Freitag, 19. April 2024
Startseite / Allgemein / Karas: „Wir brauchen nicht mehr, sondern weniger Grenzen in Europa“

Karas: „Wir brauchen nicht mehr, sondern weniger Grenzen in Europa“

Mit der kürzlich erfolgten Wahl zum Präsidenten der EU-Russland-Delegation hat der profilierte EU-Abg. Othmar Karas (ÖVP) eine brisante Aufgabe übernommen.

[[image1]]Im Gespräch mit der EU-Infothek spricht er neben der schwierigen Beziehung mit Russland über die erste Bewährungsprobe für die neue EU-Kommission und die Kritik an dem geplanten Freihandelsabkommen mit den USA.

Sie haben  anlässlich ihrer Wahl zum Präsidenten der parlamentarischen EU-Russland-Delegation von einer „spannenden Aufgabe“ gesprochen. Ist es derzeit angesichts des angespannten Klimas zwischen der EU und Russland nicht vielmehr eine „Mission Impossible“?

Die parlamentarische EU-Russland-Delegation wird zuallererst ein Gesprächskanal sein. Ich will die Dialoge auf allen Ebenen verstärken. Das ist keine ´mission impossible‘, sondern eine ’notwendige Mission‘. Gerade in schwierigen Zeiten ist es wichtig, intensiver miteinander zu sprechen.

Ihr Ziel ist die Aufhebung der gegenseitigen Sanktionen, die der Wirtschaft der betroffenen Länder massiven Schaden zufügt. Wie wollen Sie dies erreichen?

Ob Sanktionen aufgehoben werden, liegt in erster Linie an Russland selber. Darüber entscheidet nicht die gemischte parlamentarische Delegation. Vergessen wir nicht: Völkerrecht und Werte gehen vor Geschäftsinteressen. Wenn die Vereinbarungen von Minsk erfüllt wurden, kann eine Diskussion drüber beginnen.

Die Sanktionen gegen Russland wegen der Ukraine-Krise sind in den EU-Ländern – auch in Österreich – nicht unumstritten. Wie stehen Sie zu der Politik der EU, was haben die Sanktionen gegen Russland gebracht?

Wenn wir militärische Mittel ganz klar ausschließen, müssen wir bereit sein, alle nicht-militärischen Mittel voll zu nutzen. Russland hat Völkerrecht verletzt und die Souveränität der Ukraine missachtet. Wir Europäer wollen in jedem Fall eine friedliche Lösung. Sanktionen sind ein nicht-militärisches Mittel und sie greifen.

Welche Eckpunkte soll das Arbeitsprogramm der Delegation umfassen?

Einen Dialog über alle Fragen, die unsere Beziehungen mit Russland und deren Auswirkungen auf die anderen Nachbarstaaten betreffen.

Wann sind erste Gespräche in Moskau realistisch?

Ende November werde ich meine russischen Ko-Vorsitzenden in Moskau treffen. Mit dem Botschafter Russlands bei der EU gab es bereits zwei Gespräche.

Faires System zur Aufteilung der Flüchtlinge nötig

Sie haben sich gegen die Wiedereinführung von Grenzkontrollen im Zusammenhang mit der Flüchtlingsproblematik in Europa ausgesprochen. Ein faires System bei der Aufteilung von Flüchtlingen und Asylsuchenden wird es aber wohl nicht so schnell geben?

Ein faires System zur Aufteilung der Flüchtlinge muss es geben. Derzeit machen die EU-Mitgliedstaaten dasselbe, was die österreichischen Bundesländer machen. Jeder hofft, dass die anderen das Problem lösen. Das ist verantwortungslos. Ich sehe aber unter den Mitgliedstaaten Bewegung in der Frage. Auch Österreich ist vor einigen Jahren noch gegen einen Aufteilungsschlüssel in Europa gewesen. Heute sind wir dafür.

Ist die Ablehnung der Vertreterin Sloweniens für den Posten einer EU-Kommissarin ein Sieg für das EU-Parlament oder ein Armutszeugnis für die Nominierung der Kandidaten für diese wichtigen EU-Posten?

Alenka Bratusek war auf ihre Anhörung nicht gut vorbereitet. Deshalb hat eine Mehrheit der Abgeordneten gegen sie gestimmt. Die Anhörungen im Parlament für die neuen EU-Kommissare sind das härteste Auswahlverfahren für eine Regierung in Europa. In keinem Mitgliedsland werden Regierungsmitglieder so von den Bürgervertretern auf Herz und Nieren, auf ihre Integrität und Kompetenz geprüft. Ich fordere beim nächsten Mal ein neues Nominierungsverfahren. Jedes Land sollte erst nach einem Gespräch mit dem bereits designierten Kommissionspräsidenten mehrere Kandidatinnen und Kandidaten benennen.

Welche Bilanz ziehen Sie als Chefverhandler des Europaparlaments zur Bankenregulierung?

Diese Frage ist kaum in wenigen Sätzen zu beantworten. Die wichtigsten Weichenstellungen sind erfolgt. Aber die Beschlüsse müssen jetzt in die Realität umgesetzt werden. Wir sind einen riesigen Schritt weiter hin zu einem System, in dem die Banken stabiler sind und dem Steuerzahler nicht mehr für die Misswirtschaft von einzelnen Banken in die Tasche gegriffen wird. Aber es bleibt noch viel zu tun, vor allem in der Umsetzung der getroffenen Beschlüsse.

Wie schätzen Sie die weitere Entwicklung hinsichtlich der Unabhängigkeitsbestrebungen Kataloniens ein?

Es gilt sowohl das Selbstbestimmungsrecht der Menschen zu respektieren wie auch die verfassungsmäßigen Ordnungen jedes Mitgliedslandes der EU. Ich bin mir aber sicher: Wir brauchen nicht mehr, sondern weniger Grenzen in Europa.

Jüngst hat ein Bericht über hohe Nebeneinkommen von EU-Abgeordneten für Aufsehen gesorgt? Besteht hier Ihrer Meinung nach Handlungsbedarf?

Der Bericht enthielt leider viele Fehler. Ich bin dafür dass es nicht nur Berufspolitiker gibt, sondern auch Politiker, die in anderen Lebensbereichen und Tätigkeitsfeldern verankert sind. Deshalb sind Nebentätigkeiten nichts Schlechtes an sich. Aber Transparenz dabei ist natürlich wichtig. Der Fehler des Berichts war, dass auch ehrenamtliche Nebentätigkeiten ohne Einkommen dazu führen, dass ein Politiker in schlechtes Licht gerückt wurde. Ich finde, dass ehrenamtliches Engagement gefördert und nicht bestraft werden sollte.

Wachstumsprogramm als erste Bewährungsprobe für neue EU-Regierung

Für viele Experten unternimmt die EU zu wenig, um die schwächelnde Konjunktur und die hohe Arbeitslosigkeit in Europa zu bekämpfen. Stimmen Sie dem zu und was müsste verbessert werden?

Jean-Claude Juncker hat uns diese Woche in seiner Antrittsrede versprochen, dass er bis Weihnachten Details zu dem geplanten umfassenden Wachstumsprogramm präsentieren wird. Dieses Programm wird die erste Bewährungsprobe für die neue EU-Regierung.

In Österreich, aber auch in Deutschland, herrscht Aufregung über die genehmigten Milliardensubventionen für das britische AKW Hinkley Point. Sehen Sie die Gefahr, dass die Europäische Atomlobby wieder Oberwasser bekommt und wie kann man dem Einhalt gebieten?

Die Genehmigung der Beihilfen war ein Fehler. Die Rolle der EU war hier lediglich, zu prüfen, ob die Beihilfen, die Großbritannien geben will, regelkonform sind. Die Entscheidung zu fördern oder nicht, ist eine britische Entscheidung. Ich halte die Entscheidung für falsch, weil ich mehr Kostenwahrheit auf den Energiemärkten will. Ich plädiere dafür, dass auch die Kosten der Endlagerung von Atommüll und die Kosten für die Versicherung von Atomkraftwerken in die Kosten von Atomenergie einberechnet werden müssen. Dann wird nämlich deutlich, dass Atomenergie völlig unwirtschaftlich ist.

Freihandelsabkommen darf europäische Standards nicht aushebeln

In vielen Ländern wächst der Widerstand gegen das Freihandelsabkommen der EU mit den USA. Sind auch Ihrer Sicht die Bedenken der Kritiker berechtigt bzw, wird es ein Abkommen geben?

Die Bedenken der Kritiker sind berechtigt, aber es wird kein Abkommen geben, das zu dem führt, was die Kritiker befürchten. Der Teufel, der an die Wand gemalt wird, existiert in der Form nicht.
Die Grundfrage ist, wollen wir die Globalisierung gestalten oder uns nur hilflos der Globalisierung aussetzen. Der Handel in der Welt wird so oder so wachsen. Wir verhandeln über ein Handelsabkommen, weil wir Regeln für den Handel und die Globalisierung festlegen wollen.
Dass ein solches Abkommen nicht dazu führen darf, dass europäische Sicherheits-, Lebensmittel- und Rechtsstandards ausgehebelt werden, ist völlig klar.
In der Medienberichterstattung wird manchmal komplett ausgeblendet, dass ja das Europäische Parlament am Ende einem Abkommen zustimmen muss. Ich werde sicher keinem Abkommen zustimmen, das europäische Standards abschwächt. Aber so weit sind wir noch nicht. Es gibt noch keinen Vertragstext. Die bisherige Kritik beruht vor allem auf Spekulationen. Wenn der Vertragstext meine Bedingungen nicht erfüllt, stimme ich dagegen.

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert

Das könnte Sie auch interessieren

Länder-Image: Kanada ist top, Österreich Zwölfter, die USA enttäuschen und Russland ist letztklassig

Das renommierte Reputation Institute in New York hat soeben, wie alljährlich, eine Studie präsentiert, die das Image von 55 Staaten untersucht. Heuer wird darin Kanada - nicht zum ersten Mal - die weltweit beste Reputation bescheinigt. Im „2015 Country RepTrak“ des Instituts, der auf 48.000 Interviews mit Menschen aus den G8-Ländern basiert, liegen Norwegen, Schweden, die Schweiz und Australien im Spitzenfeld. Österreich rangiert immerhin - trotz eines kleinen Rückfalls - an zwölfter Stelle, Deutschland dagegen ist auf Rang 15 abgerutscht.