Dienstag, 19. März 2024
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Mitterlehner: „Versorgungssicherheit mit Erdgas auch im Krisenfall gewährleistet“

Als neuer Vizekanzler und Chef der ÖVP hat Wirtschaftsminister Reinhold Mitterlehner einen guten Start hingelegt. Im Interview mit der EU-Infothek nimmt er zu heiklen Themen wie den EU-Sanktionen gegen Russland, der Versorgung mit Erdgas und dem umstrittenen Freihandelsabkommen mit den USA Stellung.

[[image1]]Hat sich das Standing Österreichs in der EU mit dem neuen Ressort von Kommissar Hahn und den Vermittlungsbemühungen im Ukraine-Konflikt verbessert?

Die Entscheidung für Johannes Hahn als Kommissar für Nachbarschaftspolitik und Erweiterung stärkt unsere Rolle als Brückenbauer in Europa und der Welt. Österreich erhält mit diesem Ressort erneut eine gewichtige Rolle innerhalb der EU-Kommission. Eine nachhaltige und solidarische Nachbarschaftspolitik sowie die Frage der Erweiterung der Europäischen Union sind zentrale Punkte.

Die Politik Brüssels im Ukraine-Konflikt und die damit verbundenen Exportverbote für mehrere heimische Erzeugnisse  nach Russland sind hierzulande nicht unumstritten. Sind Sie davon überzeugt, dass der Kurs  Brüssels  uns langfristig mehr nützt als schadet?

Der Sanktionsbeschluss war genauso notwendig wie das geschlossene Auftreten der EU-Länder. Die wirtschaftlichen Folgen müssen differenziert bewertet werden. Die unmittelbaren Exportbeschränkungen betreffen Österreich nur sehr gering, aber insgesamt belastet der Konflikt natürlich das Investitionsklima. Daher haben wir zum Beispiel unsere Internationalisierungsoffensive „go international“ aufgestockt, um die Folgen für die Unternehmen abzufedern und das Erschließen neuer Fernmärkte noch stärker zu unterstützen. Das Potenzial dafür hat unsere jüngste Marktsondierungsreise nach China aufgezeigt, bis 2020 wollen wir das Handelsvolumen verdoppeln. Darüber hinaus bieten wir über die Förderbank aws spezielle Überbrückungsgarantien für Betriebsmittelkredite an. Damit können zum Beispiel neue Kundenaufträge vorfinanziert werden.

Ein heikler Punkt bei möglichen Sanktionen Russlands ist die Gasversorgung. Welche Strategien gibt es auf europäischer Ebene, um die Abhängigkeit von russischem Erdgas zu verringern?

Im nationalen Alleingang ist Versorgungssicherheit nicht zu erreichen. Daher haben wir auch die Idee eines EU-weiten Gasstresstests in Kooperation mit den Nachbarländern unterstützt. Neben der Solidarität muss aber auch der Grundsatz der Eigenvorsorge berücksichtigt werden. Österreich hat seine Hausaufgaben jedenfalls gemacht, die Versorgungssicherheit für Haushalte und Industrie wäre auch im Krisenfall gewährleistet. Mit einer Auslastung von weit über 90 Prozent sind die in den vergangenen Jahren deutlich aufgestockten Gasspeicher gut befüllt.

Unternimmt Brüssel genug, damit die EU-Mitgliedsländer endlich aus der bereits sechs Jahre dauernden Finanz- und Wirtschaftskrise kommen und die Arbeitslosenzahlen in den Krisenländern sinken?

Entscheidend ist, dass wir den EU-Binnenmarkt stärker leben, die internationalen Wettbewerbsfähigkeit Europas stärken und die notwendige Budgetkonsolidierung mit gezielten Investitionsanreizen verbinden. Hier ist aber nicht nur die EU-Kommission gefordert, dieser Herausforderung müssen sich alle Mitgliedstaaten stellen.

Bei EU-Erweiterung geht Qualität vor Geschwindigkeit

Begrüßen Sie es, dass die EU in den kommenden fünf Jahren keine weiteren Länder aufnehmen will – schließlich hat Österreich am Balkan große wirtschaftliche Interessen?

Die EU-Annäherung aller Staaten des Westbalkans ist ein prioritäres Ziel der österreichischen Außen- und Außenwirtschaftspolitik. Österreich hat diesen Prozess von Beginn an unterstützt. Es geht dabei nicht nur um den Abschluss von Verhandlungen, sondern um konkrete Fortschritte. Daher ist es wichtig neue Mitglieder vor allem in Hinblick auf Themen wie Rechtsstaatlichkeit, Demokratie und Wirtschaft entsprechend vorzubereiten – Stichwort: Qualität vor Geschwindigkeit.

Viele Österreicher stehen dem geplanten Freihandelsabkommen der EU mit den USA skeptisch gegenüber. Welche Eckpunkte müssen aus Sicht der Bundesregierung gewährleistet sein? Kritiker sehen die Gefahr, dass die europäischen Konsumentenschutz-Gesetze durch das Abkommen nachhaltig aufgeweicht werden.

Der entscheidende Punkt ist, dass europäische Standards respektiert werden und durch das „right to regulate“ jeder Vertragspartner das Schutzniveau nach eigenem Ermessen festlegen kann. Darüber hinaus geht es mir um eine sachorientierte, differenzierte Diskussion über alle Vor- und Nachteile. Wir sollten uns aber schon im Klaren sein, dass unser Wohlstand auch auf dem Handel mit anderen Ländern beruht. Sechs von zehn Euro werden im Export erwirtschaftet. Wer hingegen auf Protektionismus und Abschottung setzt, hat nichts aus der Wirtschaftsgeschichte gelernt.

Keine Abstriche bei den Lebensmittel-Standards

Würde Österreich sein Veto einlegen, sollte es zu Abstrichen bei den Lebensmittel-Standards kommen?

Unsere hohen Standards müssen auch in Zukunft gesichert sein. Daher wird die Zustimmung Österreichs zum Ergebnis auch davon abhängen, ob ein zufriedenstellendes Ergebnis im Sinne des Verhandlungsmandats erzielt wurde. Die endgültigen Abkommenstexte müssen aus Sicht Österreichs und der anderen Mitgliedstaaten sowohl durch das Europäische Parlament als auch durch die nationalen Parlamente aller 28 EU-Mitgliedsstaaten ratifiziert werden. In Österreich also durch den Nationalrat.

Wäre es klug, den geplanten Investitionsschutz im Abkommen gänzlich zu streichen?

Diese Frage muss jetzt von der neuen EU-Kommission geklärt werden, weil sie das Verhandlungsmandat innehat. Wir haben die aktuellen Bedenken des Nationalrats zum Investitionsschutz bei den zuständigen Stellen deponiert. Schon zuvor hat Österreich eingebracht, dass die kritischen Stellungnahmen der Öffentlichkeit im Konsultationsverfahren berücksichtigt werden müssen. Wir respektieren diese Bedenken, auch wenn Österreich noch nie vor einem Schiedsgericht geklagt wurde und wir dafür derzeit auch keine praktische Gefahr sehen.

Die scheidende EU-Wettbewerbskommission hat Subventionen in Milliardenhöhe für das geplante britische  AKW Hinkley Point genehmigt. Wird Österreich dagegen Widerstand durch eine Klage vor dem EuGH leisten?

Wie bereits angekündigt, werden wir dagegen eine Klage beim Europäischen Gerichtshof vorbereiten und einbringen. Österreich ist gegen jede Art der Förderung des Baus von AKWs oder der Produktion von Nuklearenergie. Kernkraft ist weder eine nachhaltige Form der Energieversorgung, noch eine tragfähige Option zur Bekämpfung des Klimawandels. Darüber hinaus widerspricht die Dauer-Subventionierung einer seit Jahrzehnten verbreiteten, aber trotzdem unrentablen Technologie wie der Nuklearenergie der Logik und Systematik des EU-Beihilferechts.

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