines Pflegefalls in öffentlicher Langzeitpflege nicht mehr durch Rückgriff auf das Vermögen des Patienten hereingeholt werden können. Dieser Wegfall war ja wenige Tage vor der Nationalratswahl in einer populistischen Horuck-Aktion beschlossen worden. Zwar auf eine Initiative der SPÖ hin, aber die jetzigen Regierungsparteien haben mitgezogen. Die Folgen haben jedoch einzig die Länder zu tragen, während der Bund eine nur unzureichende Entschädigung zugesagt hat.
    Den Klagen der Länder darüber kann lediglich ein – relativ schwaches – politisches Argument entgegengehalten werden: Kein einziges Land hat beim damaligen Beschluss des Regress-Wegfalls protestiert. Dabei musste schon damals wirklich jeder wissen: Es werden nicht nur die bisherigen Regress-Fälle in der Länderkasse fehlen; sondern es wird auch eine gewaltige Welle an zusätzlichen Pflegefällen geben.
    Viele Familien haben in der Tat inzwischen schon angefangen, ihre Alten in Pflegeheime abzuschieben, da ja künftig Großmutter kleines Häuschen, also das erhoffte Erbe, nicht mehr vom Regress bedroht ist (allein in Wien nahmen die Pflegefälle um 20 bis 30 Prozent zu!). So sind viele Menschen halt.
    Inzwischen denken Bund und Länder nach, wie dieses explosive Wahlzuckerl entsorgt werden könnte. Aber niemand traut sich.

All diese Bund-Länder-Verfilzungen ergeben einen Gordischen Knoten, den wohl nicht einmal ein Alexander der Große durchschlagen könnte. Eine echte Lösung wäre nur eine strenge Aufgabenteilung und gleichzeitig komplette Eigenverantwortung der Länder für alle eigenen Kompetenzen. Der extra für einschlägige Verwaltungsreformen bestellte Minister scheint aber schon bei einer einfacheren Aufgabe, nämlich der Justiz mehr Effizienz beizubringen, weitgehend gescheitert zu sein.

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