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Verschärfte Ethikregeln für die Mitglieder der Europäischen Kommission. Der neue Verhaltenskodex vom Jänner 2018

Bild © CC BY-SA 3.0 Alpha Stock Images/The Blue Diamond Gallery/Nick Youngson (Ausschnitt)

Die Mitglieder der Europäischen Kommission haben zwar ihre Tätigkeit in voller Unabhängigkeit auszuüben, werden dabei aber zum einen von ihren eigenen (beruflichen) Ambitionen und zum anderen von dem Druck, den Lobbyisten auf sie ausüben, beeinflusst. Zur Reglementierung ersterer „Gefährdungen“ hat die Europäische Kommission eine Reihe von Verhaltenskodizes mit „Ethikregeln“ – zuletzt 2011 – erlassen, zur Hintanhaltung letzterer Probleme richtete sie eigene Registrierungs- und Transparenzsysteme für Lobby-Aktivitäten ein. Mitglieder der Kommission haben aber nicht nur in ihrer aktiven Tätigkeit die Pflicht zur Beachtung ihrer Unabhängigkeit, sondern müssen auch nach Beendigung ihrer Amtstätigkeit bei der Annahme gewisser Tätigkeiten oder Vorteile „ehrenhaft und zurückhaltend“ sein [1]. Da sich in letzter Zeit aber einige Mitglieder der Kommission nicht dementsprechend verhalten haben, verschärft die Kommission nunmehr die Ethikregeln für ihre Mitglieder und regt die Ausarbeitung eines verbindlichen Transparenz-Registers für das Europäische Parlament und die Europäische Kommission an.

Verhaltenskodizes für Kommissionsmitglieder und Lobbyisten sowie gemeinsames Transparenzregister

Zur Umsetzung der primärrechtlich in Art. 213 EGV verankerten Unabhängigkeitsverpflichtungen ihrer Mitglieder nahm die Kommission ab der Jahrtausendwende eine Reihe von Verhaltenskodizes und Transparenzbestimmungen an. So verabschiedete die Kommission bereits am 13. September 2000 den „Kodex für gute Verwaltungspraxis – Beziehungen zur Öffentlichkeit“ [2], der am 1. November 2000 in Kraft trat. In der Folge ergänzte die Kommission am 24. November 2002 diesen Kodex durch einen eigenen „Verhaltenskodex für Kommissionmitglieder“ und verschärfte zugleich die Disziplinarordnung für schweres Fehlverhalten von Kommissaren. Als nächsten Schritt legte die Kommission am 27. Mai 2008 ihre Mitteilung „Europäische Transparenzinitiative – Rahmen für die Beziehungen zu Interessenvertretern (Register und Verhaltenskodex)“ [3] vor, der im Anhang ein „Verhaltenskodex für Interessenvertreter (Lobbyisten)“ mit sieben Grundregeln für Lobbyisten angefügt war. Am 23. Juni 2011 kam es in der Folge zu einer Interinstitutionellen Vereinbarung zwischen dem Europäischen Parlament und der Europäischen Kommission über die Einrichtung eines „Transparenz-Registers“ [4], die durch die Interinstitutionelle Vereinbarung vom 16. April 2014 [5] zwischen diesen beiden Organen ersetzt wurde. Am 28. September 2016 legte die Kommission einen weiteren Vorschlag für eine Interinstitutionelle Vereinbarung über ein verbindliches Transparenz-Register vor [6]. Aktuell, dh am 15. Februar 2018, waren im Transparenz-Register 11.687 Organisationen registriert, wobei die drei wichtigsten (Sub)Kategorien folgende waren: (a) In-House-Lobbyisten, Gewerbe-, Wirtschafts- und Berufsverbände (5.789); (b) NGOs (3.062) und Beratungsfirmen/Anwaltskanzleien/selbständige Berater (1.313) [7]. Die insgesamt rund 25.000 Lobbyisten verfügen dabei über ein Jahresbudget von 1,5 Mrd. Euro. Aus Österreich gibt es insgesamt 234 Einträge im EU-Transparenzregister, darunter 71 NGOs und 56 Unternehmen [8].

Am 20. April 2011 kam es schließlich zur Verabschiedung des modifizierten „Verhaltenskodex für Kommissionsmitglieder“ [9], in dem die Kommission die in den Art. 17 Abs. 3 EUV und Art. 245 AEUV enthaltenen Unabhängigkeitsverpflichtungen ihrer Mitglieder in einem detaillierten Wohlverhaltenskodex zusammenfasste, der sowohl für die Tätigkeiten von aktiven, als auch bereits aus dem Amt ausgeschiedenen Kommissionsmitgliedern bestimmt war [10]. Letztere hatten gem. § 1.2. des Verhaltenskodex (2011) eine sog. „Karenzfrist“ von 18 Monaten nach ihrem Ausscheiden zu beachten, innerhalb derer sie die Aufnahme einer beruflichen Tätigkeit der Kommission mitzuteilen hatten, damit diese die Art der geplanten Tätigkeit prüfen könne. Stand die geplante Tätigkeit allerdings in Zusammenhang mit dem früheren Ressort des ausgeschiedenen Kommissars, so hatte die Kommission die Stellungnahme der von ihr im Oktober 2003 eingesetzten „Ethikkommission“ [11] einzuholen.

 

Problematisches Verhalten einzelner Mitglieder der Europäischen Kommission

Trotz dieser primär- und sekundärrechtlichen Vorgaben hat sich sowohl eine Reihe von aktiven, vor allem aber von bereits ausgeschiedenen Kommissaren, nicht an diese Verpflichtungen gehalten, ohne dafür aber von der Kommission entsprechend sanktioniert worden zu sein. An markanten Problemfällen sollen in diesem Zusammenhang folgende kurz erwähnt werden [12]:

a) Edith Cresson: Als Mitglied der „Santer-Kommission“ von 1995 bis 1999 musste sie sich Nepotismus-Vorwürfen stellen, die sie letztlich nicht entkräften konnte. Daher rief die Kommission am 7. Oktober 2004 den EuGH an, der mit Urteil vom 11. Juli 2006 [13] feststellte, dass Edith Cresson zwar ihre Pflichten als Mitglied der Europäischen Kommission verletzt habe, er aber angesichts der Umstände dieses konkreten Falles die Feststellung der Pflichtverletzung für sich genommen bereits als angemessene Sanktion ansieht [14]. Der Generalanwalt hatte in seinen Schlussanträgen vom 23. Februar 2006 noch vorgeschlagen, Kommissarin Cresson zu verurteilen und ihre Ruhegehaltsansprüche um 50% zu kürzen [15]. Um in dieser Causa einem drohenden Misstrauensvotum des Europäischen Parlaments gem. Art. 234 AEUV zuvorzukommen, waren alle Mitglieder der „Santer-Kommission“ bereits am 16. März 1999 kollektiv zurückgetreten, erklärten sich aber bereit, die Geschäfte als „geschäftsführende Kommission“ [16] weiterzuführen [17].

b) Martin Bangemann: Am 29. Juni 1999 verständigte das für Informationstechnologien und Telekommunikation zuständige Mitglied dieser „geschäftsführenden Kommission“, Martin Bangemann, den Präsidenten der Konferenz der Vertreter der Regierungen der Mitgliedstaaten, Gerhard Schröder, von seinem Wunsch, so rasch als möglich von seinen Verpflichtungen entbunden zu werden, um eine Konsulententätigkeit beim größten spanischen Telekommunikationsunternehmen „Telefónica“ antreten zu können, die mit ca. 1 Mio. Euro Jahressalär honoriert würde. Obwohl weder primärrechtlich, noch in der Geschäftsordnung (GO) der Kommission vorgesehen, „beurlaubte“ die Kommission Martin Bangemann, womit sich aber der Rat nicht zufriedengab und am 9. Juli 1999 einstimmig beschloss [18], den EuGH mit dieser Sache zu befassen. Dieses erstmals gegen einen Kommissar eingeleitete Verfahren vor dem EuGH [19] wurde aber am 3. Februar 2000 aus dem Register des EuGH wieder gestrichen.

c) John Dalli: Kommissar John Dalli, zuständig für Gesundheit und Konsumentenschutz, wurde vorgeworfen, vom Bestechungsversuch zugunsten des schwedischen Tabakkonzerns Swedish Match durch den maltesischen Geschäftsmannes Silvio Zammit für die Aufhebung des Handelsverbots von „Snus“, einem schwedischen Kau- bzw. Lutschtabak, gewusst und diesen nicht verhindert zu haben. Diesbezüglich konfrontierte Kommissionspräsident José Barroso am 16. Oktober 2012 Dalli in einem persönlichen Gespräch mit der Möglichkeit seines Rücktritts, den dieser, aufgrund der kurzen ihm eingeräumten Bedenkzeit von lediglich einer halben Stunde und des enormen Drucks, der von Präsident Barroso auf ihn ausgeübt wurde, letztlich auch erwog [20] .In der Folge klagte aber Dalli vor dem Gericht (EuG) auf Nichtigerklärung des mündlichen Verlangens von Kommissionspräsident Barroso, sein Amt niederzulegen, was das EuG aber mit Urteil vom 12. Mai 2015 [21] als unzulässig zurückwies. Dagegen legte Dalli beim EuGH ein Rechtsmittel ein [22], das aber vom EuGH mit Beschluss vom 14. April 2016 zurückgewiesen [23] und damit das Urteil des EuG bestätigt wurde.

d) José Manuel Barroso: Barroso schied 2014 als Präsident der Kommission aus dieser aus und wechselte 20 Monate nach seinem Ausscheiden als „non-executive Chairman“ in die Londoner Tochtergesellschaft von Goldman Sachs International und als Konsulent in den amerikanischen Mutterkonzern dieses Unternehmens. Die internationalen Reaktionen darauf waren äußerst negativ, wenngleich Barroso formal kein Vorwurf gemacht werden konnte, da, wie vorstehend erwähnt, § 1.2. des Verhaltenskodex (2011) lediglich eine „Wartefrist“ von 18 Monaten verlangte.

e) Neelie Kroes: Mitte September 2016 ereigneten sich die „Bahamas-Leaks“, aufgrund derer die Details von über 175.888 Briefkastenfirmen und Stiftungen, die zwischen 1990 und 2016 in dieser Steueroase angelegt bzw. gegründet wurden, offengelegt wurden [24]. Die frühere Wettbewerbskommissarin Neelie Kroes gehörte vom Juli 2000 bis zum Oktober 2009 dem Vorstand einer solchen Briefkastenfirma, nämlich der Mint Holdings Limited, an [25], hatte diese Geschäftstätigkeit in ihrer „Interessenserklärung“ aber nicht angegeben gehabt. Des Weiteren verschwieg Kroes den Umstand, dass sie im Jahr 2015 Einkommen bezogen hatte, wodurch sie Art. 7 Abs. 4 der Verordnung Nr. 422/67/EWG, Nr. 5/67/Euratom des Rates vom 25. Juli 1967 [26] iVm Art. 245 AEUV verletzt hatte. Kommissionspräsident Juncker forderte in einem Schreiben umgehend Aufklärung von Kroes, warum sie diese Tätigkeit nicht offengelegt habe, legte aber seinerseits sein Schreiben bzw. eventuell darin angedrohte Sanktionen nicht offen. Am 21. Dezember 2016 kam es schließlich – auf der Basis des Gutachtens der Ethikkommission vom 16. November 2016 – zur erstmaligen Erteilung einer Rüge („reprimand“) an Kommissarin Neelie Kroes durch die Kommission [27].

Daneben zeichnete sich eine Reihe weiterer Ex-Kommissare durch eine besondere berufliche „Umtriebigkeit“ aus: So übernahm der ehemalige Industriekommissar Günter Verheugen Lobbyarbeiten für die Royal Bank of Scotland, den Bundesverband der Deutschen Volksbanken und Raiffeisenbanken, das PR-Unternehmen Fleishman-Hillard und die Türkische Wirtschaftsvereinigung. Zudem gründete er im April 2010 mit seiner ehemaligen Kabinettschefin Petra Erler eine eigene EU-Consultingfirma. Der frühere Binnenmarkt- Kommissar Charlie McCreevy verdingte sich sowohl bei der britischen Investmentbank NBNK Investments PLC als auch beim irischen Billigflugunternehmen Ryanair und der ehemalige Fischerei-Kommissar Joe Borg wechselte zum Consultingunternehmen Fipra, das ua auch für Reedereien arbeitete. Da es sich dabei um Fälle aus den ehemaligen Ressorts der ausgeschiedenen Kommissare handelte, wurde die Ethikkommission befasst, die aber nur im Falle der Beratertätigkeit von McCreevy bei NBNK Bedenken hegte, da dieses Unternehmen mit toxischen Wertpapieren handelte [28].

 

Kontrolle der Überprüfung des Verhaltenskodex seitens der Kommission durch den „Europäischen Bürgerbeauftragten“

Es kontrolliert aber nicht nur die Kommission die Einhaltung des Verhaltenskodex für ihre Mitglieder, sondern es kann dazu auch durch die Institution des „Europäischen Bürgerbeauftragten“ (Ombudsman) kommen. So wurde der Europäische Bürgerbeauftragte, Nikiforos Diamandouros, am 6. Mai 2013 durch eine anonyme Mitteilung davon in Kenntnis gesetzt, dass ein ausgeschiedenes Mitglied der Kommission eine remunerierte Tätigkeit aufgenommen habe, ohne die Kommission davon zuvor verständigt zu haben. Der Bürgerbeauftragte verständigte am 4. Juli 2013 die Kommission von diesem Verdacht, die aber nach einer entsprechenden Untersuchung keine Unvereinbarkeiten mit dem Verhaltenskodex für ihre Mitglieder feststellte. Daraufhin leitete die nunmehrige Europäische Bürgerbeauftragte, Emily O’Reilly, am 10. April 2014 aus eigener Initiative eine Untersuchung ein, da sie in dieser „laxen“ Vorgangsweise der Kommission selbst einen eindeutigen „Missstand“ zu erkennen glaubte. In ihrem Schlussbericht vom 30. Juni 2016 qualifizierte sie das Verhalten der Kommission auch mehrfach als Ausdruck einer „maladministration“[29] und empfahl der Kommission, den Verhaltenskodex für Kommissionsmitglieder inhaltlich näher zu präzisieren und mit weiteren Sanktionen auszugestalten.

Erstmalig befasste sich damit die Institution des „Europäischen Bürgerbeauftragten“, der an sich gem. Art. 228 AEUV vordringlich für die Behandlung von Beschwerden über „Missstände“ in der Verwaltung der Union zuständig ist, aus eigener Initiative mit einem ganz konkreten Fall im Bereich des seit langem bekannten Umstands, dass die Kommission ihrer Aufsichts- und Sanktionspflicht gegenüber ausgeschiedenen Kommissaren, die sich bei der Annahme neuer beruflicher Aktivitäten nicht (ganz) korrekt verhalten haben, nicht ausreichend nachkommt [30].

 

Der „Verhaltenskodex für Kommissionsmitglieder“ (2018)

Nachdem das Europäische Parlament, im Einklang mit der interinstitutionellen Rahmenvereinbarung über die Beziehungen zwischen dem Europäischen Parlament und der Kommission [31] konsultiert wurde und seine Stellungnahme am 23. Oktober 2018 abgegeben hatte, nahm die Europäische Kommission mit Beschluss vom 31. Jänner 2018 [32] einen neuen Verhaltenskodex für die Mitglieder der Europäischen Kommission an, der am 1. Februar 2018 in Kraft trat. Dieser ersetzt gem. seinem Art. 14 Abs. 1 nicht nur den alten Verhaltenskodex aus 2011, sondern hebt zugleich auch den Beschluss zur Einsetzung der vorerwähnten Ad-hoc-Ethikkommission (2003) [33] auf. Die derzeit amtierende Ethikkommission und ihre Mitglieder üben ihr Amt für die restliche Amtszeit gemäß dem neuen Kodex aus.

Der modernisierte Verhaltenskodex (2018) legt neue Standards an Ethikregeln fest. Neben der von Kommissionspräsident Juncker in seiner Rede zur Lage der Union vom 13. September 2017 vorgeschlagenen Verlängerung der „Karenzfrist“ für ausgeschiedene Kommissionsmitglieder von gegenwärtig 18 Monaten [34] auf zwei Jahre (Art. 11 Abs. 2) und für ehemalige Präsidenten der Kommission auf drei Jahre (Art. 11 Abs. 5), enthält der neue Verhaltenskodex eindeutigere Regeln und strengere ethische Standards – unter gleichzeitiger Erhöhung der Transparenzerfordernisse. Des Weiteren wird ein mit erweiterten Kompetenzen ausgestatteter Ethikausschuss eingesetzt, der an die Stelle der gegenwärtigen Ad-hoc-Ethikkommission tritt.

Der neue Verhaltenskodex enthält vor allem folgende Verbesserungen [35]:

a) Vermeidung von Interessenkonflikten: Erstmals definiert der neue Verhaltenskodex in seinem Art. 2 Abs. 6, was unter einem „Interessenkonflikt“ zu verstehen ist. Ein solcher liegt dann vor, wenn ein persönliches Interesse die unabhängige Wahrnehmung der Aufgaben eines Kommissionsmitglieds beeinflussen kann. „Persönliche Interessen“ umfassen unter anderem, jedoch nicht ausschließlich, potenzielle Vergünstigungen oder Vorteile für die Kommissionsmitglieder selbst, ihre Ehegatten, ihre Partner [36] oder direkte Familienangehörige. Gem. Art. 3 haben die Kommissionsmitglieder alle finanziellen oder sonstigen Interessen und Vermögenswerte anzugeben und diesbezüglich ein detailliertes Formular („Interessenerklärung“) auszufüllen, das als Anhang 1 dem Verhaltenskodex angefügt ist. Diese Interessenerklärungen sind jedes Jahr am 1. Januar erneut vorzulegen. Bei einer Änderung der Angaben während der Amtszeit eines Kommissars, ist so bald wie möglich, spätestens jedoch innerhalb von zwei Monaten, eine neue Erklärung abzugeben. Gem. Art. 4 haben sich die Kommissionsmitglieder von jeder Diskussion, Aussprache oder Abstimmung in der Kommission zurückzuziehen, die einen ihrer Interessenskonflikte betrifft. Der Präsident der Kommission ergreift, gegebenenfalls nach Konsultation des Ethikausschusses, alle notwendigen Maßnahmen, wie zB die Neuverteilung eines Dossiers an ein anderes Kommissionsmitglied oder den Verkauf von Vermögenswerten bzw. deren Übertragung in einen „Blind Trust“, um damit die Situation zu bereinigen.

b) Kollegialität und Diskretion: Die Kommissionsmitglieder sind gem. Art. 5 zur Diskretion bei der Wahrnehmung ihrer Aufgaben und zu Stillschweigen über die Beratungen in der Kommission, sowie der Kommission gegenüber zur Loyalität verpflichtet. Unbeschadet der disziplinarrechtlichen Bestimmungen sind sie diesbezüglich aber auch im Hinblick auf die Mitglieder ihrer Kabinette verantwortlich.

c) Beachtung des Integritätsprinzips: Die Kommissionsmitglieder haben gem. Art. 6 mit den Sachmitteln der Kommission verantwortungsvoll umzugehen und die Kabinette und die Infrastruktur sowie die sonstigen Ressourcen der Kommission bestimmungsgerecht zu nutzen. Für diese Nutzung der Ressourcen – vor allem bei Dienstreisen und Empfängen sowie für Repräsentationszwecke – sind in Anhang 2 zum Verhaltenskodex die genauen Vorgaben dafür angeführt. Was im Speziellen die Auswahl der Mitglieder der Kabinette betrifft, so ist diese nach den vom Präsidenten festgelegten Regeln [37] und auf der Grundlage objektiver Kriterien vorzunehmen, wobei keine Ehegatten, Partner und direkte Familienmitglieder ausgewählt werden dürfen (Art. 6 Abs. 7).

d) Transparenzerfordernis: Die Mitglieder der Kommission sowie deren Kabinettsmitarbeiter treffen sich gem. Art. 7 lediglich mit jenen Personen bzw. Organisationen, die in dem auf der Grundlage der vorerwähnten Interinstitutionellen Vereinbarung zwischen dem Europäischen Parlament und der Kommission vom 16. April 2014 [38] eingerichteten Transparenzregister aufgeführt sind und haben Informationen über diese Treffen im Einklang mit dem Kommissionsbeschluss vom 25. November 2014 über die Veröffentlichung von Informationen über Treffen zwischen Kommissionsmitgliedern und Organisationen oder selbständigen Einzelpersonen [39] anschließend auch zu veröffentlichen.

e) Nebentätigkeiten: Gem. Art. 8 Abs. 1 üben die Mitglieder der Kommission während ihrer Amtszeit weder eine entgeltliche oder eine unentgeltliche berufliche Tätigkeit, noch ein öffentliches Amt, gleich welcher Art, aus. In Art. 8 Abs. 2 sind allerdings einige erlaubte Nebentätigkeiten – wie zB die Ausübung von Ehrenämtern, das Abhalten von Vorlesungen uam – angeführt.

f) Mitwirkung in der nationalen Politik während der Amtszeit: Kommissionsmitglieder dürfen gem Art. 10 als Mitglieder nationaler Parteien oder von Organisationen der Sozialpartner (Gewerkschaften uam) an der nationalen Politik und an nationalen Wahlkämpfen mitwirken, solange dies nicht zu Lasten ihrer Dienstpflichten geht. Diese Mitwirkung darf aber keine Führungsaufgaben umfassen. Sollten sie an einer Wahlkampagne für eine nationale Wahl, eine Regionalwahl oder eine Kommunalwahl mitwirken wollen, haben sie ihr Amt ruhen zu lassen und bekommen vom Präsidenten der Kommission „unbezahlten Wahlurlaub“ gewährt. Dieser Umstand ist dem Präsidenten des Europäischen Parlaments mitzuteilen, ebenso wie der Name desjenigen Kommissionsmitglieds, das währenddessen die Zuständigkeiten des beurlaubten Kommissionsmitglieds wahrzunehmen hat.

g) Mitwirkung an der Europapolitik während der Amtszeit: Gem. Art. 10 dürfen Kommissionsmitglieder ebenso als Mitglieder europäischer politischer Parteien oder Organisationen der Sozialpartner auf der europäischer Ebene europapolitisch mitwirken, solange dabei deren Amtspflichten nicht vernachlässigt und keine Führungsaufgaben übernommen werden. Die Mitglieder der Kommission können an Wahlkämpfen zu den Wahlen für das Europäische Parlament mitwirken und kandidieren. Sie dürfen auch von europäischen politischen Parteien zum „Spitzenkandidaten“ für das Amt des Kommissionspräsidenten bestimmt werden.

h) Tätigkeiten ausgeschiedener Kommissare: Ehemalige Kommissionsmitglieder sind auch nach Ablauf ihrer Amtszeit weiterhin an die Pflicht zur Integrität und Diskretion gem. Art. 245 AEUV gebunden. Beabsichtigt ein ehemaliges Kommissionsmitglied in den ersten beiden Jahren nach seinem Ausscheiden aus der Kommission eine berufliche Tätigkeit aufzunehmen, so hat es dies gem. Art. 11 Abs. 2 der Kommission mindestens zwei Monate im Voraus mitzuteilen. Im Falle von ehemaligen Kommissionspräsidenten beträgt diese Frist drei Jahre (Abs. 5). Die konkreten Fälle „beruflicher Tätigkeiten“ iSd Verhaltenskodex sind im selben Absatz näher definiert. Ob diese allerdings mit Art. 245 AEUV vereinbar sind, ist von der Kommission zu prüfen, wobei diese – bei einer Parallelität der angestrebten Tätigkeit mit dem Ressort des ehemaligen Kommissionsmitglieds – zunächst den unabhängigen Ethikausschuss zu konsultieren hat. Die Entscheidungen über die Vereinbarkeit mit Art. 245 AEUV und damit verbundener Stellungnahmen des Ethikausschusses sind unter ordnungsgemäßer Berücksichtigung des Datenschutzrechts in der Folge zu veröffentlichen.

i) Unabhängiger Ethikausschuss: Gem. Art. 12 Abs. 4 besteht der Ethikausschuss aus drei qualifizierten Mitgliedern, die auf Vorschlag des Präsidenten von der Kommission ernannt werden und in deren Zusammensetzung sich die Erfahrungen in unterschiedlichen Institutionen oder Ämtern widerspiegeln sollen. Die Mitgliedschaft im Ethikausschuss ist auf drei Jahre befristet und kann einmal verlängert werden. Wird eine Stellungnahme nicht einstimmig angenommen, so umfasst sie auch abweichende Meinungen (Abs. 7).

j) Verwarnung bei Verstößen: Gem. Art. 13 Abs. 3 kann die Kommission bei Verstößen gegen diesen Verhaltenskodex, die nicht die Anrufung des Gerichtshofs gem. Art. 245 oder Art. 247 AEUV erfordern, auf Vorschlag des Präsidenten, beschließen, eine Rüge auszusprechen und dies gegebenenfalls zu veröffentlichen, so wie dies bereits unter dem früheren Verhaltenskodex (2011) im Falle der Kommissarin Neelie Kroes der Fall gewesen war [40].

Den verschärften Transparenzbestimmungen entsprechend, wird die Kommission jährlich einen Bericht über die Anwendung des Verhaltenskodex veröffentlichen.

 

Fazit

Wenngleich es durch den neuen Verhaltenskodex für die Mitglieder der Europäischen Kommission vom Jänner 2018 zweifellos zu einer Präzisierung und Verschärfung der Ethikregeln im Vergleich zu dessen Vorgänger aus 2011 gekommen ist, ist damit aber kein „Quantensprung“ in der Ausrichtung und Kontrolle der (nicht)amtlichen Tätigkeiten von Kommissarinnen und Kommissaren verbunden. Allerdings ist durch die parallele Aufsicht des „Europäischen Bürgerbeauftragten“ über die tatsächliche Vorgangsweise der Kommission im Zuge ihrer diesbezüglichen Kontrolltätigkeit ein neues Element in den Überwachungsprozess des Verhaltens von Kommissionsmitgliedern gekommen, das verschärfend wirken könnte. Vor allem auch unter diesem Aspekt wird die Kommission ihre „Monitoring-“ und Überprüfungstätigkeit der normkonformen Tätigkeit ihrer Mitglieder wohl intensivieren müssen.


[1] Art. 245 Abs. 2 AEUV.

[2] ABl. 2000, L 267, S. 64 ff.

[3] KOM(2008) 323 endg.

[4] ABl. 2011, L 191, S. 29 ff.

[5] ABl. 2014, L 277, S. 11 ff.

[6] COM(2016) 627 final.

[7] Transparenz und die EU; //ec.europa.eu/transparencyregister/public/homePage.do (zuletzt abgefragt am 9. Februar 2018).

[8] Die Lobbying-Kaiser von Brüssel, kurier.at, vom 8. Februar 2018; https://kurier.at/wirtschaft/die-lobbying-kaiser-von-bruessel/310.044.411 (zuletzt abgefragt am 9. Februar 2018).

[9] C(2011) 2904 final.

[10] Vgl. Hummer, W. Von den Verhaltenskodizes zum gemeinsamen Transparenz-Register von Europäischem Parlament und Kommission, EU-Infothek, vom 14. Jänner 2014; Hummer, W. Gelingt nunmehr die verpflichtende Erfassung von Lobbying-Aktivitäten in der EU?, ÖGfE, Policy Brief 16‘2016.

[11] Beschluss der Kommission C(2003) 3750, vom 21. Oktober 2003.

[12] Siehe dazu Hummer, W. Kontrolliert die Europäische Kommission das Verhalten ihrer ausgeschiedenen Mitglieder zu nachlässig? Der Europäische Bürgerbeauftragte ortet diesbezüglich „Missstände“, Austrian Law Journal, Oktober 2016, S. 1 ff.

[13] EuGH, Rs. C-432/04, Kommission/Cresson (ECLI:EU:C:2006:455).

[14] EuGH, Rs. C-432/04 (Fn. 13), Rdnr. 150; vgl. Gerichtshof der Europäischen Gemeinschaften, Pressemitteilung Nr. 56/06, vom 11. Juli 2006.

[15] Vgl. Hummer, W. Pensionskürzung für Kommissarin?, Wiener Zeitung, vom 8. März 2006, S. 11.

[16] Hummer, W. – Obwexer, W. Die „geschäftsführende Kommission“ der Europäischen Gemeinschaften, Journal für Rechtspolitik 3/99, S. 181 ff.

[17] Hummer, W. – Obwexer, W. Der „geschlossene“ Rücktritt der Europäischen Kommission, integration 2/1999, S. 77 ff.; Hummer, W. – Obwexer, W. Der „kollektive“ Rücktritt der Europäischen Kommission – ein Rechtsirrtum?, Europäisches Wirtschafts- und Steuerrecht 5/1999, S. 161 ff.

[18] Beschluss 1999/494/EG, EGKS, Euratom des Rates.

[19] EuGH, Rs. C-290/99, Rat/Bangemann (ECLI:EU:C:2000:68).

[20] Vgl. Hummer, W. Freiwilliger oder erzwungener Rücktritt von Kommissar Dalli?, EU-Infothek vom 30. Oktober 2012.

[21] EuG, Rs. T-562/12, John Dalli/Kommission (ECLI:EU:T:2015:270).

[22] EuGH, Rs. C-392/15 P, John Dalli/Kommission (ECLI:EU:C:2016:262).

[23] EuGH, Pressemitteilung Nr. 40/16.

[24] Ehemalige EU-Kommissarin Kroes leitete Briefkastenfirma, ZeitOnline, vom 22. September 2016.

[25] Bahamas-Leaks: Die Briefkästen der Ex-Kommissarin Kroes, Cafebabel.de, vom 23. September 2016.

[26] ABl. 1967, Nr. 187, S. 1 ff.

[27] European Commission/Secretariat-General, PV(2016) 2194 final, Strasbourg, 17 January 2017, S. 16 ff.; vgl. auch //europa.eu/rapid/press-release_MEX-16-4491_en.htm (zuletzt abgefragt am 9. Februar 2018).

[28] Vgl. Kafsack, H. Ehemalige EU-Kommissare dürfen Lobbyisten sein, faz.net, vom 7. Jänner 2011; Aktion: Seitenwechsel von Kommissaren unterbinden!, lobbycontrol.de, vom 3. Februar 2011.

[29] Decision of the European Ombudsman closing her own-initiative inquiry into the European Commission’s handling of a former Commissioner’s occupational activities after leaving office, OI/2/2014/PD, S. 6 (conclusion).

[30] Vgl. Hummer, Kontrolliert die Europäische Kommission das Verhalten ihrer ausgeschiedenen Mitglieder zu nachlässig? (Fn. 12), op. cit.

[31] ABl. 2010, L 304, S. 47 ff.

[32] C(2018) 700 final.

[33] Siehe Fn. 11.

[34] Vgl. dazu vorstehend.

[35] Neuer Verhaltenskodex schafft strengere Ethikregeln für Kommissionsmitglieder, Europäische Kommission/Pressemitteilung IP/18/504, vom 31. Jänner 2018, S. 1.

[36] Darunter sind feste Partner in einer nichtehelichen Lebensgemeinschaft iSv Art. 1 Abs. 2 lit. c) des Anhangs VII des Statuts der Beamten der Europäischen Union zu verstehen.

[37] C(2014) 9002, vom 1. November 2014.

[38] Siehe Fn. 5.

[39] C(2014) 9051 (ABl. 2014, L 343, S. 22 ff.).

[40] Siehe dazu vorstehend.

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