Donnerstag, 18. April 2024
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Irmgard Griss: „Spaltung der Gesellschaft in Gut und Böse stört mich“

Die Bundespräsidenten-Wahl am 24. April kommt in die heiße Phase: Die parteiunabhängige Kandidatin Irmgard Griss, die als Leiterin der Hypo-Untersuchungskommission Bekanntheit erlangte, schildert im Interview mit EU-Infothek, welche Schwerpunkte sie als erste Bundespräsidentin Österreichs setzen würde.

Ist die Zeit reif für Österreichs erste Bundespräsidentin?

Die Zeit war nie nicht reif dafür. Es gab immer wieder hervorragend qualifizierte Frauen, die sich um das Amt beworben haben und die auch dafür geeignet gewesen wären.

Viele Landsleute meinen, dieses Amt wäre verzichtbar. Was halten Sie dem entgegen?

Dem Bundespräsidenten kommt in unserer Verfassung eine wichtige Rolle zu. Der Bundespräsident ernennt den Bundeskanzler, er hat bei der Besetzung der höchsten Staatsämter ein Wort mitzureden und kann darauf schauen, dass wirklich Qualifizierte in die Ämter berufen werden. Ein besonderes Gewicht erhält sein Wort dadurch, dass er als einziges Staatsorgan direkt vom Volk gewählt wird und daher über eine besondere Legitimation verfügt.

Sehen Sie es eher als Vorteil, eine parteiunabhängige Kandidatin zu sein oder überwiegen die Nachteile in Form eines geringeren Wahlkampfbudgets und des Fehlen eines Parteiapparats?

Für mich überwiegen ganz klar die Vorteile. Als parteiunabhängige Kandidatin bin ich nur meinen Wählerinnen und Wählern und meinem eigenen Gewissen verpflichtet. Ich brauche daher auf keine Parteiinteressen Rücksicht nehmen und kann sagen, was ich für richtig halte.

Welche sind für Sie die wichtigsten Aufgaben des österreichischen Bundespräsidenten?

Der Bundespräsident muss eine moralische Instanz sein, eine Leitfigur. Er hat gleich einem Kompass dafür zu sorgen, dass das Staatsschiff auf Kurs bleibt oder auch seinen Kurs ändert, wenn dies notwendig ist. Das Mittel dazu ist das Wort, der Bundespräsident kann Probleme offen ansprechen, eine sachliche Diskussion einfordern und zu ausgewogenen Lösungen ermutigen. Dazu kommen die in der Verfassung eingeräumten Kompetenzen: Der Bundespräsident ernennt und enthebt die Mitglieder der Bundesregierung, er ernennt die Träger hoher Staatsämter, er vertritt die Republik nach Außen, er ist Oberbefehlshaber des Bundesheeres.

Was erwarten die Österreicher Ihrer Meinung nach von Ihrem Staatsoberhaupt?

Dass das Staatsoberhaupt dem hohen Amt auch wirklich gerecht wird, indem es über den Parteien steht, für alle Österreicherinnen und Österreicher da ist, niemanden ausgrenzt und durch seine Redlichkeit und Kompetenz Vertrauen schafft.

Gerechter Ausgleich zwischen Armen und Reichen notwendig

Würden Sie das Amt eher wie Heinz Fischer anlegen, der sich vor allem als Türöffner für die heimische Wirtschaft versteht oder mehr wie Thomas Klestil, der sich auch innenpolitisch kräftig eingemischt hat?

Wie jemand dieses Amt ausübt, hängt ganz stark von der Persönlichkeit ab. Als ehemalige Richterin liegt mir die Gerechtigkeit sehr am Herzen. Ich will mich dafür einsetzen, dass es einen gerechten Ausgleich gibt, zwischen Starken und Schwachen, Armen und Reichen, Alten und Jungen. Dazu braucht es auch eine leistungsfähige Wirtschaft.

Was bereitet Ihnen in Österreich die größten Sorgen, welche Fehlentwicklung sollten korrigiert werden?

Am meisten stört mich die Spaltung der Gesellschaft in Gute und in Böse. Oft gilt jemand schon deshalb als „bös“, weil er ein Problem klar beim Namen nennt, wie etwa die großen Herausforderungen durch den starken Zustrom von Menschen aus anderen Kulturen. Dieses Dämonisieren bringt uns aber keinen Schritt einer Lösung näher, genauso wenig wie das Dramatisieren. Es braucht daher auf allen Seiten eine Abrüstung der Worte und den gemeinsamen Willen, Probleme anzupacken und an ihrer Lösung zu arbeiten. Integration ist ein Aufeinanderzugehen; sie kann daher nur gelingen, wenn sich beide Seiten darum bemühen.

Österreich ist ein reiches Land, allerdings klafft eine große Lücke zwischen Arm und Reich. Setzt die Bundesregierung die richtigen Akzente, um diese Lücke zu verkleinern?

Verglichen mit anderen Staaten sind die Unterschiede in Österreich nicht extrem. Richtig ist aber, dass es sehr reiche und auch sehr arme Menschen gibt. Das wirksamste Mittel, um die Lücke zwischen Arm und Reich zu verkleinern, ist in meinen Augen Bildung, Bildung, Bildung. Nur Bildung verspricht eine nachhaltige Besserstellung. Die Bundesregierung könnte bei den Bildungsreformen durchaus mutiger vorgehen.

Die Arbeitslosigkeit wird auch 2016 ein großes Problem bleiben. Sollte man über eine Arbeitszeitverkürzung nachdenken?

Das beste Mittel gegen Arbeitslosigkeit ist eine erfolgreiche Wirtschaft, wie wir jetzt in Deutschland sehen. Man muss daher alles daran setzen, dass in der Wirtschaft neue Arbeitsplätze entstehen. Hilfreich dabei wird sein, wenn es weniger Bürokratie und mehr Verständnis für die Anliegen der Unternehmen gibt. Eine Arbeitszeitverkürzung würde, wenn überhaupt, nur sehr kurzfristig für mehr Arbeitsplätze sorgen.

Die von der Bundesregierung vorgelegte Bildungsreform geht manchen nicht weit genug, um  unseren Kinder die bestmögliche Ausbildung zukommen zu lassen. Wie beurteilen Sie die Reformpläne?

Ich hätte mir mutigere Reformen gewünscht. Mehr Kompetenzen und gleichzeitig mehr Verantwortung für die Direktoren bei der Lehrerauswahl, denn ohne gute Lehrer gibt es keine guten Schulen, mehr Ganztagsschulen, denn durch Ganztagsschulen erhalten Kinder bessere Chancen, die niemanden zu Hause haben, der mit ihnen lernt.

Als Bundespräsidentin wären sie die Oberbefehlshaberin des Bundesheeres. Würden Sie sich dafür stark machen, das Heer besser finanziell auszustatten?

Ich würde eine Diskussion über die Aufgaben des Heeres und darauf aufbauend über die notwenige Ausstattung anstoßen. Denn wir müssen uns klar darüber werden, welche Aufgaben das Heer erfüllen soll und was uns das wert ist.

Integration von Flüchtlingen kann nur mit Bevölkerung gelingen

Wie stehen Sie zum umstrittenen Durchgriffsrecht der Bundesregierung zur Schaffung von Flüchtlingsunterkünften? Hätte es eine bessere Alternative gegeben?

Das war eine Notmaßnahme, weil es offenbar anders nicht möglich gewesen wäre, genügend Unterkünfte zu beschaffen. Ganz grundsätzlich sind solche Zwangsmaßnahmen aber problematisch, wenn sie gegen den Willen der Bevölkerung durchgesetzt werden. Denn die Integration von Flüchtlingen kann nur mit der Bevölkerung und nicht gegen sie gelingen.

Würden Sie sich als Bundespräsidentin bei Ihren Amtskollegen in Europa dafür stark machen, dass auch andere Länder mehr Flüchtlinge aufnehmen?

Ja, ich würde mich dafür einsetzen. Allerdings muss man auch die besondere Situation etwa der osteuropäischen Staaten sehen. Sie haben soziale Probleme im eigenen Land und, auch das muss man sehen, sie sind nicht das Zielland der Flüchtlinge.

Wie sehen Sie das Standing Österreichs in der Welt? Sollte man künftig noch mehr auf die Vermittlerrolle wie bei den Iran-Verhandlungen setzen?

Bei meinen offiziellen Besuchen als OGH-Präsidentin in anderen Staaten habe ich immer wieder erlebt, dass Österreich sehr geschätzt wird. Wir haben einen Vertrauensvorschuss, und ich bin überzeugt, dass Österreich als Vermittler viel erreichen kann.

Durch die Flüchtlingskrise ist der Nationalismus in Europa stärker geworden, es gibt Absprungtendenzen – Stichwort Großbritannien. Wie könnte Europa wieder mehr zusammenwachsen?

Indem es uns gelingt, diese großen Herausforderungen gemeinsam zu bewältigen. Das erfordert viel guten Willen und viel Kraft auf allen Seiten. Vor allem aber müssen Parteien, gleich welcher Couleur, darauf verzichten, Europa als Sündenbock für eigenes Versagen hinzustellen.

 

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