Mittwoch, 24. April 2024
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Zerbricht Europa an seinen Ungleichgewichten?

Zu gewaltigen Wanderungsbewegungen gesellen sich Verwerfungen auf Güter-, Finanz- und Arbeitsmärkten. Langsam dämmert es den Bürgern, dass ihr Schiff auf stürmischer See gegen immer höhere Wellen kämpft. Ein Kurswechsel steht an.

Deutschlands ehemaliger Außenminister, Joschka Fischer (von den Grünen) soll einmal gesagt haben[1]: „Deutschland ist ein Problem, weil die Deutschen fleißiger, disziplinierter und begabter als der Rest Europas sind“. Dies würde immer wieder zu Ungleichgewichten führen, welche man nur ausgleichen könne, indem man „permanent so viel Geld wie nur möglich aus Deutschland herausleite, zur Not auch durch Verschwendung“.

 

Ungleiche Wirtschaft

Unausgesprochen war dies schon immer der ökonomische Leitgedanke zur Finanzierung Europas. Was nicht weiter schlimm war, bauten die Germanen auf diese Art doch jenen Kontinent wieder auf, den sie zuvor in Schutt und Asche gelegt hatten. Ehemalige Kriegsgegner wurden zu Freunden – und Wirtschaftspartnern. Denn oft fanden sich die geschenkten DM-Scheine bald wieder in den Bilanzen deutscher Exporteure.

Dann aber kamen Euro und EU-Osterweiterung. Und plötzlich lag Produkten „Made in Germany“ ganz Europa zollfrei vor den Füßen. Was die (durch den Euro) vergleichbaren Güter „Made in France“, Italy“ und „Spain“ jetzt alt aussehen ließ.

 

Güter- und Arbeitsmärkte kippen

Die Folge? In besagten Ländern brachen Firmenumsätze drastisch ein. Alleine Italien musste einen Rückgang seines Weltanteils bei Exporten von 3 auf 2% verkraften.

Wie in Spanien, Frankreich oder Portugal hatte auch den Italienern die „nordische Konsequenz“ gefehlt, Arbeitsmärkte mutig an moderne Zeiten anzupassen (Stichwort „Hartz IV“).

So schnürten Millionen an West-, Süd- und Osteuropäern ihr Säckchen, und wanderten in das gelobte Land am Rhein. Dort lassen die Talente nun die Wirtschaft erblühen, während diese in den Auswanderländern verwelkt. Hier werden die Arbeitslosen weniger – dort nehmen sie zu.

 

Schuldenberge kippen

Die Schwächung der west- und südeuropäischen Industrien durch die nordische Konkurrenz ließ die Regierungen von „Griechenland und Co.“ der Idee verfallen, dies durch Schuldenaufnahmen ausgleichen. Bis zur Finanzkrise von 2007 – die hierzulande eine Schuldenkrise war. Dabei wächst die Schuldenlast von „Frankreich, Griechenland und Co“ heute noch munter weiter – ohne Arbeitslose von der Straße zu kriegen.

Länder wie Deutschland oder Schweden können ihre Schuldenlasten hingegen reduzieren. Läuft alles gut, schrumpft der Schulden-Berg „Germanys“ 2016 zum Schulden-Hügel. Von einst 80,5% (2010) auf nur noch 68,3%[2].

 

Problem Binnenwanderung

Am radikalsten verändert derweilen jene osteuropäische Wanderungswelle die Landkarte, die sich ab dem 1.1.2014 auf den Weg gen Westen machte. Lange hatten Regierungs-„nahe“ Studien geleugnet, Rumänen oder Ungarn würden sich mit dem Fall der Reisebeschränkungen etwa ins unbekannte Österreich wagen. „Irrtum“ – alleine 50.000 Rumänen und Ungarn arbeiten heute hier, weitere 7.500 sind ohne Job[3].

In Städten wie Wien treibt dies den Zuwanderer-Anteil in Schulen auf über 50%[4]. Das führt zu politischen Spannungen und befeuert das Erstarken populistischer Parteien. Bis hin zum Brexit. Hier waren es (unter anderem) drei Millionen Polen, die manch Engländer glauben ließen, die britische Kultur stünde vor dem Untergang.

 

Osteuropa stockt

Die Aufstiegsstory Osteuropa gerät derweilen ins Stocken. Bis vor kurzem klagten die Ungarn noch über eine stagnierende Wirtschaft bei hoher Arbeitslosigkeit – nun hat es bloß zwei Jahre der Grenzöffnung gebraucht, um selbst in Regionen wie dem Balaton einen veritablen Arbeitskräftemangel zu erzeugen[5].

Ungarns Bosse verzweifeln am Fehlen engagierter Fachkräfte. Denn mit 400-Euro-Löhnen sind die wenigen Gutausgebildeten in Ungarn nicht zu halten. So verkümmern hoffnungsfrohe Kleinbetrieben in den Ebenen Ungarns, Rumäniens und Polens. 

 

Armut steigt, Realeinkommen stagnieren

Extreme auch im sozialen Bereich. Die Zuwanderung hat die Armut in Deutschland (und damit die Sozialausgaben dafür) signifikant ansteigen lassen, hat aber auch die Realeinkommen der Ober- und Mittelschicht gestärkt.

Jene der Unterschicht aber empfindlich geschwächt. Denn die Zuwanderer waren auch bereit, für den nackten Kollektivlohn in Gastronomie, Krankenhaus oder am Bau zu schuften. Das bringt Ansässige gehörig unter Druck („Aufstocker“). Weil in Deutschland insgesamt nun aber mehr Menschen arbeiten denn je zuvor, steigt das Steueraufkommen. In den Heimatländern vieler Auswanderer stagniert es hingegen.

Tatsächlich stiegen durch die Zuwanderung viele „Hiesige“ in die Mittelschicht auf (der Deutsch-Sprechende wird Abteilungsleiter ausländischer Billigkräfte). Leider frisst die (durch die Zuwanderung ausgelöste) Inflation bei Immobilien und Mieten aber wieder einen Gutteil der Gehaltszuwächse auf. Was die Bürger murren lässt.

 

NAFTA light?

Die Amerikaner leben im Gegenmodell. Ihre „NAFTA“ (North Atlantic Free Trade Ass.“) lässt zwischen Kanada, den USA und Mexiko nur Waren, Gelder und Touristen zirkulieren – nicht aber Arbeitskräfte. Doch das widerläuft dem Traum jener Euro-Visionäre, die vom mächtigen, europäischen Superstaat träumen – frei nach dem Motto „ein Land, eine Währung, ein Bürger“.

 

Wie wäre es mit einem Mittelweg? Alles bliebe so wie bisher. Nur gibt es künftig geschützte Arbeitsmärkte in Hochlohnländern. Solange, bis das Lebensniveau der brustschwachen Peripherie jener Mittel- und Nordeuropas ähnelt.

Ganz nach dem Motto „Geld gegen Grenzen“. Also weiter „Milliarden weg aus Deutschland“ – aber im Tausch gegen Stabilität und sichere Grenzen.

25 Jahre sollten reichen. Als Gegenleistung dafür die die Sicherheit, auch in 25 Jahren noch im geeinten Europa zu leben.

 



[1] Auf einer USA-Reise 2008

[2] „Monatsbericht 6/2015 – Tabelle 16, „Bundesministerium für Finanzen“

[3] Studie 2013 von IHS und WIIW, In: „Arbeitsmarkt: Österreich leidet unter der Zuwanderung aus Osteuropa“, www.profil.at, 20.2.2016 

[4] Eingebürgerte Zuwanderer nicht enthalten

[5] „Verantwortung für den Balaton“, Balaton Zeitung, August 2016, S.3

 

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