Freitag, 15. November 2024
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Der Welt bekanntester „Whistleblower“ geht nach zwölf Jahren endlich frei

Schicksalhafte Wendung in der Causa Julian Assange
Der Welt bekanntester „Whistleblower“ geht nach zwölf Jahren endlich frei

Julian Assange, Bild © hafteh7 auf Pixabay / Bild © Caitlin Johnstone auf Pixabay

Einleitung

Der australische „Wikileaks“-Gründer und Whistleblower Julian Assange wird am 26. Juni 2024 von einem US-amerikanischen Gericht in Saipan, der Hauptstadt des amerikanischen Außengebiets der Nördlichen Marianen im Pazifischen Ozean, freigelassen und kehrt in der Folge – nach 12 Jahren Haft bzw. humanitärem Aufenthalt in einer fremden Botschaft – in seine Heimat Australien zurück. Da es sich dabei um einen ganz außergewöhnlichen und präjudiziellen Fall handelt, der eine Fülle nationaler, völkerrechtlicher und unionsrechtlicher Probleme aufwirft, soll auf ihn, in aller Kürze, nachstehend eingegangen werden. Für ein grundlegendes Verständnis dieses komplexen Falles[1] muss aber zunächst auf seine Vorgeschichte verwiesen werden, die der Autor bereits in einem früheren Beitrag näher dargestellt hat.[2] Da Assange des Öfteren als „Whistleblower“ bezeichnet wird, wurde vom Autor auch die Rechtsstellung eines „Whistleblowers“ im Völkerrecht, im Europarecht und in Österreich[3] näher untersucht, sodass auf diese beiden grundlegenden Artikel verwiesen werden kann.

Wir haben es in der gegenständlichen Angelegenheit, gemäß einer rezenten literarischen Meinung, mit „dem wohl wichtigsten Fall von Pressefreiheit in diesem Jahrhundert zu tun“[4]. Bei dieser Aussage wird von der Voraussetzung ausgegangen, dass Assange ein investigativer Journalist und Publizist, aber kein „Whistleblower“ ist. Da aber die von ihm bediente Plattform „Wikileaks“ zweifelsfrei eine Whistleblower-Plattform ist, stellt sich sofort die Frage, ob der Betreiber derselben nicht auch, zumindest de facto, als „Whistleblower“ anzusehen ist. Assanges Informantin, Chelsea Manning, ist zweifelsfrei eine Whistleblowerin, bei Assange selbst ist das aber nicht so eindeutig. Er ermöglichte jedem Interessenten Informationen ohne Faktencheck auf der Plattform „Wikileaks“ hochzuladen und zu veröffentlichen. Als Investigativjournalist hätte er aber zunächst das ganze Material zu erheben, zu sichten und zu klassifizieren, sowie auch zu bewerten gehabt, als Whistleblower wäre das aber nicht notwendig gewesen.

Die Diskussion um Whistleblower, wie zB Julian Assange, Edward Snowden,[5] Chelsea Manning uam., führte ua dazu, dass auch die EU 2019 eine Whistleblower– bzw. „Hinweisgeber“-Richtlinie verabschiedete[6], die in Art. 5 Ziff. 7 den „Hinweisgeber“ aber so definierte, dass investigative Journalisten, die Informationen über Verstöße von Hinweisgebern liefern, davon nicht umfasst sind. Was war bzw. ist denn dann Julian Assange wirklich gewesen? Die bisherigen Meinungen dazu sind durchaus widersprüchlich.

1. „Der Fall“ Julian Assange

  • Amerikanische und schwedische Anklagen

Julian Paul Assange, geboren 1971 in Townsville/Queensland, ist ein australischer investigativer Journalist, der 2006 die Enthüllungsplattform „Wikileaks“ gegründet, und über diese, geheim gehaltene Dokumente öffentlich zugänglich gemacht hat. Diese internen Dokumente US-amerikanischer Behörden bzw. der US-Armee, vor allem über die humanitären Verstöße in Zusammenhang mit den in Afghanistan[7] und im Irak[8] geführten kriegerischen Handlungen, dokumentierten zweifelsfrei brutale Kriegsverbrechen amerikanischer Armeeeinheiten, und erregten dadurch großes Aufsehen in der amerikanischen Öffentlichkeit.

Dazu kam noch seine Zusammenarbeit mit der US-Soldatin Chelsea Manning – die Transsexuelle nannte sich damals noch Bradley Manning – die in den Jahren 2010 und 2011 insgesamt 720.000 geheime Dokumente aus dem US-Verteidigungsministerium der Enthüllungsplattform „Wikileaks“ zuspielte, die anschließend alle veröffentlicht wurden. Assange soll nämlich im Jahr 2010, „in verschwörerischer Absicht“, dem IT-Spezialisten und US-Soldaten Bradley Manning dabei geholfen haben, an bestimmte Informationen aus dem Pentagon in Verbindung mit dem „Secret Internet Protocol Router Network“ (SIPRNet) zu kommen.

Chelsea Manning wurde dafür im Jahr 2010 zu 35 Jahren Haft verurteilt, im Jänner 2017 aber von Präsident Barack Obama begnadigt. Sie kam in der Folge am 17. Mai 2017 wieder frei, da Präsident Barack Obama die Haftstrafe gnadenhalber verkürzt hatte. Im März 2018 kam Manning wieder in Beugehaft, da sie sich geweigert hatte, vor einer Grand Jury über Assange und Wikileaks auszusagen. Nach einem Suizidversuch im März 2020 wurde Manning aber wieder aus der Beugehaft entlassen.[9]

Wegen seiner Unterstützung von Chelsea Manning bereitete die US-Regierung bereits im Dezember 2010 eine „geheime Anklage“ („sealed indictment“) vor einer nicht öffentlich tagenden Grand Jury auf der Grundlage des Spionage-Gesetzes  von 1917 gegen Assange vor.[10] Da dieses Verfahren aber nicht beendet wurde, konnte zu diesem Zeitpunkt auch kein internationaler Haftbefehl bzw. Auslieferungsantrag beantragt werden. Erst am 20. April 2017 teilte der amerikanische Justizminister Jeff Sessions mit, dass die Festnahme Assanges sowie die Sanktionierung des von ihm begangenen Verrats von Staatsgeheimnissen unter der neuen Regierung von Donald Trump Priorität bekommen habe und daher an der Erstellung einer Anklageschrift gearbeitet werde.[11]

Neben diesem US-amerikanischen Ermittlungsverfahren wegen Geheimnisverrats lief seit Ende August 2010 gegen Assange aber auch in Schweden ein Ermittlungsverfahren, und zwar wegen sexueller Vergehen an zwei Schwedinnen, die gegen Assange Vergewaltigungsvorwürfe erhoben hatten.[12] Während des laufenden Verfahrens konnte Assange aber von Schweden nach Großbritannien ausreisen und sich damit der Verfolgung entziehen. Am 18. November 2010 beantragte die schwedische Staatsanwaltschaft einen internationalen Haftbefehl gegen Assange – wegen Vergewaltigung, sexueller Belästigung und Nötigung – worauf sich Assange am 7. Dezember 2010 in London der Polizei stellte und daraufhin in Untersuchungshaft genommen wurde.

In der Folge gelang es Assange aber, gegen eine Kaution von 240.000 Pfund – bei gleichzeitiger Verpflichtung zum Tragen einer elektronischen Fußfessel – freigelassen zu werden, wogegen aber die schwedische Staatsanwaltschaft Berufung einlegte. Daraufhin entschieden sowohl der Londoner Magistrates‘ Court, als auch der High Court, dass Assange – auf der Basis des internationalen Haftbefehls – nach Schweden ausgeliefert werden dürfe. Dagegen erhob Assange Revision beim Supreme Court, die von diesem zwar formell für zulässig erklärt wurde, in der Folge aber meritorisch verworfen wurde. Damit hätte Assange, ab dem 28. Juni 2012, innerhalb von 10 Tagen von Großbritannien an Schweden ausgeliefert werden können.

  • Flucht in die Botschaft Ecuadors

Da Assange von der, für ihn nachteiligen, Vermutung ausging, dass Schweden seiner Auslieferung in die USA leichter zustimmen würde, wie Großbritannien, flüchtete er sich am 19. Juni 2012 in die ecuadorianische Botschaft in London und bat dort um „politisches Asyl“, das ihm im August 2012 auch gewährt wird. Da „Asyl“ von einem Staat aber immer nur auf seinem eigenen Staatsgebiet, nicht aber in einer seiner Botschaften – die ja in der territorialen Souveränität des Empfangsstaates stehen – gewährt werden kann, handelte es sich im Falle von Assange korrekter Weise um ein bloßes „humanitäres Bleiberecht“ in der Botschaft von Ecuador, das dadurch vor dem Zugriff des Empfangsstaates abgesichert ist, dass Art. 22 Abs. 1 der Wiener Diplomatenrechtskonvention (1961)[13] bestimmt, dass das Botschaftsgebäude unverletzlich ist und daher nur mit Zustimmung des Botschafters betreten werden darf.

Da das Verhalten Assanges in der Botschaft von Ecuador im Laufe der Zeit von den Botschaftsangehörigen immer stärker als störend empfunden wurde, kündigte der ecuadorianische Präsident Lenín Moreno am 11. April 2019 das „humanitäre Bleiberecht“ von Assange in der Londoner Botschaft von Ecuador auf und ließ ihn in der Botschaft selbst durch Beamte der Metropolitan Police festnehmen. Inwiefern das aggressive und respektlose Verhalten Assanges in der Botschaft unter Umständen klaustrophobischen Anwandlungen, nach einer fast sieben Jahre andauernden Konfinierung in ganz engen Räumlichkeiten – von knapp 15m– geschuldet war, wurde dabei nicht berücksichtigt.[14] Der Hauptgrund für den Verweis von Assange aus der Botschaft lag aber im Wechsel der Präsidentschaft Ecuadors von Rafael Correa (2007-2017) im Mai 2017 zu Lenín Moreno (Vizepräsident von 2007-2013), der eine ganz andere Einstellung zum Verhalten von Julian Assange hatte.

  • Anklage gegen Assange in den USA

Nach der Verhaftung von Assange durch die britische Justiz am 11. April 2019 stellte die USA umgehend ein Auslieferungsansuchen an Großbritannien, und auch Schweden erwog eine neuerliche Antragstellung, nachdem es sein Auslieferungsbegehren zunächst wegen Aussichtslosigkeit zurückgezogen hatte. Dabei ging es um die komplexe Fragestellung, ob Assange ein investigativer Journalist und seine Enthüllungsplattform WikiLeaks ein Medienprodukt ist. Kann es sein, dass „Whistleblower“ an sich zu kriminalisieren sind, die EU aber gleichzeitig eine eigene Richtlinie zum Schutz spezieller „Enthüller“ bzw. Hinweisgeber ausarbeitet?[15] Muss also zwischen „guten“ und „bösen“ Whistleblowern differenziert werden?

Die im Mai 2019 in den USA veröffentlichte Anklage gegen Assange geht dieser Frage bewusst aus dem Weg und klagt Assange nicht wegen der Publikation von Staatsgeheimnissen und Spionage an – worauf als Höchststrafe ja die Todesstrafe steht, die einer Auslieferung von Assange an die USA entgegenstehen würde – sondern versucht ihn (nur) wegen seiner Mithilfe am „Knacken“ von Computern des Pentagon durch Chelsea Manning zu belangen, wofür als Höchststrafe lediglich fünf Jahre Haft drohen.[16] Damit unterlief das amerikanische Justizministerium aber nicht nur geschickt den Versuch, die Anklage als „Rache“ der USA gegen einen unliebsamen „Whistleblower“ darzustellen, sondern erfüllt auch die zentrale Bedingung Großbritanniens, Assange an keinen Staat auszuliefern, in dem ihm die Todesstrafe droht.

  • Auslieferung Assanges an die USA?

Nachdem ein britisches Gericht die Auslieferung von Julian Assange in die USA zunächst untersagt hatte, hob das Berufungsgericht dieses Verbot im Dezember 2021 aber wieder auf, woraufhin im Juni 2022 von der britischen Regierung ein formeller Auslieferungsbeschluss erlassen wurde. Dagegen legte Assange Berufung ein, im Rahmen derer vor dem High Court in London am 20./21. Februar 2024 eine zweitägige Anhörung über die gegenständlichen 18 Anklagepunkte stattfand, die sich theoretisch zu einer maximalen Haftstrafe von 175 Jahren summieren könnten. Im Wesentlichen werden Assange drei Komplexe von Straftaten vorgeworfen. Erstens habe er in einer Verschwörung mit der damaligen Mitarbeiterin von amerikanischen Sicherheitsdiensten, Chelsea Manning, die die geheimen Daten gestohlen habe, zusammengearbeitet und habe sich so zum Komplizen des Datendiebstahls gemacht. Zweitens habe er Manning zu weiterem Hacking aufgestachelt und drittens habe er in verantwortungsloser Weise das Leben zahlreicher Menschen in Gefahr gebracht, indem er Geheimakte veröffentlicht habe, ohne die Identifikationsmerkmale der dort genannten Personen zu verdecken.[17]

In der Folge entschied der High Court am 26. März 2024,[18] dass Assange nicht sofort an die USA ausgeliefert werden müsse und dieser weiterhin Berufung gegen seine Auslieferung einlegen könne, sofern die USA ihm nicht „den gleichen Schutz des Ersten Zusatzartikels der US-Verfassung[19], wie einem US-Bürger, garantieren, und bestätigen, dass die Todesstrafe nicht verhängt wird“.[20] Seitens der beiden High Court-Richter Victoria Sharp und Adam Johnson, wurde den USA eine Frist bis zum 16. April 2024 gesetzt, diese Garantien zu geben, was diese in der Folge auch fristgerecht taten, wenngleich nicht ganz in der geforderten Striktheit. Aufgrund der Bedenken, dass die angebotenen Garantien der US-Justizbehörden nicht ausreichend sein könnten, entschied der High Court – im Zuge seiner Anhörung am 20. Mai 2024 – dass Assange auf Kaution freigelassen werde.

Am Abend des 24. Juni 2024 erfolgte dann offenbar die Lösung dieses Falles, da Gerichts-Dokumente veröffentlicht wurden, wonach Assange mit dem US-Justizministerium offensichtlich eine Einigung erzielt hatte.

  • Inhalt des Vergleichs mit den USA

Mit dem Vergleich zwischen Assange und den USA kommt der ungleiche Kampf dieser beiden Kontrahenten zu einem plötzlichen Ende. 17 Jahre lang war Assange ein „Stachel im Fleisch“ der USA, mit dem sich vier unterschiedliche Regierungen abgemüht haben. Die juristische Grundfrage lautete dabei: Hatte sich Assange mit der massenhaften Veröffentlichung von unrechtmäßig erworbenen Regierungsdokumenten strafbar gemacht, oder sich nur im Rahmen einer legitimen bzw. legalen journalistischen investigativen Tätigkeit bewegt?

Hatte die Regierung des bis 2009 amtierenden Präsidenten George W. Bush den Aktivitäten der Enthüllungsplattform Wikileaks noch wenig Aufmerksamkeit geschenkt, so musste sich dessen Nachfolger, Präsident Obama (2009-2017), mit einer Veröffentlichung am 5. April 2010 in Wikileaks auseinandersetzen, die einen unglaublichen Angriff eines amerikanischen Kampfhubschraubers auf Zivilisten in Bagdad dokumentierte und damit Entsetzen über das brutale Vorgehen der USA im Irak-Krieg auslöste.[21]

Assange war an diese Dokumente durch Bradley/Chelsea Manning, einen im Irak stationierten Soldaten des US-Nachrichtendienstes gelangt, dem er durch „Knacken“ eines Passwort-Hash, der auf PC des US-Verteidigungsministeriums gespeichert war, den Zugang zu militärischen Datenbanken der USA ermöglicht hatte, die mit dem „Secret Internet Protocol Router Network“ (SIPRNet) verbunden waren. Damit konnte Manning, vom November 2009 an, den Zugang zu militärischen Datenbanken nutzen, um eine Unsumme von klassifizierten Dokumenten für Wikileaks herunterzuladen. So konnte Wikileaks im Zeitraum von 2010/2011, dank Mannings Hilfe, insgesamt eine halbe Mio. militärischer Lageberichte der amerikanischen Kampftruppen im Irak und in Afghanistan, 250.000 diplomatische Depeschen und 800 Dossiers über die Gefangenen im Lager Guantánamo auf Kuba, veröffentlichen.[22]

Damit hatte sich, aus der Sicht der Anklage, Assange nicht wie ein korrekt handelnder Investigativ-Journalist, der bloß Dokumente entgegengenommen und dann veröffentlich hat, sondern eindeutig strafbar verhalten. Dazu kam noch der Umstand, dass Wikileaks die Dokumente vor ihrer Veröffentlichung nicht entsprechend behandelt hatte – zB durch Schwärzen der Namen etc. – wodurch zahlreiche Informanten und lokale Helfer der amerikanischen Streitkräfte in Afghanistan und im Irak in große Gefahr gerieten, als Kollaborateure mit dem Feind verfolgt zu werden.[23]

  • Verlegung des Strafverfahrens von Alexandria nach Saipan

Nachdem Assange den Vergleich, den seine Anwälte in zähen Verhandlungen mit dem amerikanischen Justizministerium ausgearbeitet hatten, zur Kenntnis genommen hatte, bestieg er am 24. Juni 2024 am Londoner Flughafen Stansted einen Privatjet, der ihn, via Bangkok, nach Saipan – der Hauptstadt des US-amerikanischen Außengebiets Northern Mariana Islands (Nördliche Marianen) im Pazifischen Ozean – brachte. Der Grund dafür war die Bedingung von Assange, keinesfalls (freiwillig) das amerikanische Festland betreten zu wollen. Deshalb willigte das amerikanische Justizministerium ein, die Anklage gegen Assange vor einem US-Bundesgericht in Alexandria, Virginia[24] fallen zu lassen und in einen der westlichsten Gerichtsbezirke der USA, nämlich in ein US-Bezirksgericht auf der Insel Saipan, zu verlegen.[25]

Im Laufe der Einvernahme durch die zuständige Bundesrichterin, Ramona V. Manglona, gab Assange zu, sich von 2009 bis 2011 mit illegalen Mitteln geheime Regierungsakten verschafft zu haben, die er dann auf der Enthüllungsplattform Wikileaks veröffentlicht habe. Diese Dokumente waren ihm, wie vorstehend erwähnt, von der Whistleblowerin Chelsea Manning übergeben worden, die vor ihrer Geschlechtsumwandlung als Gefreiter Bradley Manning bekannt war. Damit hatte Assange aber gegen ein Gesetz, den „Espionage Act“ von 1917 verstoßen, das ursprünglich im Ersten Weltkrieg zur Verhinderung von Spionagetätigkeiten verabschiedet worden war.[26]

2. „Der Fall“ Stella Assange

Stella Assange wurde 1983 in Johannesburg geboren, ihre Mutter war eine spanische Theaterregisseurin und ihr Vater ein schwedischer Architekt. Nach einer Reihe rechtswissenschaftlicher Studien – in London, Oxford und Madrid – wurde sie zur Rechtsanwältin ernannt und in der Folge im Jahr 2011 Teil des Anwaltsteams von Wikileaks. Sie lernte so Julian Assange kennen, und erhielt in der Folge – aufgrund ihrer schwedischen Wurzeln – den Auftrag, die vorerwähnte Auslieferung von Assange an Schweden zu verhindern, was ihr letztlich auch gelang.

Julian Assange war damals bereits im Visier amerikanischer Geheimdienste, da er 2010 das „Afghan War Diary“ veröffentlicht hatte, eine Sammlung von Geheimdokumenten, die amerikanische Kriegsverbrechen in Afghanistan offenlegten.[27] Um ihre Identität zu verbergen, gab Stella Assange ihren Geburtsnamen Sara Devant auf, nannte sich zunächst Stella Moris und danach Stella Moris-Smith Robertson.[28]

Nachdem Julian Assange 2012 in die ecuadorianische Botschaft in London geflüchtet war, besuchte ihn Stella Assange dort regelmäßig, und zwar zunächst als Anwältin und Unterstützerin, dann aber verliebte sie sich in ihn und wurde seine Partnerin. In der Folge zeugte er mit Stella Assange zwei Kinder, wobei das Paar versuchte, die Beziehung und die Vaterschaft Assanges zunächst zu verheimlichen, was aber misslang.

Nach seiner Verhaftung in der ecuadorianischen Botschaft durch die britische Polizei im Jahr 2019 wurde Assange in das Londoner Hochsicherheitsgefängnis Belmarsh überstellt, wobei ihm noch immer die Auslieferung in die USA und, damit verbunden, eine 175-jährige Haftstrafe, drohte. Stella Assange initiierte in der Folge eine Reihe von Demonstrationen und Protestaktionen, von denen vor allem diejenige im Gedächtnis blieb, die sie 2022 – in Form einer riesigen Menschenkette – vor dem britischen Parlament in Westminster organisierte.

Im März 2022 heirateten Stella und Julian Assange im Hochsicherheitsgefängnis Belmarsh, wobei die Gefängnisleitung keine Trauzeugen zuließ und dem Paar selbst die Aufnahme eines Hochzeitsfotos verwehrte. Nach der Freilassung ihres Mannes im Mai 2024 warb Stella Assange, da ihr Mann ja über kein Einkommen verfügte, um die Errichtung eines Unterstützungsfonds für ihn, da dieser unter den psychischen und physischen Folgen der langjährigen Haft leide und daher schwerlich einer geregelten Berufstätigkeit nachgehen könne.

Die ständigen Bemühungen von Stella Assange, sowohl in den Medien, als auch in der Öffentlichkeit, Sympathien für ihren Ehemann zu wecken, führten in der Folge dazu, dass nunmehr auch sein Heimatland Australien positiv reagierte. So zeigte sich der australische Premierminister Anthony Albanese erfreut über die Freilassung von Assange und wünschte ihm ein gutes Fortkommen.

3. Fazit

Die Vereinbarung zwischen Assange und der US-Justiz ist ein „Sieg der Vernunft“.[29] Sie macht allerdings deutlich, dass Assange zugleich Täter und Opfer ist. Assange bekennt sich lediglich der Zuwiderhandlung gegen den „Espionage Act“ von 1917[30] für schuldig, sodass von den 18 Anklagepunkten, die das amerikanische Justizministerium gegen ihn ausgearbeitet hatten,[31] lediglich ein einziger übrig blieb, gemäß dessen Assange zugibt, sich in verschwörerischer Absicht vertrauliche Verteidigungs- und Sicherheitsdaten der USA verschafft und danach, ohne entsprechende Aufbereitung, auf Wikileaks auch veröffentlicht zu haben.[32]

Assange bekennt sich also als schuldig und wird dementsprechend zu einer 62-monatigen Gefängnisstrafe verurteilt, die (bewusst) den fünf Jahren Haft im Londoner Hochsicherheitsgefängnis Belmarsh entspricht, die ihm angerechnet werden. Da die Richterin im Gericht in Saipan, Ramona V. Manglona, auf die Verhängung einer zusätzlichen Gefängnisstrafe verzichtete, konnte Julian Assange am 26. Juni 2024 das Gericht in Saipan als freier Mann verlassen und umgehend nach Hause fahren. Sechseinhalb Stunden dauerte der Flug von Saipan nach Canberra, der Hauptstadt Australiens, bei dem ihn der australische US-Botschafter Kevin Rudd und der Hochkommissar in Großbritannien, Stephen Smith, begleitet haben, die sich beide für seine Freilassung engagiert hatten.[33]

Assange gilt nach seinem Schuldeingeständnis aber als verurteilter Verbrecher. Dieser Status könnte nur dann aufgehoben werden, wenn Assange durch einen US-Präsidenten begnadigt werden würde. Donald Trump hatte bereits angekündigt, dass er im Falle seiner Wahl, „sehr, sehr ernsthaft“ darüber nachdenken werde.[34] Diese positive Einschätzung durch Trump geht auf den Umstand zurück, dass ihm Assange im Wahlkampf 2016 gegen Hillary Clinton mit der Veröffentlichung gehackter E-Mails willkommene Schützenhilfe geleistet hatte. In der Folge distanzierte sich Trump aber wieder von Assange und seiner Plattform „Wikileaks“.[35] Im April 2024 gab wiederum Präsident Joe Biden zu verstehen, dass er „erwäge“, das Verfahren gegen Assange einzustellen.[36]

Damit findet ein zwölfjähriger Leidensweg von Julian Assange einen positiven Abschluss. Assange kann sich nunmehr erstmalig seiner Familie intensiv widmen, muss aber umgehend Umschau nach einer einträglichen Beschäftigung halten, um wieder zu Geld zu kommen, was ihm in den letzten zwölf Jahren ja nicht möglich war. Aufgrund seiner Belastung als „Whistleblower“ wird er dabei aber immer wieder an seine Fehler erinnert werden, die er bei seinen Recherchen gemacht hat. So verdienstvoll seine Aufdeckung der amerikanischen Kriegsverbrechen in Afghanistan und dem Irak auch gewesen ist, so unprofessionell war die Beschaffung der inkriminierten Dokumente und deren (fehlende) Behandlung vor ihrer Veröffentlichung. Trotzdem darf nie vergessen werden, mit welchem Mut und welcher Entschlossenheit sich Assange dieser Aufgabe unterzogen, und welche Entbehrungen er dabei in Kauf genommen hat. „Wikileaks“ wird sein ganzes weiteres Leben dominieren und ihn nicht mehr zur Ruhe kommen lassen.

[1] Vgl. Menschenrechtsanwalt Kaleck. Warum der Fall Assange so kompliziert ist, ZDFheute, vom 26. März 2024.

[2] Hummer, W. Der facettenreiche „Fall Julian Assange“, EU-Infothek vom 26. April 2019, S. 1 ff.

[3] Hummer, W. Vom „Whistleblower“ zum „Hinweisgeber“. Ansätze zur Reglementierung dieses Verhaltenstypus im Völkerrecht und im Europarecht – unter besonderer Berücksichtigung Österreichs, EU-Infothek vom 27. März 2023 (Teil 1) und EU-Infothek vom 28. März 2023 (Teil 2).

[4] Dagdelen, S. Dissident des Westens, Weltwoche Nr. 07.24, S. 42.

[5] Vgl. Hummer, W. Die Verleihung der russischen Staatsbürgerschaft an den amerikanischen „Whistleblower“ Edward Snowden – Ein russischer „Nadelstich“ in den Bereich der US-Außenpolitik, EU-Infothek vom 18. Oktober 2022, S. 1 ff.

[6] Richtlinie (EU) 2019/1937 des Europäischen Parlaments und des Rates zum Schutz von Personen, die Verstöße gegen das Unionsrecht melden (sog. „Hinweisgeber-Richtlinie“) vom 23. Oktober 2019; ABl. 2019, L 305, S. 17 ff.

[7] Im Umfang von insgesamt 76.911 Dokumenten.

[8] Im Umfang von insgesamt 391.832 Dokumenten.

[9] Was Chelsea Manning und Julian Assange auf Wikileaks enthüllten, Amnesty International Österreich, vom 29. Mai 2020, aktualisiert am 24. Juni 2024.

[10] Vgl. Hastings, M. WikiLeaks Stratfor Emails: A Secret Indictment Against Julian Assange?, Rolling Stone, 28 February 2012.

[11] Hummer, Der facettenreiche „Fall Julian Assange“ (Fn. 2), S. 2.

[12] Anna Ardin, eines der beiden mutmaßlichen Opfer, verfasste 2021 ein Buch über diese Vorgänge; Nuspliger, N. Auf dem Weg in die Freiheit: Die Irrfahrten des Julian Assange. Ein Porträt, nzz.ch, vom 25. Juni 2024, S. 6.

[13]  BGBl. 1966/66.

[14] Vgl. Vieregge, T. Die Gefangenschaft des Julian Assange, Die Presse vom 12. April 2019, S. 5.

[15] Europäische Kommission, Vorschlag für eine Richtlinie des Europäischen Parlaments und des Rates zum Schutz von Personen, die Verstöße gegen das Unionsrecht melden; COM(2018) 218 final vom 23. April 2018; vgl. Fn. 6.

[16] Department of Justice, U. S. Attorney’s Office, Eastern District of Virginia, Thursday, April 11, 2019, WikiLeaks Founder Charged in Computer Hacking Conspiracy, S. 1.

[17] NZZ-Redaktion, Julian Assange: Londoner Gericht vertagt Entscheid über Auslieferung an die USA, vom 21. Februar 2024, S. 4.

[18] Case No: AC-2022-LON-001745 and 1746, Date: 26 March 2024, vgl. dazu Courts and Tribunals Judiciary, Press Summary Julian Paul Assange and (1) Government of the USA (2) Secretary of State for the Home Department [2024] EWHC 700 (Admin), 26 March 2024.

[19] Schutz der freien Meinungsäußerung.

[20] Vgl. Klein, A. WikiLeaks-Gründer Julian Assange erzielt Abkommen mit US-Regierung – Haftentlassung steht bevor, forbes.com, vom 25. Juni 2024, S. 2 f.

[21] Vgl. Rüesch, A. Assanges Kampf gegen den mächtigsten Staat der Welt – und weshalb seine brisanteste Aktion immer im Dunkeln bleiben wird, nzz.ch, vom 25. Juni 2024, S. 2.

[22] Rüesch, Assanges Kampf gegen den mächtigsten Staat der Welt (Fn. 21), S. 4.

[23] Vgl. Ribi, Th. Julian Assange wird in den Medien als Freiheitskämpfer gefeiert. Doch ethische Standards kümmerten ihn nicht, und seine Publikationen gefährden Leben, nzz.ch, vom 27. Juni 2024, unter Berufung auf Leigh, D. – Harding, L. Wikileaks: Inside Julian Assange’s War on Secrecy (2011).

[24] Das am US-Bundesbezirksgericht für das östliche Virginia gegen Assange anhängige Strafverfahren hatte das Aktenzeichen Az. 1:18-cr-00111; Sokolov, D. Julian Assanges Anwälte verhandeln mit US-Regierung, heise.de, vom 20. März 2024, S. 3.

[25] Vgl. Ruf, R. Julian Assange ist frei. Warum er nach einem jahrelangen Kampf aufgab und sich den US-Behörden stellte, nzz.ch, vom 26. Juni 2024,

[26] Cave, D. Julian Assange Pleads Guilty to Espionage, Securing His Freedom, The New York Times, vom 25. Juni 2024.

[27] Nuspliger, Auf dem Weg in die Freiheit: Die Irrfahrten des Julian Assange (Fn. 12), S. 3, 5.

[28] Venetz, M. Stella Assange kämpfte erst als Juristin für Julian Assange, dann hat sie sich ihn verliebt und sein Image korrigiert, nzz.ch vom 27. Juni 2024, S. 3.

[29] Nuspliger, N. Julian Assanges Schuldeingeständnis: Die Vereinbarung mit der US-Justiz ist ein Sieg der Vernunft, nzz.ch, vom 25. Juni 2024.

[30] Vgl. vorstehend Fn. 26.

[31] Amt für öffentliche Angelegenheiten, Gegen WikiLeaks-Gründer Julian Assange wird Anklage in 18 Anklagepunkten erhoben, justice.gov., vom 23. Mai 2019.

[32] Vgl. Bauer, A.-M. Mit Schuldspruch in die Freiheit, Kurier, vom 26. Juni 2024, S. 7.

[33] Barkhausen, B. Das Ende einer Odyssee: Julian Assange ist zurück in Australien, nzz.ch, vom 26. Juni 2024, S. 2.

[34] Barkhausen, Das Ende einer Odyssee: Julian Assange ist zurück in Australien (Fn. 33), S. 3.

[35] Vgl. Nuspliger, Julian Assanges Schuldeingeständnis: Die Vereinbarung mit der US-Justiz ist ein Sieg der Vernunft (Fn. 29), S. 3.

[36] Vgl. Klein, A. Julian Assange bekennt sich des Verstoßes gegen das Spionagegesetz schuldig – und beendet damit effektiv eine über ein Jahrzehnt andauernde juristische Saga, forbes.com, vom 25. Juni 2024, S. 3; Londoner High Court: Assange kann gegen Auslieferung vorgehen, zdf.de, vom 20. Mai 2024, S. 4.

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