Samstag, 20. April 2024
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Soll die Ukraine der NATO beitreten?

Die große Hoffnung der Ukraine, die bereits mit 74 Milliarden Dollar verschuldet ist, sitzt in Brüssel, hat ein grimmiges Image und heißt NATO. Zur Frage, ob der gewünschte Beitritt der einstigen Sowjetrepublik zur North Atlantic Treaty Organization eher vernünftig oder eher kontrapoduktiv wäre, liefern wir in dieser Kolumne 50 harte Fakten bzw. wichtige Anmerkungen.

[[image1]]Erstens: Der ukrainische Präsident und die Regierung in Kiew wollen unbedingt dem westichen Militärbündnis beitreten um sich sicherer fühlen zu können.

Zweitens: Das macht Russland naturgemäß höchst nervös – Putin und die Seinen protestieren heftig und möchten mit allen Mitteln verhindern, dass sich der „Feind“ künftig direkt an ihrer Grenze aufhält.

Drittens: Die Ukraine hat bislang bei der NATO noch keinen offiziellen Beitrittsantrag gestellt – ein solcher würde das gespannte Verhältnis zu Russland zweifellos noch weiter belasten.

Viertens: In der derzeitigen Situation hat es null Sinn, wenn Kiew den russischen Bären in Moskau über Gebühr reizt.

Fünftens: Die ukrainischen Politiker sollten daher im ureigensten Interesse sofort ihre Drohgebärden Richtung Kreml einstellen – das ist die Grundvoraussetzung für eine Deeskalation des Konflikts.

Sechstens: Präsident Petro Poroschenko liegt nicht falsch, wenn er an eine Volksabstimmung in seinem Land denkt, die innerhalb von etwa sechs (!) Jahren stattfinden soll – wozu also schon jetzt die ganze Aufregung?

Siebentens: Auch die NATO sollte keineswegs das tun, was sie gerne macht, nämlich ihre Muskeln spielen lassen – das würde den West/Ost-Konflikt automatisch erheblich verschärfen.

Achtens: Es existiert zwar kein Vetorecht eines Drittstaates, wenn ein Land der NATO beitreten möchte, doch die russische Haltung im konkreten Fall Ukraine verlangt durchaus eine sensible Vorgangsweise.

Neuntens: Die ukrainische Führung muss sich bewusst sein, dass es gefährlich ist, bloß auf ein Pferd – nämlich den Westen – zu setzen.

Zehntens: Die Ukraine braucht für eine gedeihliche – und friedliche – Zukunft – sowohl gute Drähte zum Westen als auch zur ehemaligen Brudernation, die nunmehr der große Widersacher ist.

Elftens: Die EU und die USA müssten zunächst einmal ihre großzügigen Versprechungen gegenüber der Ukraine auch einlösen – schöne Worte sind zu wenig.

Zwölftens: Erst wenn das geschähe, kann die Ukraine die westlichen Länder als verlässliche Partner akzeptieren, auf die man in Zukunft bauen könnte.

Dreizehntens: Sollte die erforderliche Finanzhilfe aus dem Westen ausbleiben, wüsste die Ukraine schon jetzt exakt, woran sie ist. Es wird sich bald weisen, wer das Land – und unter welchen Auflagen – vor dem drohenden Staatsbankrott rettet.

Vierzehntens: Die traditionellen Wirtschaftsverflechtungen mit Russland und den GUS-Staaten sind für die Ukraine dermaßen intensiv, dass sie bei  einer radikalen Trennung aus heutiger Sicht so gut wie nicht zu kompensieren wären.

Fünfzehntens: Die ukrainische Wirtschaft wird in den kommenden Jahren Unterstützung von möglichst vielen Seiten benötigen um aus dem Dilemma zu kommen – vom Westen als auch vom Osten.

Sechzehntens: Unter der Voraussetzung, dass Russland seine aggressive Strategie beendet und sich kooperativ zeigt, müsste auch die Ukraine unbedingt das selbige tun.

Siebzehntens: Die NATO und ihre Spitzenvertreter sollten sich so lange defensiv verhalten, als die gewaltigen Spannungen zwischen Kiew und Moskau anhalten – und nicht mit verbalem Polit-Geplänkel Öl ins Feuer gießen.

Achtzehntens: Die Herren Poroschenko und Jazenjuk könnten ja ihre Überzeugung irgendwann revidieren, dass die NATO die weltweit einzige Organisation sei, die noch die Sicherheit von Staaten gewährleisten könne.

Neunzehntens: Die Option, dass die Ukraine ein blockfreier Staat bleibt – als solcher definiert sie sich zur Zeit laut Verfassung seltst – ist beileibe nicht von der Hand zu weisen.

Zwanzigstens: Als solcher würde sie sich in der Zukunft zweifellos bei unumgänglichen Verhandlungen mit Russland, etwa über den Gaspreis, weitaus leichter tun, als wäre sie dem gegnerischen Lager zuzurechnen.

Einundzwanzigstens: Umgekehrt sollte sich die Ukraine bewusst sein, dass sie für Russland auch künftig ein wichtiger Partner sein muss – beispielsweise nach dem gescheiterten South Stream-Projekt als Öl- und Gas-Transporteur nach Europa.

Zweiundzwanzigstens: Die Ukraine sollte sich bewusst sein, dass sie ihr Schicksal in die eigene Hand nehmen muss – und es wenig Sinn macht, die bisherige Abhängigkeit vom großen Bruder in Moskau gegen eine andere einzutauschen.

Dreiundzwanzigstens: Das schwer geprüfte Land hat jedenfalls, bevor es an militärische Bündnisse denkt, noch jede Menge interner Hausaufgaben zu erledigen – zum Beispiel den Kampf gegen die landesweite Korruption.

Vierundzwanzigstens: Der wirtschaftlich danieder liegende Staat braucht weiters demokratische Reformen sonder Zahl um westlichen Standards gerecht zu werden – diese werden allerdings etliche Jahre benötigen um wirklich zu greifen.

Fünfundzwanzigstens: Es wird beispielsweise um die Beschränkung bzw. etappenweise Ausschaltung der Macht von Oligarchen gehen müssen, die an den Schalthebeln sitzen und nur für die eigenen Taschen wirtschaften – weshalb sich die sozialen Verhältnisse der Bevölkerung in keinem nennenswerten Verhältnis bessern können.

Sechsundzwanzigstens: Die politische Nomenklatura, die das Land von jeher im Würgegriff hat, also die unsäglichen Allianzen von machtgierigen Neureichen und ihren politischen Handlangern, muss so rasch wie möglich weitgehend ausgeschaltet werden.

Siebenundzwanzigstens: Die ukrainischen Konzerne, die bislang vornehmlich von östlichen Partnerländern abhängig waren, müssen sich möglichst rasch auf eine Zeitenwende vorbereiten – zur Zeit hätten sie mit ihren Produkten auf westlichen Märkten herzlich wenig Chancen.

Achtundzwanzigstens: Die Wirtschaft des Landes benötigt daher dringend westliches Know how und westliche Technologie um allmählich auf den Weltmärkten mitmischen zu können und akzeptiert zu werden.

Neunundzwanzigstens: Auch in der politischen Landschaft ist dringend ein markanter Umbruchprozess erforderlich: So etwa braucht die Ukraine in Zukunft weder radikal-nationalistische Horror-Gruppierungen wie die Vereinigung „Swoboda“ noch neofaschistische, paramilitärische Organisationen wie den „Rechten Sektor“, aber auch keine ewigen pro-russischen Sympathisanten wie die Janukowitsch-Anhänger und eben so wenig politische Egomanen wie Julia Timoschenko und etliche andere, denen es allesamt nicht um das Wohl des Landes geht.

Dreißigstens: Nur wenn die totale Politikverdrossenheit der Bevölkerung beseitigt werden kann, weil eines Tages politische Parteien mit Format das Ruder übernehmen, werden demokratische Meinungsprozesse stattfinden können – was bisher geschah, war vergleichsweise eine Farce.

Einunddreißigstens: Die Bürgerinnen und Bürger des Landes sollten in den kommenden Jahren nicht mit propagandistischen Einlull-Informationen abgespeist, sondern mit der Realität konfrontiert werden – so schwierig das angesichts des etablierten Mediensystems auch sein mag.

Zweiunddreißigstens: Das ukrainische Volk hat das Recht auf Wahrheit, Objektivität und Transparenz in der Berichterstattung. Daher müsste schleunigst dafür gesorgt werden, dass TV-Sender und Zeitungen nicht primär den Oligarchen gehören und von diesen aus persönlichen Motiven missbraucht werden.

Dreiunddreißigstens: Die Ukrainer müssten beispielsweise erfahren, dass es etwa den USA nicht bloß um geopolitische Interessen, sondern auch um handfeste wirtschaftliche in ihrem an sich rohstoffreichen Land geht – da ist in der Tat Gefahr in Verzug.

Vierunddreißigstens: Die Hoffnung der mehrheitlich pro-europäisch ausgerichteten Ukrainer auf einen EU-Beitritt ist eine sehr, sehr langfristige, weil das bestenfalls in zwei, drei Jahrzehnten so weit sein könnte – daran würde auch ein früherer NATO-Beitritt absolut nichts ändern.

Fünfunddreißigstens: Das ukrainische Volk müsste sich auch im Klaren sein, dass es für Europa nicht unbedingt von essenzieller Bedeutung ist, sondern weitgehend sozusagen als Almosen-Empfänger betrachtet werden würde.

Sechsunddreißigstens: Die zahllosen Auflagen, die aus Brüssel zu erwarten sind, werden die Ukrainer viele Nerven kosten – und womöglich die momentane Begeisterung für Europa deutlich dämpfen.

Siebenunddreißigstens: Zugleich wäre die von Wladimir Putin geplante Eurasische Wirtschaftsunion – das östliche Pendant zur EU – für die Ukraine aus ökonomischen Gründen durchaus eine passable Option, die sie nicht gänzlich ignorieren sollte.

Achtunddreißigstens: Sofern es eines fernen Tages zu einer Kooperation der beiden Wirtschaftsblöcke käme, was recht schwierig, aber nicht völlig ausgeschlossen ist, säße die Ukraine nämlich in der ersten Reihe fußfrei und könnte zahlreiche Vorteile genießen.

Neununddreißigstens: Fest steht jedenfalls, dass es wenig Sinn macht, wenn das finanziell marode Land sein Militärbudget ab sofort erheblich aufstockt – einen totalen Krieg gegen Russland könnte es nie und nimmer gewinnen.

Vierzigstens: Jetzt geht es zunächst einmal darum, das Land aus der Tragödie der letzten Monate zu führen und wieder aufzubauen, den Menschen  Mut zu machen und die Wirtschaft anzukurbeln – eine extrem schwierige Mission für die derzeitige politische Führung.

Einundvierzigstens: Es müsste für Kiew, wo nicht gerade die cleversten Polit-Strategen am Werk sind, das Gebot der Stunde sein, Wladimir Putin endlich an den Verhandlungstisch zu bringen, um eine nachhaltige Lösung des Konflikts zu finden.

Zweiundvierzigstens: Unter diesem Gesichtspunkt sollte die ukrainische Führung trotz der bitteren Erfahrungen mit der Krim-Annexion ihre Strategie ändern und im Interesse des Landes alles unternehmen, was zu einem „Friedensschluss“ führen könnte.

Dreiundvierzigstens: Poroschenko, Jazenjuk & Co dürfen einfach nicht nicht so wie gewohnt auf stur schalten, sondern sollten so rasch wie möglich, so schwer ihnen das auch fallen mag, zu Zugeständnissen bereit sein – die Prolongierung des momentanen Wahnsinns hilft letztlich niemandem.

Vierundvierzigstens: Die passionierten Vermittlungsversuche etwa des deutschen Außenministers Frank-Walter Steinmeier und anderer Friedenstauben werden dabei kaum noch für mehr Harmonie sorgen können – ähnliche Aktivitäten von US-Politikern oder NATO-General Jens Stoltenberg wären sogar kontraproduktiv.

Fünfundvierzigstens: Es ist also ein Spiel gegen die Zeit, bei dem taktische Überlegungen von größtem Wert wären – ein ungestümes Vorpreschen der ukrainischen Politiker bringt gar nichts.

Sechsundvierzigstens: Sollte es einigen Jahren in der Ukraine zu einer Volksabstimmung über einen NATO-Beitritt kommen, müsste den stimmberechtigten Teilnehmern klar sein, dass es nicht nur ein Entweder/Oder, sondern ein Sowohl/Als auch gibt.

Siebenundvierzigstens: Sie können davon ausgehen, dass sich die Ukraine mit großer Wahrscheinlichkeit künftig leichter tun würde, wenn sie blockfrei, also neutral und unabhängig bliebe und sich nicht auf ewig dem Westen an den Hals wirft.

Achtundvierzigstens: Moskau würde über eine derartige Entscheidung wohl dermaßen happy sein, dass Russland dem Nachbarstaat eine derzeit undenkbare Wertschätzung entgegenbrächte, die wiederum politisch und wirtschaftlich für die Ukraine von immensem Vorteil wäre.

Neunundvierzigstens: Und was die Zukunft anlangt: Der Hardliner Putin – mit seiner (noch nicht offiziell bestätigten) Vision, die alte Sowjetunion wieder auferstehen zu lassen – ist mit Sicherheit nicht unsterblich. Womöglich wird sein Nachfolger ein Typ sein, mit dem man einfacher reden kann…

Fünfzigstens: Vorausgesetzt, Russland dreht in den kommenden Jahren nicht völlig durch, sondern lenkt allmählich ein und verhält sich weitgehend zivilisiert, könnte die Ukraine letztendlich zur Erkennnis gelangen, dass sie einen NATO-Beitritt gar nicht braucht.

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