Freitag, 19. April 2024
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Kernenergie bleibt unwirtschaftlich

Europäische Länder wie Großbritannien, Bulgarien, Tschechien, Finnland, Frank­reich, Ungarn, Litauen, Niederlande, Polen, Rumänien, Slowakei und Spanien pla­nen, die Energiegewinnung aus Atomkraftwerken durch staatliche Beihilfen zu (un­ter-)stützen.

[[image1]]Die EU-Kommission steht diesen Plänen durchaus positiv gegenüber und versucht die Rahmenbedingungen so zu ändern, dass eine

  • – durch EURATOM,
  • – Haftungseinschränkungen und der Gleichen bevorzugte,
  • – seit Jahrzehnten am Markt präsente und entgegen der Versprechungen immer teurer werdende Industrie

subventioniert werden kann.

Diesen Plänen zur Bevorzugung der Kernenergie ist mit allem Nachdruck entgegen zu treten. Förderungen von Atomkraft unter dem Deckman­tel des Klimaschutzes sind absolut unzulässig.

Statt Atomenergie, die erwiesenermaßen gefährlich, unbeherrschbar und auch technologisch veraltet ist, zu subventionieren, müssen konsequent Ressourcen in die Entwicklung und Verbreitung nachhaltiger und zukunftsträchtiger Technologien in­vestiert werden.

Eine Begünstigung der Atomenergie mit oder aus staatlichen Mitteln führt zu einer weiteren Verfälschung des Binnenmarktes und widerspricht dem primären Gemein­schaftsrecht und ist daher in jedem Fall zu unterlassen.

Auch wenn jüngst  aus dem Umfeld des Kommissars Joaquin Almunia vollmundig verlautbart wurde, dass keine Beihilfen für die Kernenergie geplant sind, sollte das eher beunruhigen. Denn in der Debatte geht es nicht um Beihilfen der EU, sondern um die pauschale Legalisierung von bis jetzt verbotenen  Förderungen der Mitgliedsstaaten für die Kernenergie, durch die Kommission.

Der rechtliche Rahmen

Der VERTRAG ÜBER DIE ARBEITSWEISE DER EUROPÄISCHEN UNION [1] legt in Artikel 107[2] Abs. 1 fest, dass soweit in den Verträgen nicht etwas anderes be­stimmt ist, staatliche oder aus staatlichen Mitteln gewährte Beihilfen gleich welcher Art, die durch die Begünstigung bestimmter Unternehmen oder Produktionszweige den Wettbewerb verfälschen oder zu verfälschen drohen, mit dem Binnenmarkt un­verein­bar sind, soweit sie den Handel zwischen Mitgliedstaaten beeinträchtigen.

Daher trifft auf Kernenergie, nach unserer Ansicht, keine der im Vertrag angeführten Fälle für Ausnahmen von dieser Bestimmung zu.

  • – Eine finanzielle Förderung zur Errichtung und zum Betrieb von Leistungsreak­toren läuft daher nicht nur dem freien Binnenmarkt, sondern auch dem Klimaschutzziel der Europäischen Union und der Versorgungssicherheit im Elektrizitätsbereich zuwider.
  • – Durch die diskutierten Beihilfen für die Erzeugung von Strom durch Kernenergie sind langfristige und für Dekaden irreversible Verwerfungen des Binnenmarktes zu befürchten.
  • – Kernenergie ist eine etablierte Technik, die am Markt seit fast 60 Jahren weltweit  von unterschiedlichen Unternehmen im industriellen Maßstab angeboten wird. Die Kernenergie wird bereits durch den EURATOM-Vertrag in strategischer Hinsicht ge­genüber anderen Elektrizitätserzeugern bevorzugt. Zudem sind in der Vergangenheit weltweit massiv Beihilfen an die Nuklearindustrie geflossen. Rechtliche Regelungen wie die Begrenzung der schadensrechtlichen Haftung, die Festlegung von, in An­bet­racht der potenziell möglichen Schadensereignissen – aber selbst im Verhältnis zum Anlagenwert – lächerlichen Pflichtversicherungssummen sowie der Verbleib weitrei­chender Verpflichtungen der öffentlichen Hand im Zuge von Privatisierungen, stellen bereits jetzt eine sachlich nicht zu rechtfertigende Bevorzugung der Kernenergie und eine Beeinträchtigung des Elektrizitätsbinnenmarktes dar.

Kernenergie bleibt eine Sackgasse

Die Kernenergie ist, trotz dieser günstigen Rahmenbedingungen, wirtschaftlich offen­sichtlich nicht konkurrenzfähig gegenüber anderen Stromerzeugungsarten geworden.

Die Kernenergie trägt zurzeit nur noch etwa 25 Prozent zur Stromerzeugung in der Europäischen Union[3], mit sinkendem Anteil, bei. Erneuerbare Energieträger erzeu­gen bei rasch steigendem Anteil heute bereits etwa gleich viel Strom. Der Anteil aus fossilen Quellen beträgt etwa 50 Prozent. Selbst bei Ersatz aller fossilen Stromer­zeugung in der EU durch KKW – hierzu wäre die Verdreifachung der jetzigen Reak­torleistung[4] notwendig – wäre die Reduktion von Treibhausgasen gering. Trotz wohlwollenden Schätzungen der Treibhausgas-Emissionen aus Kernenergie, führte dieses Szenario nur zu Treibhausgasreduktionen im einstelligen Prozentbe­reich[5] in Europa[6]. Die Kosten lägen jenseits der Kosten etwa für Offshore Windkraft­werke und unter Berücksichtigung der Uranreserven[7] müssten die meisten dieser Anlagen vor Ende ihrer Lebensdauer auf Grund Brennstoffmangels ihren Betrieb ein­stellen[8]. Spätestens zu diesem Zeitpunkt stünde Europa vor einer dann enormen Kapazitätslücke im Elektrizitätsbereich und vor dem massiven Problem der Entsor­gung der angefallenen radioaktiven Abfälle.

Weltweit beträgt der Anteil der Kernenergie an der gesamten Energiebereitstellung unter 3 Prozent. Dieser Anteil ist die relevante Größe bei der Betrachtung einer möglichen Klimawirksamkeit der Ausweitung der Kernenergienutzung. Selbst die IAEA[9] geht in ihrem optimistischsten Szenario nur von einer Verdoppelung des Kern­energieanteils bis 2040 aus. Kernenergie ist unter Berücksichtigung der Brennstoff­herstellung unter anderem mit relevanten Treibhausgasemissionen verbunden. Der abnehmende Erzgehalt im Uranbergbau lässt darüber hinaus einen wesentlichen Anstieg der Treibhausgasemissionen der Kernenergie noch in der ers­ten Hälfte dieses Jahrhunderts erwarten[10].

Die Kernenergie erfüllt also in keinster Weise, die von der Nuklearindustrie geschür­ten Erwartungen bezüglich Klimaschutz (es ist mit steigenden Treibhausgasemissio­nen zu rechnen) und Wirtschaftlichkeit (Atomkraftwerke können nur mit massiven staatlichen Beihilfen errichtet werden).

Wie die Diskussion um Neubauprojekte wie Hinkley Point C, Paks 2, Temelin 3 & 4 zeigen, ist man sich zumindest auf Seiten der Betreiber und Errichter über die weiterhin bestehende und sich verschärfende Unwirtschaftlichkeit von KKW im Klaren.

Deckmantel CO2-arm

Bild: Bernd Wachtmeister  / pixelio.deDie Kommission bereitet zurzeit einen Leitfaden vor, der die staatliche Förderung von Strom aus KKW legalisieren soll. Die WUA hat sich energisch gegen diesen Vorschlag zur Änderung der Förderleitlinien im Energie und Umweltbereich für den Zeitraum 2014-2020 ausgesprochen.

Die Technologieoffenheit ist eine grundsätzlich immer zu unterstützende Forderung. Die undifferenzierte Unterstützung für CO2-arme Energiequellen ist auf den ersten Blick eine gute Option, birgt aber bei näherer Betrachtung unüberwindbare Probleme, die das übergeordnete Ziel einer langfristig gesicherten CO2-armen Energiebereitstellung im schlimmsten Fall sogar konterkarieren können.

Das Problem der generellen Unterstützung CO2-armer Energiequellen ist, dass es im Fall der CO2-Freiheit der Energieerzeugung selbst (Wasserkraft, Windkraft, Kernenergie,…), grundsätzlich wesentlich komplexer wird einen verlässlichen Wert für den  CO2 Ausstoß zu bestimmen, als für jenen Fall, bei dem der Großteil der CO2-Emission direkt bei der Energieerzeugung anfällt (etwa in Kohlekraftwerken).

Für den Fall der erneuerbaren Energieträger, die für die Energieerzeugung nur eine Anlage aber keinen „Brennstoff“ benötigen, reduziert sich das Problem im Wesentlichen auf die Bestimmung des CO2 Ausstoßes der Anlagenerrichtung. Bei derartigen Energiequellen (Solarenergie, Wasserkraft, Windkraft,…) gibt es in fachlicher Hinsicht auch wenige Diskussionen über den anzunehmenden CO2 Ausstoß der Technologien.

Komplexer stellt sich das Problem etwa bei der Verwendung von Biomasse dar. Die Verwendung dieser ist grundsätzlich CO2– neutral. Abhängig von der Gewinnung (sekundäre Biomasse, Einsatz von Düngemitteln, Kulturmaßnahmen,…), dem Transport, der Weiterverarbeitung, dem Wirkungsgrad der Umwandlung (Stromerzeugung, Wärmeerzeugung, KWK, Anlagenwirkungsgrad…) etc. kann der Einsatz günstig im Sinne der Klimaschutzziele und des Umweltschutzes sein oder sich im Extremfall schlechter als der Einsatz von fossilen Energieträgern darstellen. Dem entsprechend gibt es auch anhaltende Diskussionen über den richtigen und sinnvollen Einsatz von Biomasse. (siehe etwa Beimischungsziele der EU bei Treibstoffen).

Eine einfache Klassifizierung CO2-arm oder nicht lässt sich prozessneutral nicht durchführen, wenn das Mehr an CO2 in der Atmosphäre nicht durch die Verwendung des Energieträgers selbst verursacht wird[11]. Immerhin ist Biomasse aber ein erneuerbarer Energieträger (zeitlich praktisch unbegrenzt verfügbar), der bei richtigem Einsatz einen wichtigen Beitrag zum Klima- und Umweltschutz sowie zur langfristigen Energiesicherheit leistet.

Die technologisch verfügbaren (oder im Forschungsstadium befindlichen) Energiequellen ohne CO2-Ausstoß bei der Energieerzeugung selbst, die aber keine erneuerbaren Energiequellen sind, sind die Kernspaltung und die Kernfusion. Die Kernfusion kann insofern vernachlässigt werden, als nicht anzunehmen ist, dass sie bis 2020 zur Energieerzeugung zur Verfügung stehen wird. Es verbleibt die Kernspaltung, auf die sich, wie es nach den medial verbreiteten Wünschen einiger Staaten den Anschein hat[12], auch der Punkt 2.4.1 des Kommissionsvorschlags, einzig und alleine bezieht.

Der CO2-Ausstoß der Kernenergie[13] ist ebenso, wie der der Biomassenutzung Gegenstand zahlreicher Diskussionen. Die Kernenergie pauschal als CO2-arm zu beschreiben ist jedenfalls verfehlt, auch wenn dieser Anspruch durchaus, aber mit immer heftigerem Widerspruch, gestellt wird.

Es ist zu bedenken, dass hier das besondere Problem auftritt, dass für die Kernenergie der CO2-Ausstoß mit der Zeit variabel ist, da er aufgrund der Gewinnung und Verarbeitung in starkem Ausmaß vom Uranerzgehalt abhängt. Auf Grund der Abschätzungen der IAEA[14] über die Verfügbarkeit von Uran, ist sogar davon auszugehen, dass in absehbaren Zeiträumen die Energiebilanz der Kernenergie negativ werden kann.

Die staatliche Förderung von Strom aus KKW muss daher weiterhin und aus gutem Grund im Sinne des Artikel 107 des VERTRAGS ÜBER DIE ARBEITSWEISE DER EUROPÄISCHEN UNION rechtswidrig bleiben.

Mehr Informationen:

KKW PAKS II, Fachstellungnahme zum Entwurf einer Umweltverträglichkeitserklärung (UVP-Scoping-Dokument) im Rahmen der Umweltverträglichkeitsprüfung, 2013 //wua-wien.at/home/images/stories/atomschutz/positionen_stellungnahmen/kkw-paks2-fachstellungnahme-entwurf-uve.pdf

Stellungnahme der WUA zu Hinkley Point C  //wua-wien.at/home/atomschutz/positionen-und-stellungnahmen/uvp-hinkley-point

EU-Kommission zur Energieförderung 

//ec.europa.eu/competition/state_aid/legislation/environmental_aid_issues_paper_en.pdf

Energy Balance of Nuclear Power Generation. Life Cycle Analyses of Nuclear Power. Summary. Austrian Institute of Ecology //wua-wien.at/home/images/stories/publikationen/energy-balance-of-nuclear-power-generation.pdf

Mag. David Reinberger ist theoretischer Kernphysiker und nimmt seit sieben Jahren die Agenden des Atomschutzbeauftragten  der Stadt Wien in der Wiener Umweltanwaltschaft wahr. In diesem Zusammenhang vertritt er die Stadt in fachlicher Hinsicht gegenüber den Nachbarländern und Koordiniert die Aktivitäten der Stadt Wien auf europäischer Ebene.

Kontakt und Rückfragen: post@wua.wien.gv.at +43 (0)1 37979 – 0

Postanschrift Wiener Umweltanwaltschaft:  1190 Wien, Muthgasse 62



[1] 2012/C 326/01

[2] vormals Artikel 87 EGV

[3] ENTSO-E-Mix 2012

[4] zusätzliche 110 Reaktoren zu 1000 MW, sowie der Ersatz der meisten bestehenden KKW aus Altersgründen bis 2035

[6] Weltweit wären für dieses Szenario 3000 bis 4000 neue Reaktoren zu je 1000 MW bis 2035 notwendig, die anteilsmäßige Treibhausgasreduktion wäre ähnlich gering

[7] Uranium: Resources, Production and Demand „Red Book 2011“, IAEA, 2012

[8] So nicht eine weitere dramatische Verschlechterung der Wirtschaftlichkeit in Kauf genommen wird 

[9] Energy, Electricity and Nuclear Power Estimates for the Period up to 2050 (2012 Ed.), IAEA, 2012

[10] Energiebilanz der Nuklear Industrie, Wallner et al., 2012

[11] Konkret trifft das auf Biomasse, Kernspaltung und Kernfusion zu

[12] Vergl. o.g. Konsultationspapier Kapitel 2.4.1 Ziffer (50)

[13] Energiebilanz der Nuklear Industrie, Wallner et al., 2012

[14] Uranium: Resources, Production and Demand „Red Book 2011“, IAEA, 2012

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Bilder: Annamartha / pixelio.de/ © www.pixelio.de und Bernd Wachtmeister / pixelio.de/ © www.pixelio.de

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