Freitag, 29. März 2024
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Welche Zukunft hat Europa?

Schuldenkrise. Wirtschaftskrise. Politische Krise. Die Ereignisse der letzten Monate und Jahre hinterlassen deutliche Spuren. Auf viele schöne Worte folgten nur kaum beherzte Taten. Wie auch, das höchst komplexe Regelwerk der EU ist nach Auffassung einiger Experten die Hauptursache für die zögerliche Lösung brennender Probleme.

[[image1]]Wien. Das Juridicum ist Schauplatz für eine Expertenrunde betreffend der Zukunft Europas. Schlagworte waren gestern. Wir reden Tacheles. Mit diesen kämpferischen  Worten eröffnet Paul Schmidt, Leiter der österreichischen Gesellschaft für Europapolitik, die bis auf den letzten Platz belegte Veranstaltung. Jörg Leichtfried, Mitglied des Europäischen Parlaments, Alina Maria Lengauer, Universitätsprofessorin für Europarecht, Reinhold Lopatka, Staatssekretär im BM für europäische und internationale Angelegenheit sowie Ulrike Lunacek, ebenfalls Mitglied des Europäischen Parlaments, Grüne Europasprecherin und Vizepräsidentin der Grünen / EFA-Fraktion, beleuchten die Zukunft Europas. Lähmende Entscheidungsprozesse und sichtlich falsch verteilte Kompetenzen geraten ins Visier der Experten. Ist die EU gar handlungsunfähig? Die Kritik ist nicht zu überhören!

EU als Entwicklungsprozess

Generell ist festzustellen, dass sowohl verfassungsrechtliche wie regulatorische Aspekte die Entwicklung der Union beeinflussen, wie überhaupt die EU in ihrer Ganzheit als permanenter Working Progress zu verstehen ist. Finanz- und Zahlungswesen sprich Budget laufen parallel zur Wirtschaftspolitik, es geht um adäquate Koordination. Doch gerade im Bereich der Politik stoßen unterschiedliche Interessen aufeinander. Die einheitliche Währung verlangt Opfer. Kompetenzen müssen früher oder später an Brüssel abgetreten werden, um die Zentrale mittelfristig zu stärken und dadurch entsprechenden Handlungsspielraum zu gewinnen, erklärt A.M. Lengauer. Die Mitgliedstaaten haben Probleme, die auf unterschiedlicher Ebene angesiedelt sind. Die EU steht erst am Beginn, die Krise kann gemeistert werden. Doch ist tunlichst darauf zu achten, dass Europa nicht überfordert wird.

Lunacek: Geburtsfehler der Währungsunion

Seit 2008, dem Beginn der Krise, wurde bislang nicht genug getan. U. Lunacek kann dem laufenden  Entwicklungsprozeß der Union sichtlich wenig Gutes abgewinnen: Viele Worte, wenig Taten – diese doch ziemlich vernichtende Bilanz lässt Böses vermuten. Den Ausführungen Lunaceks zufolge ist das Problem am Rat zu finden, die EU ist ziemlich handlungsunfähig Die eklatanten Strukturfehler fordern ihren Tribut, mit Pflasterpicken ist es sicher nicht getan. Zum einen steht die Bankenaufsicht am Spiel.  Bereits bei der Aufgabe, den Begriff der Steueroase verbindlich zu definieren, ist ein aufgeregtes zurückrudern zu verzeichnen: Nach der dänischen Ratspräsidentschaft hat Zypern die Strategie geändert und dieses sensible Thema schlichtweg eingemottet. Die politische Blockadehaltung verhindert jeden messbaren Erfolg, der Rat muss gleichsam die zweite Kammer im Geschehen werden, um Mehrheitsentscheidungen zu ermöglichen.

Es fehlt rundum an Konzepten

Die EU nervt mit Haarspaltereien und mischt sich zu viel ein. Zudem kommen fehlende Mindeststandards im Bereich Arbeitsrecht, die Steuerpolitik ist ebenso unausgegoren wie eine gemeinsame Sozialpolitik. Überhaupt ist der Begriff der Gemeinsamkeit nur schwer zu erkennen, die Harmonisierung geht nur schleppend voran. Was wirklich passiert, weiß niemand. J. Leichtfried lässt keinen Zweifel am Unmut über das bunte Treiben in Brüssel, er kann wenig Essentielles erkennen, wie überhaupt die Integration nur sehr mäßig vorangeht. Zu viele Kompromisse prägen das Tagesgeschehen, Sonderrechte und Pfründe erschweren die Harmonisierung. Das ist mit den geltenden Machstrukturen zu erklären. Die Macht liegt bei den Regierungschefs, und genau darin ist das Problem zu finden. Das politische Schlachtfeld ist ein denkbar ungeeigneter Rahmen für nachhaltige Fortschritte, strukturelle Reformen werden als einziger Ausweg aus dem hausgemachten Dilemma erachtet.

Rahmenbedingungen schwächen Wettbewerbsfähigkeit

Unterschiedliche nationale Interessen und Rahmenbedingungen liefern denkbar ungünstige Voraussetzungen für den Wettbewerb. Standortvorteile, Begünstigungen und sonstige Schlupflöcher schaffen höchst ungleiche Voraussetzungen für die europäische Wirtschaft. Eine gemeinsame Volkswirtschaft braucht gemeinsame Regeln. Die aggressive Steuervermeidung vieler Unternehmen ist den Experten ein Dorn im Auge. In diesem Zusammenhang wird eine Summe kolportiert, welche dem 10-fachen Budget der EU für sieben Jahre entspricht. Zudem ist einmal mehr der Begriff der Steueroasen zu vernehmen. Deren globale Trageweite verlangt jedoch nach grenzüberschreitenden Lösungen. Auch dürfte es wohl kaum im Sinne des Erfinders sein, dass speziell Konzerne und Banken die üblichen Gewinner sind, während andere wiederum ziemlich ungeniert gerupft werden.

ESM begünstigt Spekulationen

Die Regulierung des Bankenwesens kann als ziemlich sicher angenommen werden. Zudem geht es um das Bankgeheimnis. Obwohl rechtlich tabuisiert wird es dennoch als renovierungsbedürftig klassifiziert. Immerhin, die OECD hat einiges in Bewegung gebracht, die Graue Liste hat Österreich nicht verschont. Das Nettozahlersystem steht ebenfalls auf der Abschussliste der Experten, welche eine andere Lösung anstreben, ohne jedoch konkrete Vorschläge auf den Tisch zu legen. Das Vertrauen in die EU scheint angegriffen. 26 Millionen Arbeitslose sind ein unübersehbarer Beweis für konzeptionelle Missgriffe. Es ist zu befürchten, dass der ESM zu Spekulationen führt, indem dieser solide Anreize für nachhaltige Reformunwilligkeit bietet.

Die Solidargemeinschaft steht sichtlich vor einer Bewährungsprobe. Das System ist gefährdet, wenn die Solidarität nicht gelebt wird. Rettungsaktionen sind somit durchaus von reichlich Eigennutz geprägt, die Eurozone bringt Abhängigkeiten mit sich.
 

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