Dienstag, 19. März 2024
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Ein Referendum ohne guten Ausgang

Die Briten stehen beim Brexit-Referendum vor einer fatalen Entscheidung. Ob Ja, ob Nein – jedes Ergebnis wird schlecht und gefährlich sein, so erstaunlich und widersprüchlich das auch klingen mag.

Einerseits würde ein britischer Ausstieg aus der EU mit Sicherheit sowohl den Briten wie auch den Resteuropäern schweren ökonomischen Schaden zufügen. Andererseits würde ein Sieg des Anti-Brexit-Lagers ein übles Triumphsignal für die unheilvolle Politik der EU-Führung während der letzten Jahre und damit deren Fortsetzung und Intensivierung bedeuten.

Die britischen Wähler stehen bei ihrer Entscheidung vor sehr schwierigen Was-wäre-wenn-Annahmen über künftige Entwicklungen mit vielen unberechenbaren globalen Akteuren. Diese Entscheidung überfordert die Menschen – freilich ebenso wie die tief gespaltene politmediale Klasse. Sie ringen zwar ehrlich und hart um ihre Entscheidung. Sie kommen aber fast täglich zu wechselnden Stimmungen und Umfrageergebnissen.

Ausnahmsweise muss man der EU-Kommission attestieren, richtig zu agieren: Sie schweigt, statt einen Anti-Brexit-Wahlkampf zu führen. Dieser würde nur als Einmischung empfunden werden. Sie hat daher zu Recht allen Exponenten sogar Reisen nach Großbritannien verboten.

Beide britische Seiten haben in den letzten Wochen eine unerträgliche Fülle von falschen Argumenten, von beweisfreien Prophezeiungen, von Unter- und Übertreibungen in die Welt gesetzt. Nur einige Beispiele (um nicht auch all die wahnsinnigen Behauptungen der britischen Boulevardpresse aufzulisten):

• Es ist nur noch öde, wenn die EU-Anhänger schon wieder intensiv das abgedroschene Friedensargument bemühen. Weder von London noch von der Rest-EU würde nach einem britischen Austritt eine erhöhte Gefahr für den Frieden ausgehen.

• Es ist absurd, wenn die Brexit-Befürworter die Probleme eines schwierigen Herauslösens eines großen Mitglieds aus der EU in einem irrationalen Furor kleinreden und mit der Situation von Ländern vergleichen, die nie der EU beigetreten waren, wie die Schweiz, Norwegen und Island.

• Es ist völlig unglaubwürdig, wenn in der EU so getan wird, als ob man sich nicht nach einem Brexit-Entscheid doch sehr um ein halbwegs tragbares Übereinkommen mit London bemühen wird. Einfach weil man es im Eigeninteresse muss.

• Es ist eine völlige Verkennung der Realität, wenn die Brexit-Befürworter die gewaltigen Probleme mit den Millionen nach Großbritannien gezogenen Menschen aus der Dritten Welt mit dem Zuzug von EU-Bürgern vergleichen. 

Diese Probleme sind insbesondere bei den integrationsverweigernden Muslimen groß, von denen ein Teil ganz offen fundamentalistisch ist. Hingegen sind Polen&Co für die Briten eine wirkliche Bereicherung, so wie sie es ja auch für Österreich sind. Aber nur deren Zuzug hängt mit der EU-Mitgliedschaft zusammen. Der Zuzug der in Großbritannien besonders zahlreichen Pakistanis hingegen überhaupt nicht.

Was kann man nun halbwegs gesichert über die Folgen eines Jas oder Neins der Briten zum Brexit sagen? Etliches. Zuerst zu den Folgen eines Jas zum Austritt.

Warum ein Brexit schlecht wäre

1. Die Zerstörung eines großen Binnenmarkts würde den Briten wie der Rest-EU schwer schaden. Das ohnedies fast dauerkränkelnde Europa würde für Investitionen noch weniger attraktiv sein, als es jetzt schon ist. Während auf der anderen Seite des Globus Amerika, der pazifische Raum sowie Süd- und Ostasien (mit oder ohne China) immer näher zusammenrücken. Und wachsen.

2. Eine Herauslösung Großbritanniens würde in der Übergangsperiode doppelten Schaden anrichten, weil dabei jahrelange, ganz schwierige Verhandlungen mit vielen Unsicherheiten und ungewissem Ausgang notwendig werden. Niemand weiß, wo die Briten doch mitmachen dürfen und wollen, und wo nicht. Niemand weiß, ob wenigstens ein Arrangement ähnlich dem zwischen der EU und der Schweiz zustandekommen könnte, das ja auch erst nach vielen Jahren der Verhandlungen erzielt worden ist, und das jetzt durch das Schweizer Freizügigkeitsreferendum schon wieder bedroht ist. Man denke nur, wie schwierig, langwierig, emotionsbeladen (und von absurden Verschwörungstheorien begleitet) die Verhandlungen der EU mit den USA über ein Freihandelsabkommen sind. Dabei wären Austrittsverhandlungen EU-Großbritannien mindestens noch dreimal so komplex und schwierig.

3. Die Briten müssten nach einem Austritt so wie die Schweizer zweifellos viele EU-Entscheidungen übernehmen oder nachvollziehen, ohne sie wie jetzt beeinflussen zu können, was ihrem Nationalstolz nicht sonderlich gut täte.

4. Die bei vielen Briten noch virulenten Reminiszenzen an die schönen Zeiten eines globalen Empire sind nostalgische Illusion. Für Indien, Australien, Kanada, Südafrika usw. werden auch nach einem Brexit die Beziehungen zu den USA und zur Rest-EU wichtiger sein als die zu Großbritannien.

5. Großbritannien wäre mit Sicherheit auch wieder mit einer neuen schottischen Austrittsforderung konfrontiert. Die Schotten sind ja viel stärker nach Europa orientiert als das eigentliche England.

6. Für Millionen Kontinentaleuropäer auf den Inseln und Briten auf dem Kontinent wäre ein Austritt eine persönliche Katastrophe. Es ist daher skandalös, dass Großbritannien ausgerechnet die Auslandsbriten am Wählen behindert.

7. Ein britischer Austritt hätte auf der anderen Seite fundamentale Zerfallserscheinungen im – ursprünglich! – positivsten und wichtigsten europäischen Projekt seit 1806 zu Folge. Eine Reihe weiterer Länder könnte dem britischen Beispiel folgen – was aber wiederum den Verhandlungsspielraum Brüssels gegenüber London noch weiter einschränkt.

8. Ohne Großbritannien zerfallen auch alle Hoffnungen auf eine gemeinsame europäische Verteidigung ohne Nato endgültig zu Staub. Zugleich ist aber auch die Nato selbst durch den wachsenden amerikanischen Isolationismus bedroht.

9. Wohl am schlimmsten für die Resteuropäer: Die Briten würden als ungemein positives Element in Europa verloren gehen. Sind sie doch ein starkes Gegengewicht zu allen südeuropäischen Tricksereien und Disziplinlosigkeiten, zu allen deutschen Vormundschaftsversuchen. Haben sie sich doch am stärksten von allen Mitgliedsländern für eine europäische Marktwirtschaft und gegen einen Brüsseler Zentralismus engagiert. Haben sie doch gleichzeitig die Einhaltung von Verträgen ernster genommen als alle anderen großen und mittelgroßen EU-Mitglieder. Die Visegrad-Vier als einziges Gegengewicht der Vernunft in einem Meer von Feigheit und Romantik und Gaunerei wären dann mit Sicherheit zu schwach.

Warum ein Nein zum Brexit schlecht wäre

Genauso übel wären aber auch viele Folgen einer Entscheidung der Briten für einen weiteren Verbleib in Europa.

1. Die EU würde diese Absage der Briten an einen Austritt zu einem massiven Ja zur gesamten Politik der EU umdeuten.

2. Vor allem würde dann wieder der so unheilvolle Zentralismus der gegenwärtigen EU-Spitze triumphieren. Den Versprechungen von mehr Subsidiarität ist bei dieser Kommission und diesem EU-Parlament keine Sekunde zu trauen. Hören wir die gleichen Versprechungen doch schon seit einem Jahrzehnt, ohne dass sie Folgen hätten.

3. Seit 2015 sind über 80 Initiativen einer regulierungswütigen EU-Kommission vorerst einmal gestoppt worden. Zum Teil nur deshalb, um das Referendum abzuwarten. Aber keine einzige ist endgültig tot und viele würden dann wiederbelebt werden.

4. Die Mutation der EU hin zu einer grün-politischkorrekten Regulierungs-Gouvernante würde wieder ungehemmt vorangehen. Und diese EU-Gouvernante würde noch viel weniger akzeptiert werden als die nationale (Motto: Right or wrong, my country). Die einstige großartige Bedeutung der EU als erfolgreiche wirtschaftsliberale Bewegung der Internationalisierung und Befreiung von kleinlich-nationaler Regulierungswut wäre endgültig zu Grabe zu tragen.

5. Auch der Europäische Gerichtshof würde wieder seine in allerletzter Zeit zart gezeigten Hemmungen abstreifen und neuerlich ständig mehr Macht in Brüssel akkumulieren (war er doch bisher schon sehr negativ tätig als Immigrationsförderer; oder auch als Instanz, die Österreich gezwungen hat, ausländische Gratisstudenten selbst dann aufzunehmen, wenn diese in der eigenen Heimat gar nicht studieren hätten dürfen).

6. Die insbesondere von der deutschen Bundeskanzlerin ausgehenden Beschlüsse, die Massen der Völkerwanderung aus Asien und Afrika auf alle EU-Länder aufzuteilen, würden dann mit neuer Kraft verfolgt werden.

7. Die Präpotenz der Kommission und des Parlaments gegenüber eigenständig denkenden Mitgliedern wie Ungarn oder Polen würde noch schlimmer.

8. Alle Versuche, vielleicht doch gesamteuropäisch einen Stopp der Völkerwanderung zu organisieren, würden wieder erlahmen.

9. Die Nichteinhaltung zahlloser Vertragspflichten würde noch stärker zur europäischen Normalität werden.

10. Die EU-Zentrale würde sich in allen schikanösen Überregulierungen bestätigt fühlen (von den Glühbirnen über die Allergen-Verordnungen und Meinungsverbote bis zu Duschköpfen und Staubsaugern); und diese mit neuen Schnapsideen fortsetzen.

11. Die hass- und verachtungsvolle Kluft zwischen den sich hintergangen fühlenden Durchschnittseuropäern und der gesamteuropäischen Machtelite würde sich noch mehr vertiefen.

Viele Fehler

Unglaublich viele Dummheiten waren auch in der medialen Kampagne zu beobachten. Wieder nur je ein Beispiel:

• Der immer sehr EU-begeisterte deutsche „Spiegel“ machte jetzt eine zweisprachige Ausgabe mit den an die Briten gerichteten Sätzen am Cover: „Bitte geht nicht! Warum wir die Briten brauchen“. Er erzielt damit freilich genau das Gegenteil der beabsichtigten Wirkung. Denn die Briten lesen das ja so: „Aha, jetzt entdeckt ihr auf einmal, dass ihr uns braucht – daran hättet ihr früher denken müssen, als ihr gegen alles wart, wofür wir sind. Wir selbst entscheiden darüber, was wir brauchen.“

• Auf der anderen Seite haben vor allem die britischen Murdoch-Medien in ihrem Hass auf Europa so übertrieben und gelogen, dass sie bei vielen Briten weiter an Glaubwürdigkeit verloren haben.

Ist daher das Referendum Unsinn? Jein.

Es ist ein Unsinn, Jahrzehnte NACH einem Beitritt über diesen wieder abzustimmen, dem die Briten ja einst mit zwei Dritteln zugestimmt hatten. Das wäre nur aus einem ganz konkreten Ärgernis heraus legitim und verständlich. Einen solchen Anlass behauptet die Regierung aber nicht einmal selbst zu haben. Sie hat aber trotzdem dieses Referendum angesetzt.

Das ist fahrlässiger Zynismus David Camerons gewesen. Er beschloss das Referendum im Grund nur deshalb, damit er trotz der Stärke des Anti-EU-Flügels in der eigenen Partei Premier bleiben konnte. Das durchschauen die Briten. Es ist ja total unglaubwürdig, wenn Cameron zuerst lange mit dem Austritt droht, dann nur wenige marginale (wenn auch positiv zu bewertende) Konzessionen einheimst, und nun plötzlich zum flammenden EU-Apologeten wird.

Damit signalisiert er den Briten Unsicherheit, Wechselhaftigkeit, Spielertum. Sie müssen sich als Instrument der Politik missbraucht fühlen.

Referenden an sich sind jedoch – wären jedoch – immer sinnvoll und berechtigt, wenn sie von unten kommen (etwa nach Schweizer Muster). Aber sie sind nur sehr selten sinnvoll, wenn sie von oben aus parteitaktischen Gründen angesetzt werden. Wie es ja auch in Österreich zweimal der Fall gewesen ist.

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