Freitag, 26. April 2024
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Notenbanken zwischen Finanzmarktstabilität oder Unabhängigkeit

Seit dem nur um Haaresbreite vermiedenen Zusammenbruch der Finanzmärkte sind die Notenbanker mangels realistischer Theorien auf Versuch und Irrtum angewiesen.

[[image1]]Vor der Finanzkrise hätte es niemand für möglich gehalten, dass die Realzinsen der führenden Notenbanken heute allesamt unter Null liegen und die Bilanzen der Notenbanken (das Gegenstück zur umlaufenden Geldmenge) sich inzwischen mindestens verdreifacht haben würden. Stephen G. Cecchetti, der Chefökonom der Bank für Internationalen Zahlungsausgleich, vergleicht die aktuelle Lage mit einer Gruppe von Bergwanderern, die nach einem langen beschaulichen Marsch plötzlich von einer Lawine überrascht wurden. Jetzt reiben sich die Überlebenden die Augen, müssen sich neu gruppieren und überlegen, wie sie derartige Katastrophen künftig vermeiden können.

Der alte Konsens: Unabhängigkeit und Transparenz

Bis dahin hatte es den klaren Konsens gegeben, dass die Notenbanken ihre klar spezifizierten Ziele – die vor allem aus der Stabilität des Geldwertes bestanden – in voller Unabhängigkeit von der Politik zu verfolgen hätten. Die Geldpolitik wurde dadurch den demokratischen Entscheidungsprozessen entzogen und sollte stattdessen pragmatischen Regeln folgen, musste dafür aber für ausreichende Transparenz sorgen, so dass Öffentlichkeit und Politik feststellen konnten, ob die vorgegebenen Ziele tatsächlich zufriedenstellend erreicht wurden.

Gleichzeitig wurde die Geldpolitik klar von den beiden anderen entscheidenden Determinanten der Finanzwelt, der Fiskalpolitik und der Finanzmarktaufsicht, abgegrenzt, wobei die Fiskalpolitik die Aufgabe hatte, durch antizyklische Maßnahmen Wachstum und Beschäftigung sicherzustellen und die Einkommensverteilung auf Basis demokratisch-politischer Vorgaben zu beeinflussen, was einen langfristigen Zeithorizont verlangte. Die Aufsicht (heute „Prudential Management“ genannt) sollte den Marktteilnehmern hingegen Sicherheitspolster vorschreiben und durchsetzen, sowie den negativen Anreizen entgegenwirken, denen die Finanzmärkten durch die staatliche Einlagensicherung und die impliziten Regierungsgarantien der Großbanken ausgesetzt waren, was eine im Zeitablauf weitgehend unveränderte Politik verlangte.

Die Geldpolitik sollte demgegenüber als „kurzfristiges und flexibles Werkzeug“ eingesetzt werden, um Preise und Gesamtnachfrage stabil zu halten, so dass allein schon durch den unterschiedlichen Zeithorizont keiner dieser Bereiche sich um die Ziele des jeweils anderen besonders kümmern musste. Die sachlich-pragmatische Natur der Geldpolitik, die bestimmten allgemein anerkannten Regeln folgen sollte, machte sie zudem nicht nur weitgehend immun gegenüber den Anfechtungen der stets nach niedrigeren Zinsen verlangenden Regierungspolitik, sondern auch gegenüber dem Vorwurf, keiner demokratischen Kontrolle zu unterliegen.

Alte Selbstverständlichkeiten werden obsolet

Seit dem Zusammenbruch der globalen Finanzmärkte ist es mit diesen alten Selbstverständlichkeiten freilich vorbei. Denn wie sich zeigte „beeinflusst die Geldpolitik über ihre Bilanz (d.h. den Kauf von Staatsanleihen) die Fiskalpolitik; beeinflusst die Fiskalpolitik über ihre spezifischen Finanzierungsentscheidungen sowohl Finanzaufsicht wie Geldpolitik und beeinflusst die Geldpolitik durch ihren Einfluss auf die Bank-Bilanzen die Aufsicht, während die Aufsicht durch ihre Einschätzung der Staatsschulden die Fiskalpolitik und durch ihren dadurch gegebenen Einfluss auf die Zinsen auch die Geldpolitik beeinflusst“.

Die bislang unabhängigen Akteure sind durch das Primat der Stabilität folglich zur Kooperation gezwungen, so dass von einer Unabhängigkeit der einzelnen Sphären keinesfalls mehr die Rede sein kann – umsoweniger als die Rückführung der monetären Krisenpolitik enorme Gefahren für die Finanzmarktstabilität birgt und die Geldpolitik zudem unter hohem Druck steht, sich an den enormen Kosten der Krisen zu beteiligen.

Theorie erforderlich, die die drei Sphären vereint

Um ein widerstandsfähigeres geldpolitisches System aufzubauen, bedarf es laut Cecchetti nun also zuerst einmal einer Theorie, die der Realität entspricht indem sie diese drei Sphären unter einen Hut bringt. So müsste die Geldpolitik besser verstehen, warum Schulden überhaupt von derart überragender Bedeutung sind und diese Realität samt der damit verbundenen Booms und Pleiten in die makroökonomischen Modelle integrieren mit denen sie ihre Entscheidungen fundiert.

Diese neue Theorie müsste dann anhand der realen Gegebenheiten zudem auch so kalibriert werden, dass die Geldpolitiker sie auch tatsächlich sinnvoll verwenden kann. Dabei sei besonders problematisch, dass die Finanzmarktstabilität nicht klar und schon gar nicht numerisch zu definieren sei, weshalb die Notenbanker bei Nicht-Erreichen dieses Ziels auch nur schwer zur Verantwortung gezogen werden könnten.

Gleichzeitig gefährdet die bislang als Gegengewicht zur undemokratischen Entscheidungsfindung geübte Transparenz mitunter die Finanzmarktstabilität, wobei zudem die Gefahr politischer Konflikte steige, da die Stabilitätspolitik in der Regel auf bestimmte einzelne Unternehmen oder Wirtschaftssektoren gerichtet werden müsse, was bisher die Domäne gewählter Politiker gewesen ist.

Aufsicht, Politik und Notenbanken zur Zusammenarbeit gezwungen

Besonders durch den Stabilitätsaspekt werden Aufsicht, Politik und Notenbanken also zur Zusammenarbeit gezwungen, was die Unabhängigkeit der Notenbanken nachhaltig in Frage stellt. Denn würde die Entscheidungsgewalt künftig zu sehr auf Seiten der Notenbank liegen, stellt sich die Frage der demokratischen Legitimation. Liegt sie hingegen bei der Politik, laufe die Notenbank Gefahr, ihrer geldpolitischen Ziele aufgrund politischer Einflussnahmen nicht erreichen zu können. Allerdings gibt es für Cecchetti keine Alternative zur „Entpolitisierung durch Delegation“: „Weil die Stabilitätspolitik politischem Druck und Lobbying noch stärker ausgesetzt ist als die Geldpolitik, ist es für die Notenbanken entscheidend, Leute von Dingen abzuhalten, die sie für profitabel und produktiv halten. Genau diese Fähigkeit und die Glaubwürdigkeit es notfalls zu tun, ist der Schlüssel zur Stabilität“.

Leider weiß auch Cecchetti nicht, wie das alles erreicht werden könne. Und so bleibt ihm nur die Hoffnung, dass sich unter den vielfältigen institutionellen Arrangements, die aktuell versucht werden, sich einige davon rasch als tragfähig erweisen und in einem neuen geldpolitischen Konsens resultieren – was freilich befürchten lässt, dass in der aktuellen Phase, in der die Notenbanken mangels passender Theorien im Dunklen tappen und auf Versuch und Irrtum angewiesen sind, es vorerst vor allem zu Fehlern kommen wird.
 

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