Freitag, 29. März 2024
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USA vs. EU: Spitzel sind keine Partner

Brüssel hat seit wenigen Tagen ein Problem mehr – nein, nicht Kroatien, sondern die USA.  Was das deutsche Nachrichtenmagazin „Der Spiegel“ in seiner  jüngsten Ausgabe  enthüllt, ist ein besonders starkes Stück, optimal  geeignet für weltweite Empörung der Sonderklasse. Freilich: Vor einer allzu blauäugigen Betrachtungsweise des Sachverhalts ist zu warnen. Denn dass  ein  Geheimdienst wie die amerikanische NSA (National Security Agency) nicht gerade wie ein Mädchenpensionat  funktioniert, wo es stets halbwegs gesittet  zugeht und nicht  besonders viel allzu Unanständiges passiert, das war im Grunde genommen schon bislang zu vermuten.

[[image1]]Dass diese mit schätzungsweise 38.000 Mitarbeitern ausgestattete Elite-Spionage-Truppe fast überall herumschnüffelt, alles Erdenkliche anzapft und Milliarden Daten zusammenklaut, lag ebenfalls schon immer auf der Hand. Doch dass sie es selbst auf die diplomatische  Vertretung der Europäischen Union in Washington  und bei dern Vereinten Nationen in New York abgesehen, das Computernetzwerk der EU infiltriert und sich hochbrisante Information gesichert hat,  ist allerdings in dieser Dimension – sofern die  „Spiegel“-Story halbwegs wahr ist – ziemlich neu.

Dem einstigen NSA-Mitarbeiter Edward Snowden, der den Skandal scheibchenweise hochgehen ließ – die eine oder andere Info-Delikatesse wird wohl noch folgen -, ist zu danken,  dass nunmehr alle Welt weiß: Diese Amerikaner müssen durchgeknallt sein. Wer befreundete  Partnerländer jahrelang mit höchst fragwürdigen Methoden penibel rundum-überwacht und etwa Deutschland als „Angriffsziel“ oder „Partner dritter Klasse“ definiert, der muss sich jedenfalls darauf gefasst machen, allseits jegliches Vertrauen zu verlieren und fortan mit höchstem Misstrauen konfrontiert zu werden. Nicht der als Staatsfeind gejagte „Whistleblower“ Snowden, sondern der obskure Nachrichtendienst NSA hat, noch dazu offenbar mit Billigung des Weißen Hauses, der Weltmacht Nummer eins immensen Imageschaden zugefügt. Wie groß der Schock der Amerikaner darob sein muss, ersieht man am Faktum, dass sie zu dieser Mega-Affäre seit Tagen beharrlich schweigen und ihre Schrecksekunde schon unendlich lange dauert.

Europas Politiker hingegen – von EU-Parlamentspräsident Martin Schulz über  Belgiens Ex-Premier Guy Verhofstadt bis zu Österreichs Außenminister Michael Spindelegger – haben scharenweise durchwegs stocksauer oder wie sich das in ihrer Diktion anhört: „zutiefst besorgt und schockiert“ reagiert. Alles deutet darauf hin, dass die transatlantischen Beziehungen noch ziemlich lange ramponiert sein werden. Dabei könnte die Datenklau-Affäre der amerikanischen Cyber-Krieger bloß die Spitze eines Eisbergs sein: Die in Verruf geratene US-Sicherheitsbehörde arbeite nämlich, war kürzlich dem britischen Blatt „Guardian“  zu entnehmen, eng mit professionellen Schnüfflern aus mehreren europäischen Staaten zusammen, die pikanterweise allesamt der EU angehören. Sie habe mit ähnlich gearteten Geheimdiensten etwa in Großbritannien, Deutschland, Spanien, Italien und den Niederlanden „geheime Deals“ vereinbart. Die Europäer hätten sich verpflichtet, bei Anforderung Daten aus der Internet- und Mobilfunkkommunikation an die NSA zu liefern. George Orwell scheint vergleichsweise ein relativ phantasieloser Prophet gewesen zu sein.

Der Pakt wird vertagt

Der  eigentliche  Grund, weshalb  die USA sogar befreundete Länder  verwanzen und mit unrechtmäßigen Methoden letztlich bekämpfen, indem sie ohne Skrupel  einen irrwitzigen Datenschatz ansammeln, heißt: nackte Angst.  Die Amerikaner, die als mächtigste, reichste, schönste und beste Nation wo gibt jahrzehntelang nahezu alle anderen Staaten gewissermaßen „amerikanisiert“ haben und selbst den Kalten Krieg als starke Führungsmacht der Demokratie überstehen konnten, befürchten nunmehr das Aus für die US-Hegemonie. Sie mussten lernen, schreibt Anton Pelinka in seinem demnächst erscheinenden Buch „Wir sind alle Amerikaner. Der abgesagte Niedergang der USA“, dass sie ihre geopolitischen Interessen nicht einfach mit militärischer Gewalt durchsetzen können – ein Lernprozess, der von Vietnam bis zum Irak gedauert hat. Heutzutage  sei  die Präsenz von US-Truppen in allen Weltteilen nicht mehr opportun, aber auch die einst glamouröse Autoindustrie in den Staaten hat ihren Nimbus verloren, und amerikanische Banken brachen reihenweise zusammen.  Das inzwischen  hoch verschuldete Land sieht sich mit der Horrorvision  konfrontiert, dass das so genannte amerikanische Zeitalter zu Ende gehe. Und dass es in absehbarer Zeit von der Volksrepublik China wirtschaftlich überflügelt werden könnte. Dazu kommt, dass „die Amerikaner“ zwar immer noch weltweit beachtet werden – geliebt werden sie aber nicht. Nach dem Siegeszug amerikanischer Politik, Wirtschaft und Kultur sind nunmehr jede Menge anti-amerikanischer Vorurteile angesagt, wird das einstmals bewunderte Gesellschaftssystem jenseits des Atlantiks gerne kritisiert und zerpflückt: Im Land der angeblich unbegrenzten Möglichkeiten seien alle Abstrusitäten denkbar, von der Todesstrafe über Massenmorde an Schulen bis eben zum Datenmissbrauch in gigantischem Ausmaß.

Die Folgen der skandalösen Spitzelaktionen sind vorerst unabsehbar: Mit hoher Wahrscheinlichkeit kann man allerdings davon ausgehen, dass der geplante Handelspakt EU-USA, ein Liebling-Megaprojekt von Barack Obama, postwendend auf Eis gelegt wird. Unter dem Kürzel TTIP – Transatlantische Handels- und Investitionspartnerschaft – hätte die weltgrößte Freihandelszone entstehen sollen – mit 800 Millionen Konsumenten und einem jährlichen Handelsvolumen von rund 700 Milliarden Euro. Für das deklarierte Ziel, die Wirtschaftsleistung der Union auf diese Weise zumindest um 0,5 Prozent zu steigern, muss es jedenfalls heißen: Bitte warten. Die EU-Politiker werden nämlich sicher nicht gewillt sein, mit einem Land ein noch engeres Bündnis zu schließen, dem sie nicht vertrauen können, weil es sie hintergangen hat. Auch Obama hat andere Sorgen: Der Präsident, dem bald nach seinem Amtsantritt voreilig der Friedens-Nobelpreis nachgeschmissen wurde, muss  zunächst einmal die starken Dissonanzen zwischen Brüssel und Washington beseitigen, um damit seine Glaubwürdigkeit wieder halbwegs herzustellen. Gelingt ihm das nicht, wird die Weltordnung in Zukunft anders aussehen und Obama als mieses Schlitzohr in die Geschichte eingehen.
 

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